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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Urteil verkündet am 16.10.2007
Aktenzeichen: 9 LC 54/05
Rechtsgebiete: BauGB


Vorschriften:

BauGB § 123 Abs. 2
BauGB § 131
BauGB § 133
Ausschließlich an einen Privatweg angrenzende Grundstücke werden durch die öffentliche Straße, in die der Privatweg einmündet, nicht erschlossen, wenn auch die Privatwege zum Anbau bestimmte, zur verkehrsmäßigen Erschließung geeignete und überdies selbstständige Erschließungsanlagen im Sinne von § 123 Abs. 2 BauGB sind.

Ca. 400 m lange Privatwege sind im erschließungsbeitragsrechtlichen Sinn regelmäßig selbstständig.


NIEDERSÄCHSISCHES OBERVERWALTUNGSGERICHT LÜNEBURG URTEIL

Aktenz.: 9 LC 54/05

Datum: 16.10.2007

Gründe:

I.

Der Kläger wendet sich gegen seine Heranziehung zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag für die erstmalige Herstellung des G.wegs. Von dieser Erschließungsanlage zweigen insgesamt elf Privatwege ab, nämlich die Kantstraße, der Fichtenweg, der Beerenweg, der Hagebuttengang, der Heidelbeerweg sowie die Wege Landwehrwiesen, Föhrenhain, Am Dornbusch, Johannisgrund, Kreihnbrink und Am Wildpfad. Alle Privatwege sind Sackgassen, die über keine Seitenverbindung verfügen und an die zahlreiche bebaute Grundstücke angrenzen. Die Länge der Wege beträgt zwischen ca. 170 m (Fichtenweg) und ca. 420 m (Kreihnbrink). Ihr Ausbauzustand ist insoweit unterschiedlich, als sie nur teilweise einen Straßenbelag aufweisen, der aus Asphalt, Pflaster oder festgefahrenem Mineralgemisch besteht. Die Privatwege sind zwischen 2,60 m und 3,60 m breit und einspurig. Begegnungsverkehr ist vornehmlich nur unter Ausnutzung eines unbefestigten Seitenstreifens oder von Grundstückseinfahrten möglich. Über Beleuchtungs- und Entwässerungsanlagen sowie Bürgersteige verfügen die Privatwege nicht.

Mit Bescheid vom 19. Juni 2003 zog die Beklagte den Kläger für sein Grundstück G.weg H. (Flurstück I. der Flur J. Gemarkung K.) zu einer Vorausleistung auf den Erschließungsbeitrag in Höhe von 3.965,11 € heran. Als vom G.weg erschlossen sah die Beklagte dabei nur die am G.weg gelegenen Grundstücke an, also nicht auch diejenigen Grundstücke, die ausschließlich an die Privatwege grenzen. Den Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2004 als unbegründet zurück. Mit seiner daraufhin erhobenen Klage hat der Kläger u.a. weiterhin geltend gemacht, dass es sich bei den Privatwegen um unselbstständige Stichstraßen handele, so dass die Eigentümer der an die Privatwege angrenzenden Grundstücke ebenfalls zu Vorausleistungen herangezogen werden müssten.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht den Heranziehungsbescheid der Beklagten vom 19. Juni 2003 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 5. April 2004 aufgehoben, soweit eine höhere Vorausleistung als 2.409,85 € festgesetzt wird, und die Klage im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Die festgesetzte Vorausleistung sei überhöht, weil die Beklagte die Gesamtbeitragsfläche zu niedrig angesetzt habe. Auch die Grundstücke, die an die Privatwege Landwehrwiesen, Am Dornbusch, Föhrenhain, Hagebuttengang und Kantstraße angrenzten, müssten in das Abrechnungsgebiet einbezogen werden. Auch diese Grundstücke würden vom G.weg erschlossen, weil es sich bei den fünf genannten Privatwegen nicht um selbstständige Erschließungsanlagen, sondern um bloße Zufahrten zum G.weg handele. Bezüglich dieser Wege lägen besondere Umstände vor, die es rechtfertigten, trotz einer Länge von deutlich mehr als 100 m eine Unselbstständigkeit anzunehmen. Die Besonderheiten ergäben sich aus der Funktion und dem Ausbauzustand der Wege. Sie verfügten lediglich über eine Befestigung durch festgefahrenes Mineralgemisch, teilweise mit Grasbewuchs in der Mitte des Weges. Daher vermittelten sie eher den Eindruck von Waldwegen und wiesen sie nicht mehr den erforderlichen Mindestausbaustandard auf. Zwar müssten Privatwege, um als selbstständig angesehen zu werden, nicht alle Merkmale erfüllen, die in einer Erschließungsbeitragssatzung als Merkmale der endgültigen Herstellung aufgeführt seien, wie etwa Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen sowie Gehwege. Auch seien - weil es auf das Erscheinungsbild ankomme - an den Unterbau einer Fahrbahn keine übertriebenen Anforderungen zu stellen. Die Privatwege müssten aber die für eine Straße übliche Befestigungsart aufweisen, also etwa gepflastert oder asphaltiert sein. Daran fehle es bei den soeben genannten fünf Privatwegen. Da die anderen sechs Privatwege asphaltiert oder gepflastert seien, könnten nur sie (noch) als selbstständig angesehen werden. Würden (nur) die an den fünf unselbstständigen Privatwegen gelegenen Grundstücke zusätzlich in die Verteilungsfläche einbezogen, verringere sich die vom Kläger zu zahlende Vorausleistung auf 2.409,85 €.

Gegen dieses Urteil haben die Beteiligten jeweils die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassene Berufung eingelegt.

Der Kläger will mit seiner Berufung erreichen, dass die angefochtenen Bescheide aufgehoben werden, soweit eine Vorausleistung von mehr als 1.100,08 € festgesetzt ist. Dieser Betrag ergäbe sich, wenn auch die allein an den Fichtenweg, den Beerenweg, den Heidelbeerweg und die Wege Am Wildpfad, Kreihnbrink und Johannisgrund angrenzenden Grundstücke in die Gesamtbeitragsfläche einbezogen würden. Eine solche Einbeziehung hält der Kläger für geboten, weil auch diese - nicht miteinander verbundenen - Privatwege als unselbstständige Erschließungsanlagen einzustufen seien. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts komme es - so macht der Kläger geltend - für die Einstufung nicht maßgeblich auf den Straßenbelag an. Entscheidend müsse sein, dass einem unbefangenen Beobachter der Eindruck vermittelt werde, die Eigentümer der ausschließlich an die Privatwege angrenzenden Grundstücke nutzten aus Praktikabilitätsgründen eine gemeinsame Zufahrt zum G.weg. Der Eindruck von Zufahrten werde teilweise besonders durch das Schild "Privatweg - betreten auf eigene Gefahr" verdeutlicht. Er werde noch verstärkt durch die geringe Fahrbahnbreite von lediglich 2,70 m bis 3,30 m, die nur eine einspurige Befahrbarkeit mit Pkw's ermögliche und ein Befahren mit Müllfahrzeugen ausschließe. Außerdem sei zu berücksichtigen, dass Gehwege, Straßenbeleuchtung und Entwässerungsvorrichtungen fehlten und an die genannten Privatwege jeweils höchstens 15 bebaute Grundstücke angrenzten. Das Kriterium der Wegelänge von mehr als 100 m spiele vorliegend nur eine untergeordnete Rolle, weil die Länge aus der Größe der an die Wege angrenzenden Grundstücke folge.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die angefochtenen Bescheide aufzuheben, soweit eine Vorausleistung von mehr als 1.100,08 € festgesetzt ist.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und die Klage im vollen Umfang abzuweisen.

Die Beteiligten beantragen ferner jeweils,

die Berufung der Gegenseite zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt im Berufungsverfahren vor: Nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter vermittelten, bildeten die privaten Stichwege Landwehrwiesen, Am Dornbusch, Föhrenhain, Hagebuttengang und Kantstraße selbstständige Erschließungsanlagen im Sinne von § 123 Abs. 2 BauGB, so dass sie die allein daran angrenzenden Grundstücke zu Recht nicht in die Gesamtbeitragsfläche einbezogen habe. Schon wegen der Länge dieser Privatwege werde der Eindruck lediglich einer privaten Zufahrt nicht vermittelt. Denn das Ende der fünf Stichwege sei vom G. weg aus nicht feststellbar. Auch werde an die Stichwege jeweils in nicht ganz unerheblichem Umfang angebaut. Aus der Ausbaubreite von weniger als 4 m könne ebenfalls nicht auf eine Unselbstständigkeit geschlossen werden, weil nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine Erreichbarkeit mit Großfahrzeugen nicht erforderlich sei und daher schon ein befahrbarer Wohnweg mit einer 2,75 m breiten Befestigung die Erschließung vermitteln könne. Das Verwaltungsgericht habe allerdings zutreffend angenommen, dass die Privatwege Am Wildpfad, Kreihnbrink, Johannisgrund, Heidelbeerweg, Beerenweg und Fichtenweg selbstständig seien. Da diese Wege mit Ausnahme des Fichtenwegs (168 m) Längen zwischen 350 m und 420 m aufwiesen, sei für den Betrachter nicht einmal erkennbar, ob es sich um Stichstraßen oder Verbindungsstraßen zu anderen Verkehrsanlagen handele und wie groß die Zahl der durch die Privatwege erschlossenen Grundstücke sei.

Der Senat hat - ebenso wie das Verwaltungsgericht - Beweis erhoben durch Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten. Auf den Inhalt der Niederschrift und die gefertigten Lichtbildaufnahmen wird Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie den Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet, die des Klägers ist hingegen unbegründet und daher zurückzuweisen. Das Verwaltungsgericht hätte die Klage nicht nur hinsichtlich eines Teilbetrags von 2.409,85 €, sondern im vollen Umfang abweisen müssen. Denn die Beklagte hat in den angefochtenen Bescheiden zu Recht angenommen, dass die an die privaten Stichwege, nicht aber an den öffentlichen G.weg angrenzenden Grundstücke nicht durch letzteren erschlossen werden.

Ausschließlich an einen Privatweg angrenzende Grundstücke werden durch die öffentliche Straße, in die der Privatweg einmündet, nicht erschlossen, wenn auch die Privatwege zum Anbau bestimmte, zur verkehrsmäßigen Erschließung geeignete und überdies selbstständige Erschließungsanlagen im Sinne von § 123 Abs. 2 BauGB sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.7.1982 - 8 C 28, 30 und 33.81 - DVBl. 1982, 1056, Urt. v. 23.3.1984 - 8 C 65.82 - DVBl. 1984, 683, Beschl. v. 29.8.2000 - 11 B 48/00 - NVwZ-RR 2001, 180 = DÖV 2001, 37). Beim Vorliegen dieser Voraussetzungen ist der Privatweg für die ausschließlich an ihn angrenzenden Grundstücke die nächstgelegene und damit zugleich die allein maßgebliche Erschließungsanlage und ist es daher ausgeschlossen, dass diese Grundstücke auch durch die öffentliche Anbaustraße, in die der Privatweg einmündet, hier der G.weg, erschlossen werden (vgl. BVerwG, aaO sowie Urt. vom 30.1.1970 - IV C 151.68 - DVBl 1970, 839 und vom 24.3.1976 - IV C 16. u. 17/74 - DÖV 1976, 671; Urt. d. erk. Sen. vom 20.6.2007 - 9 LC 59/06 - zitiert nach juris). Die Herstellung und Unterhaltung des selbstständigen Privatwegs durch die Anlieger wird dadurch "honoriert", dass diese zur nächstgelegenen öffentlichen Straße nicht beitragspflichtig sind (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urt. v. 22.5.2003 - 2 S 446/02 - zitiert nach juris).

Es ist offensichtlich und bedarf daher nicht der näheren Erörterung, dass die vorliegend in Rede stehenden elf Privatwege die beiden erstgenannten Voraussetzungen (Anbaubestimmung und Eignung zur verkehrsmäßigen Erschließung) erfüllen. Denn an ihnen kann tatsächlich und darf rechtlich gebaut werden, was bereits durch die genehmigte Bebauung an den Privatwegen belegt wird (vgl. allgemein zur Anbaubestimmung z.B. BVerwG, Urt. v. 2.7.1982 und 23.3.1984, jeweils aaO). Die elf Privatwege sind allesamt auch geeignet, das herzugeben, was für die zulässige Bebauung der an sie grenzenden Baulandgrundstücke an Erschließung erforderlich ist. Sie verschaffen den Baulandgrundstücken die wegemäßige Erschließung, die für deren zulässige bauliche Nutzung geboten ist (vgl. zur verkehrsmäßigen Erschließung z.B. BVerwG, Beschl. v. 29.8.2000, aaO). Dem steht nicht die teilweise nur geringe Breite der Privatwege entgegen. Selbst eine Breite von 2,60 m bis 3,60 m bietet in tatsächlicher Hinsicht die Möglichkeit, auf den Privatwegen mit Personenkraft- und kleineren Versorgungsfahrzeugen an die angrenzenden Grundstücke heranzufahren und sie von dort zu betreten. Das Bundesverwaltungsgericht hat in solchen Fällen eine hinreichende verkehrsmäßige Erschließung angenommen (vgl. allgemein Beschl. v. 29.8.2000, aaO; siehe ferner Urt. v. 2.7.1982 zu einem 3,5 m breiten Eigentümerweg sowie Urt. v. 4.6.1993 - 8 C 33.91 - KStZ 1993, 215, wonach Grundstücke selbst dann durch einen befahrbaren Stichweg erschlossen sein können, wenn dieser bei einer lichten Weite von 3 m nur auf einer Breite von 2,75 m befestigt ist). Anhaltspunkte dafür, dass die somit tatsächlich gegebene Anfahrmöglichkeit rechtlich nicht hinreichend gesichert ist, bestehen nicht.

Mit der Bejahung von Anbaubestimmung und Erschließungsfunktion ist noch nicht darüber entschieden, ob die in den G.weg einmündenden Privatwege selbstständige Erschließungsanlagen sind oder (nur) unselbstständige Zuwegungen und als solche bloße Anhängsel des G.wegs bilden. Denn auch unselbstständige befahrbare Zuwegungen haben häufig eine Erschließungsfunktion. Sie werden angelegt, um die Bebauung von nicht unmittelbar an eine selbstständige Erschließungsanlage angrenzenden Grundstücken zu ermöglichen. Gleichwohl ist beitragspflichtige Erschließungsanlage für solche Grundstücke nicht die unselbstständige Zufahrt, sondern die nächste selbstständige Erschließungsanlage, in welche die Zufahrt einmündet, sofern die allgemeinen Voraussetzungen für ein Erschlossensein von Hinterliegergrundstücken vorliegen (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.7.1982 und 23.3.1984 sowie Beschl. v. 29.8.2000, jeweils aaO; Urt. d. erk. Sen. v. 20.6.2007, aaO sowie Driehaus, Erschließungs- und Ausbaubeiträge, 7. Aufl. 2004, § 5 Rdnrn. 4 ff.).

Ob befahrbare Privatwege, die in öffentliche Straßen einmünden, (schon) selbstständige Erschließungsanlagen oder (nur) unselbstständige Zuwegungen zur öffentlichen Anbaustraße, in die sie einmünden, darstellen, hängt - wie vom Grundsatz her bei öffentlichen Straßen (hierzu BVerwG, Urt. v. 9.11.1984 - 8 C 77.83 - BVerwGE 70, 247 = NVwZ 1984, 346 = DVBl. 1985, 297, v. 25.1.1985 - 8 C 106.83 - DVBl 1985, 621 = Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 59 = NVwZ 1985, 753, v. 23.6.1995 - 8 C 30.93 - KStZ 1996, 112 = ZMR 1995, 557 u. v. 16.9.1998 - 8 C 8.97 - Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 109 = DVBl 1999, 395 = KStZ 1999 154 = NVwZ 1999 997 = ZMR 1999, 68) - vom Gesamteindruck ab, den die Privatwege nach den tatsächlichen Verhältnissen einem unbefangenen Beobachter vermitteln (vgl. speziell zu Privatwegen BVerwG, Urt. v. 2.7.1982 u. 23.3.1984 sowie Beschl. v. 29.8.2000, jeweils unter Bezugnahme auf die Schutzwürdigkeitstheorie). Der maßgebliche Eindruck wird in erster Linie geprägt von der Ausdehnung des zu beurteilenden Privatwegs (BVerwG, Urt. v. 2.7.1982 und 23.3.1984, jeweils aaO). Bedeutsam ist ferner vor allem das Maß der Abhängigkeit zwischen dem Privatweg und der öffentlichen Straße, in die er einmündet. Denn eine Verkehrsanlage ohne Verbindungsfunktion (Sackgasse) ist ausschließlich auf die Straße angewiesen, von der sie abzweigt. Da sie darin einer unselbstständigen Zufahrt ähnelt, besteht der Eindruck einer Unselbstständigkeit häufig auch noch bei einer Ausdehnung, bei der eine Anlage mit Verbindungsfunktion schon den Eindruck der Selbstständigkeit erweckt. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien geht die gefestigte Rechtsprechung davon aus, dass eine für das Befahren mit Kraftfahrzeugen vorgesehene, bis etwa 100 m lange und nicht verzweigte Sackgasse, die eine ihrer Ausdehnung nach angemessene Anzahl von Grundstücken erschließt, regelmäßig als erschließungsbeitragsrechtlich unselbstständig zu qualifizieren ist. Eine Sackgasse gilt hingegen als selbstständig, wenn sie entweder mehr als 100 m lang ist oder vor Erreichen dieser Länge (mehr oder weniger) rechtwinklig abknickt oder sich verzweigt (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.6.1996 und 16.9.1998, jeweils aaO; Beschl. des erk. Sen. v. 20.1.2005 - 9 ME 109/04 -).

Bedeutsam für die Einstufung als selbstständig oder unselbstständig sind ferner die Breite des Privatwegs, Art und Anzahl der an ihn angrenzenden Grundstücke, seine Ausstattung mit Fahrbahn, Gehwegen, Beleuchtungs- und Entwässerungseinrichtungen sowie seine Funktion im Vergleich zur Funktion der nächstgelegenen öffentlichen Straße (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.1.1970, 24.3.1976 und 2.7.1982, jeweils aaO). Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Selbstständigkeit beispielsweise angenommen bei einem 280 m langen und 3,5 m bis 11 m breiten Privatweg (Urt. vom 23.3.1984, aaO) sowie bei einem 630 m langen und 3,5 m breiten Privatweg (Urt. vom 2.7.1982, aaO).

Bei Anwendung dieser Maßstäbe auf den vorliegenden Fall ist der Senat nach Inaugenscheinnahme der Örtlichkeiten davon überzeugt, dass es sich bei den elf in Rede stehenden Privatwegen um jeweils selbstständige Anlagen handelt. Für diese Annahme spricht in erster Linie vor allem die Länge der Privatwege, die mit Ausnahme von Fichtenweg und Kantstraße um die 400 m liegt. Vom Einmündungsbereich der um 400 m langen Privatwege in den G.weg aus gesehen ist das Ende der Wege gar nicht oder nicht näher erkennbar. Dem Betrachter bleibt daher unklar, ob und wie die Wege enden. Dem Kriterium der Länge kommt ein derart ausschlaggebendes Gewicht zu, dass die - vom Verwaltungsgericht hervorgehobene - Befestigungsart, die im Übrigen jederzeit leicht veränderbar ist, demgegenüber zurücktritt. Auch bei den unbefestigten Privatwegen wird der Gesamteindruck des im Einmündungsbereich stehenden Betrachters maßgeblich durch den Umstand geprägt, dass sich die Wege weit in den bebauten und bewaldeten Bereich hinein erstrecken und sich dem Betrachter deshalb nicht erschließt, wie es im Einzelnen - auch hinsichtlich der Befestigungsart - im hinteren Teil der Wege aussieht. Dies wurde vor allem bei den unmittelbar nebeneinander verlaufenden Wegen Johannisgrund (befestigt) und Föhrenhain (unbefestigter Kiesweg) deutlich. Beide Wege erscheinen wegen der genannten Gesichtspunkte, also insbesondere trotz der verschiedenen Befestigungsart, gleichermaßen als eigenständige Teile des Straßennetzes, die eine der Länge nach angemessene Anzahl von Grundstücken erschließen. Entsprechendes gilt auch noch für die kürzeren Privatwege, namentlich den Fichtenweg und die Kantstraße. Bei ihnen ist die Länge zwar weniger dominant, gleichwohl aber mit (fast) 200 m so deutlich über dem für den Regelfall anzuwendenden Grenzwert von 100 m, dass für den Senat nicht Anlass besteht, sie aus dem Kreis der als selbstständig zu bewertenden Grundstücke herauszunehmen.

Der wesentlich auf die Gesamtlänge zurückzuführende Eindruck der Selbstständigkeit wird auch nicht dadurch aufgehoben, dass die Privatwege nur einspurig sind und hinsichtlich der vorhandenen Teileinrichtungen nicht dem üblichen Ausbaustandard von öffentlichen Straßen im Gebiet der Beklagten entsprechen. Ein Privatweg muss, um selbstständig zu sein, nicht die gleiche Breite und Beschaffenheit haben wie eine im Sinne der gemeindlichen Erschließungsbeitragssatzung endgültig hergestellte Straße. Er kann m. a. W. in seinem Ausbauzustand hinter den jeweiligen ortsrechtlichen Herstellungsmerkmalen zurückbleiben, soweit sie die gesetzlichen Mindestanforderungen überschreiten (BVerwG, Urt. v. 24.3.1976, aaO; zur erforderlichen Mindestbreite siehe bereits oben). Unerheblich ist also, ob die Gemeinde den Privatweg so, wie er angelegt ist, als beitragsfähige Erschließungsanlage hätte herstellen dürfen (BVerwG, Beschl. v. 29.8.2000, aaO). Der Annahme einer Selbstständigkeit steht z.B. nicht entgegen, dass der Privatweg Bürgersteige nicht aufweist (BVerwG, Urt. v. 30.1.1970, aaO). Auch durch das Fehlen einer Beleuchtungsanlage wird der Eindruck einer Selbstständigkeit nicht aufgehoben, weil die Verhältnisse bei Dunkelheit nicht entscheidend sind und es für die Abgrenzung zur Unselbstständigkeit nicht maßgebend auf die Ausleuchtung ankommt (so BVerwG, Urt. v. 23.3.1984, aaO).

Die Inaugenscheinnahme durch den Senat hat schließlich keinerlei Anhaltspunkte dafür ergeben, dass die Beklagte die am G.weg gelegenen Innen- und Außenbereichsgrundstücke im Blick auf das Erschlossensein fehlerhaft voneinander abgegrenzt hat. Auch insoweit ist der Kreis der vom G.weg erschlossenen Grundstücke zutreffend festgelegt.

Ende der Entscheidung

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