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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 17.03.2004
Aktenzeichen: 9 ME 1/04
Rechtsgebiete: Krw-/AbfG, UVV


Vorschriften:

Krw-/AbfG § 13
Krw-/AbfG § 15
UVV § 16 Nr 1
Lässt der Zuschnitt einer Stichstraße ein gefahrloses Wenden eines Mülleinsammelfahrzeuges nicht zu, kann der Entsorgungspflichtige einen in der Nähe liegenden Aufstellplatz für Abfallbehälter bestimmen. Den Anliegern der Stichstraße ist regelmäßig eine Transportstrecke bis zu 100 m zumutbar.
Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht

Beschluss vom 17.03.2004 - 9 ME 1/04

Gründe:

Die Antragsteller wenden sich - gemeinsam mit weiteren Anliegern an zwei von der C. in D. abzweigenden Stichstraßen gleichen Straßennamens - im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die für sofort vollziehbar erklärte Verfügung des Antragsgegners vom 22. Oktober 2003, durch die - etwas versetzt - im Einmündungsbereich der beiden Stichstraßen in die C. jeweils ein Aufstellplatz für die zur Einsammlung bereitzustellenden Abfälle bestimmt worden ist. In der Verfügung ist ferner angeordnet worden, dass die festen Abfallbehälter nach der Leerung unverzüglich - spätestens am Abend des Abfuhrtages - vom Aufstellplatz zurückzuholen sind.

Die beiden von der C. abzweigenden Stichstraßen weisen eine Ausbaubreite von ca. 4,40 m und eine Länge zwischen 70 und 90 m (inkl. eines Wendehammers) auf. Die beiden Stichwege enden jeweils in einen Wendehammer, dessen Abmessungen etwa bei 19,40 m Breite sowie einer Tiefe von ca. 10 m liegen. Je nach Lage der einzelnen Anliegergrundstücke haben die Anlieger zum festgelegten Aufstell- bzw. Sammelplatz zwischen 10 m bis zu 95 m zurückzulegen.

In der Vergangenheit hat die Städtereinigung E. im Auftrag des Antragsgegners die Abfallbehälter unmittelbar vor den jeweiligen Grundstücken geleert. Im Mai 2002 wies die Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen (BGF), die gesetzliche Unfallversicherung, die Städtereinigung E. darauf hin, dass nach § 16 Nr. 1 der Unfallverhütungsvorschriften Müllbeseitigung (UVV) Müll nur abgeholt werden dürfe, wenn die Zufahrt zu Müllbehälterstandplätzen so angelegt sei, dass ein Rückwärtsfahren nicht erforderlich sei. Bei Sackgassen müsse z.B. die Möglichkeit bestehen, dass am Ende der Straße ohne mehrmaliges Rangieren (auch dies bedinge Rückwärtsfahren) gewendet werden könne. Bestehe diese Möglichkeit nicht, dürften derartige Straßen nicht mehr mit Müllfahrzeugen befahren werden.

In einem Anschreiben vom 17. Juli 2003 wies der Antragsgegner die Anwohner der beiden Stichstraßen darauf hin, dass im Hinblick auf das Tätigwerden der BGF die Abfalleinsammlung zukünftig nicht mehr wie gewohnt unmittelbar vor den Grundstücken durchgeführt werden könne. Am 8. August 2003 fand ergänzend ein Ortstermin statt, von dessen Durchführung die Anlieger unterrichtet wurden. Einer im Beschwerdeverfahren nachgereichten Notiz der Städtereinigung E. ist zu entnehmen, dass Sinn und Zweck des Ortstermins war festzustellen, ob ein UVV-konformes Befahren der beiden Stichstraßen mit den von der Städtereinigung E. für die Abfallentsorgung eingesetzten dreiachsigen Mülleinsammelfahrzeugen möglich sei. In einer beigefügten Erklärung bestätigt der Fahrer eines Mülleinsammelfahrzeugs, dass die Stichstraßen nur nach mehrmaligem Zurücksetzen (ca. 8-mal) und unter Inanspruchnahme der angrenzenden Grundstücke dieser Straßen wieder vorwärts fahrend verlassen werden konnten.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragsteller auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes - wie auch den der anderen Anlieger der beiden Stichwege - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit dem angegriffenen Beschluss vom 3. Dezember 2003 abgelehnt. Im Termin zur mündlichen Verhandlung waren auch ein Vertreter der BGF und der Städtereinigung E. anwesend. Wegen der verwaltungsgerichtlichen Ausführungen wird auf den angegriffenen Beschluss Bezug genommen.

Die gegen den Beschluss vom 3. Dezember 2003 rechtzeitig erhobene und rechtzeitig begründete Beschwerde der Antragsteller hat keinen Erfolg. Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die vom Antragsgegner getroffene Bestimmung des Ortes, an dem die Antragsteller ihre Abfälle bereitzustellen haben, und die Anordnung, die festen Abfallbehälter nach ihrer Leerung wieder zurückzuholen, rechtlich nicht zu beanstanden sind. Die Verfügung des Antragsgegners verstößt nicht gegen Bundesrecht und deckt sich mit den einschlägigen landes- und satzungsrechtlichen Vorgaben. Das Verwaltungsgericht hat auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats (Beschl. v. 16.9.1996 - 9 M 1082/96 - und Urt. v. 26.11.1997 - 9 L 968/96 -), insbesondere aber auf der des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 27.7.1995 - 7 NB 1.95 -, DVBl. 1996, 44 = NVwZ 1996, 63 = Buchholz 451.22, § 3 AbfG Nr. 1 = BVerwGE 99, 88; Urt. v. 25.8.1999 - 7 C 27.98 -, NVwZ 2000, 71 = UPR 2000, 144) zu Recht festgestellt, dass den Antragstellern wegen der örtlichen Gegebenheiten in den beiden Stichstraßen der C. ein Rechtsanspruch auf Abholung ihres Abfalls unmittelbar vor ihren Grundstücken nicht zusteht und ihnen das Verbringen bzw. der Transport des Abfalls zu dem vom Antragsgegner bestimmten Aufstellplatz zumutbar ist.

Ausgangspunkt der tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen des Senats ist zunächst die Feststellung, dass die beiden Stichstraßen von den von der Städtereinigung E. verwendeten dreiachsigen Mülleinsammelfahrzeugen zwar vorwärts fahrend angefahren werden können, dass aber ein gefahrloses und mit § 16 Nr. 1 der Unfallverhütungsvorschriften Müllbeseitigung in Einklang stehendes Wenden am Ende der Stichstraße im Bereich des nur knapp 20 m breiten Wendehammers nicht möglich ist. Diese Erkenntnis ist vom Verwaltungsgericht seiner Entscheidung nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der dortigen Anhörung der Vertreter der Städtereinigung E. und der BGF zugrunde gelegt worden und durch die von der Städtereinigung E. im Beschwerdeverfahren vorgelegte Erklärung vom 10. März 2004 belegt worden. Dieser Erklärung ist die Äußerung eines Fahrers eines Mülleinsammelfahrzeuges beigefügt worden, wonach ein bis zu 8-maliges Zurücksetzen des Mülleinsammelfahrzeuges erforderlich ist, um die Stichstraße wieder vorwärts fahrend verlassen zu können. Für den Senat bestehen danach keine Zweifel daran, dass ein derartig ausgestaltetes Einsammeln bzw. Abholen des Abfalls mit den Anforderungen des § 16 Nr. 1 UVV nicht in Einklang steht. Nicht zu beanstanden ist auch die daraus gezogene Folgerung des Antragsgegners, derartige Straßen in seinem Entsorgungsbereich nicht mehr mit Müllfahrzeugen anzufahren und insoweit § 16 Abs. 2 seiner Abfallentsorgungssatzung vom 19. November 1998 Rechnung zu tragen, in dem die Modalitäten der Durchführung der Abfuhr näher geregelt sind (z.B. Forderung nach Laden bzw. Transport ohne Schwierigkeiten).

Die Anordnung des Antragsgegners, den im Haushalt der Antragsteller anfallenden Abfall zum bestimmten Aufstellplatz zu bringen und die festen Abfallbehälter von dort wieder zurückzuholen, steht nicht im Widerspruch zu den in §§ 13, 15 Krw-/AbfG geregelten Überlassungspflichten gegenüber dem Abfallerzeuger bzw. -besitzer einerseits und den Entsorgungspflichten des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers andererseits. Mit dem Verhältnis dieser beiden Anforderungen zueinander hat sich das Bundesverwaltungsgericht in seinen beiden oben zitierten Entscheidungen vom 27. Juli 1995 und vom 25. August 1999 auseinandergesetzt. Danach beschränkt sich die Überlassungspflicht nicht auf die herkömmliche Bereitstellung der Abfälle auf oder nahe bei dem jeweiligen Grundstück, sondern schließt unter bestimmten Voraussetzungen auch Bringpflichten ein. Ausgeschlossen wird lediglich die Einführung einer generellen Bringpflicht des Abfallerzeugers. Besteht - wie hier - dagegen ein generelles Holsystem, kann dem Überlassungspflichtigen in Einzelfällen aufgrund örtlicher Besonderheiten eine individuelle Bringpflicht auferlegt werden. Derartige Regelungen sind Ausdruck einer angemessenen Lastenverteilung zwischen den Erzeugern und Besitzern der Abfälle einerseits und den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern andererseits. Verursacht die besondere Lage eines Grundstücks einen zusätzlichen Aufwand für die Abholung der dort anfallenden Abfälle, so ist es grundsätzlich der Sphäre der überlassungspflichtigen Erzeuger oder Besitzer zuzurechnen. Demgemäß darf der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger von diesen eine stärkere Mitwirkung als sonst üblich verlangen (BVerwG, Urt. v. 25.8.1999 - 7 C 27.98 - aaO).

Allerdings kann die Mitwirkungspflicht nicht unbeschränkt ausgedehnt werden. Insoweit bestehen Grenzen der Zumutbarkeit. Die örtlichen Verhältnisse im Bereich der beiden Stichstraßen zur C. nötigen nicht zur Festlegung einer absoluten Grenze. Eine generalisierende Festlegung der den Überlassungspflichtigen noch zumutbaren Mitwirkung ist aber ohnehin nicht möglich. Dafür sind die einzelnen Fallkonstellationen zu unterschiedlich gestaltet bzw. vorstellbar. Die den Anliegern der C. auferlegte Mitwirkung hält sich mit einer ihnen zugemuteten Transportstrecke bis zu 95 m (weiteste Entfernung zum Aufstellplatz) noch im Bereich des Zumutbaren, wenn auch für einen über 100 m hinausgehenden Transport jedenfalls besondere bzw. erhöhte Voraussetzungen zu fordern wären. Ein Transport des Abfalls bis zu 100 m Entfernung ist im Regelfall - wie auch hier - jedenfalls zumutbar (vgl. dazu weitere Einzelentscheidungen: VGH München, Urt. v. 8.4.1992 - 4 B 88.933 -, NVwZ 1993, 392: 30 m zumutbar; OVG Schleswig, Beschl. v. 31.1.1997 - 2 O 10/96 -, NVwZ-RR 1998, 27 = RdL 1997, 174 = NuR 1998, 215 = SchlHA 1997, 116: 60 m zumutbar; BVerwG, Urt. v. 25.8.1999 - aaO: 644 m bei einem Außenbereichsgrundstück zumutbar; Urt. des Senats v. 26.11.1997 - aaO: bei atypischer Grundstückslage im Außenbereich ca. 2 km zumutbar).

Dass den Antragstellern ein Anspruch auf eine "individuelle Lösung" ihrer Müllentsorgung etwa durch den Einsatz eines kleineren Müllfahrzeuges zu Lasten der anderen Gebührenzahler nicht zusteht bzw. sie keinen Anspruch auf Aufrechterhaltung der in der Vergangenheit praktizierten Müllentsorgung haben, hat das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt.



Ende der Entscheidung

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