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Gericht: Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht
Beschluss verkündet am 05.12.2007
Aktenzeichen: 9 ME 307/07
Rechtsgebiete: AO, NVwVG


Vorschriften:

AO § 231 Abs. 1
NVwVG § 23 Abs. 1 S. 4
Vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung im Wege der einstweiligen Anordnung.
Gründe:

Die zulässige Beschwerde des Antragstellers hat Erfolg.

Der Antragsteller, der in der Zeit vom 22. Februar 1996 bis 25. August 2005 in den Niederlanden gelebt hat, wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung eines - aus dem bestandskräftigen Gewerbesteuerbescheid vom 23. Juli 1997 sowie aus dem Gewerbesteuerzinsbescheid vom 12. August 1997 - resultierenden Forderungsbetrags der Antragsgegnerin in Höhe von 21.055,26 €.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hinsichtlich der Einstellung der Vollstreckung mit der Begründung abgelehnt, die Forderung sei nicht durch Zahlungsverjährung erloschen. Denn durch Ermittlungen zum Aufenthaltsort des Antragstellers im September 1999 sei zunächst eine Unterbrechung der Zahlungsverjährung eingetreten. Sie habe zum Beginn einer neuen fünfjährigen Verjährungsfrist geführt. Vor Ablauf der neuen Verjährungsfrist habe die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 28. Januar 2004 eine (weitere) Mahnung an die ihr bekannt gegebene niederländische Adresse gerichtet und für den Fall der Nichtzahlung der rückständigen Beträge mit der Vollstreckung gedroht. Unter dem 7. Juli 2004 habe die Antragsgegnerin ein Vollstreckungsersuchen an die niederländische Gemeinde B. übermittelt. Auf Grund dieser Vollstreckungsmaßnahmen sei eine weitere Unterbrechung der Zahlungsverjährung gemäß § 231 Abs. 1 und 3 AO eingetreten.

Dagegen wendet der Antragsteller mit seiner Beschwerde ein, verjährungsunterbrechende Handlungen seien nicht vorgenommen worden. Das Amtshilfeersuchen vom 22. September 1999 stamme von der Antragsgegnerin und nicht von der Finanzbehörde. Für eine Verjährungsunterbrechung genügten Vorladungen oder die Entgegennahme von Mitteilungen wie die Mahnung vom 28. Januar 2004 nicht. Diese Mahnung habe er auch nicht erhalten, da er seinerzeit seine Anschrift in den Niederlanden bereits gewechselt gehabt habe.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist der Antrag gemäß § 123 VwGO begründet.

Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Im Rahmen einer Entscheidung über eine einstweilige Anordnung ist zu unterscheiden zwischen dem Anordnungsgrund (§ 123 Abs. 1 VwGO), der insbesondere die Eilbedürftigkeit einer vorläufigen Regelung begründet, und dem Anordnungsanspruch, d. h. dem materiellen Anspruch, für den der Antragsteller um vorläufigen Rechtsschutz sucht. Der Anordnungsanspruch ist identisch mit dem auch im Hauptsacheverfahren geltend zu machenden materiellen Anspruch (vgl. Kopp, VwGO, 14. Auflage 2005, RdNr. 6 zu § 123). Sowohl Anordnungsgrund als auch Anordnungsanspruch sind nach § 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO glaubhaft zu machen, wobei die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts maßgebend sind.

Ein Anordnungsgrund liegt vor, weil die Antragsgegnerin die Vollstreckung aus den Bescheiden vom 23. Juli 1997 und 12. August 1997 betreibt.

Der Antragsteller hat auch einen Anordnungsanspruch auf Einstellung der Zwangsvollstreckung bis zu einer Entscheidung über die Klage im Verfahren 2 A 1163/07 ausreichend glaubhaft gemacht.

Nach § 23 Abs. 1 Nr. 4 Niedersächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz (NVwVG) ist die Vollstreckung einzustellen oder zu beschränken, wenn oder soweit der Anspruch auf die Leistung erloschen ist. Im vorliegenden Fall spricht bei summarischer Prüfung der zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats bestehenden Sach- und Rechtslage - vorbehaltlich einer weiteren Sachverhaltsaufklärung im Hauptsacheverfahren - Überwiegendes dafür, dass der Gewerbesteueranspruch gegen den Antragsteller gemäß § 47 Abgabenordnung - AO - durch Zahlungsverjährung nach § 232 AO erloschen ist.

Die Frist für die Zahlungsverjährung beträgt nach § 228 Abs. 1 Satz 2 AO fünf Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Anspruch erstmals fällig geworden ist, § 229 Abs. 1 Satz 1 AO. Nach § 231 Abs. 1 Satz 1 AO wird die Verjährung unterbrochen durch schriftliche Geltendmachung des Anspruchs, durch Zahlungsaufschub, durch Stundung, durch Aussetzung der Vollziehung, durch Sicherheitsleistung, durch Vollstreckungsaufschub, durch eine Vollstreckungsmaßnahme, durch Anmeldung im Konkurs und durch Ermittlungen der Finanzbehörde nach dem Wohnsitz oder dem Aufenthaltsort des Zahlungspflichtigen. Solche Unterbrechungshandlungen, die im Ergebnis zu einer Unterbrechung der Zahlungsverjährungsfrist führen, sind bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich.

Im vorliegenden Fall begann der Lauf der Zahlungsverjährungsfrist am 1. Januar 1998. Diese Verjährungsfrist wurde sowohl durch die Ermittlungen der Antragsgegnerin zum Aufenthalts- und Wohnort im Jahr 1999 als auch durch die Mahnung der Antragsgegnerin an den Antragsteller vom 11. Oktober 1999 zunächst unterbrochen. Mit Ablauf des Jahres 1999 begann demnach gemäß § 231 Abs. 3 AO ab 1. Januar 2000 eine neue 5-jährige Verjährungsfrist. Nach dem derzeitigen Sachstand spricht Überwiegendes dafür, dass diese Verjährungsfrist vor Ablauf am 31. Dezember 2004 nicht erneut unterbrochen worden ist.

Eine solche verjährungsunterbrechende Wirkung kommt der Mahnung vom 28. Januar 2004 nicht zu. Sie wäre nur erfolgt, wenn die Mahnung dem Antragsteller bekannt gegeben worden ist, d. h. ihm zumindest zugegangen ist. Will die Antragsgegnerin die fälligen Zahlungsansprüche durch die schriftliche Mahnung gegenüber dem Steuerschuldner geltend machen, so treten deren Wirksamkeit und die daran geknüpften steuerrechtlichen Folgen nur durch die Bekanntgabe der schriftlichen Mahnung an den Steuerpflichtigen ein. Dazu gehört - sofern die schriftliche Zahlungsaufforderung wie im Streitfall geschehen durch einfachen Brief mit der Post versandt wird (§ 122 Abs. 2 AO 1977) - die Bekanntgabe an den richtigen Adressaten, die eine richtige Adressierung voraussetzt (vgl. BFH, Urteil vom 27.4.1995 - VII R 90/93 - ZfZ 1995, 296 m. w. N.). Daran fehlt es, wenn das Schriftstück an eine Postadresse versandt wird, die - nach Einlassung des Antragstellers - nicht mehr existierte, sofern der Steuerpflichtige - wie hier - den Zugang bestreitet (BFH, Urteil vom 28.8.2003 - VII R 22/01 - BStBl II 2003, 933 = BB 2003, 2555). In diesem Fall hat die Behörde den Zugang des Schriftstückes an den richtigen Empfänger anhand von Indizien nachzuweisen. Daran fehlt es hier nach derzeitigem Sachstand. Anhaltspunkte für eine Zustellung der Mahnung gem. Art. 9 Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Bekanntgabe von Schriftstücken vom 21. Mai 1999 (BGBl. II, 2001, S. 2) liegen nicht vor.

Auch ist eine Unterbrechung der Verjährung durch Vollstreckungsmaßnahmen oder eine Zahlungsaufforderung im Zusammenhang mit dem Beitreibungsersuchen der Antragsgegnerin vom 7. Juli 2004 bei der Gemeindekasse der Gemeinde B. in den Niederlanden, in der der Antragsteller nach dem Kenntnisstand der Antragsgegnerin seinerzeit wohnte, nicht eingetreten. Bei dem bloßen Vollstreckungsersuchen an eine andere Behörde handelt es sich nämlich nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme (vgl. BFH, Urteil vom 24.09.1996 - VII R 31/96 - ZKF 1997, 233 = DStZ 1997, 342 = KKZ 1997, 116; Rüsken in: Klein, Abgabenordnung , 9. Aufl., 2006, § 231 Rdnr. 15; Ruban in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung zur AO und FGO § 231 Rdnr. 26 m. w. N.). Solche Vollstreckungsmaßnahmen sind in §§ 249 ff. AO abschließend geregelt. Sie sind unmittelbar darauf gerichtet, den Anspruch im Wege der Zwangsvollstreckung durchzusetzen (Rüsken in: Klein, Abgabenordnung, a. a. O.). Eine Vollstreckungsmaßnahme ist demgegenüber nicht gegeben, wenn eine Maßnahme nur intern erwirkt werden bzw. die Zwangsvollstreckung selbst erst vorbereiten soll (BFH, Urteil vom 24.09.1996 - VII R 31/96 - ).

Die Verjährung kann zwar auch durch Vollstreckungsmaßnahmen der um Vollstreckungshilfe ersuchten ausländischen Behörden unterbrochen werden (Ruban in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung zur AO und FGO § 231 Rdnr. 26). Nach Art. 5 Abs. 2 Satz 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über die gegenseitige Amtshilfe bei der Beitreibung von Steueransprüchen und der Bekanntgabe von Schriftstücken vom 21. Mai 1999 haben Beitreibungsmaßnahmen, die vom ersuchten Staat auf Grund eines Ersuchens durchgeführt werden und die nach dem Recht dieses Staates die Verjährungsfrist unterbrechen würden, nach dem Recht des ersuchenden Staates dieselbe Wirkung. Nach der derzeit erkennbaren Sachlage kann der Senat jedoch eine solche Vollstreckungsmaßnahme nicht mit der erforderlichen Gewissheit feststellen. Zwar hat der Antragsteller sowohl bei der Antragsgegnerin wie auch beim Bundesamt der Finanzen mit Schreiben vom 24. November 2004 gegen das Ersuchen um Beitreibungsmaßnahmen bei der Gemeinde B. Widerspruch eingelegt. Da sich in den Verwaltungsvorgängen der Antragsgegnerin eine Mitteilung an den Antragsteller über das Beitreibungsersuchen nicht findet, erscheint die Schlussfolgerung gerechtfertigt, dass der Antragsteller anderweitig möglicherweise durch die niederländischen Behörden von dem Beitreibungsersuchen der Antragsgegnerin erfahren hat. Gleichwohl kann derzeit nicht gesichert davon ausgegangen werden, dass eine Vollstreckungsmaßnahme seitens der niederländischen Behörden stattgefunden hat. Zwar hat die niederländische Behörde am 18. Januar 2005 ausweislich der Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes für Finanzen das Widerspruchsschreiben des Antragstellers an die Antragsgegnerin dem Bundesamt für Finanzen mit der Bitte um Sachstandsmitteilung vorgelegt und dem Bundesamt unter dem 23. September 2005 mitgeteilt, dass die Rückstände derzeit nicht einzufordern seien. Wenn auch diese Indizien für ein gewisses Tätigwerden der niederländischen Behörden sprechen, kann aber letztlich bei der hier anzustellenden summarischen Prüfung nicht festgestellt werden, dass die niederländischen Behörden konkret Vollstreckungsmaßnahmen gegen den Antragsteller ergriffen haben. Eine hinreichend aussagekräftige Auskunft der niederländischen Behörden zu etwaigen Vollstreckungsmaßnahmen liegt derzeit nicht vor. Eine diesbezüglich von der Antragsgegnerin auf Bitten des Senats im Beschwerdeverfahren angestrengte Anfrage bei der niederländischen Behörde blieb bislang unbeantwortet. Es ist jedoch nicht Aufgabe des Beschwerdeverfahrens, die endgültige Klärung des Sachverhalts abzuwarten. Vielmehr muss es dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben, abzuklären, ob und wann welche Vollstreckungsmaßnahmen der niederländischen Behörden erfolgt sind bzw. wie der Antragsteller von dem Beitreibungsersuchen etwa durch eine verjährungsunterbrechende schriftliche Zahlungsaufforderung erfahren hat. Bei summarischer Prüfung geht der Senat deshalb zum Zeitpunkt seiner Entscheidung davon aus, dass derzeit noch Überwiegendes dafür spricht, dass eine Unterbrechung der Verjährung nicht eingetreten ist.

Ende der Entscheidung

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