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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 19.12.2001
Aktenzeichen: 4 U 103/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, SGB V


Vorschriften:

BGB § 843
BGB § 847
BGB § 278
BGB § 831
BGB § 195
BGB § 852 Abs. 1
ZPO § 448
ZPO § 539
ZPO § 540
ZPO § 286
ZPO § 398
ZPO § 412 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 546 Abs. 2
ZPO §§ 3 ff.
SGB V § 2 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 U 103/01

Verkündet am 19. Dezember 2001

in dem Rechtsstreit

wegen Forderung.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht und der Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. November 2001

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 21. März 2001 aufgehoben.

II. Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht Aschaffenburg zurückverwiesen.

III. Die Kostenentscheidung für das Berufungsverfahren bleibt dem landgerichtlichen Urteil vorbehalten.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Beschwer für sämtliche Parteien beträgt jeweils 264.000,-- DM.

Tatbestand:

Die Klägerin wurde am 06. März 1992 geboren.

Bei der Vorsorgeuntersuchung "U 2" am 10.03.1992, die in der Klinik des Beklagten zu 2) von dem dort beschäftigten Dr. S durchgeführt wurde, wurde im Lendenwirbelbereich ein "Sakralporus" festgestellt und dies im Untersuchungsheft vermerkt.

Ab dem 16.03.1992 wurde die Klägerin vom Beklagten zu 1) behandelt. Dieser führte die weiteren Vorsorgeuntersuchungen U 3 bis U 6 durch.

Am 18.10.1993 wies der Beklagte zu 1) die Klägerin wegen Abdominal-Beschwerden in das Klinikum des Beklagten zu 2) ein. Dort wurde die Klägerin vom 18.10. bis 25.10.1993 stationär behandelt (siehe Schreiben des Klinikums ohne Datum - Bl. 19 d.A.).

Am 03.03.1994 überwies der Beklagte zu 1) die Klägerin wegen Rückenbeschwerden zu dem Orthopäden Dr. H. Dessen Befund vom 17.03.1994 (Bl. 32 d.A.) lautet u.a.:

"Klinisch sind Verletzungsfolgen nicht erkennbar. Die WS ist frei beweglich, keine definierte Druckdolenz. Ebenso Gelenkstatus und neurologischer Befund an den ob. u. unt. Extremitäten normal.

Die LWS mit unt. BWS u. Becken a.p. u. im seitl. Strahlengang zeigt eine fleckförmige Weichteilaufhellung in Projektion auf das re. Hüftgelenk und die abhängigen Weichteile, ein Befund, der nicht zuordnungsfähig ist. Sonst finden sich keine Auffälligkeiten am Achsenskelett und den Hüftgelenken."

Am 05.04.1994 diagnostizierte der Beklagte zu 1) eine druckschmerzhafte Lendenwirbelsäule, am 12.04.1994 u.a. einen unklaren Schmerzbefund im Lendenwirbelsäulenbereich.

Am 02.05.1994 überwies der Beklagte zu 1) die Klägerin zur Kinderärztin Dr. S. Ein schriftlicher Bericht über die von dieser erhobenen Befunde liegt nicht vor.

Am 04.05.1994 stellte der Beklagte zu 1) wegen deutlicher Beschwerden der Klägerin im Lendenwirbelsäulenbereich die Verdachtsdiagnose "Fistelbildung im Bereich des Mongolenflecks mit akuter Entzündung" und wies die Klägerin in das Klinikum des Beklagten zu 2) ein.

In der Kinderklinik des Beklagten zu 2) wurde die Klägerin vom 04. bis 11.05.1994 behandelt (Schreiben der Kinderklinik vom 06.10.1994 - Bl. 14 - 18 d.A.). Dort wurde ein infizierter Dermalsinus mit Verdacht auf eine intraspinale Abszeßbildung und eine eitrige Meningitis sowie eine Blasenentleerungsstörung diagnostiziert und die Klägerin am 11.05.1994 in die Universitätsklinik in W verlegt.

Vom 11.05. bis 06.06.1994 befand sich die Klägerin, sodann in der Kinderklinik der Universität W. Dort wurde ein "Dermalsinus mit infiziertem intraspinalem Dermoid und intraspinaler Abszessbildung und Meningitis" sowie eine neurogene Blasenstörung diagnostiziert und die Klägerin am 12.05.1994 operiert (Schreiben der Kinderklinik der Universität W vom 06.06.1994 - Bl. 59 d.A. - und vom 14.06.1994 - Bl. 56 - 58 d.A.).

Ambulante Nachuntersuchungen und stationäre Behandlungen wurden sodann bei der Klägerin wie folgt durchgeführt:

In der Orthopädischen Klinik in W am 06.07.1994 (Schreiben dieser Klinik vom 07.07.1994 - Bl. 55 d.A) und am 18.01.1995 (Schreiben dieser Klinik vom 02.02.1995 - Bl. 54 d.A.),

in der Kinderklinik der Universität W am 04.09.1995 (Schreiben vom 06.10.1995 - Bl. 51 d.A. ) und am 05.12.1995 (Schreiben vom 19.12.1995 - Bl. 50 d.A.),

im Kinderhospital in F (Schreiben dieser Klinik vom 21.01.1996 - Bl. 48/49 d.A.),

in der Neurochirurgischen Klinik der Universität W am 21.02.1996 (Schreiben vom 28.02.1996 - Bl. 45/46 d.A.),

in der Kinderklinik der Universität W vom 26. bis 29.03, und vom 10. bis 24.04.1996 (Schreiben vom 09.05.1996 - Bl. 42 - 44 d.A.), wobei am 12.4.1996 eine Nachoperation stattfand,

am 22.04.1996 in der Orthopädischen Klinik in W (Schreiben vom 04.06.1996 - Bl. 41 d.A.),

in der Kinderklinik der Universität W vom 05. bis 06.06.1996 (Schreiben dieser Klinik vom 14.06.1996 - Bl. 40 d.A.),

in der Orthopädischen Klinik in W am 05.06,1996 (Schreiben vom 20.06.1996 - Bl. 39 d.A.),

in der Kinderklinik der Universität W vom 01. bis 03.07.1996 (Schreiben vom 02.08.1996 - Bl. 37/38 d.A.) und vom 10. bis 12.11.1996 (Schreiben vom 28.02.1997 - Bl. 35/36 d.A.),

in der Orthopädischen Klinik in W am 20.02.1997 (Schreiben vom 07.03.1997 - Bl. 33/34 d.A.),

in der Kinderklinik der Universität W vom 24. bis 25.7.1997 (Schreiben vom 25.07.1997 - Bl. 95/96 d.A.).

Nach der Operation vom 12.05.1994 mußte die Klägerin bis zum 07.07.1994 einen Rumpf- und Oberschenkelgips tragen. Einen solchen Gips mußte sie auch nach dem weiteren stationären Aufenthalt in der Universitätskinderklinik W in der Zeit vom 22.04. bis 05.06.1996 tragen.

Die Klägerin leidet nach wie vor an einer Lähmung der Blasenmuskulatur (Destrusorlähmung). Diese macht es erforderlich, daß sie mehrmals am Tag von ihrer Mutter katheterisiert wird. Außerdem muß die Klägerin halbjährlich zu Kontrolluntersuchungen die Kinderklinik der Universität W und jährlich einmal die Orthopädische Klinik in W aufsuchen.

Die Klägerin hat vorgetragen, sie hätte ihre Beschwerden und Schmerzen nicht, wenn der Beklagte zu 1) rechtzeitig die Gefährlichkeit des Dermalsinus erkannt und noch vor der Infektion eine Operation veranlaßt hätte. Denn dann wären die Dauerschäden nicht eingetreten. Der Beklagte zu 1) sei sich über die Bedeutung des Sakralporus/Dermalsinus nicht im Klaren gewesen und hätte bei der von ihm zu forderden Kenntnis den seit 3.1.1994 geklagten Beschwerden erhöhte - Aufmerksamkeit widmen müssen. Auf das Verschulden anderer Ärzte, die die Klägerin später behandelt hätten, könne sich der Beklagte zu 1) nicht berufen. Da das Nichterkennen der Gefährlichkeit einen schweren Verstoß gegen die ärztliche Kur ist darstelle, müsse der Beklagte zu 1) auch nachweisen, daß die Harnblasenstörung nicht von der Operation herrühre. Die Blasen- und Darmstörung seien ein Dauerschaden. Der für den Beklagten zu 2) tätig gewordene Zeuge Dr. S habe es bei der Untersuchung U 2 unterlassen, den Sakralporus näher zu untersuchen bzw. auf dessen Gefährlichkeit hinzuweisen. Der Beklagte zu 2) hafte wegen Verletzung des mit ihm geschlossenen Krankenhausvertrages. Der Krankenhausvertrag habe auch Schutzwirkung für die v Klägerin. Deliktische Ansprüche der Klägerin gegen den Beklagten zu 2) seien nicht verjährt, da die Klägerin erst mit dem gerichtlichen Gutachten Prof. Dr. V Kenntnis von den Fakten erlangt habe.

Die Klägerin hat beantragt,

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin rückwirkend ab dem 1.5.1994 eine monatliche Geldrente gemäß § 843 BGB zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld gemäß § 847 BGB zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

3. Es wird festgestellt, daß die Beklagten verpflichtet sind, den der Klägerin aus dem streitgegenständlichen ärztlichen Behandlungsfehler der Beklagten resultierenden materiellen wie immateriellen Zukunftsschaden zu ersetzen, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte zu 1) hat vorgetragen, ihm sei weder ein Behandlungs- noch ein Diagnosefehler anzulasten. Ein Dermalsinus sei bei der U 2 nicht festgestellt worden. Bis zum 4.5.1994 habe ein Dermalsinus nicht festgestellt werden können. Der Beklagte zu 1) habe die Klägerin sogleich bei seiner Verdachtsdiagnose in die Klinik eingewiesen. Für den Beklagten zu 1) habe mangels Beschwerden auch kein Anlaß für eine Operation bestanden. Auch bei einer vom Beklagten zu 1) am 18.10.1993 wegen Abdominalbeschwerden veranlaßten Klinikeinweisung habe kein Anlaß für eine Operation des Dermalsinus bestanden. Die ab 3.1.1994 geklagten Beschwerden seien Kinderkrankheiten gewesen, über andere Beschwerden, insbesondere unklare Rückenbeschwerden, habe die Klägerin damals nicht geklagt. Auch der Orthopäde, an den die Klägerin am 3.3.1994 überwiesen worden sei, habe keinen Dermalsinus festgestellt. Wenn ein solches Krankheitsbild vorgelegen hätte, wäre das von diesem Arzt erkannt worden. Auch die Kinderärztin Dr. S, an die der Beklagte zu 1) die Klägerin am 2.5.1994 wegen unklarer LWS-Beschwerden überwiesen habe, habe keine Unregelmäßigkeiten hinsichtlich des Sakralporus festgestellt. Mit der anschließenden Überweisung in das Klinikum habe der Beklagte sofort und frühestmöglich die erforderlichen Maßnahmen getroffen.

Der Beklagte zu 2) hat vorgetragen, die Klägerin sei nicht aktivlegitimiert, weil sie keinen Behandlungsvertrag mit dem Beklagten zu 2) abgeschlossen habe. Ein Vertrag sei nur mit der Mutter wegen der Entbindung geschlossen worden. Deliktische Ansprüche seien verjährt. Die U 2 habe am 10.03.1992 stattgefunden. Hierbei habe sich kein auffälliger Befund gezeigt, weshalb kein Anlaß zu einer apparativen Untersuchung bestanden habe.

Nach Vernehmung mehrerer Zeugen und sachverständiger Begutachtung hat das Landgericht Aschaffenburg die Klage als unbegründet abgewiesen. Dazu hat es im wesentlichen folgendes ausgeführt:

Die Klägerin habe weder aus unerlaubter Handlung noch aus positiver Vertragsverletzung des Behandlungsvertrags mit den Beklagten Anspruch auf Ersatz materiellen oder immateriellen Schadens sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden. Weder dem Beklagten zu 1) noch dem für den Beklagten zu 2) tätigen Dr. S liege schuldhaftes Fehlverhalten durch Unterlassen gebotener ärztlicher Maßnahmen zur Last. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme stehe für die Kammer nicht zweifelsfrei fest, daß im Bereich des bei der Klägerin diagnostizierten Sakralporus von Geburt an und bis zu der durch den Beklagten zu 1) veranlaßten Überweisung zur weiteren Diagnostik im März 1994 Auffälligkeiten in Form von Behaarung oder einer großen Rötung festzustellen waren.

Zwar hätten die klägerseits hierzu benannten Zeugen B und G bekundet, sie hätten eine Behaarung in diesem Bereich beobachtet. Die Zeugin B habe darüber hinaus bekundet, sie habe während der gesamten Zeit eine etwa 5-Mark-Stück große Rötung an der fraglichen Stelle gesehen, während die Zeugin G diese Feststellung nicht getroffen habe. Demgegenüber hätten die Zeugen Dr. S und Dr. S derartige Feststellungen bei ihren gezielten Untersuchungen im Rahmen der U 2 bzw. bei der Überweisung im Mai 1994 nicht getroffen. Auch die - sehr präzise und umfangreiche - Dokumentation des Beklagten zu 1) weise derartige Feststellungen über Auffälligkeiten im Lendenwirbelbereich nicht auf. Darüber hinaus habe keiner der genannten Zeugen zweifelsfrei bestätigen können, daß die Mutter der Klägerin bereits ab Januar 1994 den Beklagten zu 1) auf unklare Rückenbeschwerden hingewiesen habe, welche vor der Überweisung an den Orthopäden auch in den Krankenunterlagen nicht dokumentiert seien.

Zwar habe der neurochirurgische Sachverständige Prof. Dr. V ausgeführt, nach seiner Auffassung sei es geboten gewesen, nach der zunächst nicht zu beanstandenden Verdachtsdiagnose Sakralporus die Mutter der Klägerin darauf hinzuweisen, daß eine weitere Diagnostik erforderlich sei um abzuklären, ob eine Verbindung der äußerlich erkennbaren Hautauffälligkeiten nach innen, mithin ein Dermalsinus, vorliege. Der dermatologische Sachverständige Prof. Dr. K habe indes ausgeführt, bei der zutreffend gestellten Diagnose Sakralporus sei bei Fehlen einer weiteren Symptomatik aus ärztlicher Sicht kein Handlungsbedarf gegeben gewesen; erst das Bekanntwerden erster Symptome in Form von Rückenbeschwerden am 3.3.1994 habe Anlaß für eine weiterführende Diagnostik gegeben.

Gegen dieses der Klägerin am 17.4.2001 von Amts wegen zugestellte Urteil richtet sich deren Berufung vom 15.5.2001, eingegangen beim Oberlandesgericht Bamberg am 16.5.2001. Das Rechtsmittel wurde mit weiterem Schriftsatz vom 2.7.2001 begründet, der am 3.7.2001 bei Gericht eingegangen ist. Zuvor war die Frist zur Berufungsbegründung mit Vorsitzendenverfügung vom 13.6.2001 bis 18.7.2001 verlängert worden.

Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Klägerin im wesentlichen folgendes aus: Die Passage im Ersturteil, für die Kammer stehe nicht zweifelsfrei fest, daß im Bereich des bei der Klägerin diagnostizierten Sakralporus von Geburt an bis zur durch den Beklagten zu 1) veranlaßten Überweisung zur weiteren Diagnostik im März 1994 Auffälligkeiten in Form von Behaarung oder einer großen Rötung festzustellen waren, entspreche weder dem Sach- und Streitstand noch dem Ergebnis der Beweisaufnahme. Vor allem die Lage des Sakralporus im Bereich des lumbo-sakralen Übergangs (Lendenwirbelsäule) begründe nach den gutachterlichen Äußerungen des Sachverständigen Prof. Dr. V vom 23.7.1998, Seite 17 und vom 5.5.1999, S. 3 den Verdacht auf eine dysraphische Fehlbildung. Die entsprechenden "Auffälligkeiten" am Rücken der Klägerin seien, bei deren Einlieferung in die Kinderklinik des Beklagten zu 2) am 4.5.1994 festgestellt und im klinischen Aufnahmebefund als ein 3 cm im Durchmesser betragender großer dunkler Naevus mit einer auffälligen Behaarung beschrieben worden. Also müßten die Auffälligkeiten auch bereits einen Tag zuvor, nämlich zum Zeitpunkt der Untersuchung der Klägerin durch die Zeugin Dr. S, vorhanden gewesen sein. Entweder habe also die Zeugin Dr. S die Klägerin am 3.5.1994 nicht zielgerichtet untersucht oder den sichtbaren Symptomen keine klinische Bedeutung beigemessen. Nicht anders verhalte es sich beim Beklagten zu 1) und dem Zeugen Dr. S. Beide könnten aus der eigenen Erinnerung nichts mehr zur Aufklärung des Falles beitragen, sondern sich nur auf ihre damaligen Dokumentationen berufen. Es bestehe aber die Möglichkeit, daß ein klinisch relevantes Symptom im Einzelfall von einem Arzt auch einmal nicht oder nicht richtig erkannt und logischerweise deshalb auch nicht dokumentiert werde. Tatsächlich seien alle drei Auffälligkeiten der Hautveränderung, nämlich ihre Lage, die Rötung und die Behaarung, nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bereits unverändert bei der Geburt der Klägerin vorhanden gewesen. Die Zeugin B habe bekundet, sie habe bei der Klägerin von Anfang an die Rötung und die Behaarung bemerkt. Auch die Zeugin G habe die Behaarung des Pigmentflecks als von Anfang an existent bestätigt. Gegen die Glaubwürdigkeit dieser beiden Zeugen bestünden keinerlei Bedenken. Hieran ändere auch nichts die Behauptung des Zeugen Dr. S, er hätte eine Behaarung oder Pigmentierung der betreffenden Stelle im Untersuchungsheft vermerkt, wenn ihm derartiges aufgefallen wäre. Da diesem Zeugen vor seiner Einvernahme die beiden Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. V vom 23.7.1998 und vom 24.11.1998 zur Kenntnis gegeben worden seien, sei davon auszugehen, daß es sich bei der Einlassung des Zeugen um eine reine Schutzbehauptung handle, zumal dem Zeugen als dem eigentlichen Schadensverursacher quasi die Stellung einer Prozeßpartei zukomme. Auch dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K könne ein Beweiswert nicht beigemessen werden, weil es auf der offensichtlich unrichtigen Schlußfolgerung beruhe, die "Auffälligkeiten" seien bei der Klägerin nach der Geburt noch nicht vorhanden gewesen, weil sie von dem Zeugen Dr. S seinerzeit nicht dokumentiert worden seien. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. K bei seiner Anhörung am 15.12.2000 auf Vorhalt angedeutete theoretische Möglichkeit, daß sich die relative Lage des Sakralporus zur Wirbelsäule im Zeitraum vom 10.3.1992 bis 4.5.1994 bei der Klägerin verändert habe, müsse als reine Spekulation zurückgewiesen werden. Da die Dermalfistel angeboren war, sei es naheliegend, daß auch die typischen äußerlichen Merkmale bei der Klägerin bereits von Geburt an vorgelegen hätten (so der Sachverständige Prof. Dr. V im Ergänzungsgutachten vom 5.5.1999, S. 7). Wenn nach dem Sachverständigen Prof. Dr. V das Wachstum des Epidermoids eine plausible Erklärung für die von der Klägerin ab Januar 1994 geklagte Berührungsempfindlichkeit im Lendenwirbelbereich darstelle, liege es nahe, daß die Mutter der Klägerin dies dem Beklagten zu 1) ab Januar 1994 auch berichtet habe. Bei Zweifeln des Erstgerichts am Vorliegen aller drei Auffälligkeiten des Sakralporus schon unmittelbar nach der Geburt der Klägerin hätte dieses den klägerischen Beweisanträgen auf Einvernahme der Eltern der Klägerin als Partei und auf Einholung eines Obergutachtens stattgeben müssen. Das Erstgericht habe diese Anträge aber nicht einmal im Urteil verbeschieden. Beide Anträge würden ausdrücklich wiederholt. Die Voraussetzungen für eine Einvernahme der Eltern der Klägerin gemäß § 448 ZPO lägen vor. Für jeden behandelnden Arzt hätten die Auffälligkeiten bei der Klägerin notwendiger Anlaß zur weiteren Diagnostik sein müssen. Der Beklagte zu 2) hätte zumindest bei der Entlassung der Klägerin aus der Kinderklinik am 10.3.1992 sicherstellen müssen, daß der die Klägerin weiterbetreuende Arzt auch die notwendige weitere Diagnostik veranlassen würde, was nicht geschehen sei. Spätestens, als die Klägerin im Oktober 1993 wegen unklarer Unterleibs- bzw. Rückenbeschwerden in der Kinderklinik des Beklagten zu 2) stationär behandelt wurde, hätte dieser die weitere Diagnostik durchführen müssen; dies sei ebenfalls nicht geschehen. Aber auch der Beklagte zu 1) hätte aufgrund der Auffälligkeiten die Dermalfistel bei der Klägerin diagnostizieren und eine weitere diagnostische Abklärung veranlassen müssen, und zwar spätestens dann, als die Klägerin seit Anfang 1994 mehrfach über eine unklare Druckempfindlichkeit im Bereich der Hautveränderung am Rücken geklagt habe. Das Unterlassen einer weiteren Diagnostik stelle nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme einen groben Verstoß der beiden Beklagten gegen die anerkannten Regeln der ärztlichen Kunst dar. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, daß im Fall einer weiterführenden Diagnostik die Gefährlichkeit der Dermalfistel erkannt und diese zur Beseitigung der beträchtlichen Infektionsgefahr sofort operativ entfernt worden wäre und daß bei einem solchen chirurgischen Eingriff auch das Epidermoid festgestellt und entfernt worden wäre. Bei dem hier anzunehmenden groben Behandlungsfehler greife eine Beweislastumkehr hinsichtlich der Kausalität ein. Auch die neurologische Störung (Blasenentleerungsstörung) durch das infizierte Epidermoid wäre der Klägerin im Falle einer rechtzeitigen Operation mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit erspart geblieben. Die Möglichkeit, daß auch im Falle einer frühzeitigen Entfernung des Epidermoids eine derartige neurologische Störung aufgetreten wäre, habe der Sachverständige Prof. Dr. V jedoch als rein theoretisch bezeichnet und mit einer Wahrscheinlichkeit von jedenfalls weniger als 10 % beziffert. Auch nach den Grundsätzen des Anscheinsbeweises kehre sich hier die Beweislast für den Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Abklärung der Dermalfistel und dem Eintritt der Blasenlähmung zugunsten der Klägerin um.

Die Klägerin beantragt:

1. Das Urteil des Landgerichts Aschaffenburg vom 21.3.2001 wird aufgehoben.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin rückwirkend ab dem 1.5.1994 eine monatliche Geldrente gemäß § 843 BGB zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld gemäß § 843 BGB zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

4. Es wird festgestellt, daß die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, den der Klägerin aus dem streitgegenständlichen ärztlichen Behandlungsfehler der Beklagten resultierenden materiellen wie immateriellen Zukunftsschaden zu ersetzen, soweit der Ersatzanspruch nicht auf Dritte übergegangen ist.

5. Die Beklagten tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Rechtsstreits.

6. Das Urteil ist, gegebenenfalls gegen Sicherheitsleistung, vorläufig vollstreckbar.

Die beiden Beklagten beantragen jeweils,

die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen.

Sie verteidigen das Ersturteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

Der Beklagte zu 1) trägt ergänzend hierzu im wesentlichen folgendes vor: Weder ihm noch dem für den Beklagten zu 2) tätig gewordenen Dr. S könne schuldhaftes ärztliches Fehlverhalten nachgewiesen werden. Wie der Sachverständige Prof. Dr. K ausgeführt habe, sei bei der zutreffend gestellten Diagnose Sakralporus bei Fehlen einer weiteren Symptomatik aus ärztlicher Sicht kein Handlungsbedarf gegeben gewesen. Erst das Bekanntwerden erster Symptome (Rückenbeschwerden) am 3.3.1994 habe Anlaß für eine weiterführende Diagnostik gegeben. Die Lage der vom Beklagten zu 2) als Sakralporus bezeichneten Dermalfistel im Bereich des lumbo-sakralen Übergangs für sich allein begründe nicht den Verdacht auf eine dysraphische Fehlbildung und hätte deswegen eine weitere diagnostische Abklärung nicht erfordert. Nur bei kumulativem Vorliegen der drei Befunde (die genannte Lage, Behaarung und Rötung) hätte Veranlassung zu weiterer Abklärung bestanden. Es stehe aber gerade nicht zweifelsfrei fest, daß von der Geburt der Klägerin an bis März 1994 Auffälligkeiten in Form von Behaarung oder einer großen Rötung vorhanden gewesen wären. Die Zeugin G habe sich überhaupt nicht an eine Rötung der fraglichen Stelle der Klägerin erinnern können. Der Zeuge Dr. S habe bei seiner gezielten Untersuchung im Rahmen der U 2 weder eine Behaarung noch eine Rötung festgestellt. Auch die Dokumentation des Beklagten zu 1) weise derartige Feststellungen über Auffälligkeiten im Lendenwirbelbereich nicht auf. Keiner der genannten Zeugen habe zweifelsfrei bestätigen können, daß die Mutter der Klägerin bereits ab Januar 1994 den Beklagten zu 1) auf unklare Rückenbeschwerden hingewiesen hätte. Solche seien auch nicht in den Krankenunterlagen dokumentiert. Nach der Aussage der Zeugin G habe diese den Pigmentfleck der Klägerin erst für einen Zeitpunkt von etwa einem halben Jahr nach der Geburt der Klägerin bestätigt. Denn die Zeugin habe angegeben, mit Säuglingen nicht so viel am Hut zu haben. Die Aussage des Zeugen Dr. S rechtfertige in jedem Fall die Zweifel des Erstgerichts. Es könne auch nicht angenommen werden, daß es sich bei seiner Einlassung um eine reine Schutzbehauptung handele. Auch das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. K beruhe nicht auf einer angeblich offensichtlich unrichtigen Schlußfolgerung. Dieser Sachverständige habe sich auch dahingehend geäußert, daß sich die relative Lage eines Sakralporus verändern könne. Man könne daher nicht davon ausgehen, daß ein solcher Sakralporus im Zeitpunkt der Geburt im Verhältnis zur Wirbelsäule in der gleichen Höhe liege wie zwei oder drei Jahre später. Eine Untersuchung der Klägerin durch den Sachverständigen Prof. Dr. K sei nicht geboten gewesen. Die Voraussetzungen für eine Einvernahme der Eltern der Klägerin gemäß § 448 ZPO lägen nicht vor. Der Beklagte zu 1) widersetze sich auch dem entsprechenden Antrag der Kläger. Die Einholung eines Obergutachtens stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts und sei im vorliegenden Fall nicht geboten gewesen. Ein Verstoß des Beklagten zu 1) oder 2) gegen die Regeln der ärztlichen Kunst sei nicht gegeben. Selbst bei Vorliegen eines solchen würde es an der Ursächlichkeit für die von der Klägerin erlittenen Gesundheitsschäden fehlen. Ein grober Behandlungsfehler könne keinesfalls angenommen werden. Der Sachverständige Prof. Dr. V habe ausdrücklich betont, daß eine Entfernung des Epidermoids die Klägerin keineswegs vor einer Störung der Blasen-Mastdarm-Funktion bewahrt hätte.

Der Beklagte zu 2) trägt insbesondere folgendes vor:

Die Klägerin sei bei ihrer Geburt nicht Patientin der Kinderklinik gewesen, sondern die sog. U 2 sei konsiliarisch durch einen Kinderarzt der Kinderklinik, nämlich Dr. S, vorgenommen worden. Dieser sei seiner Pflicht, Auffälligkeiten zu dokumentieren und damit den weiterbetreuenden Arzt und zugleich auch die Eltern darauf hinzuweisen, daß sie die dokumentierte Auffälligkeit im Auge behalten sollen, nachgekommen. Er habe den damals allein auffälligen Befund, nämlich ein Grübchen über der Kreuzbeingegend, festgehalten und mit dem Begriff "Sakralporus" dokumentiert. Nach dem medizinischen Wissensstand habe es bei dem genannten Befund zum damaligen Zeitpunkt keinerlei dringenden Handlungsbedarf gegeben. Entgegen der Meinung der Klägerin habe auch anläßlich ihrer Einweisung in die Kinderklinik des Beklagten zu 2) im Oktober 1993 kein Anlaß zur Durchführung einer weiteren Diagnostik bestanden. Die Einweisung durch den Beklagten zu 1) sei mit folgendem Vermerk auf dem Krankenhauseinweisungsformular erfolgt: "Unklare Resistenz rechter Bauch, subfebrile Temperaturen, Leukozytose 15.000". Von Rückenbeschwerden sei überhaupt keine Rede gewesen. Vielmehr habe die Klägerin erbrochen, Fieber bis 39,2 Grad gehabt; es sei eine Invagination (Darmverschlingung) ausgeschlossen worden, es seien Wurmeier gefunden und das Kind antibiotisch anbehandelt worden. Die Kinderklinik sei damit ihrem Auftrag, sich um eine Magen-Darm-Erkrankung zu kümmern, voll nachgekommen. Selbst wenn die die Klägerin außerhalb des Klinikums betreuenden Ärzte die Indikation gestellt hätten, den Befund im Rücken diagnostisch untersuchen zu lassen, wäre zum damaligen Zeitpunkt die Kinderklinik des Beklagten zu 2) nicht die richtige Adresse gewesen; denn 1993 habe im Klinikum noch nicht die Möglichkeit bestanden, eine Kernspintomographie durchführen zu lassen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Beweis ist durch den Senat nicht erhoben worden.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 511 ff. ZPO) hat insoweit Erfolg, als das angefochtene Urteil gemäß § 539 ZPO aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht W zurückverwiesen wird. Von einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 540 ZPO sieht der Senat ab.

1. Das erstinstanzliche Verfahren weist mehrere Verfahrensfehler gemäß § 539 ZPO auf.

a) Das Landgericht hat jegliche Beweiswürdigung hinsichtlich der vernommenen Zeugen unterlassen und sich einfach auf eine non liquet-Situation zurückgezogen.

Der Senat verkennt nicht, daß die Beweiswürdigung grundsätzlich die Frage der richtigen bzw. unrichtigen materiell-rechtlichen Beurteilung betrifft, insoweit also allenfalls einen error in iudicando, nicht aber einen Verfahrensmangel (error in procedendo) gemäß § 539 ZPO darstellt. Allerdings kann ausnahmsweise eine mangelhafte Beweiswürdigung auch einen Verfahrensfehler darstellen, nämlich wegen der nicht erschöpfenden Beurteilung des Streitstoffes, die gegen § 286 ZPO verstößt (vgl. Zöller, ZPO, 22. Aufl., Rdz. 19 zu § 539 ZPO). Eine solche Fallgestaltung liegt hier nach Auffassung des Senats vor. Unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes und des Ergebnisses der Beweisaufnahme konnte nicht einfach eine non liquet-Situation durch Gegenüberstellung der Aussagen der Zeugen B und G einerseits und der Zeugen Dr. S und Dr. S unter Berücksichtigung der Dokumentation des Beklagten zu 1) für die Klägerin andererseits angenommen werden. Vielmehr hätte, wenn das Landgericht das gesamte Verfahrensergebnis zur Kenntnis genommen hätte, in mehrfacher Hinsicht Anlaß zur kritischen Würdigung der Zeugenaussagen bestanden. Die Aussage der Zeugin Dr. S kann keineswegs einfach als möglicherweise richtig unterstellt werden. Nachdem bei Aufnahme der Klägerin in die Kinderklinik des Beklagten zu 2) am 4.5.1994 bei ihr im Bereich des lumbo-sakralen Übergangs ein ca. 3 cm im Durchmesser großer dunkler und behaarter Naevus mit zentralem Sakralporus mit Haarbüscheln (vgl. Bl. 15 d.A.) festgestellt worden ist, kann es nicht richtig sein, daß die Zeugin Dr. S bei der Untersuchung der Klägerin am 3.5.1994, also nur einen Tag vorher, nach Vorstellung der Klägerin wegen unklarer Schmerzen im Lendenwirbelbereich bei deren Untersuchung klinisch nichts festgestellt haben will (vgl. Bl. 439 d.A.). Insoweit drängt sich die Überlegung der Klägerin aus ihrer Berufungsbegründung auf, daß entweder die Zeugin Dr. S sie damals nicht zielgerichtet untersucht hat öder aber den sichtbaren Symptomen fehlerhaft keine klinische Bedeutung beigemessen hat (vgl. Bl. 483 d.A.). Auch die Aussage des Zeugen Dr. S mußte kritisch hinterfragt werden. Einmal war er derjenige, bezüglich dessen dem Beklagten zu 2) über § 278 BGB bzw. § 831 BGB zuzurechnenden Verhaltens ein ärztlicher Fehler gerügt war; außerdem hatte er nach seiner Aussage keinerlei Erinnerung an den konkreten Vorgang und deshalb handelte es sich bei seinen Angaben nur um Rückschlüsse aus der Art und Weise seiner damaligen Dokumentation ("Sakralporus" in U 2). Aber auch die Angaben der klägerischen Zeugen B und G hätten unter Berücksichtigung des Verfahrensinhalts weiter hinterfragt werden müssen. Immerhin handelte es sich bei ihnen um der Klägerseite nahestehende Personen, nämlich die Tante der Klägerin und die frühere Nachbarin der klägerischen Familie. Sie konnten also - wie umgekehrt die Zeugen Dr. S und Dr. S - ein Interesse an einem bestimmten Ausgang des Rechtsstreits haben. Weiter bestand Veranlassung, sich darüber Gedanken zu machen, warum die Aussagen der Zeuginnen B und G sich insoweit unterschieden, als diese zwar übereinstimmend die Behaarung an der fraglichen Stelle des Rückens der Klägerin bekundet haben, die nach der Aussage der Zeugin G zusätzlich vorhandene etwa 5,-- DM-Stück-große Rötung an dieser Stelle von der Zeugin G aber nicht wahrgenommen worden sein will. Jedenfalls in einem solchen Fall, in dem sich eine kritische Würdigung der Zeugenaussagen geradezu aufdrängt, aber trotzdem unterbleibt, hält der Senat dies nicht nur für einen materiell-rechtlichen Fehler, sondern für einen Verfahrensfehler. Daß die Vorgehensweise des Landgerichts auch eine verfahrensmäßige Komponente hat, wird durch folgende Kontrollüberlegung bestätigt: Der Senat kann nicht einfach eine ungenügende bzw. falsche materiell-rechtliche Würdigung durch das Erstgericht durch eine entsprechende richtige Würdigung ersetzen; vielmehr könnte er dies nur durch einen zusätzlichen verfahrensmäßigen Schritt, nämlich die erneute Einvernahme dieser Zeugen gemäß § 398 ZPO. Denn das Landgericht hat die Glaubwürdigkeit der Zeugen trotz vielfältiger Veranlassung dazu überhaupt nicht gewürdigt; also müßte der Senat, um gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis als der vom Landgericht schlüssig angenommenen non liquet-Situation zu kommen, nach der Rechtsprechung des BGH sich hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugen einen eigenen Eindruck verschaffen (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 23. Aufl., Rdz. 4 zu § 398 ZPO).

b) Das Landgericht hat weiter die mehrfach beantragte Vernehmung der Mutter der Klägerin bzw. der Eltern der Klägerin als Partei (vgl. z.B. Bl. 246 und 421 d.A.) nicht verbeschieden, geschweige denn durchgeführt, obwohl eine solche durchaus in Betracht kam.

Der Senat verkennt nicht, daß grundsätzlich für eine Parteieinvernahme gemäß § 448 ZPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die zu beweisende Tatsache bestehen muß (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., Rdz. 2 zu § 448 ZPO). Insoweit kann auch bei einem Arzthaftungsprozeß nicht einfach bei Fehlen anderer Beweismittel auf der Patientenseite jeweils eine Parteieinvernahme gemäß § 448 ZPO treten. Unter ganz bestimmten Umständen gebietet aber der Grundsatz der Waffengleichheit eine solche Parteieinvernahme (vgl. EGMR NJW 1995, 1413). Das ist nach der genannten Entscheidung dann der Fall, wenn eine Partei für den Inhalt von Vertragsgesprächen einen diese für sie führenden Zeugen benennen kann, während die Gegenseite die Gespräche selbst geführt hat und deshalb nur die eigene Parteieinvernahme anbieten kann. Nichts anderes kann dann gelten, wenn die Behandlerseite in einem Arzthaftungsprozeß für bestimmte Gesprächsinhalte einen Zeugen zu benennen in der Lage ist, die Partei aber nur sich selbst bzw. ihren gesetzlichen Vertreter (§ 455 Abs. 1 ZPO) als Teilnehmer des betreffenden Gesprächs mit dem als Zeugen von der Gegenseite angebotenen Arzt als Partei anbieten kann. Eine solche Situation liegt hier z.B. insoweit vor, als es darum geht, ob und was der Zeuge Dr. S der Mutter der Klägerin gegenüber an Hinweisen im Zusammenhang mit der Durchführung der Vorsorgeuntersuchung U 2 gegeben hat. Während der Beklagte zu 2) behauptet, Dr. S habe der Mutter die notwendige Aufklärung gegeben und darauf hingewiesen, daß die weitere Entwicklung des von ihm vermerkten Skralporus überwacht werden müsse (vgl. Bl. 99 und 220 d.A.), und dafür den Zeugen Dr. S benannt hat, hat die Klägerin vorgetragen, dieser habe ihrer Mutter bei Vornahme der Vorsorgeuntersuchung U 2 von sich aus überhaupt nichts erklärt und erst, als er eine Nadel im Bereich des braunen Flecks angesetzt habe) auf Nachfrage erklärt, er müsse feststellen, ob der braune Fleck schlimm sei oder nicht, was er nachträglich verneint habe (vgl. Bl. 234 d.A.). Unter Berücksichtigung des vorgenannten Grundsatzes der Waffengleichheit konnte an dieser Stelle jedenfalls eine Parteieinvernahme der Mutter der Klägerin nicht unterbleiben. Das Landgericht wird auch im übrigen zu prüfen haben, ob etwa zu weiteren streitigen Behauptungen unter Beachtung der vorgenannten Rechtsgrundsätze einer schon gewissen Wahrscheinlichkeit für die Darstellung der Klägerin bzw. des Grundsatzes der Waffengleichheit zu Weiteren streitigen Punkten eine Parteieinvernahme der Mutter bzw. der Eltern der Klägerin in Betracht kommt. Diese Problematik hatte offenbar auch das Landgericht selbst gesehen. Denn es hatte in Ziff. IV des Beschlusses vom 13.12.2000 die Einvernahme der Eltern der Klägerin als Partei ausdrücklich vorbehalten (vgl. Bl. 429 d.A.).

c) Das Landgericht hat es auch unterlassen, gewisse Widersprüche in der Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. V und den Sachverständigen Prof. Dr. K, gegebenenfalls durch Einholung eines Obergutachtens gemäß § 412 Abs. 1 ZPO, abzuklären.

Während die umfangreiche, in mehreren Stufen durchgeführte Begutachtung durch den Sachverständigen Prof. Dr. V im Ergebnis daraus hinausläuft, wegen der bei der Klägerin festgestellten Auffälligkeiten hätte sowohl für den Beklagten zu 1) als auch für den auf Seiten des Beklagten zu 2) tätigen Dr. S die Notwendigkeit zur Veranlassung weiterer diagnostischer Abklärung bestanden, verneint dies im Ergebnis der Sachverständige Prof. Dr. K, der die Notwendigkeit einer solchen weiteren diagnostischen Abklärung nur bei Hinzutreten weiterer Umstände, z.B. von Rückenbeschwerden, für veranlaßt hält. Dies gipfelt in folgenden gegensätzlichen Feststellungen: Der Sachverständige Prof. Dr. V führt aus, der Feststellung, daß sich die Auffälligkeiten an der Eintrittsstelle der Haut der Klägerin erst später hätten entwickelt haben könnten, "ist entgegenzuhalten, daß die Gefäßanomalien mit einer anomalen Vaskularisation mit Sicherheit sich nicht später entwickelten, sondern von Anfang an vorhanden waren. Dies gilt an sich in der Regel auch für eine anormale Behaarung. Die Situation würde sich selbst dann bezüglich der Beurteilung der weiteren Notwendigkeit einer Diagnostik nicht ändern, wenn keine Behaarung vorhanden gewesen wäre ..." (vgl. Bl. 258 d.A.); demgegenüber hat der Sachverständige Prof. Dr. K bei seiner mündlichen Anhörung erklärt: "Die relative Lage eines Sakralporus kann sich verändern. Man kann nicht davon ausgehen, daß ein solcher Sakralporus im Zeitpunkt der Geburt im Verhältnis zur Wirbelsäule in der gleichen Höhe liegt wie zwei oder drei Jahre später ..." (vgl. Bl. 410 d.A.). Während also der Sachverständige Prof. Dr. V mit anderen Worten abklärungsbedürftige Auffälligkeiten bei der Klägerin schon nach deren Geburt annimmt, vertritt der Sachverständige Prof. Dr. K die Auffassung, diese Auffälligkeiten, insbesondere hinsichtlich der Lage des Sakralporus, könnten sich erst durch nachträgliche Veränderungen ergeben haben. Dies stellt einen Widerspruch dar. Dieser Widerspruch konnte nicht einfach ungeklärt stehen bleiben. Vielmehr bestand Veranlassung zu seiner Abklärung, gegebenenfalls durch Einholung eines Obergutachtens gemäß § 412 Abs. 1 ZPO. Ein solches war auch von der Klägerseite ausdrücklich für den Fall beantragt worden, daß das Gericht nicht uneingeschränkt den Feststellungen des Sachverständigen Prof. Dr. V folgen sollte (vgl. Bl. 388 d.A.). Daß das Landgericht diesen Beweisantrag einfach übergangen hat, obwohl ihm nachzukommen gewesen wäre, ist verfahrensfehlerhaft.

2. Diese Verfahrensverstöße sind auch wesentlich. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, daß das Ersturteil ohne sie anders ausgefallen wäre (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., Rdz. 5 zu § 539 ZPO und Rdz. 12 zu § 549 ZPO).

Bei Durchführung der nach dem Verfahrensinhalt veranlagten, aber vollständig unterbliebenen Beweiswürdigung, der ebenfalls veranlaßten Parteieinvernahme der Mutter bzw. der Eltern der Klägerin gemäß § 448 ZPO und der Abklärung der widersprüchlichen Begutachtung durch die Sachverständigen Prof. Dr. V und Prof. Dr. K wäre möglicherweise das Landgericht nicht zu dem Ergebnis gekommen, weder dem Beklagten zu 1) noch dem für den Beklagten zu 2) tätigen Dr. S liege schuldhaftes Fehlverhalten durch Unterlassen gebotener ärztlicher Maßnahmen zur Last.

3. Der Senat sieht von der Möglichkeit einer eigenen Entscheidung gemäß § 540 ZPO ab.

Dabei ist der Vorteil, daß den Parteien der Instanzenzug voll gewahrt bleibt, gegen den Nachteil, den die Zurückverweisung infolge Verzögerung und Verteuerung bedeutet (vgl. Thomas/Putzo, a.a.O., Rdz. 1 zu § 539 ZPO), gegeneinander abgewogen worden. Diese Abwägung führt zu dem Ergebnis der Zurückverweisung des Verfahrens an das Landgericht. Maßgeblich dafür waren insbesondere folgende Umstände: Während der Senat die verfahrensfehlerhaft unterbliebene Beweiswürdigung seitens des Landgerichts nur durch vollständige erneute Einvernahme sämtlicher vernommenen Zeugen gemäß § 398 ZPO nachholen könnte, kann das Landgericht dies - jedenfalls weitgehend - ohne erneute Einvernahme der vernommenen Zeugen auf der Basis seines eigenen Eindrucks von diesen Zeugen. Darüber hinaus ist auch die Einvernahme der Mutter bzw. der Eltern der Klägerin, die in G. wohnen, als Partei mit geringerem Aufwand in Aschaffenburg als in Bamberg zu bewerkstelligen.

4. Hinsichtlich der vom Landgericht neu zu treffenden Entscheidung weist der Senat auf folgendes hin:

a) An der vom Beklagten zu 2) in Zweifel gezogenen Aktivlegitimation der Klägerin kann kein Zweifel bestehen.

Wenn auch gemäß § 2 Abs. 2 SGB V Kassenpatienten als Versicherte Leistungen der Krankenkasse grundsätzlich in Form von Sach- und Dienstleistungen erhalten, mit anderen Worten also der Behandlungsvertrag zwischen dem Krankenversicherer und dem Krankenhausträger zustande kommt, wird der Kassenpatient hinsichtlich der Behandlung privatrechtlich nicht anders behandelt als ein freiwillig Versicherter (BGHZ 89, 250, 255 ff.), d.h. er kann aus eigenem Recht Behandlungsfehler und die daraus resultierenden Folgen geltend machen. Dies gilt auch für die Klägerin, die zumindest über das Rechtsinstitut des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter hier als aktivlegitimiert anzusehen ist (vgl. BGHZ 86, 240, 253 und 106, 153, 162).

b) Die Verjährungseinrede des Beklagten zu 2) erweist sich als unbegründet.

Einmal geht es hier nicht nur um Ansprüche gemäß § 847 BGB, sondern auch um materiellen Schadensersatz, der auch auf positive Vertragsverletzung des Behandlungsvertrags gestützt wird. Insoweit gilt die 30-jährige Verjährungsfrist des § 195 BGB. Aber auch hinsichtlich der deliktischen Ansprüche greift die Verjährungseinrede nicht durch. Insoweit gilt § 852 Abs. 1 BGB. Für den Senat ist nicht nachvollziehbar, inwiefern die Eltern der Klägerin durch die vom Beklagten zu 2) behauptete Unterrichtung über die Beobachtungs- und Abklärungsbedürftigkeit des Sakralporus der Klägerin positive Kenntnis i.S. des § 852 Abs. 1 BGB gehabt haben sollen, so aber der Beklagte zu 2) (vgl. Bl. 221 d.A.). Denn der Gesundheitsschaden der Klägerin ist ja erst viel später eingetreten.

c) Im Falle der etwaigen Feststellung ärztlichen Fehlverhaltens auf seiten des Beklagten zu 1) oder des Beklagten zu 2) wird das Landgericht auch die bisher - konsequenterweise - nicht geklärte Frage eines etwaigen groben Behandlungsfehlers zu klären haben. Denn die vom Verletzten grundsätzlich auch zu beweisende Ursächlichkeit zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden (vgl. Palandt, BGB, 60.. Aufl., Rdz. 167 zu § 823 BGB) kann die Klägerin nicht beweisen. Die Blasenlähmung bei der Klägerin hätte nämlich auch bei einer frühzeitigen Erkennung und Entfernung des Epidermoids und des Dermalsinus auftreten können (vgl. Bl. 198 d.A.). Wenn auch diese Fallgestaltung vom Sachverständigen Prof. Dr. V nur mit einer Wahrscheinlichkeit von unter 10 % bewertet worden ist (vgl. a.a.O.), stellt dies doch die ernsthafte Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs als des von der Klägerin behaupteten dar, so daß der von dieser für anwendbar gehaltene Anscheinsbeweis nicht zum Tragen kommt (vgl. Palandt, a.a.O., Rdz. 164 vor § 249 BGB). Im Fall eines groben Behandlungsfehlers kann aber zugunsten des Patienten eine Beweislastumkehr eingreifen, so daß die Beweislast für die fehlende Ursächlichkeit ärztlichen Fehlverhaltens für den Gesundheitsschaden des Patienten die Behandlerseite trifft (vgl. Palandt, a.a.O., Rdz. 170 zu § 823 BGB), was die Beklagten wohl ihrerseits nicht beweisen können.

d) Für den Senat ist auch nicht nachvollziehbar, wieso der Sachverständige Prof. Dr. V zunächst von der Lokalisierung her die Diagnose "Sakralporus" als falsch bezeichnet hat (vgl. Bl. 192 d.A.), bei einer seiner mündlichen Anhörungen später aber angibt, daß die Diagnose des Dr. S "Sakralporus" aus dessen Sicht richtig gewesen sei, weil der Kanal in einem Winkel nach unten gelaufen sei und sich deswegen der Porus dort dargestellt habe, wo das Kreuzbein anfange (vgl. Bl. 292 d.A.). Für den Senat erschließt sich nicht, woher der Sachverständige Prof. Dr. V von dem Verlauf des Kanals in einem Winkel nach unten wußte. Auch dies erscheint abklärungsbedürftig.

II.

Über die Kosten des Berufungsverfahrens wird das Landgericht mitzuentscheiden haben (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 57. Aufl., Rdz. 76 zu § 97 ZPO).

Das Urteil ist gemäß § 708 Nr. 10 ZPO für vorläufig vollstreckbar zu erklären (arg. § 775 ZPO), auch wenn es weder in der Hauptsache noch sonst einen vollstreckungsfähigen Inhalt hat, und zwar ohne Sicherheitsleistung gemäß § 711 ZPO.

Die Beschwer wird nach §§ 546 Abs. 2, 3 ff. ZPO festgesetzt. Beschwert sind sämtliche Parteien in gleicher Höhe. Denn die Klägerin hat eine Verurteilung der Beklagten nach ihren Anträgen mit einem Wert von 264.000,-- DM (vgl. Bl. 446 d.A.) beantragt, beide Beklagte haben dagegen die Zurückweisung der Berufung der Klägerin beantragt (vgl. BGHZ 31, 358, 361). Beides hat infolge der Aufhebung des Ersturteils und der Zurückverweisung der Sache an das Landgericht Aschaffenburg so keinen Erfolg gehabt.

Ende der Entscheidung

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