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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Urteil verkündet am 15.09.2003
Aktenzeichen: 4 U 11/03
Rechtsgebiete: SGB X, ZPO


Vorschriften:

SGB X § 116
ZPO § 288
ZPO § 301
ZPO § 448
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Oberlandesgericht Bamberg IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

4 U 11/03

Verkündet am 15. September 2003

in dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes und Feststellung.

Der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Bamberg hat unter Mitwirkung der Richter am Oberlandesgericht und aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Endurteil des Landgerichts Bamberg vom 26. November 2002 wird zurückgewiesen.

II. Die Klägerin hat auch die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird gestattet, die Vollstreckung seitens der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5.500,-- Euro abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Sozialversicherungsträger im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung für den am 19.8.1934 geborenen wohnhaft Sie macht aus übergegangenem Recht gemäß § 116 SGB X bezifferte materielle Schadensersatzansprüche in Höhe von 22.692,71 Euro (entspricht 44.383,08 DM) geltend und will festgestellt haben, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihr sämtliche unfallbedingten Kosten zu ersetzen, die ihr in Zukunft aufgrund der iatrogenen Sigmaperforation im Rahmen einer Darmspiegelung mit Polypenabtragung am 20.2.1997 bei ihrem Versicherten noch entstehen. Das Landgericht hat die nicht auf Behandlungsfehler, sondern nur auf die Aufklärungsrüge gestützte Klage im Hinblick auf die Angaben des Beklagten zu 2) im Rahmen einer von Amts wegen gemäß § 448 ZPO durchgeführten Parteieinvernahme abgewiesen. Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagten begehren die (Zurückweisung der Berufung der Klägerin.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin (§§ 511 ff. ZPO) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Denn das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil die Klage - zumindest im Ergebnis - zu Recht als unbegründet abgewiesen.

Dabei geht der Senat von den tatsächlichen Feststellungen im Angefochtenen Urteil aus (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO); Änderungen oder Ergänzungen sind nicht veranlaßt.

1. Die vom Landgericht angenommene rechtfertigende Einwilligung des Versicherten in die am 20.2.1997 vorgenommene Darmspiegelung mit Polypenabtragung hält der Senat nicht für ordnungsgemäß festgestellt. Darauf kommt es jedoch letztlich nicht an. Denn die Beklagten können sich zumindest auf eine hypothetische Einwilligung des Patienten berufen.

a) In Übereinstimmung mit dem Landgericht ist der Senat der Auffassung, daß das alleinige ursprüngliche Vorbringen der Beklagten, daß über die Folgen einer coloskopischen Polypektomie nicht aufgeklärt werden mußte, noch kein Geständnis im Sinne des § 288 ZPO hinsichtlich einer unterbliebenen Aufklärung enthält. Auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil insoweit wird verwiesen.

b) Der Senat hält die im Rahmen der Parteieinvernahme des Beklagten zu 2) geschilderte Aufklärung auch für rechtzeitig. Es kann nicht festgestellt werden, daß der Patient im Zeitpunkt des Aufklärungsgesprächs etwa bereits mit der Aufnahme der Salzwasserlösung begonnen hätte und damit ein Ablauf bis hin zur Operation in Gang gesetzt worden wäre, dem er sich nur noch schwer hätte entziehen können. Auch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.3.2003 - VI ZR 131/02 - (vgl. NJW 2003, 2012) rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Dort heißt es nämlich: "Je nach den Vorkenntnissen des Patienten von dem bevorstehenden Eingriff kann bei stationärer Behandlung eine Aufklärung im Verlauf des Vortages grundsätzlich genügen ...". Davon geht der Senat hier wegen der schon einmal bei durchgeführten Polypenabtragung (vgl. unten 2.) aus.

c) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auch nicht der Inhalt des Aufklärungsgesprächs dokumentationspflichtig. Selbst wenn der schriftliche und vom Patienten und vom aufklärenden Arzt unterzeichnete Aufklärungsbogen eine Einzelheit nicht enthält, kann diese noch durch zulässige andere Beweismittel bewiesen werden.

d) Die Beweislast für eine genügende Aufklärung liegt beim Arzt (vgl. Palandt, BGB, 6l. Auflage, Rdz. 50 zu § 823 BGB), hier also bei den Beklagten. Diesen Beweis sieht das Landgericht als durch die Parteiangaben des Beklagten zu 2) geführt. Es macht jedoch keine Angaben dazu, woraus es die gewisse Anfangswahrscheinlichkeit für eine Parteieinvernahme von Amts wegen gemäß § 448 ZPO (vgl. Thomas/Putzo, ZPO, 25. Auflage, Rdz. 2 ZPO) entnimmt. Solche Anhaltspunkte sind auch nicht ersichtlich, zumal der Aufklärungsbogen vom 19.2.1997 keinerlei handschriftliche Angaben hinsichtlich eines möglichen Erfordernisses der Legung eines künstlichen Darmausgangs beinhaltet. Freilich hätte dasselbe Ergebnis über eine Zeugeneinvernahme des Beklagten zu 2) erzielt werden können. Dieser ist nämlich nicht passivlegitimiert. Er hat selbst den Eingriff nicht vorgenommen. Soweit er das Aufklärungsgespräch geführt hat, war er nur Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) des Krankenhauses. Dies reicht nicht für die Annahme seiner eigenen Passivlegitimation. Anders wäre dies gegebenenfalls dann, wenn der Beklagte zu 2) als behandelnder Arzt zu der Operation geraten hätte und insoweit ausdrücklich die Aufklärung übernommen hätte (vgl. BGH NJW 1980, 1905). Dies war hier nicht der Fall. Also hätte die Klage gegen den Beklagten zu 2) vorab durch Teilurteil gemäß § 301 ZPO wegen fehlender Passivlegitimation abgewiesen und dieser als Zeuge zum Inhalt des von ihm geführten Aufklärungsgesprächs vernommen werden können. Die Passivlegitimation des Beklagten zu 2) kann auch nicht aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs VersR 2000, 1107 hergeleitet werden. Denn dort ging es um einen Fall unterlassener gebotener ärztlicher Behandlung, während hier der Beklagte zu 2) nur im Rahmen der Aufklärung tätig war. Dann fehlt es auch nicht an der erforderlichen Grundaufklärung (vgl. BGH VersR 1996, 195) in Form des Hinweises auf einen künstlichen Darmausgang.

2. Jedenfalls können sich die Beklagten darauf berufen, ... würde bei ordnungsgemäßer Aufklärung seine Einwilligung erteilt haben (hypothetische Einwilligung). Für die Voraussetzungen einer solchen hypothetischen Einwilligung trifft zwar die Beklagten die Darlegungs- und Beweislast, allerdings erst dann, wenn der Patient zur Überzeugung des Tatrichters plausibel macht, daß er - wären ihm rechtzeitig die Risiken des Eingriffs verdeutlicht worden, vor einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätte; dies läßt sich in der Regel nur nach einer persönlichen Anhörung des Patienten beurteilen (vgl. BGH NJW 1994, 2414). Eine persönliche Anhörung von kann nicht mehr durchgeführt werden. Denn das Landgericht hat festgestellt, daß dieser aufgrund eines Schlaganfalls nicht sprechen kann (vgl. Bl. 71 d.A.). Die vom Bundesgerichtshof konzedierte Ausnahme von der Regel der persönlichen Anhörung, nämlich bei Fällen, in denen schon die unstreitigen äußeren Umstände eine sichere Beurteilung der hypothetischen Entscheidungssituation erlauben (vgl. BGH NJW 1990, 2928), liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Diese nicht mögliche Anhörung kann wegen des betroffenen Selbstbestimmungsrechts des Patienten nicht durch eine Zeugeneinvernahme seiner Ehefrau ersetzt werden. Die Unmöglichkeit der plausiblen Darlegung eines solchen Entscheidungskonflikts geht zu Lasten der Klägerin. Dies hat der Senat bereits in einem ähnlich gelagerten Fall mit Urteil vom 5.5.1997 - 4 U 170/96 - entschieden; die dagegen gerichtete Revision der dortigen Klagepartei hatte keinen Erfolg. Gegen einen von der Klägerin behaupteten Entscheidungskonflikt in der Person des Patienten spricht im übrigen auch, daß dieser schon einmal, nämlich 1984, nach dem Unbestrittenen Vorbringen der Beklagten (§ 138 Abs. 3 ZPO) kleinere Polypen hatte abtragen lassen (vgl. Bl. 18 d.A.).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit samt Abwendungsbefugnis ergeht nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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