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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss verkündet am 08.08.2007
Aktenzeichen: 4 W 42/07
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 114 S. 1
ZPO § 411a
ZPO § 568 S. 2 Nr. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
4 W 42/07

Oberlandesgericht Bamberg BESCHLUSS

des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Bamberg

vom 8. August 2007

in Sachen

wegen Schmerzensgeldes

hier: PKH-Gesuch des Beklagten

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Bayreuth vom 22.2.2007 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Der Beklagte erstrebt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Verteidigung gegen die Klage seiner (ehemaligen) Ehefrau, die ihn nach Deliktsgrundsätzen (wegen Vergewaltigung in zwei Fällen) auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Ersatz des materiellen Schadens für Vergangenheit und Zukunft in Anspruch nimmt.

Im Strafverfahren vor dem Landgericht Bayreuth ist der Beklagte mit Urteil vom 30.9.2006 wegen jeweils zum Nachteil der Klägerin begangener Vergewaltigung in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 3 Jahren 3 Monaten verurteilt worden. Dieses Urteil ist rechtskräftig.

Der Beklagte verteidigt sich gegen die Klage mit folgendem Vorbringen: Es sei nur einmal und ohne Gewaltanwendung zum Geschlechtsverkehr zwischen den Parteien gekommen; hierbei sei er betrunken und damit nur eingeschränkt schuldfähig gewesen. Ein Urkundenbeweis im Wege der Verwertung der Strafakten sei nicht zulässig, so dass der Ausgang des Prozesses vom Ergebnis der beiderseitigen Parteieinvernahme abhänge und damit "offen" sei. Schließlich sei der verlangte Schmerzensgeldbetrag von mindestens 5.000,- Euro deutlich überhöht.

Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch wegen fehlender Erfolgaussicht zurückgewiesen.

Mit seiner sofortigen Beschwerde lässt der Beklagte im wesentlichen rügen, das Landgericht habe die Grenzen zulässiger Beweisantizipation überschritten, zumal sich der Erstrichter mit den beiden Beweisantritten der Beklagtenseite (Zeugen- und Sachverständigenbeweis) nicht näher auseinandergesetzt habe.

Mit Beschluss des Einzelrichters vom 6. August 2007 ist die vorliegende Beschwerdesache gem. § 568 S.2 Nr.1 ZPO dem Senat zur Plenarentscheidung übertragen worden (Bl. 61 d.A.).

II.

Das statthafte und auch sonst zulässige Rechtsmittel (§§ 127 II, 2 und 3; 567 ff. ZPO) bleibt in der Sache ohne Erfolg. Denn zu Recht ist das Landgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Verteidigung des Beklagten keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 114 S.1 ZPO) und seinem Gesuch deshalb schon aus sachlichen Gründen nicht entsprochen werden kann. Ergänzend zu den Darlegungen des Landgerichts merkt der Senat im Hinblick auf die Beschwerdeangriffe an:

1. Schon im prozessualen Ausgangspunkt ist die Auffassung des Beschwerdeführers nicht frei von Rechtsirrtum. Bei der nach § 114 S.1 ZPO gebotenen summarischen Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht ist, wenn auch nur in gewissen Grenzen, eine vorweggenommene Beweiswürdigung grundsätzlich zulässig. Das ist längst gefestigte Rechtsprechung (vgl. etwa BGH NJW 1994, 1160, 1161 - zugleich in Abgrenzung von BGH NJW.1988, 266; OLG Koblenz NJW-RR 1992, 706; OLG Köln NJW-RR 1995, 1405; OLG Hamm NJW-RR 2000, 1669; Zöller,' 26. Aufl., Rdnr. 26, 26 a zu § 114 ZPO; Musielak/Fischer, 5. Aufl., Rdnr. 21 zu § 114 ZPO). Dies schließt ein, dass eine vorausschauende Würdigung des wahrscheinlichen Erfolges der angebotenen Beweismittel vorzunehmen ist.

Hierbei ist es dem Gericht auch nicht verwehrt, auf den Beweisstoff in anderen Verfahren zurückzugreifen, um dabei z.B. auch Aussagen von Zeugen heranzuziehen, wenn nach den Gesamtumständen anzunehmen ist, dass eine erneute Beweisaufnahme zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (OLG Hamm, a.a.O.; OLG Nürnberg JurBüro 1986, 286; zuletzt etwa BVerfG NJW-RR 2004, 61).

Hält das Gericht aufgrund dieser Prüfung die Richtigkeit der unter Beweis gestellten Tatsache für sehr unwahrscheinlich, so darf es Prozesskostenhilfe selbst dann verweigern, wenn es einem von der Partei gestellten Beweisantrag stattgeben müsste. Denn die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind nicht mit denen einer Beweiserhebung identisch, wobei der Begriff der hinreichenden Erfolgsaussicht enger verstanden werden darf als das Gebot zur Beweiserhebung (BGH und Musielak/Fischer, jeweils a.a.O.). Diese Grundsätze stehen auch im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. So läuft die Verweigerung von Prozesskostenhilfe keineswegs dem Gebot der Rechtschutzgleichheit zuwider, wenn "konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte" dafür aufgezeigt werden können, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen wird (vgl. nur BVerfG NJW 2003, 2976). So aber liegen die Dinge im Streitfall.

2. "Zeuge Dr. R."

Der Beweisantritt in der Klageantwort stellt in das Wissen des Zeugen, es sei "nicht zur Anwendung von Gewalt und auch nicht zum Samenerguss (gekommen)" (Bl. 33 d.A.).

Dieses Beweisangebot fügt sich in den bisherigen Verhandlungsstoff nicht ohne weiteres ein. Denn auch das Beschwerdevorbringen geht unverändert davon aus, dass es für das eigentliche Tatgeschehen keine Zeugen gibt. Demnach dürfte es sich bei dem benannten "Zeugen" um den Frauenarzt Dr. A. handeln, der die Klägerin am 21.4.2005 im Klinikum H. gynäkologisch untersucht hat, wie sich aus dem Strafurteil ergibt (dort S. 23 = Bl. 305 d. beigezogenen Strafakte 1 KLs 211 Js 4721/05). Mithin versteht sich das Beweisangebot offensichtlich dahin, dass von diesem sachverständigen Zeugen eine Wiederholung seiner Angaben vor der Strafkammer erwartet wird. In seiner damaligen Aussage hat der Zeuge zwar das Fehlen von äußerlichen Anzeichen einer Gewalteinwirkung bestätigt (a.a.O.). Darüber hinaus aber konnte der Zeuge angeben, dass die Geschädigte von erheblichen Schmerzen im Genitalbereich berichtet habe (a.a.O.). Die im Strafurteil ausführlich wiedergegebene Zeugenaussage rechtfertigt demnach keineswegs die von der Beschwerde angestellte Beweisprognose.

3. Antrag auf Erholung eines (neuen) rechtsmedizinischen Gutachtens

Die Auffassung der Beschwerde, das Landgericht habe nicht auf das im Strafverfahren erstattete Gutachten zurückgreifen dürfen, ist rechtsirrig. Das ergibt sich bereits aus § 411a ZPO: Diese Vorschrift lässt es nunmehr ausdrücklich zu, dass eine schriftliche Begutachtung durch die Verwertung eines in einem anderen Verfahren gerichtlich eingeholten Sachverständigengutachtens ersetzt wird; demnach begegnet es erst recht keinen Bedenken, wenn ein "verfahrensfremdes" Gerichtsgutachten zur Grundlage einer vorweggenommenen Würdigung im Rahmen der Prüfung eines Prozesskostenhilfegesuchs gemacht wird. Es entsprach übrigens schon nach bisherigem Recht der herrschenden Auffassung, dass Gutachten aus anderen Verfahren grundsätzlich bereits von Amts wegen beigezogen und im Wege des Urkundenbeweises gewürdigt werden können (vgl. dazu etwa Zöller, 23. Aufl., Rdnr. 6 d zu § 402 ZPO).

4. "Offener" Ausgang der beiderseitigen Parteivernehmung?

a) Es ist allerdings richtig, dass sich - wie zuvor schon im Strafprozess - auch im laufenden Rechtsstreit die Beweislage auf die Konstellation "Aussage gegen Aussage" zuspitzen wird. Diese Beweissituation drängt indessen keineswegs zu dem von der Beschwerde eingenommenen Standpunkt, dass sich die Glaubwürdigkeitsbeurteilung streng an dem formalen Kriterium der prozessualen Rollenverteilung zu orientieren habe. Diese Sichtweise mag angezeigt oder sogar geboten sein, wenn ein Vorfall mit deliktischem Hintergrund erstmals im Zivilprozess aufgerollt oder jedenfalls erst dort einer vollen Aufklärung nach den Grundsätzen des sog. Strengbeweises zugeführt wird.

Ganz anders liegen die Dinge dagegen, wenn das der Beklagtenseite angelastete Tatgeschehen bereits zuvor Gegenstand eines Strafverfahrens war und dort auch nicht in einem summarischen Verfahren mit abschließender "Verständigung" der Verfahrensbeteiligten (sog. Deal) abgehandelt, sondern erst nach einer umfassenden Beweisaufnahme zur Aburteilung gebracht worden ist. In einem solchen Fall ist die justizielle Aufarbeitung des streitigen Sachverhalts bereits schon einmal in den Bahnen des (vollen) Strengbeweises verlaufen so dass der Ausgang des vorausgegangenen Strafverfahrens eine erhöhte "Richtigkeitsgewähr" bietet. Denn die Struktur des deutsches Strafprozesses ist durch das Gebot der umfassenden Sachaufklärung - den sog. Untersuchungsgrundsatz - geprägt (§ 244 II StPO). Adressat des Aufklärungsgebots ist das Gericht. Hierdurch soll sichergestellt sein, dass der richterlichen Überzeugungsbildung und ihrer argumentativen Begründung eine so weit als mögliche Ausschöpfung der erreichbaren Erkenntnisquellen vorausgeht (KK-Herdegen, 5.Aufl., Rdn. 18 zu § 244 StPO). Der Strafrichter darf nur dann von einer Beweiserhebung absehen, wenn er für seine Prognose, sie werde nicht zu relevantem Beweisstoff führen, Gründe hat, die in hohem Maße plausibel sind (KK a.a.O., Rdn. 21).

b) Soll sich die gerichtliche Überzeugung von der Täterschaft des Angeklagten allein auf die Aussage einer einzigen (Belastungs-) Zeugin stützen, weil keine objektiv belastenden Indizien von Gewicht vorliegen, so sind an die Überzeugungsbildung des Tatrichters strenge Anforderungen zu stellen. Bei der vorliegenden Konstellation "Aussage gegen Aussage" wird das Gebot einer optimalen Aufklärung des Sachverhalts also durch weitere Kautelen ergänzt. Nach der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs müssen die Urteilsgründe nämlich erkennen lassen, dass der Tatrichter sämtliche Umstände, die die Entscheidung beeinflussen können, erkannt und in seine Überlegungen einbezogen hat. Hierbei hat sich die Beweiswürdigung vor allem mit der Entwicklung der Zeugenaussage und ihrer Konstanz auseinanderzusetzen (vgl. BGHR StPO § 261 Indizien 1, 2; BGH NStZ-RR 1998, 16; NJW 2003, 2250). Diese Anforderungen sind darauf angelegt, dass auch ohne das Vorliegen objektiver Indiztatsachen die Aussage der einzigen Belastungszeugin einer Überprüfung nach bestimmten objektiven Glaubhaftigkeitskriterien zugänglich ist, deren Beachtung den darauf aufbauenden Feststellungen zum Schuldspruch ein hohes Maß an Zuverlässigkeit sichert.

Hiernach bestehen keine Bedenken, dass sich bei der Sachprüfung des Verteidigungsvorbringens des im nachfolgenden Zivilprozess um PKH nachsuchenden Beklagten und rechtskräftig verurteilten Straftäters die insoweit vorzunehmende Erfolgsprognose in erster Linie daran orientiert, ob die Zeugenaussage des nunmehr klagenden Opfers den dort zu beachtenden strengen Beweis(würdigungs)kautelen unterzogen worden ist.

c) Vor diesem Hintergrund bietet auch das vorliegende Strafurteil eine hohe Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Tatvorwürfe der Klägerin. So hat die Strafkammer ihrer Würdigung der Zeugenaussage der Klägerin nicht nur einen Hinweis auf die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu beachtenden Prüfungskriterien vorangestellt (S. 16 des Strafurteils = Bl. 298 d. Strafakte), sondern sich in den anschließenden Darlegungen an diese Vorgaben auch durchweg sorgfältig gehalten (a.a.O. S. 16 ff. = Bl. 298 ff. d. Strafakte). Ihre Beweiswürdigung erweist sich sowohl unter dem Blickwinkel der Aussagegenese und -entwicklung wie auch unter dem Gesichtspunkt der Aussagenkonstanz als lückenlos und setzt sich auch mit der objektiven Indizienlage erschöpfend auseinander. Hierbei hat die Kammer übrigens auch die vom gynäkologischen Sachverständigen Dr. A. berichteten Befunde sorgfältig verarbeitet (a.a.O. S. 23 f. = Bl. 305 f. d. Strafakte).

Nach alledem spricht nichts gegen die Annahme des Landgerichts, dass der Beklagte jedenfalls auf der Grundlage seiner bisherigen Darstellung außerstande sein wird, für die Richtigkeit seines bestreitenden Vorbringens so gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte aufzuzeigen, dass die Möglichkeit eines "non liquet" nicht völlig unerreichbar erscheint. Denn er ist nach wie vor nicht in der Lage, der klägerischen Schilderung, die in allen Punkten den aus dem Strafverfahren bekannten Angaben der Klägerin entspricht, wenigstens in einzelnen Aspekten mit Aussagen entgegenzutreten, die eine ernstzunehmende Alternative zum Klagevortrag bieten. Es ist bezeichnend, dass auch im vorliegenden Rahmen die Verteidigung des Beklagten - wie schon seine Einlassungen im Ermittlungsverfahren - eine Festlegung auf bestimmte Einzelheiten sogar im Randbereich des Geschehens vermeidet.

5. Höhe des Schmerzensgeldes

Auch unter diesem Gesichtspunkt bietet das Verteidigungsvorbringen keine Erfolgaussicht. Der von der Klägerin beanspruchte Mindestbetrag von 5.000,- Euro liegt schon im Hinblick darauf, dass eine wiederholte Vergewaltigung im Raum steht, im unteren Bereich der Bemessungsskala.

Nach alledem muss es bei der ablehnenden Entscheidung des Landgerichts sein Bewenden haben.

Ein Kostenausspruch ist wegen § 127 IV ZPO nicht veranlasst.

Ende der Entscheidung

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