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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bamberg
Beschluss verkündet am 26.08.2002
Aktenzeichen: 7 UF 94/02
Rechtsgebiete: BGB, FGG, KostO


Vorschriften:

BGB § 1628
BGB § 1671
BGB § 1671 Abs. 2
BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
BGB § 1687 Abs. 1
BGB § 1687 Abs. 1 S. 2
BGB § 1687 Abs. 1 S. 3
FGG § 13 a Abs. 1 S. 2
KostO § 131 Abs. 2
KostO § 30 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
7 UF 94/02

Beschluss

des 7. Zivilsenats -Familiensenats- des Oberlandesgerichts Bamberg

vom 26. August 2002

in der Familiensache

wegen elterlicher Sorge für das am 30.5.1991 geborene Kind F

Tenor:

I. Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Amtsgerichts -Familiengerichts- G vom 7.3.2002 wird zurückgewiesen.

II. Der Antragsgegner hat die der Antragstellerin im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt 3.000,-- Euro.

Gründe:

I.

Die Parteien waren verheiratet, lebten aber seit März 1999 getrennt. Zwischen ihnen war beim Amtsgericht ein Scheidungsverfahren anhängig, das nach Abtrennung der Folgesache "Versorgungsausgleich" durch Teilurteil vom 15.5.2002 beendet worden ist.

Aus der Ehe der Parteien sind der 1991 geborene Sohn F und die 1993 geborene Tochter L hervorgegangen. Diese leben bei der Mutter.

Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 13.7.2001 beantragt, ihr die Entscheidungsbefugnis über die Weiterbehandlung des Kindes E mit dem Medikament Ritalin und über eine begleitende Verhaltenstherapie für das Kind allein zu übertragen. Sie hat vorgebracht, F leide unter einer Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung.

Hilfsweise für den Fall, dass das Gericht davon ausgehen sollte, dass es sich bei der streitigen Angelegenheit um eine solche des täglichen Lebens handelt, hat sie beantragt, dass sie im Rahmen ihrer Alleinentscheidungsbefugnis für Angelegenheiten des täglichen Lebens berechtigt sei, dem Kind F nach ärztlicher Verordnung die für die Behandlung seines ADS-Syndroms verschriebenen Medikamente, insbesondere Ritalin oder Medikinet, zu verabreichen, ohne dass der Antragsgegner ein Interventionsrecht gegenüber ihr und den behandelnden Ärzten hat.

Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag der Antragstellerin zurückzuweisen. Er hat bestritten, dass E unter einer Aufmerksamkeitsstörung und einer Aktivitätsstörung leide, die notwendig mache, ihn mit Ritalin zu behandeln. Mit Schriftsatz vom 17.9.2001 hat er seinerseits beantragt, die Entscheidungsbefugnis über die Behandlung des Kindes mit dem Medikament Ritalin oder mit Medikamenten mit ähnlichen Wirkstoffen und über eine begleitende Verhaltenstherapie auf ihn zu übertragen.

Das Amtsgericht G hat am 27.7.2001 einen Beweisbeschluss zu der Frage erlassen, ob es dem Wohl des Kindes entspricht, wenn es mit Ritalin behandelt wird. Das staatliche Gesundheitsamt in L das zunächst eine gutachtliche Stellungnahme zu der Beweisfrage abgeben sollte, hat den Gutachtensauftrag wegen fehlender kinderpsychiatrischer Kompetenz zurückgegeben. Die Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Universität W die daraufhin mit der Erstellung des Gutachtens beauftragt worden war, hat mit Schreiben vom 13.12.2001 (Bl. 55 d. A.) den Gutachtensauftrag ebenfalls zurückgegeben, weil es das Kind (außergerichtlich) untersucht und eine Behandlung mit Ritalin befürwortet hatte.

Nach mündlicher Verhandlung am 6.2.2002 hat das Amtsgericht -Familiengericht- Gemünden mit Beschluss vom 7.3.2002 die gemeinsame elterliche Sorge der Parteien für das Kind F teilweise aufgelöst (Nr. 1) und das Recht der Entscheidungen.

a) dem Kind F nach ärztlicher Verordnung die für die Behandlung seines hyperkinetischen Syndroms verschriebenen Medikamente, insbesondere Ritalin oder Medikinet, zu verabreichen und

b) das Kind sich einer begleitenden Verhaltenstherapie unterziehen zu lassen, auf die Mutter allein übertragen (Nr. 2 des Beschlusses).

Gegen den ihm am 12.3.2002 zugestellten Beschluss hat der Antragsgegner am 22.3.2002 Beschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 15.4.2002, eingegangen am 17.4.2002 begründet.

Er beantragt,

das Recht der Entscheidungen,

a) dem Kind F nach ärztlicher Verordnung die für die Behandlung eines hyperkinetischen Syndroms verschriebenen Medikamente, insbesondere Ritalin oder Medikinet zu verabreichen und

b) das Kind sich einer begleitenden Verhaltenstherapie unterziehen zu lassen bzw. dies zu unterlassen, wird auf den Vater alleine übertragen.

Er bestreitet, dass das Kind konzentrationsschwach sei. Die Verabreichung des Medikamentes Ritalin sei deshalb überflüssig. Dieses Medikament habe außerdem massive negative Nebenwirkungen und berge die Gefahr in sich, süchtig zu machen. Außerdem macht er geltend, dass es fehlerhaft gewesen sei, das bereits angeordnete Sachverständigengutachten nicht einzuholen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde des Antragsgegners zurückzuweisen und verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die zulässige Beschwerde (§§ 621 Abs. 1 Nr. 1, 621 e Abs. 1 und 3 ZPO ist unbegründet.

1) Das Amtsgericht hat dem Antragsgegner gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einen Teilbereich der elterlichen Sorge entzogen und diesen Teilbereich der Antragstellerin übertragen. Ob die Teil-Entziehung der elterlichen Sorge erforderlich war oder ob es im vorliegenden Fall ausgereicht hätte, die für die Behandlung des hyperkinetischen Syndroms notwendigen Entscheidungen nach § 1628 BGB (der sowohl für zusammenlebende als auch für getrenntlebende Eltern gilt) der Antragstellerin zu übertragen, kann dahingestellt bleiben. Die Vorschriften der §§ 1628 und 1671 BGB sind in ihrer praktischen Anwendung einander sehr nahe gerückt (Motzer in Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., III Rdnr. 58; s. a. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1628 Rdnr. 6). Da die (zwischen den Parteien streitigen) Fragen, ob das Kind an einem sogenannten hyperkinetischen Syndrom leidet und wie dieses gegebenenfalls zu behandeln ist, nicht nur Entscheidungen für einen kurzen überschaubaren Zeitraum erfordern, war es zumindest sinnvoll, eine Regelung der elterlichen Sorge nach § 1671 Abs. 2 BGB vorzunehmen.

2) Die gemeinsame elterliche Sorge für das Kind E konnte für den Teilbereich der medizinischen Versorgung, der sich auf die Behandlung des hyperkinetischen Sydroms bezieht, nicht mehr aufrechterhalten werden.

Die Aufrechterhaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach einer Trennung der Eltern setzt ein Mindestmaß an Verständigungsbereitschaft voraus (siehe hierzu OLG Bamberg, NJW 99, 1873, 1874; OLG Karlsruhe NJW-RR 01, 507, 508; Finger in BGB-MK, 4. Aufl., § 671, 83; Motzer FamRZ 01, 1034 ff.). Diese ist im vorliegenden Fall zumindest in dem Teilbereich, der die medizinische Versorgung des Kindes wegen einer Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung betrifft, nicht vorhanden. Aus dem Schreiben des Facharztes für Kinder- und Jugendpsychiatrie Prof. Dr. T vom 14.12.2000 an den Arzt des Kindes Dr. M ergibt sich, dass der Antragsgegner den Arzt Dr. T bei einem Telefongespräch am 27.9.2000 vor seiner Frau (der Antragstellerin) "warnte", weil diese dem Kind ein ADS anhängen wolle und dass bei einem Gespräch des Arztes mit beiden Eltern am 13.11.2000 eine auch nur teilweise Übereinstimmung über die Behandlung des Kindes nicht erzielt werden konnte. Deshalb hat dieser Arzt die weitere Behandlung des Kindes abgelehnt (Schreiben vom 2.4.2001). Mit Schreiben vom 13.9.2001 hat der Antragsgegner dem Arzt Dr. M die Behandlung des Kindes mit Medikinet, Ritalin u. a. Psychopharmaka untersagt. Mit Anwaltsschreiben vom 17.9.2001 hat er dieses Verbot der Antragstellerin gegenüber wiederholt und ihr bei weiterer Verabreichung von Medikinet oder anderer Psychopharmaka "strafrechtliche Weiterungen" angedroht. Bereits zuvor hatte der Antragsgegner mit Anwaltsschreiben vom 13.3.2001 die Antragstellerin aufgefordert, den Konsum von Ritalin durch den Sohn F sofort zu unterbinden. Die Antragstellerin hält dagegen, wie sich aus ihrem gesamten Vorbringen ergibt, eine medikamentöse Behandlung des von ihr behaupteten hyperkinetischen Syndroms des Kindes für erforderlich (siehe z. B. eidesstattliche Versicherung der Antragstellerin vom 4.5.2001 und Schriftsatz vom 5.12.2001 --).

Bei dieser Situation ist nicht damit zu rechnen, dass die Eltern den erforderlichen Grundkonsens herstellen können.

3) Der fehlende Grundkonsens der Parteien betrifft nicht nur eine Angelegenheit von relativ unerheblicher Bedeutung im Sinne des § 1687 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB, in welcher die Antragstellerin allein entscheiden könnte, weil sich der Sohn der Parteien gewöhnlich bei ihr aufhält. Medizinische Eingriffe und Behandlungen werden, wenn sie nicht häufig vorkommende Erkrankungen (Husten, Grippe, gewöhnliche Kinderkrankheiten) oder Routineuntersuchungen betreffen, sondern mit der Gefahr von Komplikationen und - wie hier - Nebenwirkungen verbunden sind, regelmäßig zu den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind gezählt (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1687 Rdnr. 7; Finger a.a.O., § 1687 Rdnr. 8; Motzer in Schwab, Handbuch des Scheidungsrechts, 4. Aufl., III Rdnr. 50). Für diese ist gemäß § 1687 Abs. 1 BGB das Einvernehmen der Eltern erforderlich. Da dieses nicht zu erzielen war, hat u. a. aus diesem Grund der das Kind behandelnde Arzt Prof. Dr. T die Therapie abgebrochen (Schreiben dieses Arztes an die Antragstellerin vom 2.4.2001).

Das Amtsgericht hat nicht den gesamten Teilbereich der medizinischen Versorgung des Kindes auf die Mutter übertragen, sondern nur das Recht der Entscheidungen, dem Kind nach ärztlicher Verordnung die für die Behandlung seines hyperkinetischen Sydroms verschriebenen Medikamente zu verabreichen und das Kind sich einer begleitenden Verhaltenstherapie unterziehen zu lassen. Dagegen bestehen keine Bedenken. Durch diese Einschränkung des Entzugs der elterlichen Sorge wird der Antragsgegner nicht belastet.

3) Die Übertragung des vorgenannten Teilbereichs der elterlichen Sorge auf die Mutter ist nicht zu beanstanden.

Bei Konflikten der Eltern über die Notwendigkeit einer medizinischen Behandlung eines Kindes und gegebenenfalls welcher können die Eltern die ihnen obliegende Verantwortung nicht dem zuständigen Familiengericht übertragen. Dieses hat keine Befugnis zu einer eigenen Sachentscheidung, sondern kann nur die Entscheidungskompetenz einem der beiden Elternteile übertragen (Palandt/Diederichsen, a.a.O., § 1628 Rdnr. 1 m.w.N.; Motzer a.a.O., III Rdnr. 60). Das gilt sowohl für Entscheidungen nach § 1628 als auch für solche nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Deshalb hat der Senat im vorliegenden Fall nicht darüber zu befinden, ob die Behandlung des Kindes mit Ritalin geboten, zweckmäßig, nicht sinnvoll oder gefährlich ist. Er kann nur darüber entscheiden, welcher Elternteil in dieser Frage entscheiden soll (auch wenn dies im Endergebnis darauf hinauslaufen kann, dass eine Behandlung des Kindes mit Ritalin stattfindet). Die Einholung eines Gutachtens zu der Frage, ob bei dem Kind F der Parteien ein hyperkinetisches Syndrom vorliegt und wie dieses zu behandeln ist, ist somit entbehrlich. Maßgebend ist vielmehr, ob es gerechtfertigt ist, die Entscheidungskompetenz über diese Frage der Mutter zu übertragen. Das ist der Fall. Ausschlaggebend ist hierfür zunächst, dass F mit der Mutter zusammenlebt. Diese hat die alltäglichen Probleme mit F zu bewältigen, zu denen auch die Unterstützung des Kindes bei den schulischen Hausaufgaben gehört.

Ein dem Wohl des Kindes zuwider laufendes Verhalten der Mutter, das eine andere Entscheidung erforderlich machen würde, liegt nicht vor. Dieses kann nicht darin gesehen werden, dass die Antragstellerin (nach ärztlicher Verordnung) dem Kind Ritalin oder Medikamente mit ähnlichen Wirkstoffen verabreichen will. Dem Senat ist bekannt, dass in der medizinischen Literatur Streit darüber besteht, ob die Verabreichung von Ritalin insbesondere im Hinblick auf etwaige Neben- und/oder Langzeitwirkungen sinnvoll ist. Trotzdem haben zuletzt die Ärzte der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie der Universität W nach Untersuchung des Kindes (siehe deren Schreiben vom 24.8.2001 an den Arzt Dr. M) zur Einnahme dieses Medikamentes geraten. Die Mutter will diesen Empfehlungen folgen. Das kann gerichtlich nicht beanstandet werden.

Nebenentscheidungen:

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht veranlasst (§ 131 Abs. 3 KostO). Die Entscheidung über die Tragung der außergerichtlichen Kosten stützt sich auf § 13 a Abs. 1 S. 2 FGG.

Gegenstandswert: §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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