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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 06.11.2008
Aktenzeichen: 1 U 48/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 254
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftszeichen: 1 U 48/07

Verkündet am 6. November 2008

Im Namen des Volkes Urteil

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Richter am Oberlandesgericht Brand als Vorsitzenden sowie die Richter am Oberlandesgericht Kalde und Dr. Miersch auf die mündliche Verhandlung vom 25. September 2008 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 31.5.2007 - 2 O 279/05 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird für die Zeit bis zum 24.9.2008 auf 94.593,14 € und für die Zeit ab 25.9.2008 auf 29.361,34 € festgesetzt.

Gründe:

Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld, Schadensersatz und Feststellung zukünftiger Schadensersatzpflicht wegen behaupteter ärztlicher Fehlbehandlung

Sie macht geltend, ihr Ehemann sei wegen angeblich unzureichender Sicherungsaufklärung zum Umgang mit dem ihm im Jahre 2000 implantierten Defibrillator am 14.9.2003 verstorben. Sie ist der Auffassung, die Beklagten hätten ihren an einer inadäquaten Serie von Schockabgaben des ihm implantierten Defibrillators (ICD) verstorbenen Ehemann nach der Implantation über die Möglichkeit aufklären müssen, die Funktion des ICD durch Auflage eines Magneten zu unterbrechen.

Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Seite 2 - 5 = Bl. 172-175 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat nach Einholung zweier schriftlicher Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. V. sowie dessen Anhörung in der mündlichen Verhandlung die Klage abgewiesen. Eine unzureichende Eingriffsaufklärung liege nicht vor. Die Klägerin habe in der mündlichen Verhandlung vom 3.5.2007 ihren Vortrag insoweit zurückgenommen. Mit dem Sachverständigen Prof. Dr. V. ist das Landgericht aber auch zu dem Ergebnis gelangt, dass auch eine fehlerhafte therapeutische Sicherungsaufklärung nicht vorliege. Eine solche Sicherungsaufklärung sei weder üblich noch erforderlich. Sie sei in den Leitlinien nicht vorgesehen. Der Patient könne zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks nicht unterscheiden. Dem hohen Risiko der Eigentherapie mittels Magnetauflage stehe das geringe Risiko einer lebensbedrohlichen Fehlfunktion des ICD gegenüber. Wegen der hohen Risiken müsse dem Patienten im Falle der Übergabe des Magneten zur Eigentherapie zugleich von dessen Benutzung abgeraten werden. Deshalb könne vom behandelnden Arzt nicht verlangt werden, dass er zwar über die Möglichkeit der Unterbrechung von inadäquaten und adäquaten Schocks durch Magnetauflage belehre, gleichzeitig aber deutlich zu machen habe, dass wegen der überwiegenden Gefahren eine solche Magnetauflage gerade nicht angeraten werde. Wolle man eine solche Aufklärungspflicht aber annehmen, so wäre sie vorliegend nicht kausal geworden. Es wäre nämlich anzunehmen gewesen, dass der Ehemann der Klägerin entsprechend der Aufklärung von einer Magnetauflage abgesehen hätte.

Gegen dieses ihr am 8.6.2007 zugestellte Urteil (Bl. 171 d.A.) hat die Klägerin mit dem am 28.6.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 27.6.2007 (Bl. 191 d.A.) Berufung eingelegt, die sie innerhalb der antragsgemäß bis zum 10.9.2007 (Bl. 199 f. d.A.) verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit dem am 30.8.2007 eingegangenen Schriftsatz vom 15.8.2007 (Bl. 201 d.A.) begründet hat.

In der Berufung verfolgt die Klägerin im Umfang der jetzt reduzierten Klage ihr erstinstanzliches Ziel weiter.

Sie ist der Auffassung, allein der Hinweis, dass nach Schockserien ein Arzt oder eine Klinik aufzusuchen sei, nicht genüge. Herr D. sei auch über die Gefahr, wenn er das nicht tue, nicht aufgeklärt worden, insbesondere nicht über die potentielle Lebensgefahr durch inadäquate ICD-Schocks.

Die angesprochene Frage der therapeutischen Sicherungsaufklärung sei eine Rechtsfrage, die vom Gericht zu beantworten sei. Die auf dem Sachverständigengutachten von Prof. Dr. V. beruhenden Erwägungen des Landgerichts seien nicht tragfähig. Es sei unzutreffend, dass ein Patient nicht zwischen adäquaten und inadäquaten Schockserien unterscheiden könne.

Adäquaten Schocks gehe ein Unwohlsein des Patienten voraus, welches dieser auch so empfinde. Außerdem sei das Kammerflimmern, das einen adäquaten Schock auslöse, in der Regel durch einen Schock beendet. Auch das werde vom Patienten bemerkt. Hingegen träfen inadäquate Schocks den Patienten aus der Situation des völligen Wohlbefindens und würden von diesem als sehr schmerzhaft empfunden. Mit dieser unterschiedlichen Symptomatik habe sich der Sachverständige Prof. Dr. V. nicht befasst. Ob das Risiko der Abgabe inadäquater Schocks durch einen Defekt des ICD vergleichsweise gering sei, sei nicht maßgeblich. Wie bei der Risiko- oder Eingriffsaufklärung gehe es auf dem Gebiet der therapeutischen Aufklärung oder Sicherungsaufklärung nicht nur um die Typizität des aufzuklärenden Risikos und die Komplikationswahrscheinlichkeit, sondern vor allem darum, wie schwer die Folgen für den Patienten sind, falls sich das aufzuklärende Risiko bei ihm tatsächlich verwirklicht. Allein mit der angeblichen Seltenheit eines ICD-Defekts, welche auch nicht festgestellt worden sei, könne deshalb die Sicherungsaufklärungspflicht nicht verneint werden, weil insoweit die Selbstbestimmung des Patienten betroffen sei. Das Argument, durch Magnetauflage drohe dem Patienten, dass er den ICD ausschalte und er dann an seiner Primärerkrankung (Kammerflimmern) versterbe, sodass eine Magnetauflage nur unter ärztlicher Aufsicht erfolgen dürfe, sei nicht überzeugend. Denn es gehe allein um eine Not- und Eilmaßnahme, die dem so instruierten Patienten bis zum Erreichen eines Arztes oder einer Klinik möglich sein müsse. Für die therapeutische Aufklärung dürften keine anderen Maßstäbe für die Risikoabwägung gelten als bei der Eingriffsaufklärung. Beides betreffe die Selbstbestimmung des Patienten. Unerheblich sei, ob es derzeit bzw. zum damaligen Zeitpunkt üblich gewesen oder nicht oder von den Leitlinien gefordert worden sei, Patienten über die Möglichkeit der selbst vorzunehmenden Magnetauflage als Notmaßnahme aufzuklären. Hierdurch allein werde der medizinische Standard nicht gebildet. Schließlich greife auch die im Urteil hilfsweise verneinte Kausalität nicht durch. Sie beruhe auf der unzutreffenden Annahme, der Arzt müsse bei einer unterstellten Hinweispflicht auf die Möglichkeit der Magnetauflage gleichzeitig dem Patienten wegen fehlender - aber in Wahrheit gegebener - Unterscheidungsmöglichkeit zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks davon abraten, davon Gebrauch zu machen.

Nachdem die Klägerin die Klage teilweise zurückgenommen hat, beantragt sie nunmehr, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 31.5.2007 - 2 O 279/05 -

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.361,34 € nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

2. die Beklagte weiter zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen hierauf in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den gesamten materiellen Schaden, der ihr selbst sowie den beiden Kindern S. D. und M. D. aufgrund des Todes des Herrn H. D. am 14.9.2003 für die Zeit seit 1.5.2007 entstanden ist bzw. noch entstehen wird, zu ersetzen, soweit kein Übergang auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte eintritt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Die Rate, in denen Fehler eines ICD auftreten würden, liege nur bei einem Prozent. Die Häufigkeit, in denen es dabei zu nichtadäquaten Schocks komme, liege noch darunter. Ein Patient könne inadäquate und adäquate Schocks nicht unterscheiden. Die von der Berufung dargelegten Symptome gingen keineswegs adäquaten Schocks zwingend voraus. Deshalb sei es auch allein zulässig und ausreichend, dass der Patient darauf hingewiesen worden sei, bei vermutet inadäquaten Schocks sofort das Krankenhaus aufzusuchen. Herr D. sei hierüber und außerdem über die Möglichkeit inadäquater Schockabgabe und deren mögliche Folgen belehrt worden. Das diesbezügliche Bestreiten der Klägerin erachtet die Beklagte für verspätet.

Zu berücksichtigen sei auch, dass der Ehemann der Klägerin unstreitig die Aufforderung des Notarztes, sich zur Beobachtung in das Krankenhaus Bad Gandersheim zu begeben, zurückgewiesen habe.

Ein etwaiges Aufklärungsversäumnis sei nicht kausal. Sie - die Beklagte - bestreite, dass der Ehemann der Klägerin während der zweiten Serie der inadäquaten Schocks noch in der Lage gewesen wäre, diese durch Magnetauflage vor dem sechsten Schock zu beenden, da er sich allein im Wohnzimmer befunden habe. Nach dem sechsten Schock habe unstreitig das Kammerflimmern eingesetzt, so dass die Magnetauflage dann nicht mehr hätte helfen können. Im Übrigen hätte ein Patient, der den Rat des Notarztes abgelehnt habe, sich auch nicht nach eigener Magnetauflage sogleich in ärztliche Behandlung begeben.

Der Senat hat zum Inhalt der Herrn D. erteilten Aufklärung und Sicherheitshinweise Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen Dr. M., Dr. T., Dr. Sch. und Dr. Vh. sowie durch Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens gemäß Hinweis- und Beweisbeschluss vom 11.2.2008 (Bl. 270 ff. d.A.) und durch mündliche Anhörung des Sachverständigen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Gutachten des Sachverständigen Dr. O. vom 26.5.2008 (Bl. 281 ff.) und vom 8.8.2008 (Bl. 308 ff. d.A.) sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 25.9.2008 (Bl. 369-375 d.A.) Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung bleibt auch nach dem Ergebnis der durch das Berufungsgericht durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme in der Sache ohne Erfolg.

Die Beklagte trifft keine Haftung.

Ein Behandlungsfehler ist auch weiterhin nicht festzustellen (1.). Der Patient H. D. ist nach dem bis Ende 2003 geltenden ärztlichen Standard und dem bis dahin vorliegenden medizinischen Erkenntnissen ordnungsgemäß aufgeklärt worden, und zwar sowohl hinsichtlich der Eingriffsaufklärung, auf deren Fehlen sich die Berufung auch nicht stützt, als auch hinsichtlich der Sicherungsaufklärung (2.). Unabhängig davon wäre eine - hier nur unterstellte - Haftung der Beklagten aufgrund überwiegenden Mitverschuldens des Patienten H. D., welches darin liegt, dass er sich trotz dringenden Anratens des Notarztes nicht in die sofortige Krankenhausbehandlung begeben hat, gemäß § 254 BGB ausgeschlossen (3.).

Im Einzelnen:

1. Eine Pflicht der Ärzte der Beklagten, den Patienten H. D. auf die Möglichkeit hinzuweisen, durch Selbstauflage eines Magneten die Funktion des ICD abzuschalten, bestand nicht.

Das resultiert daraus, dass ein Patient nicht verlässlich zwischen adäquaten und inadäquaten Schockabgaben unterscheiden kann (a.) und ihm bei einer deshalb von ihm selbst irrtümlich vorgenommenen Magnetabschaltung lebensgefährliche Folgen drohen (b.).

a.) eine Unterscheidung, ob adäquate oder inadäquate Schocks abgegeben worden sind, ist dem Patienten entgegen der Auffassung der Berufung weder aufgrund der Anzahl der abgegebenen Schocks (aa.) noch aufgrund des vorangegangenen subjektiven Empfindens des Patienten möglich (bb.).

aa.) Wie der Sachverständige Dr. O. in seiner Anhörung vor dem Senat ausgeführt hat, ist die Abgabe mehrerer Schocks für einen ICD-Defekt nicht spezifisch. Das liege zum einen darin begründet, dass auch schon bis 2003 die ganz überwiegende Anzahl (95 %) der Geräte nicht zu Defekten neigte. Die klinische Situation sei mithin geprägt durch die weitaus höhere Anzahl ordnungsgemäß funktionierender Geräte. Schon deshalb sei es unzutreffend, wenn man davon ausgehen würde, dass Schockserien häufiger ihre Ursache in inadäquaten Schocks aufgrund von Gerätedefekten haben als aufgrund von adäquaten Schocks. Ferner sei zu berücksichtigen, dass auch aus klinischen Gründen, d. h. aufgrund der Erkrankung und des Auftretens von Kammerflimmern dieses Kammerflimmern nicht immer gleich durch den ersten Schock beendet werden könne. Das könne daran liegen, dass es sich um ein ausgeprägtes Kammerflimmern oder um ein sogenanntes immer wieder aufflammendes Kammerflimmern handele. Es komme also durchaus vor, dass es mehrerer Schocks bedürfe, um dieses zu beenden. Man könne folglich anhand der Anzahl der Schocks nicht differenzieren, ob es sich um inadäquate oder adäquate Schocks gehandelt habe, die einer Serie zugrunde liegen.

Der Senat schließt sich diesen überzeugenden und anschaulichen Ausführungen des Sachverständigen an. An der hinreichenden Sachkunde und Erfahrung des Sachverständigen Dr. O. bestehen keine Zweifel. Zu dem genannten Apekt wird das zusätzlich noch dadurch belegt, dass nach seinem weiteren Bekunden der Sachverständigen erst kürzlich bei einem Patienten in seiner eigenen ICD-Sprechstunde festgestellt habe, dass der Patient zur Beendigung einer Kammertachykardie sogar drei Schocks benötigte.

bb.) Das subjektive Nichterleben oder Nichtvergegenwärtigen von Symptomen in der Zeit vor der Schockserie versetzt den Patienten ebenfalls nicht in die Lage, verlässlich zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks unterscheiden zu können.

Der Sachverständige Dr. O. hat hierzu in seiner Anhörung ausgeführt, bei Patienten wie Herrn D. sei es ganz überwiegend so - bei Herrn D. ausnahmslos -, dass diese zwar nicht unter einem primären Kammerflimmern litten. Das bedeute, dass das Kammerflimmern nur am Ende einer vorausgehenden Tachykardie stehe. Das gelte jedenfalls dann, wenn es auftrete. Die Erkennungszeit für die Tachykardie liege in Fällen wie bei Herrn D. etwa bei 6 Sekunden. Das sei die Zeit, in der die schnelle Schlagabfolge, auf die der ICD als Reaktion programmiert sei, durchgezählt sei. Bis zum Auslösen des Schocks, falls dieser erforderlich ist, vergingen unter Einbeziehung der Ladezeit von etwa 5,8 Sekunden insgesamt, d. h. unter Einbeziehung dieser Zeit, 14,4 Sekunden. Daraus folge, dass für die ganze Episode ein Zeitraum von 20 Sekunden ausreiche. Dieses Zeitfenster sei so kurz, dass es durchaus eine Vielzahl von Patienten gebe, die den Anstieg des Pulses - insbesondere durch schnelle Salven in Ruhe - nicht wahrnehme. Es komme auch in der klinischen Praxis immer wieder vor, dass auf Frage nach Episoden von den Patienten Wohlbefinden angegeben werde, jedoch die Auswertung des ICD-Aufzeichnungsteils ergebe, dass schwere Rhythmusstörungen aufgetreten seien, die, wie die Auswertung zeigt, durch Überstimulation mittels ICD unbemerkt beendet worden sind. Das sei in 70 % der Fälle so. Der übrige Teil werde durch Schock terminiert. Es komme aber auch dann vor, dass dieselben Patienten meinen, sie hätte ein Schock aus "heiterem Himmel" getroffen, obwohl sich das als nicht zutreffend herausstelle. Aus seiner klinischen Praxis der letzten 12 Jahre berichtete der Sachverständige Dr. O., dass etwa 1/3 der Patienten die Symptome des Pulsanstieges vor einem solchen Vorgang durchaus bemerkt hätten, die überwiegende Anzahl jedoch nicht. Man könne auch in der Kombination aus subjektivem Nichterleben oder Nicht-Vergegenwärtigen von Symptomen und dem Hinzutreten mehrerer Schocks nicht sagen, dass dies den Patienten in die Lage versetze, zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks zu unterscheiden. Das liege daran, weil das Erleben der gleichermaßen als schmerzhaft empfundenen Schocks das vorausgegangene Erleben, wie auch die klinische Schilderungen der Patienten zeigten, oft überlagere. Die Patienten seien nicht in der Lage, in diesem Punkt ihr Erleben quasi zurückzuspulen und zu analysieren.

Der Senat schließt sich auch insoweit den vollumfänglich überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. O. an.

b.) Da mithin eine verlässliche Differenzierung zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks dem Patienten nicht möglich ist, kann sich nur die Frage stellen, ob die Ärzte der Beklagten trotz dieser Verwechslungsgefahr den Patienten auf die Möglichkeit, den ICD durch Auflage eines Magneten abzuschalten, als so genannte therapeutische Aufklärung oder Sicherungsaufklärung hätten hinweisen müssen.

Das ist nicht der Fall.

Nach den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dr. O. ist nicht festzustellen, dass eine trotz Verwechslungsgefahr vorgenommene ICD-Abschaltung durch Selbstauflage eines Magneten dem Patienten größere Sicherheit bietet als deren Nichtvornahme.

Mit Rücksicht auf den Umstand, dass es durchaus vorkomme, dass ein Kammerflimmern nicht schon mit dem ersten Schock beendet werden könne, könne einem Patienten auf keinen Fall geraten werden, sich schon nach dem ersten Schock einen Magneten aufzulegen.

Aber auch die Magnetauflage zu einem späteren Zeitpunkt, auch unter der Vorgabe, dass dies im Sitzen geschehe und bei Bewusstlosigkeit der Magnet herabfalle, berge Lebensgefahr in sich. Würde man sogar den frühesten Fall annehmen, dass der Patient nach zwei Schocks aus scheinbarem Wohlbefinden den Magneten auflege, während es sich in Wahrheit um einen Fall des Kammerflimmerns gehandelt habe, so wäre unklar, ob die dann noch zur Verfügung stehende Serie der vier möglichen weiteren Schocks ausreiche, seinen Kammerflimmerzustand, der wieder aufflammen könne, zu beenden. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass mit der zwischenzeitlichen Magnetauflage eine verzögerte Schockabgabe einhergehe und die Stoffwechselsituation des Herzens sich verändere. Das Herz übersäuere insbesondere, wodurch die Herzfunktion weiter abnehme und eine Neigung zum Kammerflimmern noch ansteige. Die Erfolgsrate, dass schon der erste weitere Schock des wieder angesprungenen ICD das Flimmern terminiere, sinke immer weiter ab. Auch von daher sei es fraglich, ob die verbleibenden Schocks der Sechserserie noch ausreichen.

Es komme zu einer Risikokonstellation und Kollision zwischen dem Risiko, eine nichtadäquate Schockserie zu bekommen, an der der Patient versterbe, und derjenigen, dass eine adäquate Schockserie fehlerhaft unterbrochen werde und durch die Verzögerung bei der weiteren Abgabe adäquater Schocks Lebensgefahr auftrete. Über das Ausmaß dieser Risiken und ihre Gegenüberstellung gebe es in der medizinischen Wissenschaft und der ärztlichen Praxis keinerlei Erkenntnisse. Es gebe auch keine wissenschaftliche Möglichkeit, diese Risiken gegeneinander abzugrenzen.

Da in Übereinstimmung mit den auch insoweit nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen eine Abwägung der Risiken auf eine reine Spekulation hinausliefe, scheidet die Annahme einer Hinweispflicht der Ärzte der Beklagten gegenüber dem Patienten H. D. auf die Möglichkeit der Abschaltung durch Selbstauflage eines Magneten aus. Die Ärzte der Beklagten verfügten insoweit über keine greifbaren Erkenntnisse, die sie an den Patienten H. D. zur Erzielung eines feststellbaren - empfohlenen oder zur selbstbestimmten Auswahl gestellten - Sicherheitsgewinns hätten weitergeben können.

Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil mit den weiteren Ausführungen des Sachverständigen davon auszugehen ist, dass in keiner Studie und in keinen sonstigen Publikationen in der medizinischen Wissenschaft bis Ende 2003 ein Todesfall infolge ICD-Defekts und inadäquater Schockabgabe bekannt geworden ist.

Auch diesen Umstand wie die in ihrer Größenordnung unbekannte, vorstehend dargelegte Lebensgefahr infolge verzögerter Schockabgabe nach einer zwischenzeitlichen Magnetauflage wären Bestandteile der Patienten H. D. gegebenenfalls mitzuteilenden Informationen gewesen. Da sich aus diesen Informationen aber nicht einmal ansatzweise eine bestimmte Handlungsempfehlung ergibt, kann auch nicht festgestellt werden, dass die Gabe solcher Informationen zu einer Magnetauflage und einer Verhinderung des Todes von Herrn D. geführt hätten. Unabhängig von der Frage, ob die Ärzte der Beklagten diese, zu keiner bestimmten Handlungsempfehlungen führenden Informationen Herrn D. hätten erteilen müssen, ließe sich folglich nicht feststellen, ob die Vornahme der gebotenen Handlung - hier die Erteilung der Informationen in der genannten Weise - den Schaden verhindert hätte. Es geht hierbei nicht um die Frage der hypothetischen Reserveursache. Vielmehr fehlt es schon an der Feststellung der Ursächlichkeit des - hier nur unterstellt - pflichtwidrigen Unterlassens (vgl. Palandt/ Heinrichs, BGB, 68. Aufl., Vorb. vor § 249 BGB Rn. 84 mwNw). Insoweit würde vorliegend keine Beweiserleichterung zu Gunsten der Klägerin eingreifen. Zum einen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass ein solches Unterlassen einen groben Behandlungsfehler darstellen würde. Zum anderen könnte die Beweislastumkehr aus der Vermutung des "aufklärungsrichtigen" Verhaltens bei erteilter Information nicht eingreifen. Denn eine solche Vermutung setzt voraus, dass ein auf ein bestimmtes Verhalten gerichteter Rat zu erteilen war (vgl. BGH NJW 1983,6 130; 1989, 2946), woran es vorliegend aber gerade fehlt.

2. Aufgrund der glaubhaften Aussage der in der mündlichen Verhandlung vom 25.9.2008 vernommenen ärztlichen Zeugen steht zur Überzeugung des Senats (§ 286 ZPO) fest, dass sowohl bei der vom Zeugen Dr. T. erteilten Eingriffsaufklärung als auch nach der ICD-Implementierung in den Terminen der ICD-Sprechstunde bei Dr. Vh. und Dr. Sch. Herr D. auf die potentielle Lebensgefahr durch Fehlfunktion des ICD hingewiesen worden ist. Ferner steht aufgrund der Aussagen der Zeugen Dr. M., Dr. Sch. und Dr. Vh. fest, dass dem Patienten H. D. erklärt worden ist, dass die Abgabe von Schockserien stets lebensbedrohlich sei, einen absoluten Notfall darstelle, bei dem sofort der Notarzt zu benachrichtigen und das nächste Krankenhaus unverzüglich aufzusuchen sei.

Die Aussagen der Zeugen sind glaubhaft, die Zeugen sind glaubwürdig. Ihre Aussagen sind widerspruchsfrei und lassen keine Belastungstendenz erkennen. Ihre Aussagen sind auch ergiebig, auch wenn die Zeugen mit Ausnahme von Dr. M. angegeben haben, keine konkrete Erinnerung mehr an den Patienten H. D. zu haben. Die Ergiebigkeit ihrer Aussagen folgt daraus, dass sie nachvollziehbar und vereinzelt darzulegen vermochten, mit welchem Inhalt sie ihre Gespräche mit ICD-Patienten wie Herrn D. im fraglichen Zeitraum stets geführt haben (vgl. Frahm/Nixdorf, Arzthaftungsrecht, 3. Aufl., Rn. 208; BGH NJW 1985, 1399, 1400f. Rn. 10-12 zit. n. juris; OLGR Karlsruhe 2004, 520f.). Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese übliche Vorgehensweise gegenüber dem Patienten H. D. anders gehandhabt worden ist. Die Zeugen haben auch kein erkennbares Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Das gilt in besonderem Maße für die Zeugen Dr. T., Dr. M. und Dr. Vh., die bei der Beklagten auch nicht mehr beschäftigt sind. Das gilt aber auch für den Zeugen Dr. Sch., da dieser ohne Umschweife eingeräumt hat, in der damaligen Zeit Patienten nicht zusätzlich und speziell auch unter Differenzierung zwischen adäquaten und inadäquaten Schocks darauf hingewiesen zu haben, dass ein nichtadäquater Schock Kammerflimmern auslösen könne und bis zum Tode führen könne.

Sowohl die Eingriffsaufklärung als auch die Sicherungsaufklärung entsprach damit dem damaligen ärztlichen Standard und Erkenntnisstand in der Medizin.

Zur Frage des ärztlichen Standards hat der Sachverständige Dr. O. ausgeführt, dass es zwar seit den 1980er Jahren bekannt sei, dass es inadäquate Schocks durch ICD-Defekte unterschiedlichen Ursprungs geben könne. Das sei auch durch vielfache Studien untersucht worden. Indes sei bis Ende 2003 in keiner dieser Studien oder auch sonstigen Publikationen in der medizinischen Wissenschaft ein Fall publiziert worden, wie er hier vorliege. Es habe also keine Publikationen über einen Todesfall infolge ICD-Defekts und inadäquater Schockabgabe gegeben.

Ohne Hinweise auf dieses spezielle Risiko waren die Ärzte der Beklagten auch nicht gehalten, darüber aufzuklären. Ihre Aufklärung - Sicherungs- wie Eingriffsaufklärung - genügte den insoweit ausreichenden Anforderungen einer Aufklärung "im Großen und Ganzen". Dem Patienten ist verdeutlicht worden, dass ICD-Defekte auftreten können und dass Schockserien - welchen Ursprungs auch immer - Lebensgefahr und sofortigen ärztlichen Kontrollbedarf signalisieren. Das ist, auch wenn das keine förmliche Aufnahme in das Protokoll gefunden hat, im Zusammenhang mit der nochmaligen Erläuterung des Beweisthemas während der Vernehmung des Zeugen Dr. Sch. in der mündlichen Verhandlung vom 25.9.2008 erörtert worden.

3. Eine Haftung der Beklagten scheidet unabhängig von den vorstehenden Ausführungen auch deshalb aus, weil ihre - hier lediglich unterstellte - Haftung hinter dem Mitverschulden des Patienten H. D. gemäß § 254 BGB zurücktritt.

Aufgrund der ihm unstreitig nach der ersten Schockserie vom 14.9.2003 vom herbeigerufenen Notarzt erteilten dringenden entsprechenden Aufforderung hätte Herr H. D. sich vom Notarzt in die Notaufnahme des nächsten Krankenhauses bringen lassen müssen. Wie sich aus den Aussagen der Zeugen ergibt, war Herrn H. D. zu diesem Zeitpunkt klar, dass abgelaufene Schockserien auf das Vorliegen eines potentiell lebensbedrohlichen Zustands hinweisen, welcher der sofortigen notärztlichen Überwachung und unverzüglichen Abklärung bedarf. Indem er trotz dieser Kenntnis dem dringenden Rat des Notarztes keine Beachtung schenkte, hat er in besonders hohem Maße die Sorgfalt außer acht gelassen, die jedem verständigen Menschen in einer solchen Situation obliegt, um sich vor Schaden zu bewahren (vgl. Palandt/Heinrichs, a.a.O., § 254 Rn. 8, 66ff., jew. mwNw).

Dieses Mitverschulden ist entgegen der Auffassung der Berufung auch ursächlich geworden. Unerheblich ist dabei, ob der Notarzt oder das nächste Krankenhaus in der Lage gewesen wären, sogleich zu erkennen, dass und in welcher Weise der ICD defekt gewesen ist. Entscheidend ist, dass Herr D. intensiv überwacht worden wäre mit der Folge, dass das Auftreten eines Kammerflimmerns, woraus auch immer dieses resultiert haben mag, bemerkt worden wäre und mit einem externen Defibrillator hätte beendet werden können. Obwohl es für die Ursächlichkeit des Mitverschuldens nicht maßgeblich ankommt, hätte zudem der behandelnde Not- oder Krankenhausarzt gemäß den Hinweisen des von Herrn H. D. getragenen ICD-Notfallausweises für den Fall, dass es eine weitere unerklärliche Schockserie gegeben hätte, mithilfe der Magnetauflage den ICD abschalten und bis zu einer Behandlung durch einen kardiologischen Facharzt intensiv überwachen können.

Nach alledem muss die Berufung ohne Erfolg bleiben.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 269 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Zurückweisung der Berufung beruht auf mehreren, voneinander unabhängigen Gründen, welche zudem in tatsächlicher Hinsicht jeweils auf den individuellen Umständen des Einzelfalls beruhen.

Der für das Berufungsverfahren festgesetzte Streitwert entspricht dem im Berufungsrechtzug geltend gemachten Interesse an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung, §§ 3 ZPO, 47 Abs. 1 Satz 1 GKG, und berücksichtigt auch die durch die Klageteilrücknahme eingetretene Streitwertreduzierung (bis zum 24.9.2008 einschließlich: 94.593,14 € [vgl. LGU S. 9 = Bl. 179 d.A., sowie die ursprünglichen Berufungsanträge in der Berufungsbegründung vom 15.8.2007, Bl. 201 d.A.: Antrag zu 1.) 71.938,94 €, Antrag zu 2.) 3.000 €, Feststellungsantrag zu 3.) 20.000 €]; seit dem 25.9.2008: 29.361,34 € [Bl. 333, 362R d.A.: Antrag zu 1.) 6.361,34 €, Antrag zu 2.) unverändert 3.000 €, Feststellungsantrag zu 3.) 20.000 €]).

Der nicht nachgelassene Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 15.10.2008 gab keinen Anlass zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 156 ZPO). Die darin angestellten Überlegungen blenden unzulässig die Gefahr des wieder aufflammenden Kammerflimmerns aus, auf die der Sachverständige Dr. O. in seiner Anhörung bereits hingewiesen hat. Die Besonderheiten des wieder aufflammenden Kammerflimmerns besteht gerade darin, dass das Kammerflimmern mit den einzelnen Schocks jeweils zwischenzeitlich vorübergehend erfolgreich beendet werden kann und deshalb in diesem Zeitraum noch nicht zwingend zur Bewusstlosigkeit führt. Legt dann der Patient den Magneten auf, führt das nächste wieder aufflammende Kammerflimmern zur Bewusstlosigkeit mit der Folge, dass durch die verzögerte Schockabgabe nicht mehr sichergestellt ist, dass die in der Serie noch verbleibenden Schocks überhaupt noch geeignet sind, das Kammerflimmern zu beenden. Auf die obigen Ausführungen (S. 11 dieses Urteils) wird Bezug genommen. Dem Umstand, mit welcher Pulsrate einem solchen mehrfach aufflammenden Kammerflimmern eine Tachykardie im Einzelfall vorausgeht, ist nach den Ausführungen des Sachverständigen keine Relevanz zu entnehmen.

Ende der Entscheidung

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