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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 02.11.2004
Aktenzeichen: 1 UF 111/04
Rechtsgebiete: ZPO, GVG, BGB


Vorschriften:

ZPO § 66 Abs. 1
ZPO § 623 Abs. 1 Satz 2
GVG § 170
BGB § 1605
BGB § 1605 Abs. 1
1. An das rechtliche Interesse für die Zulassung einer Nebenintervention in Ehescheidungsfolgensachen sind zum Schutz der Persönlichkeitsrechte der Eheleute strenge Anforderungen zu stellen.

2. Die gemeinsame Verbindung des Dritten mit einem der Ehepartner in einer Sozietät von Rechtsanwälten und Steuerberatern und der Wunsch des Dritten nach Geheimhaltung von Bilanzen, Gewinn- und Verlustrechnungen pp. begründet kein rechtliches Interesse im Sinne des § 66 Abs. 1 ZPO.


Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Nebenintervenienten gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengerichts - Braunschweig vom 28. April 2004 wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Zulassung des Nebeninter- venienten zu der Folgesache nachehelicher Ehegattenunterhalt in dem zwischen den Parteien anhängigen Scheidungsverbundverfahren.

Der Antragsteller des Scheidungsverbundverfahrens und der Antragsteller auf Zulassung der Nebenintervention (künftig: Nebenintervenient) sind beide Rechtsanwälte. Sie sind beruflich verbunden in einer überörtlichen Sozietät von Rechtsanwälten, die derzeit aus mehr als 45 Partnern besteht.

Die Antragsgegnerin hat im Scheidungsverbundverfahren die Folgesache nachehelicher Ehegattenunterhalt in der Form einer Stufenklage anhängig gemacht. In der Auskunftsstufe begehrt sie die Vorlage von Belegen, u. a. Gewinn- und Verlustrechnungen der Rechtsanwaltssozietät für die Jahre 2001 und 2002.

Der Nebenintervenient will dem Rechtsstreit auf Seiten des Antragstellers beitreten. Als Mitgesellschafter der in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts geführten Rechtsanwaltssozietät würden im Falle der beantragten Verpflichtung zur Belegvorlage zu seinen und der Sozietät Lasten schützenswerte Geheimhaltungsinteressen verletzt. Eine Belegvorlage stehe im Widerspruch zu dem grundgesetzlich geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Eine gesetzliche Einbegriffsbefugnis bestehe nicht. Bei der gebotenen Abwägung zwischen den Interessen der Betroffenen müsse seinem Geheimhaltungsbedürfnis Vorrang gebühren, denn die Antragsgegnerin benötige die Unterlagen für die Zwecke der Unterhaltsberechnung nicht. Die Vorlage betriebswirtschaftliche Unterlagen eines Unternehmens oder über eine selbständige Erwerbstätigkeit dienten stets der Überprüfung der Gewinnermittlung. Anlass dafür seien steuerrechtliche Möglichkeiten, den Gewinn zu vermindern, was familienrechtlich den Weg zu unterhaltsbezogenen Korrekturen eröffne. Eine Rechtsanwaltsgesellschaft habe jedoch steuerrechtlich nicht die Möglichkeit, Betriebsausgaben geltend zu machen, die einer unterhaltsrechtlichen Berichtigung zugänglich wären. Dies gelte jedenfalls für die Sozietät, der der Antragsteller und der Nebenintervenient angehören. Die Geheimhaltungsverpflichtung über die wirtschaftlichen Daten der Kanzlei treffe jeden Sozius zum Schutz von Sozietätsinterna , ferner auch aus Wettbewerbsgründen. Angesichts der Größe der vorliegenden Sozietät sei jeder einzelne Sozius betreffend seiner Gewinnanteile quasi als Angestellter zu behandeln. Einer großen Sozietät mangele es an jeglicher Flexibilität für die Durchführung irgendwie gearteter "Manipulationen". Ferner bestehe für ihn das Risiko, dass seine getrennt lebende - mittlerweile geschiedene - Ehefrau über Beziehungen zur Antragsgegnerin Erkenntnisse erhalten könne, auf die auch seine geschiedene Ehefrau keinen Anspruch habe.

Der Nebenintervenient hat beantragt,

seinen Beitritt zur Ehescheidungsfolgensache nachehelicher Ehegattenunterhalt auf Seiten des Antragstellers zuzulassen.

Der Antragsteller hat diesem Antrag zugestimmt.

Die Antragsgegnerin hat beantragt, den Beitritt nicht zuzulassen.

Durch das am 28. April 2004 verkündete Zwischenurteil hat das Amtsgericht - Familiengericht - Braunschweig den Antrag des Nebenintervenienten auf Zulassung zurückgewiesen. Dem Nebenintervenienten stände das erforderliche rechtliche Beitrittsinteresse nicht zur Seite.

Gegen das dem Nebenintervenienten am 10. Mai 2004 zugestellte Urteil hat der Nebenintervenient mit dem am 21. Mai 2004 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schreiben sofortige Beschwerde erhoben.

Das Familiengericht habe versäumt, das rechtliche Interesse als Voraussetzung für den Beitritt einer weiten Auslegung zu unterwerfen. Eine Verpflichtung zur Belegvorlage entfalte eine unmittelbare Gestaltungswirkung auch ihm gegenüber, da seine persönlichen Einkommenszahlen gegenüber der Antragsgegnerin offenbart würden. Er habe ein eigenes rechtliches Interesse, dass Informationen über sein Einkommen und geschäftliche Aktivitäten seiner Sozietät nicht an Dritte herausgegeben würden. Insofern habe ein zu erwartendes Urteil in der Rechtssache eine unmittelbare Folgewirkung auf seine persönlichen Angelegenheiten.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde unter Verteidigung der angefochtenen Entscheidung entgegen. Sie benötige die Angaben zur Prüfung des ihr zustehenden Unterhaltsanspruchs und habe keinerlei Interesse, Daten weiter zu geben.

II.

Die zulässige sofortige Beschwerde bleibt ohne Erfolg.

Das Familiengericht hat den Beitritt des Nebenintervenienten zur Folgesache nachehelicher Ehegattenunterhalt im anhängigen Ehescheidungsverbund-verfahren zu Recht mangels rechtlichen Interesses des Nebenintervenienten (§ 66 Abs. 1 ZPO) zurückgewiesen.

Im Einzelnen gilt folgendes:

Dem Betritt des Nebenintervenienten steht nicht entgegen, dass der Streitgegenstand Teil des Ehescheidungsverbundverfahrens ist. Denn die Vorschriften über den Verfahrensverbund gehen grundsätzlich von einer möglichen Beteiligung Dritter in Folgesachen aus, wie sich insbesondere aus § 623 Abs. 1 Satz 2 ZPO ergibt, der ausdrücklich den Beteiligungsfall regelt und die Abtrennung einer Folgesache, insbesondere der Folgesache nachehelicher Ehegattenunterhalt, anordnet.

Die Besonderheiten, die sich unmittelbar aus dem Verfahrensgegenstand einer Folgesache ergeben, gebieten es jedoch, entgegen der sonst üblichen weiten Auslegung des Begriffes des rechtlichen Interesses, vgl. Zöller / Vollkommer, ZPO, 24. Auflage, zu § 66 Rn. 8, strenge Anforderungen zu stellen.

In Ehescheidungsverfahren und ihren Folgesachen sind die Konfliktparteien in unvergleichlich stärkerem Maße als in anderen zivilrechtlichen Streitigkeiten auf die Wahrung der Vertraulichkeit und den Schutz der Intimsphäre angewiesen. Infolge der tiefen emotionalen Betroffenheit der Eheleute werden häufig intimste Details aus dem Eheleben der Streitparteien in das Verfahren eingeführt. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Unterhaltsschuldner, wie vorliegend, Verwirkungsgründe einwenden will und sich die Parteien in Vorwürfen und Gegenvorwürfen verstricken. Auch und gerade in dieser Situation verdient die in den Trennungskonflikt geratene Ehe ein geschütztes Verfahren. Einem solchen Schutz trägt der Gesetzgeber mit den Vorschriften über die Nichtöffentlichkeit der Verhandlung in Ehesachen / verbundenen Folgesachen gemäß § 170 GVG Rechnung.

Eine restriktive Auslegung ist ferner im Interesse des wirtschaftlich schwächeren Ehepartners geboten, weil er infolge einer Verfahrensbeteiligung eine Abtrennung der Folgesache hinnehmen muss verbunden mit der Gefahr, bei Eintritt der Rechtskraft unterhaltsrechtlich nicht abgesichert zu sein. Darüber hinaus verletzt die mit jeder Einbeziehung von Dritten einhergehende Verlangsamung des Verfahrens - wie bereits vorliegend Verlegungswünsche offenbart haben -, das Recht der Eheleute auf eine zeitnahe Entscheidung. Auf eine solche sind die Eheleute zur Neuorientierung ihrer Lebensverhältnisse in der Regel angewiesen. Auch wenn der Antragsteller durch die Information des Nebenintervenienten quasi seine Einwilligung zu damit verbundenen Verzögerungen deutlich gemacht hat, kann dies für die Antragsgegnerin nicht gelten.

Ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer Partei setzt voraus, dass die Entscheidung durch Inhalt oder Vollstreckung unmittelbar oder mittelbar auf die privatrechtlichen oder öffentlichrechtlichen Rechtsverhältnis des Dritten einwirken kann und dadurch seine Rechtslage tatsächlich verändert wird, vgl. Baumbach/Hartmann ZPO, 62. Auflage zu § 66, Münchener Kommentar / Schilken, ZPO, zu § 66 Rn. 7. Zur näheren Beschreibung hat die Rechtsliteratur hierzu die Fallgruppen der Rechtskrafterstreckung, der Gestaltungswirkung, der Vollstreckung bei Dritten, der Vorgreiflichkeit, der Schuld - Haftung- Akzessorität, des Regresses und der Prozessstandschaft entwickelt. Vorliegend kommt nach den Ausführungen des Nebenintervenienten eine Gestaltungswirkung bezüglich seiner Sozietätsrechte in Betracht. Eine Gestaltungswirkung setzt jedoch voraus, dass ein Rechtsverhältnis des Dritten eine tatsächliche Änderung erfährt. Dies ist nicht gegeben, denn die Entscheidung zur Belegvorlage erschöpft sich allein im Verhältnis der Parteien und greift weder in die Rechte der Sozietät noch in die Rechtsbeziehungen der Sozietätsmitglieder untereinander ein. Die Sozietät und ihre Partner werden allenfalls reflexhaft tangiert.

Kein rechtliches Interesse im Sinne von § 66 Abs. 1 ZPO ist das sonstige tatsächliche Ziel des Nebenintervenienten, etwa das wirtschaftliche Interesse aus Wettbewerbsgründen oder das Interesse aus der beruflichen/ kollegialen oder freundschaftlichen Verbindung mit dem Antragsteller, vgl. Münchner Kommentar / Schilken. zu § 66 Rn. 8 m. w. N..

Soweit der Nebenintervenient sein rechtliches Interesse mit seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, BVerfGE 65, 1ff, und den sich daraus abzuleitenden Anforderungen an die Datenerhebung, Datensammlung und Datenweitergabe durch staatliche Institutionen wendet, steht dieses verfassungsrechtlich aus dem allgemeinen Freiheitsrecht des Artikel 2 Abs. 1 Grundgesetz abgeleitete Recht unter dem Vorbehalt der Gesetze und der verfassungsmäßigen Ordnung. Der familiäre Auskunftsanspruch aus § 1605 BGB erfüllt diesen Gesetzesvorbehalt im Interesse einer wirtschaftlich gleichmäßigen Teilhabe von Eheleuten mit Leben. Er ist damit Grundvoraussetzung zur Durchsetzung der Gleichberechtigung der Partner. Die höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisiert die Auskunftsverpflichtung in verfassungskonformer Anwendung. Der selbstständig Erwerbstätige ist nach § 1605 Abs. 1 BGB verpflichtet, betriebswirtschaftliche Belege, u. a. Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen, für einen Zeitraum von drei Jahren vorzulegen, damit der Ehegatte in die Lage versetzt wird, seinen Anspruch auf gleichmäßige Teilhabe an den ehelichen Lebensverhältnissen geltend zu machen, vgl. Palandt/ Diederichsen, BGB, 63. Aufl., zu § 1605, Rn. 13 mwN. Die Vorlage solcher zum Zwecke der Besteuerung errichteten Belege ist erforderlich, damit der Ehegatte in die Lage versetzt wird, die unterhaltsrechtliche Relevanz von steuerlich geltend gemachten Abzugsposten nachzuvollziehen. Ein allgemeiner Erfahrungssatz, dass Rechtsanwaltssozietäten bei einer bestimmten Anzahl von Sozien keine steuerlichen Gestaltungsmöglichkeiten besitzen, so dass von vornherein kein Grund für die unterhaltsrechtliche Bereinigung von Gewinn- und Verlustrechnungen besteht, lässt sich nicht begründen. Das Recht auf Prüfung und Kontrolle kann mit dieser Argumentation nicht unterlaufen werden.

Die gesellschaftliche Einbindung der Erwerbstätigkeit führt nicht dazu, dass an den Unterhaltsschuldner geringere Anforderungen zur Offenlegung seiner Einkünfte und der Nachweise zu stellen sind, vielmehr haben die durchaus auch im Rahmen des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung grundsätzlich schützenswerten Geheimhaltungsinteressen von gesellschaftlich verbundenen Dritten regelmäßig hinter dem Interesse der Unterhaltsberechtigten zurück zu stehen, BGH NJW 1982, 1642 (1643), BGH NJW-RR 1993, 1313.

Soweit der Nebenintervenient meint, aus den Gewinn- und Verlustrechnungen ergäben sich direkte Hinweise auf sein eigenes Einkommen, erscheint dies zweifelhaft, denn Gewinn- und Verlustrechnungen enthalten in aller Regel nicht die Gewinnverteilung. Allein aus dem Gesamtergebnis lässt sich nur dann der Schluss auf das Einkommen eines Sozius ziehen wenn alle mit einem einheitlichen Anteil beteiligt sind, dies entspricht nach aller Erfahrung nicht der Realität von Anwaltskanzleien.

Kein rechtliches sondern nur ein tatsächliches Interesse stellt die Befürchtung der Weitergabe von Auskünften an die mittlerweile geschiedene Ehefrau des Nebenintervenienten dar. Im Übrigen könnten dem Nebenintervenienten keine Nachteile entstehen, wenn er gegenüber seiner geschiedenen Ehefrau wahrheitsgemäße Angaben zu seinen Einkünften gemacht hat und die Gewinn- und Verlustrechnungen seiner Sozietät tatsächlich keiner unterhaltsrechtlichen Bereinigung bedürfen.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO. Danach hat der unterliegende Teil eines Rechtsmittelverfahrens dessen Kosten zu tragen.

Ende der Entscheidung

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