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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Urteil verkündet am 03.06.2008
Aktenzeichen: 2 U 82/07
Rechtsgebiete: StPO, BGB, ZPO


Vorschriften:

StPO § 477 Abs. 5
BGB § 823 Abs. 2
BGB § 1004
ZPO §§ 421 ff
ZPO § 938
1. Die Regeln über die Zweckbindung der im Wege der Einsicht in Strafakten erlangten personenbezogenen Informationen in §§ 477 V, 406 e VI StPO stellen ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 II BGB zugunsten der Personen dar, über die personenbezogene Informationen im Strafverfahren erhoben und zum Akteninhalt geworden sind.

2. Ein Rechtsanwalt darf gemäß §§ 477 V, 406 e VI StPO die im Wege der Akteneinsicht erlangten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwenden, für den die Akteneinsicht gewährt wurde. Die Verwendung für andere Mandanten ist ohne Zustimmung der zuständigen Strafverfolgungsbehörde nicht zulässig. Die Verantwortung für die Übermittlung der Informationen trägt der für einen Mandanten Akten einsehende Rechtsanwalt gemäß § 477 IV 1 StPO selbst.

3. Bei Verstößen besteht gegen den Rechtsanwalt ein Anspruch, es zu unterlassen, die im Wege der Akteneinsicht erlangten Informationen anderen Mandanten zu Beweiszwecken in gegen die geschützte Person geführten zivilrechtlichen Verfahren zur Verfügung zu stellen, soweit nicht eine wirksame Zustimmung der zuständigen Strafverfolgungsbehörde gemäß § 477 Abs. 5 Satz 2 StPO vorliegt. Das gilt sowohl für die Verwendung von Kopien der beschlagnahmten Unterlagen als auch für die inhaltliche Einführung der Unterlagen zu Beweiszwecken im Rahmen des Sachvortrages nebst Beweisantritt, z.B. unter Bezugnahme auf die Fundstelle in beizuziehenden Strafakten oder für einen Antrag, der Gegenseite die Vorlage der genau bezeichneten Urkunde aufzugeben.

4. Zur Neufassung von Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Verfügung in der Berufungsinstanz.


Gründe:

I.

Der Verfügungsbeklagte vertritt als Rechtsanwalt eine Vielzahl von Erwerbern von Eigentumswohnungen in sogenannten "Schrottimmobilien" gegenüber der Verfügungsklägerin, die den Erwerb von Eigentumswohnungen finanziert hat. Im Rahmen von Ermittlungsverfahren sind interne Unterlagen der Verfügungsklägerin (Kreditprotokolle, Hausbriefe, Bewertungsgutachten, interne Kreditrichtlinien) sichergestellt worden, die sich nunmehr in den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft B. zu den Aktenzeichen .... befinden.

Der Verfügungsbeklagte hatte während der Anhängigkeit der Strafverfahren bei der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts G für Mandanten Akteneinsicht begehrt, wogegen sich die Verfügungsklägerin gewandt hat. Der Vorsitzende der Wirtschaftsstrafkammer hat am 14.7.2005 die Akteneinsicht abgelehnt, weil die Rechtsstreitigkeiten der seinerzeit von dem Verfügungsbeklagten benannten Mandanten gegen die Verfügungsklägerin bereits durch Vergleich erledigt waren.

Mit Schreiben vom 18.10.2006 beantragte die in der Kanzlei des Verfügungsbeklagten tätige Rechtsanwältin X Akteneinsicht bei der nach Beendigung des Strafverfahrens vor dem Landgericht G zuständigen Staatsanwaltschaft B für 2 namentlich benannte Mandanten im Hinblick auf deren Verfahren gegen die Y Bausparkasse. Im Rahmen der bewilligten Akteneinsicht in die umfangreichen Akten der Wirtschaftsstrafverfahren erhielt der Verfügungsbeklagte auch Einsicht in die bei der Verfügungsklägerin beschlagnahmten Unterlagen. Hiergegen wandte sich die Verfügungsklägerin mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Mit Beschluss vom 24.4.2007 (6 AR 23/07) stellte die nunmehr zuständige Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts B fest, dass die gewährte Akteneinsicht rechtswidrig war, soweit sie sich auf die bei der Verfügungsklägerin sichergestellten Unterlagen bezog.

Mit Schriftsatz vom 25.7.2007 beantragte die in der Kanzlei des Verfügungsbeklagten tätige Rechtsanwältin X für 90 namentlich genannte Mandanten unter Bezugnahme auf die Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Verfügungsklägerin bei der Staatsanwaltschaft B Akteneinsicht in die bei der Verfügungsklägerin sichergestellten Unterlagen. Dieser Antrag wurde sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch mit Beschluss vom 18.7.2007 (6 AR 53/07) von der von dem Verfügungsbeklagten angerufenen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts B abgewiesen.

In von ihm ins Internet gestellten Newslettern zitierte der Verfügungsbeklagte umfangreich aus den Unterlagen. Die Verfügungsklägerin forderte den Verfügungsbeklagten mit Schriftsatz vom 18.5.2007 auf, die streitgegenständlichen Aktenteile nicht zu verwenden, was der Verfügungsbeklagte zurückwies. In einem Schriftsatz vom 25.6.2007 legte der Verfügungsbeklagte Kopien von bei der Verfügungsklägerin beschlagnahmten Unterlagen in einem Zivilprozess eines seiner Mandanten gegen die Verfügungsklägerin bei dem Oberlandesgericht X vor.

Die Verfügungsklägerin hat den Verfügungsbeklagten auf Unterlassung der Einführung der streitgegenständlichen im Wege der Akteneinsicht erhaltenen Unterlagen für Mandanten in zivilrechtliche Verfahren gegen die Verfügungsklägerin, auf Unterlassung der Weitergabe an andere Rechtsanwälte und auf Unterlassung der Veröffentlichung im Internet, insbesondere durch wörtliche Zitate, in Anspruch genommen. Das Landgericht hat die beantragte einstweilige Verfügung in dem Urteil vom 22.8.2007 mit folgendem Wortlaut erlassen:

"I. Der Antragsgegner wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen,

1. bei der Klägerin im Rahmen des Strafverfahrens gegen Herrn B von der Staatsanwaltschaft B zu den Akten (Aktenzeichen) sichergestellte und/oder beschlagnahmte Aktenteile, in die der Antragsteller bzw. die in seiner Kanzlei tätige Frau Rechtsanwältin X aufgrund des Antrags auf Akteneinsicht vom 18.10.2006 Einsicht erlangt hat, als Beweismittel in für Mandanten des Antragsgegners gegen die Antragstellerin geführte zivilrechtliche Verfahren einzuführen.

und/oder

2. Aktenteile gemäß Ziffer 1 und/oder deren Inhalt auf den Webseiten seiner Kanzlei zu veröffentlichen, insbesondere daraus wörtlich zu zitieren."

Gegen die Verurteilung zur Unterlassung der Einführung als Beweismittel in Ziffer I 1 wendet sich der Verfügungsbeklagte mit seiner zulässigen Berufung, soweit davon 90 näher bezeichnete Mandatsverhältnisse betroffen sind. Rechtsfehlerhaft berücksichtige das Landgericht in dem angefochtenen Urteil nur das Akteneinsichtsgesuch vom 18.10.2006 für 2 Mandanten wegen Ansprüchen gegen die Y Bausparkasse. Das Landgericht habe jedoch nicht berücksichtigt, dass Rechtsanwältin X aus seiner Kanzlei unter dem 25.5.2007 für diese Mandanten unter näherer Darlegung des rechtlichen Interesses bei der Staatsanwaltschaft B Akteneinsicht beantragt habe. Diese Mandanten hätten ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 406 e StPO. Die Verwendung der Informationen aus der Akteneinsicht zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche halte sich im Rahmen der Zweckbindung.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts sei die Entscheidung der Wirtschaftsstrafkammer zu diesem Akteneinsichtsgesuch (Beschluss vom 18.7.2007) auch nicht unvollständig. Bei einer Abwägung der Rechte der Mandanten des Verfügungsbeklagten und der Rechte der Verfügungsklägerin stünde diesen eine Akteneinsicht zu. Der Beschluss vom 18.7.2007 gewähre das Akteneinsichtsrecht, es werde nur von einer erneuten Übersendung abgesehen, weil die Akten bereits vorlägen. Eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Verwendung der Informationen sei daher nicht erforderlich.

Der Verfügungsbeklagte hat beantragt,

in Abänderung der Ziffer 1 des Urteils des Landgerichts G Az. 5 O 174/07 vom 22.8.2007 wird der Verfügungsbeklagte verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen,

bei der Klägerin im Rahmen des Strafverfahrens gegen Herrn B von der Staatsanwaltschaft B zu den Akten (Aktenzeichen) sichergestellte und/ oder beschlagnahmte Aktenteile, in die der Verfügungsbeklagte bzw. die in seiner Kanzlei tätige Frau Rechtsanwältin X aufgrund des Antrags auf Akteneinsicht vom 18.10.2006 Einsicht erlangt hat, als Beweismittel in für Mandanten des Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin geführt zivilgerichtliche Verfahren einzuführen, soweit es sich um Verfahren handelt, die nicht für diejenigen Mandanten des Verfügungsbeklagten geführt werden, die auf der als Anlage 1 zu diesem Urteil genommenen Liste verzeichnet sind.

Die Verfügungsklägerin hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Verfügungsklägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung. Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass alle in der Anlage zur Berufungsbegründung genannten Personen Mandanten des Beklagten seien. Ob die genannten Personen Eigentumswohnungen in den in dem Akteneinsichtsgesuch genannten Objekten in L, G und H erworben hätten, könne die Verfügungsklägerin nur mit unzumutbarem Aufwand prüfen, weshalb sie das vorsorglich bestreite. Hinsichtlich der Kunden .... könne der Verfügungsbeklagte keine Akteneinsicht erhalten, weil die Verfahren entweder rechtskräftig entschieden oder durch einen Vergleich beendet worden seien.

Die Akten beträfen das Verfahren gegen B, dessen Verfahren ohne eine Verurteilung wegen Betruges hinsichtlich des Komplexes L mit einer rechtskräftigen Verurteilung in anderer Sache abgeschlossen sei. Wie die Wirtschaftsstrafkammer rechtskräftig festgestellt habe, sei die auf Grund des Antrages vom 18.10.2006 in die hier streitgegenständlichen Aktenteile mit sichergestellten Unterlagen der Verfügungsklägerin gewährte Akteneinsicht rechtswidrig gewesen. Die Verwendung durch den Verfügungsbeklagten sei rechtswidrig.

Das Akteneinsichtsgesuch vom 25.5.2007 könne diesen Verstoß nicht "heilen". Es komme daher nicht darauf an, ob die Wirtschaftsstrafkammer in dem Beschluss vom 18.7.2007 ein Akteneinsichtsrecht der 90 aufgezählten Mandanten bejaht habe, was nicht der Fall sei. Auch eine Zustimmung zur Verwendung sei darin nicht enthalten.

Der Verfügungsbeklagte stehe für seine Mandanten auch kein Akteneinsichtsrecht gemäß § 406 e StPO zu. Die Mandanten seien keine Verletzten in dem Verfahren gegen B. Die Mitarbeiter der Verfügungsklägerin seien keine Beschuldigte im diesem Verfahren. Ein Akteneinsichtsrecht ergebe sich auch nicht aus § 475 StPO, denn die Verfügungsklägerin habe ein schutzwürdiges Interesse an der Versagung der Akteneinsicht. Es handele sich um Geschäfts und Betriebsgeheimnisse, nämlich um Kreditprotokolle, interne Kreditrichtlinien und interne Bewertungsgutachten, die auch bei der Verfügungsklägerin nur einem kleinen Kreis unter besonderen Vorkehrungen zur Geheimhaltung zugänglich seien und selbst den betroffenen Kunden nicht zur Verfügung gestellt würden. Den Mandanten des Verfügungsbeklagten stünden die Möglichkeiten der ZPO zu, um eine Vorlage von Unterlagen zu erreichen.

Im Termin vom 4.3.2008, zu dem für den Verfügungsbeklagten niemand erschienen ist, hat der Senat auf Bedenken hinsichtlich der Fassung des Urteilstenors hingewiesen. Die Verfügungsklägerin hat ihren Antrag präzisiert und den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt. Am 11.3.2008 hat der Senat ein (ausnahmsweise wegen der zu entscheidenden Rechtsfragen mit Gründen versehenes) Versäumnisurteil mit folgendem Tenor in der Hauptsache erlassen:

Die Berufung des Verfügungsbeklagten gegen das Urteil des Landgerichts G vom 22.8.2007 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass Ziffer I 1 des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 22.8.2007 wie folgt lautet:

Der Verfügungsbeklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten zu unterlassen, bei der Verfügungsklägerin im Rahmen des Strafverfahrens gegen Herrn B von der Staatsanwaltschaft B zu den Akten (Aktenzeichen) sichergestellte und/ oder beschlagnahmte Aktenteile, in die der Verfügungsbeklagte bzw. die in seiner Kanzlei tätige Frau Rechtsanwältin X aufgrund des Antrags auf Akteneinsicht vom 18.10.2006 Einsicht erlangt hat, zu Beweiszwecken seinen Mandanten in gegen die Verfügungsklägerin geführten zivilrechtlichen Verfahren zur Verfügung zu stellen, soweit nicht eine wirksame Zustimmung der zuständigen Strafverfolgungsbehörde gemäß § 477 Abs. 5 Satz 2 StPO vorliegt.

Gegen das ihm am 17.3.2008 zugestellte Versäumnisurteil hat der Verfügungsbeklagte mit Schriftsatz vom 31.3.2008, eingegangen am selben Tag, Einspruch eingelegt und diesen begründet. Mit dem Einspruch verfolgt er seinen Berufungsantrag weiter. Der Verfügungsbeklagte macht geltend, dass kein Fall der Säumnis vorgelegen habe. Sein Prozessbevollmächtigter sei plötzlich erkrankt. Es habe nicht verlangt werden können, dass sich der Verfügungsbeklagte selbst vertrete oder sich durch einen anderen Rechtsanwalt seiner Kanzlei vertreten lasse.

Der neue Antrag und der Urteilstenor gingen über den erstinstanzlichen Antrag hinaus und dienten nicht nur der Klarstellung, denn der erstinstanzliche Antrag sei eindeutig. Nun sei es dem Verfügungsbeklagten untersagt, diejenigen Mandanten, für die späterhin erneut Akteneinsicht genommen werden sollte, von den diese betreffenden Erkenntnissen aus der bereits erfolgten Akteneinsicht zu unterrichten. Der Senat sei an die Berufungsanträge gebunden. Im übrigen verweist der Berufungsbeklagte auf seinen bisherigen Vortrag.

Mit Schriftsatz vom 23.5.2008 trägt der Verfügungsbeklagte zu seinen weiteren Bemühungen um Akteneinsicht bzw. Zustimmung dazu wie folgt vor. Am 10.9.2007 hat die in seiner Kanzlei tätige Rechtsanwältin Y für 2 Mandanten die Zustimmung der Staatsanwaltschaft gemäß § 477 V StPO zur Verwendung der bereits vorliegenden Kopien aus der Akteneinsicht für diese Mandanten beantragt. Dieser Antrag wurde mit Schreiben der Staatsanwaltschaft B vom 11.9.2008 zurückgewiesen. Mit Beschlüssen vom 6.12.2007 (6 AR 71/07 und 6 AR 72/07) hat die Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts B die Anträge ebenfalls zurückgewiesen. Unter Hinweis auf das Versäumnisurteil des Senats hat die in der Kanzlei des Verfügungsbeklagten tätige Rechtsanwältin Y für zahlreiche näher bezeichnete Mandanten die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zur Verwendung der Unterlagen gemäß § 477 V StPO beantragt. Dieser Antrag ist mit Verfügung vom 20.5.2008 von der Staatsanwaltschaft zurückgewiesen worden.

Der Verfügungsbeklagte ist der Ansicht, dass seine Mandanten einen Anspruch auf Akteneinsicht bzw. Zustimmung zur Verwendung der Unterlagen gemäß § 477 V StPO hätten. Die bisherigen Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und der Wirtschaftsstrafkammer seien unrichtig. Seine Mandanten hätten ein schutzwürdiges Interesse an der Verwendung dieser Unterlagen, denn damit ließe sich belegen, dass die Verfügungsklägerin in institutionalisiertem Zusammenwirken mit den Vertreibern und Verkäufern der "Schrottimmobilien" gehandelt und die entscheidenden Umstände gekannt habe, über die die Anleger getäuscht worden seien. Die Verfügungsklägerin sei nicht schutzwürdig. Trotz Kenntnis der hier streitbefangenen Unterlagen bestreite die Verfügungsklägerin in den Verfahren gegen seine Mandanten wahrheitswidrig den sich aus den Unterlagen ergebenden Sachverhalt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 23.5.2008 nebst Anlagen verwiesen.

Die Verfügungsklägerin verteidigt das Versäumnisurteil. Sie bestreitet die Erkrankung des Prozessbevollmächtigten des Verfügungsbeklagten mit Nichtwissen im Hinblick auf Ungereimtheiten, die sich aus dem Attest und dessen Übersendung ergäben. Der neue Antrag/ Tenor ginge nicht über den erstinstanzlichen hinaus.

II.

Der Einspruch des Verfügungsbeklagten gegen das Versäumnisurteil des Senats vom 11.3.2008 ist zulässig, führt jedoch im Ergebnis nicht zu einer anderen Entscheidung. Die zulässige Berufung des Verfügungsbeklagten ist unbegründet.

Der Verfügungsklägerin steht der geltend gemachte Verfügungsanspruch gemäß § 1004 BGB in Verbindung mit §§ 823 II BGB, 477 V, 406 e VI StPO zu. Die Regeln über die Zweckbindung der im Wege der Akteneinsicht erlangten personenbezogenen Informationen stellen ein Schutzgesetz zugunsten der Personen dar, über die personenbezogene Informationen im Strafverfahren erhoben und zum Akteninhalt geworden sind. Auch der Verfügungsklägerin als juristischer Person steht das Recht auf informationelle Selbstbestimmung zu. Bei den sichergestellten Unterlagen handelt es sich nach dem Vortrag der Verfügungsklägerin um vertrauliche Unterlagen, die auch den jeweiligen Kunden nicht bekannt gemacht werden. Das ist von dem Verfügungsbeklagten nicht bestritten worden.

Der Verfügungsbeklagte verstößt gegen die Vorschriften des § 477 V StPO, indem er die im Wege der Akteneinsicht durch seine Mitarbeiterin Rechtsanwältin X erlangten Kopien aus Aktenteilen, die bei der Verfügungsklägerin im Rahmen des Ermittlungsverfahrens sichergestellt worden sind, und die darin enthaltenen Informationen für die in der von ihm vorgelegten Liste aufgeführten Mandanten gegen die Verfügungsklägerin verwendet bzw. zu verwenden beabsichtigt und sie damit seinen Mandanten zu Beweiszwecken zur Verfügung stellt. Die Verantwortung für die Übermittlung der Informationen trägt der Verfügungsbeklagte als Rechtsanwalt gemäß § 477 IV 1 StPO selbst.

Unstreitig hat der Verfügungsbeklagte Kopien der streitgegenständlichen Aktenteile im Rahmen einer Akteneinsicht in die im Tenor des Versäumnisurteils genannten Strafakten auf Grund des Akteneinsichtsgesuchs der in seiner Kanzlei tätigen Rechtsanwältin X vom 18.10.2006 (Anlage EVK 3) erhalten. Dieses war für die Mandanten T und G im Hinblick auf Ansprüche gegen die Y Bausparkasse gestellt worden. Gemäß § 477 V StPO, der gemäß § 406 e VI StPO auch für die Akteneinsicht gemäß § 406 e StPO gilt, dürfen die so erlangten personenbezogenen Informationen nur zu dem Zweck verwendet werden, für den die Akteneinsicht gewährt wurde, also nur für die Mandanten T und G gegen die Y Bausparkasse. Die Verwendung für andere Mandanten gegenüber der Verfügungsklägerin fällt nicht darunter. Hinzu kommt, dass das Landgericht Braunschweig auf Antrag der Verfügungsklägerin mit Beschluss vom 24.4.2007 (Anlage EVK 7) festgestellt hat, dass die gewährte Akteneinsicht rechtswidrig war, soweit sie sich auf die hier im Streit stehenden Aktenteile bezog, die bei der Verfügungsklägerin sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden.

Eine Verwendung der im Wege der Akteneinsicht auf Grund des Antrages vom 18.10.2006 erlangten Informationen aus den streitgegenständlichen Aktenteilen für andere Zwecke als im Antrag vom 18.10.2006 genannt ist gemäß § 477 V StPO nur zulässig, wenn dafür Auskunft oder Akteneinsicht gewährt werden dürfte und die Akteneinsicht gewährende Stelle zustimmt. Insofern kann sich der Verfügungsbeklagte nicht auf einen etwaigen Beweisnotstand seiner Mandanten berufen, denn das Gesetz sieht eine zulässige und grundsätzlich zumutbare Möglichkeit vor, dem abzuhelfen, nämlich eine Zustimmung der Strafverfolgungsbehörde gemäß § 477 V StPO einzuholen.

Es kann hier dahin stehen, ob dem Verfügungsbeklagten für die von ihm genannten 90 Mandanten gemäß §§ 475, 406 e StPO Akteneinsicht in die streitgegenständlichen von der Verfügungsklägerin stammenden Aktenteile gewährt werden dürfte. Eine Zustimmung der Staatsanwaltschaft oder eine diese ersetzende Entscheidung der zuständigen Wirtschaftsstrafkammer zur Verwendung der streitgegenständlichen Aktenteile für diese 90 Mandanten liegt bisher nicht vor. Soweit sie noch erteilt wird, greift die zur Klarstellung eingefügte Einschränkung in dem Urteilstenor des Versäumnisurteils des Senats.

Die in der Kanzlei des Verfügungsbeklagten tätige Rechtsanwältin X hat zwar mit Schreiben vom 25.5.2007 bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig Akteneinsicht für dort näher genannte Mandanten entsprechend der Liste zum Berufungsantrag in diesem Verfahren in dort näher bezeichnete Unterlagen, die bei der Verfügungsklägerin sichergestellt bzw. beschlagnahmt wurden, beantragt. Dieser Antrag ist jedoch sowohl von der Staatsanwaltschaft als auch mit Beschluss vom 18.7.2007 von der Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts B abgewiesen worden. Die Wirtschaftsstrafkammer hat die beantragte Akteneinsicht abgelehnt, weil die maßgeblichen Aktenteile bereits vorlagen und im übrigen die Mandanten des Verfügungsbeklagten nach den Regeln der §§ 421 ff ZPO im Prozess Beweis antreten könnten.

Wie das Landgericht G in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausführt, könnte das Akteneinsichtsgesuch vom 25.5.2007 zwar der Sache nach auch als ein Antrag gemäß § 477 V 2 StPO auf Zustimmung zur Verwendung der Informationen aus bereits vorhandenen Aktenteile zu den in dem Schreiben vom 25.5.2007 genannten Zwecken ausgelegt werden. Über einen Antrag gemäß § 477 V 2 StPO haben jedoch weder die Staatsanwaltschaft noch die Wirtschaftsstrafkammer in ihrem Beschluss vom 18.7.2007, und zwar entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten auch nicht konkludent, entschieden. Auch aus den weiteren von dem Verfügungsbeklagten vorgelegten Entscheidungen der Staatsanwaltschaft und der Wirtschaftsstrafkammer ergibt sich keine Zustimmung zur Verwendung der durch die Akteneinsicht erlangten Informationen für die in diesem Verfahren maßgeblichen Mandanten des Verfügungsbeklagten.

Wie das Landgericht G in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausführt, sind allein die Staatsanwaltschaft und ggf. auf Antrag eines Beteiligten die zuständige Wirtschaftsstrafkammer, nicht jedoch das Zivilgericht in diesem Verfahren dazu berufen, die Entscheidung gemäß § 477 V 2 StPO zu treffen, die nur in Kenntnis der Strafakten sachgerecht getroffen werden kann.

Dem Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin steht auch nicht entgegen, dass die Frage, ob die in einen Zivilprozess eingeführten Unterlagen zulässige Beweisantritte darstellen, in den einzelnen Verfahren der Mandanten des Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin von den dort tätigen Gerichten zu entscheiden ist und das hiesige Verfahren mittelbar Einfluss auf die Beweislage in anhängigen oder künftigen Rechtsstreitigkeiten der Mandanten des Verfügungsbeklagten gegen die Verfügungsklägerin hat. Anders als bei Abwehrklagen gegen ehrkränkende Äußerungen, die der Rechtsverfolgung oder verteidigung in einem gerichtlichen Verfahren dienen, besteht bei rechtswidrig erlangten persönlichkeitsrechtsverletzenden Beweismitteln ein Rechtsschutzinteresse für eine Abwehrklage (vgl. BGH NJW 1988, 1016ff für Tonbandaufzeichnungen von Telefongesprächen).

Hier richtet sich der Unterlassungsanspruch der Verfügungsklägerin nicht gegen die Mandanten des Verfügungsbeklagten sondern nur gegen diesen selbst, dem die Weitergabe bestimmter im Rahmen eines Mandats erlangter Informationen für andere Mandanten für bestimmte Zwecke untersagt wird, was mittelbare Auswirkungen auf die prozessuale Situation dieser Mandanten hat. Dies wird mit der Formulierung "zu Beweiszwecken seinen Mandanten in gegen die Verfügungsklägerin geführten zivilrechtlichen Verfahren zur Verfügung zu stellen" in dem Tenor des Versäumnisurteils des Senats klargestellt.

Die Prüfung des Prozessgerichts in den Verfahren zwischen der Verfügungsklägerin und den Mandanten des Verfügungsbeklagten, in die mit diesem Verfahren nicht eingegriffen wird, reicht als Schutz der Verfügungsklägerin allein nicht aus. Denn der Verfügungsbeklagte darf gemäß § 477 V StPO als Rechtsanwalt die personenbezogenen geschützten Informationen und Kopien von solche geschützten Informationen enthaltenden Unterlagen, die er im Rahmen eines Mandats im Wege der Akteneinsicht erhalten hat, schon nicht einem anderen Mandanten (und auch nicht sonstigen Dritten) zur Verfügung stellen, solange die Voraussetzungen des § 477 V StPO nicht vorliegen.

Das gilt sowohl für die Verwendung von Kopien der beschlagnahmten Unterlagen als auch für die inhaltliche Einführung der Unterlagen zu Beweiszwecken im Rahmen des Sachvortrages nebst Beweisantritt, z.B. unter Bezugnahme auf die Fundstelle in beizuziehenden Strafakten oder für einen Antrag, der Gegenseite die Vorlage der genau bezeichneten Urkunde aufzugeben. Die Formulierung in dem ursprünglichen Antrag und in dem angefochtenen Urteil "als Beweismittel... einführen" ist insofern ungenau, weil nur die Originalurkunde Beweismittel ist, die sich jedoch weiterhin bei der Staatsanwaltschaft befindet. Gemeint ist von der Verfügungsklägerin offensichtlich die übliche Verfahrensweise bei der Einführung aus Akteneinsicht erhaltener Erkenntnisse zur Beweisführung im Zivilprozess.

Dementsprechend war der Tenor gemäß § 938 ZPO zu präzisieren, wie es die Verfügungsklägerin nach Hinweis des Senats auch beantragt hat. Darin liegt weder eine Klageänderung noch eine Erweiterung des Berufungsantrages der Verfügungsklägerin. Vielmehr geht es der Verfügungsklägerin weiterhin um die Abwehr der Berufung des Verfügungsbeklagten, so dass auch § 335 I 3 ZPO nicht eingreift und ein Versäumnisurteil erlassen werden konnte (vgl. für derartige Fälle OLG Celle MDR 1993, 686). Entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten liegt darin auch kein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot, denn der Umfang des Verbots wird gegenüber dem erstinstanzlichen Urteil nicht erweitert. Es geht weiterhin um die Benutzung zu Beweiszwecken. Entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten wird ihm dadurch nicht verboten, sein Wissen aus der Akteneinsicht für andere Mandanten insofern zugunsten seiner Mandanten zu nutzen, als er damit einen Antrag auf Zustimmung gemäß § 477 V 2 StPO an die zuständige Strafverfolgungsbehörde richtet. Der Senat ist nicht an den Wortlaut des erstinstanzlichen Antrages der Verfügungsklägerin und des erstinstanzlichen Urteils gebunden. Der Tenor darf klarer gefasst werden (vgl. Zöller/ Gummer/ Heßler 26. Aufl. § 528 ZPO Rn. 31). Erst recht gilt das gemäß § 938 ZPO im einstweiligen Verfügungsverfahren.

Es besteht auch Wiederholungsgefahr, denn der Verfügungsbeklagte hat unstreitig Teile der im Rahmen der Akteneinsicht erlangten Unterlagen außerhalb der Zweckbestimmung der Akteneinsicht in dem Verfahren vor dem Oberlandesgericht X verwendet. Außerdem verteidigt er sein Vorgehen weiterhin ohne Einschränkungen, soweit es nicht unter den nicht angefochtenen Teil des Urteils des Landgerichts Göttingen fällt. Solange keine Zustimmung der zuständigen Strafverfolgungsbehörde vorliegt, handelt der Verfügungsbeklagte rechtswidrig. Diese Einschränkung, die bereits in den Urteilsgründen des angefochtenen Urteils zum Ausdruck kommt, ist zur Klarstellung in den Urteilstenor aufgenommen worden.

Da Wiederholungsgefahr besteht und erhebliche Beeinträchtigungen durch die Weitergabe der Geschäftsgeheimnisse der Verfügungsklägerin drohen, liegt ein Verfügungsgrund gemäß § 940 ZPO vor. Es kann dahin stehen, ob Situationen denkbar sind, in denen der Verfügungsanspruch oder der Verfügungsgrund eventuell entfallen, wenn offensichtlich ein Anspruch auf Akteneinsicht bzw. auf Zustimmung der Staatsanwaltschaft vorliegt und ein dringendes Bedürfnis für die Verwendung der Unterlagen besteht, so dass die zeitliche Verzögerung durch Einholung der Zustimmung zu nicht behebbaren Nachteilen für die Mandanten führen würde.

Hier könnte zwar einiges für einen Anspruch der Mandanten auf Zustimmung zur Verwendung der streitgegenständlichen Aktenteile sprechen, denn ohne diese Zustimmung haben die Mandanten schwer wiegende Nachteile bei der Prozessführung. Der Verfügungsbeklagte darf ihnen bereits die Informationen aus den Unterlagen und nicht nur die Kopien dieser Unterlagen nicht zur Verfügung stellen, so dass ihnen auch der Weg über Vorlegungsanträge gemäß §§ 421 ff ZPO versperrt ist, weil in diesen Anträgen und dem dazugehörigen Sachvortrag die Informationen im einzelnen näher darzulegen sind. Ein Vortrag ins Blaue hinein verbunden mit einem Antrag, umfangreiche Akten ohne nähere Angabe der Fundstelle und des Inhalts beizuziehen, genügt nach den Regeln der ZPO nicht für einen sachgerechten Vortrag im Zivilprozess, weil das auf Ausforschung und Amtsermittlung hinausläuft. Auf der anderen Seite ist die Verfügungsklägerin nur begrenzt schutzwürdig, wenn sich aus den sichergestellten Aktenteilen wie von dem Verfügungsbeklagten behauptet ergeben sollte, dass ihre Mitarbeiter sich an Täuschungen der Mandanten des Verfügungsbeklagten in eventuell sogar strafbarer Weise beteiligt haben.

Hier ist es jedoch sowohl den Mandanten des Verfügungsbeklagten als auch diesem selbst zuzumuten, den gesetzlich vorgesehenen Weg zu den für die Akteneinsicht zuständigen Strafverfolgungsbehörden mit den dort möglichen Rechtsbehelfen zu gehen. Eine Ausnahmesituation liegt hier nicht vor. Seit der Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 22.8.2007, in der diese Problematik ausführlich erörtert wurde, hatte der Verfügungsbeklagte genügend Zeit, sich um die Zustimmung der Staatsanwaltschaft zu bemühen. Auch der Senat hat im Beschluss vom 15.1.2008 nochmals auf diese Problematik hingewiesen. Wie der zeitliche Ablauf der Anträge des Verfügungsbeklagten bzw. der in seiner Kanzlei für ihn tätigen Rechtsanwälte bei den Strafverfolgungsbehörden zeigt, sieht er die Anträge selbst als zeitlich nicht so dringlich an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Der Schriftsatz vom 02.06.2008 führt nicht zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 256 ZPO).

Ende der Entscheidung

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