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Gericht: Oberlandesgericht Braunschweig
Beschluss verkündet am 10.09.2009
Aktenzeichen: 2 W 155/09
Rechtsgebiete: RVG, ZPO


Vorschriften:

RVG § 15 a
RVG § 15 a Abs. 2
RVG § 60 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 104
ZPO § 104 Abs. 1 Satz 2
ZPO § 319
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Geschäftszeichen: 2 W 155/09

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Weber-Petras, den Richter am Oberlandesgericht Dr. Redant und den Richter am Oberlandesgericht Wichmann am 10. September 2009 beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2 wird der Kostenfestsetzungsbeschluss II des Landgerichts Braunschweig vom 20.7.2009 dahin abgeändert, dass die von dem Kläger aufgrund des Beschlusses des Oberlandesgerichts Braunschweig (Vergleich) vom 15.4.2009 an den Beklagten zu 2 insgesamt zu erstattenden Kosten auf 2.823,96 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 27.4.2009 festgesetzt werden.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger nach einem Beschwerdewert von 546,91 € zu tragen.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger hat gegen die beiden Beklagten Zahlungs- und Freistellungsansprüche wegen einer von ihm getätigten Kapitalanlage geltend gemacht. In der Berufungsinstanz haben die Parteien einen Vergleich geschlossen, wonach u.a. der Kläger 85 % der außergerichtlichen Kosten beider Instanzen einschließlich der Vergleichskosten des Beklagten zu 2 zu tragen hat. Mit Antrag des Beklagten zu 2 vom 23.4.2009 und vom 13.5.2009 hat dieser Kosten in Höhe von 3.322,31 € zur Kostenausgleichung angemeldet. Das Landgericht Braunschweig hat in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss II vom 20.7.2009 die von dem Kläger an den Beklagten zu 2 zu erstattenden Kosten auf 2.277,05 € nebst Zinsen festgesetzt. Dabei hat es entsprechend der Stellungnahme des Klägers wegen der unstreitigen vorgerichtlichen Tätigkeit des Beklagtenvertreters die Hälfte der vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr, also eine 0,65 Gebühr, auf die erstinstanzliche Verfahrensgebühr angerechnet. Der Beklagte zu 2 hatte dagegen eingewandt, dass seine Prozessbevollmächtigten ihm gegenüber keine vorgerichtliche Geschäftsgebühr abgerechnet hätten, weil er zahlungsunfähig sei.

Gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss II wendet sich der Beklagte zu 2 mit seiner sofortigen Beschwerde vom 7.8.2009. Er macht geltend, dass inzwischen mit dem Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und im notariellen Berufsrecht vom 30.7.2009 am 5.8.2009 § 15 a RVG in Kraft getreten sei, der auch auf Altfälle Anwendung finde und eine Anrechnung im Kostenfestsetzungsverfahren verbiete. Das Landgericht hat nach Anhörung des Klägers, der keine Stellungnahme abgegeben hat, der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Es sei die Übergangsvorschrift des § 60 I RVG anzuwenden, so dass hier § 15 a RVG nicht anwendbar sei. Die Einzelrichterin hat mit Beschluss vom 7.9.2009 das Verfahren wegen grundsätzlicher Bedeutung dem Senat übertragen.

II.

Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 2 gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss II des Landgerichts Braunschweig vom 20.7.2009 ist zulässig und in der Sache begründet, denn gemäß des in diesem Fall anwendbaren § 15 a RVG findet eine Anrechnung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nicht statt. Daneben sind Rechenfehler gemäß § 319 ZPO von Amts wegen zu korrigieren. Im Einzelnen:

Am 5.8.2009 ist gemäß Art. 10 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften dessen Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 nach der Verkündung im Bundesgesetzblatt I Nr. 50 von 2009 vom 4.8.2009 in Kraft getreten, mit dem § 15 a RVG in das RVG eingefügt wurde. Nach § 15 a II RVG kann sich der Kläger bei der Berechnung der im Wege der Kostenausgleichung zu erstattenden Kosten des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 2 auf die in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG angeordnete Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr gemäß Ziffer 3100 nicht berufen.

Diese Vorschrift ist ab Inkrafttreten anwendbar, denn es gibt keine Übergangsvorschrift, die abweichendes regelt. Das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften enthält für Art.7 Abs. 4 Nr. 3, der § 15 a RVG einführt, keine Übergangsregelungen. Auch § 60 I RVG ist hier nicht anwendbar.

Entgegen der Ansicht des OLG Stuttgart (Beschluss vom 11.8.2009 8 W 339/09 zitiert nach Juris) beinhaltet § 15 a RVG eine Gesetzesänderung und stellt nicht lediglich eine Klarstellung des Gesetzgebers zu den bisherigen Anrechnungsregeln in Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG dar, um die in Folge der Rechtsprechung des BGH (vgl. u.a. Beschluss vom 22.1.2008 NJW 2008, 1323) entstandenen vielfältigen Probleme in Bezug auf die Anrechnung der außergerichtlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu beheben (anderer Ansicht als OLG Stuttgart auch: OLG Frankfurt Beschluss vom 10.8.2009 12 W 91/09; KG Beschluss vom 13.8.2009 2 W 128/09; OLG Celle Beschluss vom 26.8.2009 2 W 240/09 alle zitiert nach Juris).

Die Rechtsprechung des BGH stützt sich auf den Wortlaut von Teil 3 Vorbemerkung 3 Absatz 4 VV RVG und darauf, dass die Gesetzesbegründung zum Kostenmodernisierungsgesetz (Bundestagsdrucksache 15/1971, S. 209) nicht erkennen lässt, dass der Gesetzgeber sich überhaupt mit diesen Praxisdetails beschäftigt hat (vgl. BGH Beschluss vom 22.1.2008 NJW 2008, 1323). Als Begründung für die Einführung von § 15 a RVG durch das Gesetz zur Modernisierung von Verfahren im anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften wurde zu dem Gesetzesentwurf ausgeführt, dass das Verständnis des BGH von den Anrechnungsvorschriften zu unbefriedigenden Ergebnissen in der Kostenfestsetzung führe. Ziel der Vorschrift sei, den mit den Anrechnungsvorschriften im Kostenmodernisierungsgesetz verfolgten Gesetzeszweck zu wahren, zugleich aber unerwünschte Auswirkungen der Anrechnung zum Nachteil des Auftraggebers zu vermeiden (vgl. Bundestagsdrucksache 16/12717 vom 22.4.2009 S. 67f). Damit nimmt der Gesetzgeber selbst nicht in Anspruch, dass der mit der Gesetzesänderung eingetretene Regelungsgehalt bereits in der bisherigen Fassung der Anrechnungsvorschrift enthalten gewesen sei (ebenso: KG Beschluss vom 13.8.2009 2 W 128/09; OLG Celle Beschluss vom 26.8.2009 2 W 240/09 alle zitiert nach Juris).

Der Umstand, dass eine Gesetzesänderung vorliegt, führt jedoch nicht dazu, dass die Übergangsvorschrift des § 60 I RVG auch für diesen Fall Anwendung findet (so aber ohne nähere Begründung: OLG Frankfurt Beschluss vom 10.8.2009 12 W 91/09; KG Beschluss vom 13.8.2009 2 W 128/09; OLG Celle Beschluss vom 26.8.2009 2 W 240/09 alle zitiert nach Juris). § 60 I RVG bezieht sich nur auf die Berechnung der Vergütung des Rechtsanwalts (ebenso zu § 134 BRAGO: BVerfG NJW 1996, 382f). Das RVG regelt in erster Linie das Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant hinsichtlich der Vergütung der Tätigkeit des Rechtsanwalts. Ändern sich die Gebührentabellen oder andere Vorschriften zur Berechnung der Vergütung zwischen Rechtsanwalt und Mandant, so soll § 60 I RVG für beide Parteien des Rechtsanwaltsvertrages Vertrauensschutz insofern gewährleisten, dass die Vergütung nicht höher aber auch nicht niedriger ist, als bei Auftragserteilung bzw. bei Auftragsbeginn in den anderen dort genannten Fällen von beiden Beteiligten nach der dann geltenden Gebührenregelung zu erwarten.

§ 15 a II RVG betrifft jedoch nicht die Berechnung der Vergütung zwischen Rechtsanwalt und Mandant, auf die § 60 I RVG abstellt, sondern lässt diese unangetastet. Die Regelung betrifft vielmehr die Frage, in welcher Höhe ein Dritter dem Mandanten des Rechtsanwalts Rechtsanwaltsgebühren zu erstatten hat, wenn die Erstattungspflicht nur für einen Teil der im Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant aufeinander anzurechnenden Rechtsanwaltsgebühren in Betracht kommt. Es geht um die Folgewirkungen für in anderen Gesetzen, in diesem Fall in §§ 91, 104 ZPO, geregelte Sachverhalte. Insofern hatte das Kostenmodernisierungsgesetz von 2004 nach seinem Wortlaut, auf den in der Folgezeit der BGH abgestellt hat, gegenüber der Praxis nach der BRAGO zu einer Änderung der Kostenerstattung im Kostenfestsetzungsverfahren geführt, die der Gesetzgeber nicht bedacht hatte und die er mit dem neuen § 15 a RVG ändern will.

Es entspricht auch dem Zweck des neuen § 15 a RVG, diesen wegen des Fehlens einer Übergangsvorschrift mit Inkrafttreten auf alle ab diesem Zeitpunkt zu entscheidenden Fälle anzuwenden. Der Gesetzgeber des § 15 a RVG will zwar wie oben näher erörtert nicht eine schon mit dem Kostenmodernisierungsgesetz gewollte Regelung gegenüber der abweichenden Rechtsprechung durchsetzen (so im Ergebnis OLG Stuttgart Beschluss vom 11.8.2009 8 W 339/09 zitiert nach Juris). Es sollen jedoch die bei Erlass des Kostenmodernisierungsgesetzes nicht bedachten Auswirkungen auf die Kostenfestsetzung geändert werden, die dem Gesetzeszweck des Kostenmodernisierungsgesetzes widersprechen. Eine diesem Zweck entsprechende Regelung soll so weitgehend wie möglich erreicht werden.

Gegen diese Auslegung sprechen auch nicht Gesichtspunkte des Vertrauensschutzes. Inwieweit von einem Dritten, insbesondere dem Prozessgegner, die Erstattung der Rechtsanwaltskosten erlangt werden kann, hängt von vielen Unwägbarkeiten ab. In vielen Fällen ergibt sich aus der Einführung des § 15 a RVG auch nur eine Änderung des prozessualen Weges zur Durchsetzung (Kostenfestsetzungsverfahren oder Klageverfahren). Derjenige, der auf Erstattung in Anspruch genommen wird, hat in der Regel keinen Einfluss darauf, ob der Rechtsanwalt des Gegners für eine vorgerichtliche Tätigkeit eine anzurechnende Geschäftsgebühr verdient oder nicht, denn das hängt vom Innenverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant ab.

III.

Der Kostenerstattungsanspruch berechnet sich daher unter Korrektur von dem Landgericht unterlaufenen Rechenfehlern gemäß § 319 ZPO wie folgt:

Den Prozessbevollmächtigten stehen für die erste Instanz nach dem festgesetzten Streitwert der Wertstufe bis 8.000 € folgende Beträge zu:

 - Verfahrensgebühr (1,3)535,60 €
- Terminsgebühr (1,2)494,40 €
- Tage- und Abwesenheitsgeld (1/6 weil 6 Termine)5,83 €
- Pauschale Nr. 7002 VV RVG20,00 €
- Mehrwertsteuer auf vorherige Positionen200,61 €
- Auslagen (Reisekosten)31,92 €
- Summe1.288,36 €

Für die zweite Instanz stehen ihnen folgende Positionen nach der Wertstufe bis 8.000 € zu:

 - Verfahrensgebühr (1,6) 659,20 €
- Terminsgebühr (1,2) 494,40 €
- Einigungsgebühr (1,3) 535,60 €
- Pauschale Nr. 7002 VV RVG 20,00 €
- Mehrwertsteuer auf vorherige Positionen 324,75 €
- Summe 2.033,95 €

Das ergibt eine Gesamtsumme von 3.322,31 €, von der der Kläger dem Beklagten zu 2 nach der Kostenverteilung im Vergleich im Rahmen der Kostenausgleichung 85 % zu erstatten hat, also 2.823,96 €. Hinzu kommen die Zinsen gemäß § 104 I 2 ZPO.

IV.

Die Kostenentscheidung bezüglich der Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 ZPO. Der Streitwert ergibt sich aus der Differenz zwischen dem vom Landgericht ausgesprochenen und dem in diesem Beschluss zugesprochenen Betrag. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 ZPO zuzulassen, weil die Frage der Übergangsregelung zu § 15 a RVG eine Vielzahl von Verfahren betrifft und die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte dazu uneinheitlich ist.

Ende der Entscheidung

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