Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: 2 U 49/06
Rechtsgebiete: HGB, BGB


Vorschriften:

HGB § 407 Abs. 1
BGB § 254 Abs. 1
1. Ist eine Deklarierung eines zu befördernden Gutes auch im so genannten EDI-Verfahren als Wertpaket möglich, begründet das Unterlassen eines Versenders, eine solche vorzunehmen, den Vorwurf des Mitverschuldens, wenn die versandte Ware den Empfänger nicht erreicht.

2. Das Mitverschulden des Versenders, der weder das Paket als Wertpaket deklariert noch darauf hingewiesen hat, dass ein besonders großer Schaden droht, überwiegt im Regelfall nicht das qualifizierte Organisationsverschulden des Frachtführers, der auf eine lückenlose Schnittstellenkontrolle verzichtet.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftszeichen: 2 U 49/06

Verkündet am: 19. April 2007

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen auf die mündliche Verhandlung vom 29. März 2007 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Blum, den Richter am Oberlandesgericht Friedrich und die Richterin am Oberlandesgericht Wolff für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung der Beklagten sowie der Berufung der Klägerin das Urteil des Landgerichts Bremen, 1. Kammer für Handelssachen, vom 12. April 2006 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 5.351,75 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 05.12.2002 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist Transportversicherer der B. AG und macht aus übergegangenem Recht aus einem Transportverlust einen Schadensersatzanspruch von € 10.551,15 geltend.

Die B. AG lässt im sogenannten EDI-Verfahren an ihre Kunden durch die Beklagte Pakete ausliefern. Bei einem am 21.08.2002 von der Beklagten durchgeführten Transport kamen von insgesamt 79 Paketen zwei für die R. -Markt GmbH & Co. KG in Bremen bestimmte Pakete mit angeblich insgesamt 100 Nokia-Handys des Typs 3330 abhanden.

Die Klägerin zahlte an die B. AG am 15.11.2002 eine Entschädigungsleistung von € 10.551,15 und erhielt unter dem 21.11.2002 von dieser alle Ansprüche aus dem betreffenden Transportvertrag abgetreten. Die Beklagte zahlte auf den Schaden € 510,- und berief sich im Übrigen vor allem darauf, dass sie kein qualifiziertes Verschulden treffe.

Das Landgericht Bremen hat mit Zwischenurteil über den Grund vom 29.10.2003 den Klaganspruch dem Grunde nach gemäß den §§ 67 Abs. 1 VVG, 398 BGB, 407, 425, 426, 428, 435 HGB sowie Ziffer 9.2 Abs. 4 der "Beförderungsbedingungen" für gerechtfertigt erklärt. Die Beklagte hafte für den Schadensfall in voller Höhe, denn ihr sei mangels ausreichender Schnittstellenkontrolle ein qualifiziertes Verschulden vorzuwerfen. Die Frage, ob sich die Klägerin ein Mitverschulden der B. AG entgegenhalten lassen müsse, bleibe dem Betragsverfahren überlassen.

Die hiergegen von der Beklagten eingelegte Berufung hat der erkennende Senat mit Urteil vom 18.11.2004 zurückgewiesen.

Im Betragsverfahren hat das Landgericht Bremen zum Mitverschuldenseinwand die Zeugen Stefan W. und Oswald L. vernommen und mit Schlussurteil vom 12. April 2006 unter Abweisung der weitergehenden Klage die Beklagte verurteilt, an die Klägerin € 5.607,78 nebst Zinsen von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2002 zu zahlen. Die Klägerin habe sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Mitverschulden von 50 % anrechnen zu lassen, denn die B. AG habe es sowohl unterlassen, die Pakete als Wertpakete zu deklarieren, als auch die Beklagte darauf hinzuweisen, dass ein außergewöhnlicher Schaden drohe. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, dass die Beklagte ein als Wertpaket deklariertes Paket mit größerer Sorgfalt als ein Standardpaket behandelt hätte, was der B. AG auch bekannt gewesen sei.

Gegen dieses Urteil hat die Klägerin Berufung eingelegt; die Beklagte wendet sich gegen das Urteil mit einer Anschlussberufung.

Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung eines Mitverschuldens vor allem mit dem Einwand, die Pakete seien im sogenannten EDI-Verfahren versandt worden und bei diesem ohne Begleitpapiere durchgeführten Versandverfahren sei eine gesonderte Behandlung der Pakete als Wertpakete gar nicht möglich.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bremen vom 12.04.2006 die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin weitere € 4.943,39 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.12.2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen,

sowie im Wege der Anschlussberufung,

unter Abänderung des Schlussurteils des Landgerichts Bremen vom 12.04.2006 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verweist darauf, dass auch im EDI-Versandverfahren Pakete als Wertpakete deklariert werden könnten und dann gesondert behandelt würden. Die Beklagte ist ferner der Ansicht, dass unter Berücksichtigung des von der B. AG unterlassenen Hinweises auf die Gefahr eines besonders hohen Schadens die der Klägerin zuzurechnende Mitverschuldensquote des Versenders bei nahezu 100 % liegen müsse.

Ergänzend wird auf das landgerichtliche Schlussurteil sowie auf die Berufungsschriftsätze nebst Anlagen der Parteien vom 26.07.2006, 10.08.2006, 23.08.2006, 16.10.2006, 23.10.2006, 24.11.2006, 19.02.2007 und vom 09.03.2007 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet, die zulässige Anschlussberufung der Beklagten ist nur zu einem geringen Teil begründet. Nach den Feststellungen des Landgerichts, die sich bezogen auf das EDI-Verfahren durch die Vernehmung des Zeugen Andreas P. durch den Senat bestätigt haben, hat sich die Klägerin gemäß § 254 Abs. 1 und Abs. 2 BGB eine Mitverschuldensquote von 50 % anrechnen zu lassen. Bei einem Gesamtschaden - unter Einschluss der Transportversicherungskosten - von € 11.723,50 verbleibt somit ein Zahlungsanspruch von € 5.861,75, auf den die Beklagten € 510,- geleistet hat. Der Klägerin sind daher aus übergegangenem Recht statt der vom Landgericht zuerkannten € 5.607,78 lediglich € 5.351,75 zuzusprechen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, von der abzuweichen der Senat keine Veranlassung sieht, greift der Mitverschuldenseinwand ein, wenn ein Versender von der ihm offen stehenden Möglichkeit, ein Paket mit wertvollem Inhalt als Wertpaket zu deklarieren, keinen Gebrauch macht, sofern die Beförderung bei Deklarierung als Wertpaket mit größerer Sorgfalt erfolgt. Dabei ist nicht erforderlich, dass bei wertdeklarierten Paketen eine lückenlose Schnittstellenkontrolle erfolgt (siehe BGH, NJW-RR 2007, 28, 30 m.w.N.). Nach der den Senat überzeugenden Aussage des Zeugen P. war eine solche Deklarierung als Wertpaket auch im sogenannten EDI-Verfahren bereits in der hier maßgeblichen Zeit (August 2002) möglich, weil die den Kunden zur Verfügung gestellte Software die Möglichkeit vorsah, Pakete als Wertpakete zu deklarieren; dementsprechend enthält der von der Klägerin vorgelegte im EDI-Verfahren erstellte Ausdruck des "UPS- EDI - Summary Manifests" die Rubrik "Declared Value", in der - für den Abholfahrer erkennbar - die Anzahl der als Wertpakete deklarierten Pakete aufgeführt wird. Die Software sah zudem die Möglichkeit vor, durch Anklicken einer gesonderten Funktion den Versicherungswert des Pakets anzugeben und hierüber einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen. Werden im EDI-Summary Manifest Pakete als Wertpakete angegeben, ist der Fahrer gehalten, sich diese Pakete gesondert aushändigen zu lassen und dem Verfahren für Wertpakete zuzuführen, wie es das Landgericht in seiner Beweisaufnahme festgestellt hat; Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, die gegen die Richtigkeit dieser Feststellungen des Landgerichts sprächen, sieht der Senat nicht. Die Möglichkeit, Pakete als Wertpakete zu deklarieren, ergab sich für die Brodos AG aus den Geschäftsbedingungen der Beklagten (siehe Ziffer 9.4 der "Beförderungsbedingungen"). Zudem hätte sich der B. AG als ordentlichem und vernünftigem Versender aufdrängen müssen, dass eine gesonderte Übergabe einer als Wertpaket deklarierten Sendung an den Fahrer bei dem EDI-Verfahren erforderlich ist (siehe BGH, a.a.O., S. 31, Rndr. 32).

Wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat, liegt ein Mitverschulden der B. AG auch darin, dass sie auf den den Haftungshöchstbetrag von DM 1.000,- erheblich überschreitenden Wert der Sendung nicht hingewiesen hat. Auf die weitere Begründung des Landgerichts wird Bezug genommen.

Der Senat teilt nicht die Ansicht der Beklagten, dass das der Klägerin anzurechnende Mitverschulden den vom Landgericht auf 50 % bemessenen Umfang übersteigt. Dabei überschneiden sich der Vorwurf der unterlassenen Deklarierung als Wertpaket und des unterlassenen Hinweises auf den besonders großen Schaden weitgehend. Für den Senat wiegt insgesamt das der Beklagten vorzuwerfende qualifizierte Organisationsverschulden nicht geringer als das Mitverschulden der B. AG als Versenderin, so dass eine hälftige Aufteilung des Schadens gerechtfertigt ist.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB, 91, 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO sind nicht gegeben.

Ende der Entscheidung

Zurück