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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 07.05.2002
Aktenzeichen: 3 U 78/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 249
Hat eine infolge eines Verkehrsunfalls körperlich geschädigte Person etwa drei Jahre nach dem erlittenen Schaden eine Fahrschule besucht, die Fahrerlaubnis für ein Kraftfahrzeug erworben und nimmt sie mit einem solchen am Straßenverkehr teil, so lässt sich jedenfalls nach Ablauf von fünf Jahren das Vorliegen eines fortwirkenden posttraumatischen Belastungssyndroms nach dem Klassifikationssystem ICD F 43.1 nicht feststellen.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

3 U 78/01= 6 O 386/00

Verkündet am: 7. Mai 2002

In Sachen

hat der 3. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 19. April 2002 unter Mitwirkung von

Vizepräsidentin des Oberlandesgerichts Derleder Richter am Oberlandesgericht Pauls Richterin am Oberlandesgericht Herrmann

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin zu 1. gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 12.07.2001 wird zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Bremen vom 12.07.2001 abgeändert.

Die Klagen beider Klägerinnen werden abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben zu tragen:

Die Klägerinnen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst;

von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten die Klägerin zu 1. 90 % und die Klägerin zu 2. 10 %;

von den Gerichtskosten die Klägerin zu 1. 90 % und die Klägerin zu 2. 10 %;

von den Kosten der Berufungsinstanz haben zu tragen: die Klägerinnen ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst;

von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten die Klägerin zu 1. 95 % und die Klägerin zu 2. 5 %;

Von den Gerichtskosten die Klägerin zu 1. 95 % und die Klägerin zu 2. 5 %;

Die Klägerin zu 1. kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Gründe:

Die Klägerinnen zu 1. und 2. haben die Beklagten wegen eines Verkehrsunfalls vom 28.04.1997 auf Ersatz materiellen und immateriellen Schadens in Anspruch genommen. Bei diesem Unfall wurden die Klägerinnen beim Überqueren eines Fußgängerüberweges von einem angehaltenen Motorroller erfasst, auf den der Beklagte zu 1. mit seinem bei der Beklagten zu 2. haftpflichtversicherten Pkw aufgefahren war und ihn nach vorn geschleudert hatte.

Die grundsätzliche Haftung der Beklagten für die unfallbedingten Schäden der Klägerinnen ist unstreitig.

Die Beklagte zu 2. hat an die Klägerin zu 1. ein Schmerzensgeld von DM 5.000,-- und an die Klägerin zu 2. ein Schmerzensgeld von DM 1.000,-- gezahlt.

Mit der Klage haben beide Klägerinnen höhere Schmerzensgeldbeträge, nämlich die Klägerin zu 1. ein insgesamt über DM 10.500,-- liegendes Schmerzensgeld und die Klägerin zu 2. ein weiteres Schmerzensgeld von DM 5.000,-- geltend gemacht und zudem Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für ihre materiellen und immateriellen Schäden und zwar hinsichtlich der Klägerin zu 1. für die Vergangenheit und Zukunft und hinsichtlich der Klägerin zu 2. nur für die Zukunft begehrt.

Die Klägerinnen haben vorgetragen, infolge des Verkehrsunfalls seien bei ihnen psychische Beeinträchtigungen eingetreten. Die Klägerin zu 1. leide an einer psychischen Verarbeitungsstörung mit phobischer Persönlichkeitsstörung, die sich insbesondere in Angstzuständen, vor allem beim Betreten einer Straße äußere und zudem zu diversen psychosomatischen Beschwerden, wie Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Schwindelanfälle, Schlafstörungen und Ohrensausen geführt habe.

Das Landgericht Bremen hat nach Beweisaufnahme wegen des Zustandes der Klägerin zu 1. durch Einholung eines schriftlichen nervenärztlichen Gutachtens des Sachverständigen Dr. G. und Anhörung des Sachverständigen zu seinem Gutachten die Beklagten zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von DM 10.000,-- an die Klägerin zu 1. verurteilt und die Einstandspflicht der Beklagten für zukünftige materielle und immaterielle Schäden der Klägerin zu 1. festgestellt. Die auf Feststellung der Haftung der Beklagten für materielle Schäden in der Vergangenheit gerichtete Klage der Klägerin zu 1. hat das Landgericht abgewiesen und ferner in vollem Umfang auch die Klage der Klägerin zu 2.

Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die Klägerin zu 2. hat ihre Berufung wieder zurückgenommen. Mit ihrer Berufung erstreben die Beklagten weiterhin Klagabweisung. Sie bestreiten die von der Klägerin zu 1. behaupteten psychischen Beeinträchtigungen, insbesondere die Angstzustände im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr und verweisen dazu auf den unstreitig genommenen Fahrunterricht der Klägerin zu 1. in der ersten Jahreshälfte 2000, die von ihr im Juli 2000 erfolgreich abgelegte Führerscheinprüfung und die anschließende Teilnahme als Autofahrerin am Straßenverkehr. Sie tragen zudem vor, nach den Beobachtungen eines von ihnen beauftragten Ermittlers bewege sich die Klägerin zu 1. als Fußgängerin sicher und zielgerichtet im Straßenverkehr.

Die Klägerin bleibt dabei, dass sie unfallbedingt unter starken psychischen Beeinträchtigungen vor allem im Straßenverkehr leide. So sei sie auch eine ängstliche Autofahrerin. Die Klägerin zu 1. hält das ihr zugesprochene Schmerzensgeld für unzureichend und meint, ein Betrag von insgesamt DM 20.000,-- sei angemessen. Den abgewiesenen Feststellungsantrag wegen des bereits entstandenen materiellen Schadens hat sie zunächst mit der Berufung weiterverfolgt, ihn aber sodann zurückgenommen und insoweit den zunächst hilfsweise angekündigten Antrag auf Zahlung von DM 23.758,43 als Hauptantrag gestellt. Mit diesem Antrag verlangt sie im Zusammenhang mit ihren Behandlungen nach dem Unfall durch den Dipl.-Psychologen G. und einer stationären Rehabilitationsmaßnahme Ersatz von Fahrtkosten und Verdienstausfall ihres Ehemannes als Begleitperson sowie Schadensersatz wegen eigenen Ausfalles bei der Haushaltstätigkeit.

Die Berufungen der Klägerin zu 1. und der Beklagten sind zulässig. Die Berufung der Klägerin zu 1. ist unbegründet. Dagegen hat die Berufung der Beklagten in der Sache Erfolg.

Die Klage der Klägerin zu 1. ist unbegründet.

Ihr stehen über die von der Beklagten zu 2. geleisteten Zahlungen keine weitergehenden Ansprüche auf Ersatz immateriellen oder materiellen Schadens zu.

Die Klägerin zu 1. hat nicht bewiesen, dass sie infolge des Unfalles vom 28.04.1997 psychische Beeinträchtigungen von einigem Gewicht erlitten hat.

Zwar ist der Sachverständige Dr. G. in seinem schriftlichen Gutachten vom 27.11.2000 und bei dessen Erläuterung vor dem Landgericht von einer posttraumatischen Belastungsstörung der Klägerin zu 1. mit chronischem Verlauf und einer beginnenden Persönlichkeitsveränderung ausgegangen. Er hat deshalb dringend psychiatrische und psychotherapeutische Hilfe bzw. Behandlungen für erforderlich gehalten. Von diesem Gutachten ist der Sachverständige bei seiner Anhörung vor dem Senat abgerückt, nachdem er erfahren hatte, dass die Klägerin zu 1. Fahrschulunterricht genommen und die Führerscheinprüfung bestanden hat sowie Auto fährt. Diese Umstände hat er bei seinen vorausgegangenen gutachterlichen Äußerungen nicht berücksichtigen können, weil er davon keine Kenntnis hatte. Nach der Überzeugung des Senats hat die Klägerin sie ihm bewusst verschwiegen. Dafür spricht, dass sie die Fahrprüfung im Juli 2000 - wenige Monate vor der Untersuchung des Sachverständigen am 27.10.2000 - abgelegt hatte und zudem insbesondere schriftsätzlich vorgetragen hat, sie habe dem Sachverständigen mitgeteilt, dass sie den Führerschein erworben habe. Diesen Erklärungen hat der Sachverständige mehrfach energisch widersprochen.

Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen vor dem Senat werden wesentliche Kriterien nach der Klassifikation F 43.1 für ein posttraumatisches Belastungssyndrom der Klägerin zu 1. durch den Fahrschulunterricht und die Führerscheinprüfung entwertet. Bei diesen Kriterien handelt es sich um Symptome wie belastende Erinnerungen, Träume, Belastung bei Hinweisen von Außen sowie körperliche und psychische Belastung bei der Konfrontation mit ähnlichen Situationen und ferner eine anhaltende Vermeidungsstrategie sowohl in gedanklicher als auch in praktischer aktiver Hinsicht. Damit lassen sich nach den Erklärungen des Sachverständigen der Fahrschulunterricht und die Fahrprüfung der Klägerin zu 1. nicht vereinbaren. Sie stellen bei einer posttraumatischen Belastungsstörung eine sehr schwere Konfrontation dar, bei der die körperlichen und psychischen Beschwerden unbedingt wieder erlebt werden und zu traumatischen Beschwerden führen. Für derartige Störungen bei der Klägerin zu 1. haben sich keine Anhaltspunkte ergeben. Der Sachverständige hat daher lediglich im Wesentlichen wegen der nach seiner Ansicht von der Klägerin zu 1. glaubhaft angegebenen Schlafstörungen, Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und übermäßiger Wachsamkeit im Ergebnis ein leichtgradiges posttraumatisches Syndrom ohne Persönlichkeitsveränderung angenommen. Nach seiner weiteren Einschätzung ist die Klägerin spätestens seit ihrer Entlassung aus der Reha-Klinik am 05.07.2001 voll arbeitsfähig, möglicherweise war sie dies aber auch schon zum Zeitpunkt der letzten Untersuchung durch den Nervenarzt Dr. Gr. am 06.02.1998, der aus nervenärztlicher Sicht bei der Klägerin zu 1. keine Arbeitsunfähigkeit festgestellt hat. Darüber hinaus kann aber auch angesichts des allenfalls leichtgradigen posttraumatischen Syndroms nicht festgestellt werden, dass sie in der Zeit vor der Behandlung durch Dr. Gr. ab der Entlassung aus der stationären Behandlung der Primärverletzungen am 07.05.1997 infolge des Unfalls arbeitsunfähig war.

Im Hinblick auf die unstreitigen Primärverletzungen, bestehend aus einer comotio cerebri, einer HWS-Distorsion und einer Steißbeinprellung, der Dauer der stationären Behandlung von zehn Tagen und dem Tragen einer Halsmanschette für zwei Monate erscheint auch unter weiterer Berücksichtigung einer leichtgradigen psychischen Störung das von der Beklagten zu 2. gezahlte Schmerzensgeld von DM 5.000,-- ausreichend und angemessen. Ins Gewicht fallende psychosomatische Beschwerden der Klägerin sind nicht ersichtlich, da nach ihren Angaben vor dem Senat keine ärztlichen Behandlungen dieser Störungen erfolgt sind, sie sich vielmehr lediglich vom Hausarzt hat Schmerztabletten verschreiben lassen.

Der geltend gemachte Zahlungsanspruch auf Ersatz des materiellen Schadens ist ebenfalls unbegründet, da nach dem revidierten Gutachten des Sachverständigen Dr. G. von einer Behandlungsbedürftigkeit der Klägerin und einer unfallbedingten Beschränkung in ihrer Hausfrauentätigkeit nicht ausgegangen werden kann.

Der Feststellungsantrag ist ebenfalls unbegründet, da keine Anhaltspunkte für gesundheitliche Beeinträchtigungen der Klägerin zu 1. vorliegen, die zu zukünftigen materiellen oder immateriellen Ersatzansprüchen führen könnten.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 97, 100, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 n. F. ZPO nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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