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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Urteil verkündet am 13.01.2006
Aktenzeichen: 4 U 23/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 249 ff
BGB § 823
1. Auch grobe Organisationsmängel können einen groben Behandlungsfehler darstellen.

2. Ein grober Organisationsmangel ist gegeben, wenn in der Ambulanz/Aufnahme einer Kinderklinik der Maximalversorgung nicht sichergestellt ist, dass die Beurteilung des Zustandes eines neugeborenen Kindes, das ohne Einlieferungsschein in die Klinik gebracht wird, im angemessenen zeitlichen Rahmen durch einen erfahrenen Arzt vorgenommen wird.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Im Namen des Volkes URTEIL

4 U 23/05

Verkündet am 13. Januar 2006

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 25. November 2005 unter Mitwirkung der Richter Wever, Schumann und Soiné

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufungen der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Bremen - 1. ZK. - vom 27. April 2005 werden zurückgewiesen.

Die Beklagten tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Den Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des erstinstanzlichen Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe:

A.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld und Schadensersatz aus behauptetem Fehlverhalten bei der Nachsorge nach seiner Geburt in Anspruch. Der Kläger wurde am 26. August 1997 um 3.33 Uhr im Krankenhaus der Beklagten zu 2) geboren. Etwa zwei bis drei Stunden nach seiner Geburt wurde eine Blutzuckeruntersuchung durchgeführt, deren Wert unter der Normgrenze lag. Nach oraler Zuckerzufuhr und Erhebung zweier Kontrollbefunde wurde der Kläger nach etwa 8 Stunden ohne weitere Hinweise auf die Blutzuckerproblematik entlassen. Die Beklagte zu 3) als Hebamme übernahm seine Betreuung im mütterlichen Haushalt. Sie suchte den Kläger noch am 26.8.1997 auf, empfahl, nachdem ihr die Mutter des Klägers über die nach der Geburt vorhandene Unterzuckerung berichtet hatte, Tee mit Traubenzucker zu geben und gab dem Kläger am nächsten Tage, als sie gegen 15 Uhr wiederkam, zur Beruhigung ein homöopathisches Mittel. Am Morgen des 28. August begaben sich die Eltern, nachdem der Kläger wie tot aussah, mit dem Kind in die Klinik der Beklagten zu 1), wo sie um 8.30 Uhr eintrafen. Dort kam es gegen 11 Uhr beim Anlegen eines Tropfes zum Herz-Atemstillstand mit anschließenden Krampfanfällen. Der Kläger ist seither schwer behindert, er ist nahezu blind. Zu den weiteren Einzelheiten der Ereignisse in der Zeit nach der Geburt des Klägers wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (S. 3 und 4, Bl. 545, 546 d. Akte) Bezug genommen.

Nach Einholung schriftlicher Sachverständigengutachten von Prof. K. vom 15. August 2003 (Bl. 213 - 218 d. Akte), von Prof. Sch. vom 31. März 2004 (Bl. 310 - 365 d. Akte) mit Gutachten Prof. Z. vom 16.März 2004 (Bl. 303 - 308 d. Akte) und Ergänzungsgutachten vom 31. August 2004 (Bl. 397 - 406 d. Akte) mit Gutachten Prof. H. von August 2004 (Bl. 407 - 408 d. Akte) und nach mündlicher Anhörung der Sachverständigen Prof. von St. , Prof. Dr. Sch. , Prof. Dr. H. sowie des Oberarztes Dr. Sch. und den Eltern des Klägers im Termin vom 2. März 2005 und unter Verwertung des schriftlichen Gutachtens Dr. von St. vom 17. August 1999 (Bl. 26 - 45 d. Akte), das für die Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammer in Hannover erstattet worden war, hat das Landgericht die Beklagten mit Urteil vom 27. April 2005 zu Schmerzensgeldzahlungen von insgesamt EUR 100.000 verurteilt, und zwar die Beklagte zu 1) zu EUR 30.000, die Beklagte zu 2) zu EUR 45.000 und die Beklagte zu 3) zu EUR 25.000. Darüber hinaus hat es die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, dem Kläger allen vergangenen und zukünftig entstehenden materiellen Schaden zu ersetzen, der auf die Nachsorge nach seiner Geburt am 26. August 1997 bis zum 28. August 1997 durch die Beklagten zurückzuführen ist, soweit nicht Ansprüche auf öffentlich - rechtliche Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Das Landgericht hat zur Begründung ausgeführt, allen drei Beklagten falle bei der Nachsorge nach der Geburt des Klägers ein Behandlungsfehler zur Last, wobei die Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) und 2) "grob" seien. Der grobe Behandlungsfehler der Beklagten zu 1) sei darin zu sehen, dass der Kläger dort nicht unmittelbar nach seinem Eintreffen ärztlich untersucht und behandelt worden sei. Die fehlende Sicherstellung der schnellen Erkennung risikobelasteter und/oder bereits bedrohlicher Krankheitssituationen von Kindern, die ohne ärztliche Einweisung in der Aufnahme und/oder Ambulanz eines Krankenhauses der Maximalversorgung, wie es die Beklagte zu 1) sei, gebracht werden, stelle einen schweren organisatorischen Mangel dar. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei auch nicht auszuschließen, dass dieser Mangel den beim Kläger eingetretenen schweren Hirnschaden zumindest mitverursacht habe. Die Haftung der Beklagten zu 2) beruhe darauf, dass der Kläger schon von seinem äußeren Erscheinungsbild her als Risikoneugeborenes hätte eingestuft werden müssen. Jedenfalls auf Grund des 2 - 3 Stunden nach der Geburt erhobenen Befundes habe die Beklagte zu 2) den Blutzuckerspiegel mindestens 24 Stunden kontrollieren oder ihn - besser - einem Pädiater vorstellen müssen, bevor sie ihn in die ambulante Nachsorge habe entlassen dürfen. Diese Versäumnisse seien ebenfalls "grob". Sie seien kausal für das beim Kläger vorliegende Restschadenssyndrom. Der Kausalzusammenhang sei weder durch die Versäumnisse bei der Beklagten zu 1) noch durch das Verhalten der Beklagten zu 3) unterbrochen worden. Auch die Beklagte zu 3) habe auf Grund des Erscheinungsbildes des Klägers und der ihr von der Mutter berichteten Auffälligkeiten trotz der fehlenden detaillierten Hinweise der Geburtsklinik auf Grund ihrer Ausbildung erkennen müssen, dass der Kläger ein stark gefährdetes Neugeborenes war. Spätestens am Nachmittag des 27. August 1997 habe sie dafür Sorge tragen müssen, dass der Kläger einem Kinderarzt vorgestellt wurde. Ihr Versagen sei behandlungsfehlerhaft, wenn auch nicht grob. Es sei kausal für den eingetretenen Schaden geworden. Denn der Hirnschaden sei möglicherweise ganz oder wenigstens in seinem überwiegenden Anteil vermeidbar gewesen, wenn das Kind noch am 27. August 1997 in der Klinik der Beklagten zu 1) vorgestellt und dort behandelt worden wäre.

Angesichts des erheblichen Verschuldens der beteiligten Ärzte, der Schwere der Schäden und der verzögerten Schadensregulierung hat das Landgericht ein Schmerzensgeld von insgesamt EUR 100.000 für angemessen erachtet. Die Beklagte zu 2) trage mit 45 % den größten Anteil, denn ihre Ärzte hätten durch den groben Behandlungsfehler die Kausalkette in Gang gesetzt. Den Anteil der Beklagten zu 1), der ebenfalls ein grobes Fehlverhalten zur Last falle, hat das Landgericht mit 30 % bewertet. Auf Seiten der Beklagten zu 3) sei ein Haftungsanteil von 25 % angemessen.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz und der Begründung der Entscheidung wird im Übrigen auf das angefochtene Urteil des Landgerichts (Bl. 543 - 561 d. Akte) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Gegen dieses Urteil wenden sich die Beklagten mit ihren rechtzeitig eingegangenen und begründeten Berufungen.

Die Beklagten zu 1) und 2) rügen insbesondere, dass das Landgericht zu Unrecht von einem groben Behandlungsfehler in ihren Häusern ausgegangen sei.

Die Beklagte zu 1) wendet sich dabei gegen die Feststellung des Landgerichts, ihr sei ein grobes Organisationsversagen vorzuwerfen. Das Landgericht habe die Anforderungen möglicherweise auch deswegen überspannt, weil es nicht zwischen grobem Behandlungsfehler und grobem Organisationsmangel unterschieden habe. Vor der Rückkehr der ÄiP L. in die Aufnahme gegen 10 Uhr sei ein möglicher Hinweis der Mutter auf eine Blutzuckerproblematik nach der Geburt nicht "angekommen". Das sei aber in erster Linie ein Kommunikationsproblem, das noch keinen groben Organisationsmangel begründe. Die ÄiP L. habe sich sodann sofort um den Kläger gekümmert. Der Zeitverlust zwischen der ersten Blutzuckeruntersuchung um 10 Uhr in der Ambulanz und der Aufnahme des Klägers auf der Station IV, wo er von der Fachärztin Dr. P. behandelt worden sei, sei nur gering. Deshalb sei der Vorwurf, die Beklagte zu 1) habe nicht rechtzeitig den Facharztstandard hergestellt, nicht gerechtfertigt. Da kein grober Organisationsmangel vorliege, scheide aber eine Beweislastumkehr aus. Der Kläger müsse zumindest die Mitursächlichkeit einer etwa verzögerten Behandlung in der Klinik der Beklagten zu 1) für den eingetretenen Schaden beweisen. Dieser Beweis sei nicht geführt. Im Übrigen habe das Landgericht ihren Vortrag - und die damit verbundenen Beweisantritte -, die Hirnschädigung sei bereits vollständig eingetreten gewesen, bevor im Klinikum Mitte geeignete Maßnahmen hätten ergriffen werden können, übergangen. Es sei weder der Bericht des Untersuchers anlässlich der ersten Sonographie(n) am 28. August 1997 gegen 16 Uhr, den der Sachverständige Prof. Sch. in seinem Gutachten vom 31. März 2004 zitiere, im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden, noch habe das Landgericht dafür Sorge getragen, dass sie den Untersucher als Zeuge habe benennen können. Der Untersucher habe schriftlich festgehalten, was er bei der Ultraschalluntersuchung festgestellt habe. Dass die Dokumentation nicht gelungen sei, spiele deshalb keine Rolle. Schließlich wendet sich die Beklagte zu 1) auch gegen die Höhe des Schmerzensgeldes. Sie hält den ihr im Urteil gemachten Vorwurf der Regulierungsverschleppung für unbegründet.

Auch die Beklagte zu 2) greift die Feststellungen des Landgerichts zum Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers an. Im schriftlichen Gutachten des vom Gericht bestellten Sachverständigen Dr. K. sei ein Behandlungsfehler überhaupt verneint worden. Auch Dr. Sch. , der das Gutachten in der mündlichen Anhörung habe verteidigen sollen, habe das Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers nicht bejaht. Wenn das Landgericht - zu Recht - das schriftliche Gutachten für unbrauchbar gehalten habe, habe es, bevor es zur Feststellung eines groben Behandlungsfehlers habe kommen dürfen, ein neues Gutachten einholen müssen. Im Übrigen sei nicht auf den Sorgfaltsmaßstab des Pädiaters, sondern den des Gynäkologen abzustellen. Auch die Beklagte zu 2) rügt die Annahme der Kausalität. Der Schaden könne genauso gut (erst) in der Klink der Beklagten zu 1) entstanden sein. Hinweise für eine Vorschädigung gebe es nicht. Zudem sei eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs durch das in hohem Maße schuldhaft fehlerhafte Verhalten der Ärzte im Hause der Beklagten zu 1) gegeben.

Die Beklagte zu 3) macht geltend, sie habe darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte zu 2) kein Risiko-Neugeborenes ohne weitere Anweisungen an sie oder einen Kinderarzt entlasse. Die Mutter habe ihr die Auffälligkeiten des Kindes auch nicht so detailliert mitgeteilt, dass sie Anlass gehabt habe, einen Kinderarzt hinzuzuziehen. Sie habe vielmehr von sog. Anpassungsstörungen ausgehen dürfen. Zumindest sei ihr kein grober Fehler vorzuwerfen. Die Beweislast für die Kausalität der Pflichtverletzung für den Primärschaden obliege daher dem Kläger. Es gebe aber keine Hinweise darauf, dass bei seiner Einlieferung in die Kinderklinik ein Vorschaden vorgelegen habe. Der Schadenseintritt habe dort noch vollständig verhindert werden können. Auch eine Mitverursachung der Schädigung durch das (Nicht-) Handeln der Beklagten zu 3) sei nicht sicher festgestellt. Haftungsrechtlich sei das gesamte Geschehen ohnehin der Beklagten zu 2) zuzurechnen, die durch grobes Verschulden die Ursachenkette, die beim Kläger zum Schadenseintritt geführt habe, in Gang gesetzt habe.

Die Beklagten beantragen übereinstimmend,

das Urteil des Landgerichts Bremen vom 27. April 2005 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angegriffene Urteil in allen Punkten.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beklagten zu 1) vom 7. Juli 2005 (Bl. 595 - 601 d. Akte), der Beklagten zu 2) vom 11. August 2005 (Bl. 616 - 627 d. Akte), der Beklagten zu 3) vom 12. Juli 2005 (Bl. 603 - 610 d. Akte) und des Klägers vom 13. Oktober 2005 (Bl. 636 - 641 d. Akte) .

B.

I.

Die zulässigen Berufungen der Beklagten sind nicht begründet.

Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagten dem Kläger als Gesamtschuldner zum Ersatz sämtlicher bisher entstandenen sowie aller künftig entstehenden Schäden, die auf die Nachsorge nach seiner Geburt in der Zeit vom 26. August bis 28. August 1997 zurückzuführen sind, aus §§ 823 I, 840, 249 ff. BGB verpflichtet sind. Sie schulden ihm darüber hinaus ein Schmerzensgeld (§ 852 BGB), das das Landgericht unter besonderer Berücksichtigung der Schwere der Verletzungen und des Verhaltens der Beklagten der Höhe nach mit insgesamt EUR 100.000 angemessen bewertet hat. Darüber hinaus sind auch die Haftungsanteile der Beklagten angemessen verteilt. Die Beklagte 2) haftet für einen groben Behandlungsfehler ihrer Ärzte, während der Beklagten zu 1) ein grobes Organisationsverschulden zur Last fällt. Die Beklagte zu 3) hat für einfache Fahrlässigkeit einzustehen. Die Berufungsangriffe der Beklagten geben keinen Anlass zu einer anderen Betrachtungsweise.

1. Beklagte zu 1)

Die Beklagte zu 1) haftet für einen groben Organisationsmangel in der Aufnahme/Ambulanz der Kinderklinik. Der Angriff der Beklagten zu 1), das Landgericht habe die Anforderungen an einen groben Behandlungsfehler überspannt, weil es nicht zwischen einem groben Behandlungsfehler und einem schweren oder groben Organisationsmangel unterschieden habe, geht fehl. Der Organisationsmangel ist ein Fall des ärztlichen Behandlungsfehlers. Auch Organisationsfehler können daher einen groben Behandlungsfehler darstellen (vgl. OLG Stuttgart VersR 2002, 1560, 1562; VersR 2000, 1108, 1109 m.w.N.; OLG Karlsruhe VersR 2002, 1426, 1427). Das Landgericht ist davon ausgegangen, dass sich im Hause der Beklagten zu 1) bei der Einlieferung des Klägers ein schwerer Organisationsmangel gezeigt hat, der das individuelle Fehlverhalten der Schwester in der Aufnahme und der ÄiP L. erst ermöglicht hat. Diese Beurteilung teilt der Senat. Sie beruht auf den in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und schlüssigen Ausführungen der Sachverständigen Prof. Sch. in seinem Gutachten vom 31. März. 2004, das er in der mündlichen Anhörung vom 2. März 2005 erläutert und präzisiert hat, und des Prof. von St. in seinem im Schlichtungsverfahren erstatteten Gutachten vom 18. August 1999, das er ebenfalls mündlich erläutert hat. Beide Gutachter sind zu der übereinstimmenden Schlussfolgerung gelangt, dass die ernste Notfallsituation des Klägers infolge einer unzureichenden Organisation und möglicherweise noch unzureichender neonatologischer Erfahrung der ÄiP L. in der Aufnahme und/oder Ambulanz der Klinik der Beklagten zu 1) nicht rechtzeitig erkannt wurde und sich so der Beginn einer adäquaten Behandlung unnötigerweise stark verzögert hat. Die organisatorischen Mängel sind in ihrem Zusammenspiel - unabhängig von einem etwaigen Fehlverhalten der Aufnahmeschwester und der ÄiP L. - ursächlich für den verhängnisvollen Ausgang der Behandlung des Klägers in der Klinik der Beklagten zu 1) geworden.

Das Organisationsversagen der Beklagten zu 1) ist darin zu sehen, dass keine Vorkehrungen getroffen wurden, die den Facharztstandard in der Ambulanz/Aufnahme ihrer Kinderklinik sicherstellen. Weder war von vornherein eine Fachärztin/Facharzt in der Ambulanz anwesend, noch existierten Anweisungen darüber, wann die Aufnahmeschwester oder eine etwa anwesende ÄiP oder eine andere noch wenig erfahrene Ärztin/Arzt eine erfahrene Ärztin/Arzt herbeirufen muss. Es gab noch nicht einmal Anweisungen dazu, dass und ob die Aufnahmeschwester überhaupt eine Ärztin herbeirufen muss. Auch dazu, dass zunächst eine ausführliche Anamnese (Befragung der Mutter) durchzuführen, aufzuzeichnen, das Kind gründlich zu untersuchen und dann in angemessenem zeitlichem Rahmen der Facharztstandard herzustellen ist, gab es keine verbindlichen Anordnungen. Darüber hinaus darf bei einem alarmierenden Befund auch nicht wertvolle Zeit damit verloren gehen, dass - wie das hier geschehen ist - erst telefoniert werden muss, welche Station das Kind aufnehmen kann, bevor mit der Behandlung begonnen wird. Wie die ÄiP L. in ihrer Stellungnahme (Bl. 87 d. Akte) dargestellt hat, wollte sie den Kläger zunächst auf der Station 8 aufnehmen, auf der sie selbst tätig war. Die Station war jedoch belegt, so dass die Stationsleitung die ÄiP bat, das Kind auf einer anderen Station unterbringen. Dort wurde es dann von der Ärztin Dr. P. betreut.

Ohne diese organisatorischen Strukturen konnte es passieren, dass mehr als 1 1/2 Stunden nach dem Erreichen des Krankenhauses vergingen, bevor die ÄiP L. beim Kläger eine erste Blutzuckeruntersuchung und eine Blutgasanalyse durchführte. In diesen ersten 1 1/2 Stunden hatte die Aufnahmeschwester, wie die Stellungnahme der ÄiP L. belegt, lediglich einen Stillversuch des Kindes veranlasst. Eine genau Anamnese durch die ÄiP L. die etwa gegen 9.00 Uhr in die Aufnahme kam, ist nicht erfolgt. Wäre sie erfolgt, bräuchten die Parteien nicht darüber streiten, ob die Mutter schon bei der "Aufnahme" auf die nach der Geburt aufgetretene Blutzuckerproblematik hingewiesen hat - wie der Kläger behauptet - oder ob die ÄiP L. erst gegen 10 Uhr von der in der Geburtsklinik festgestellten Unterzuckerung erfahren hat - wie die Beklagte zu 1) behauptet (vgl. Gutachten Dr. Sch. S. 25, Bl. 334 d. Akte). Ohne dass dies im Einzelnen dokumentiert ist, hatte die ÄiP L. , wie sie in ihrer Stellungnahme schildert, etwa gegen 10 Uhr eine erste Untersuchung veranlasst, dem alarmierenden Ergebnis (17 mg/dl) aber offensichtlich nicht getraut. Nach dem Gutachten Dr. von St. ist eine Blutzuckeruntersuchung überhaupt erst für 10.25 Uhr festgehalten. Das Kind hatte zu diesem Zeitpunkt eine schwere Hypoglykämie mit 17 mg/dl, nachgemessen 20 mg/dl (normal 40 - 45 ml/dg). Der Säure-Basis-Status ergab einen ph-Wert von 7,24 (normal 7,35 - 7,45) bei einem Kohlendioxydpartialdruck (PCO2) von 51 mm Hg (normal 35-40 mm Hg) und einem Basen - Exzess von - 6,2 mnol/l (normal - 2 - + 2 mnol/l). Die zweite Blutzuckeruntersuchung belegte eine mäßig starke kombinierte metabolische und respiratorische Azidose. Dennoch wurde nicht unverzüglich gehandelt. Der Kläger wurde erst nach 11 Uhr auf der Station 4 aufgenommen. Erst dort wurde er von der Fachärztin Dr. P. untersucht. In den Krankenunterlagen ist, wie Prof. von Stockhausen in seinem Gutachten ausgeführt hat, erst für 11.15 Uhr ein weiterer Säure-Basis-Status dokumentiert. Kurz darauf erlitt der Kläger dann bei dem Versuch der Ärztin, einen venösen Zugang zu legen, einen Herz-Atem-Stillstand und musste wiederbelebt werden.

Die Sachverständigen vertreten auf Grund ihrer langjährigen Erfahrung, die auch die Beklagte zu 1) nicht in Zweifel zieht, übereinstimmend die Ansicht, dass schon im Jahre 1997 ein solcher Organisationsablauf nicht (mehr) dem medizinischen Standard eines Krankenhauses der Maximalversorgung, wie es die Kinderklinik darstellt, entsprach. Die Beurteilung des Zustandes eines neugeborenen Kindes, das ohne ärztlichen Einweisungsschein von seinen Eltern gebracht wird, darf nicht zunächst allein in die Hände einer - wenn auch erfahrenen - Aufnahmeschwester gelegt werden. Auch dass das Kind nicht unverzüglich von einem Arzt/Ärztin untersucht und eine genaue Anamnese erhoben wird, die auch zu dokumentieren ist, entsprach diesem Standard nicht. Darüber hinaus war dafür zu sorgen, dass eine diensthabende Ärztin/Arzt, die etwa selbst noch nicht erfahren war, zur abschließenden Beurteilung den Facharztstandard herzustellen hatte. Die für den Organisationsablauf der medizinischen Betreuung Verantwortlichen dürfen sich nicht darauf verlassen, dass eine - wenn auch erfahrene - Aufnahmeschwester die gesundheitlichen Probleme eines Neugeborenen, das ohne ärztliche Einweisung gebracht wird, zuverlässig erkennt. Das gilt auch für eine wenig erfahrene Ärztin (ÄiP), die - neben der Stationsarbeit - die Aufnahme mitbetreut. Wenn nicht ohnehin die Ambulanz stets von einem erfahrenen Arzt/Ärztin, der/die den Facharztstandard garantiert, versorgt wird, müssen Anweisungen dazu existieren, dass das Kind zumindest gründlich untersucht und eine Anamnese erhoben wird. Dann jedoch muss der Rat des erfahrenen Arztes/Ärztin eingeholt werden. Es geht auch nicht an, wie der Sachverständige Prof. von St. ausgeführt hat, dass das Kind erst förmlich auf einer aufnahmebereiten Station aufgenommen werden muss, bevor die notwendige Behandlung eingeleitet wird.

Warum solche organisatorischen Maßnahmen erforderlich sind, hat vor allem der Sachverständige Prof. Sch. bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht deutlich gemacht. Neonatale Hypoglykämien, wie sie beim Kläger vorgelegen haben, bleiben oft lange asymptomatisch oder die Symptome sind so diskret, dass sie nur von erfahrenen, neonatologisch geschulten Pädiatern als Verdachtssymptome schnell identifiziert werden. Die Forderung nach einer gründlichen Anamnese ist deswegen keine lediglich formale Forderung. Die Befragung der Mutter hätte schnell zur vollständigen Diagnose führen können. Zudem hätte die beim Kläger bestehende Hypoglykämie durch einen erfahrenen Arzt/Ärztin in der Aufnahme der Kinderklinik deutlich früher aufgedeckt und behandelt werden können. Wie der Sachverständige Prof. Sch. in seinem Gutachten vom 31. März 2004 im Einzelnen erläutert hat, hätte die diagnostische Unsicherheit - und die therapeutische Untätigkeit - durch einen erfahrenen und neonatologisch geschulten Kinderarzt in der Aufnahme auf mehr als die Hälfte, vielleicht sogar auf ein Drittel der Zeit zwischen der Einlieferung und der ersten Untersuchung verkürzt werden können und müssen. Auch der weitere Zeitverlust zwischen der ersten Blutzuckermessung durch die ÄiP L. gegen 10 Uhr und dem Beginn der Therapie mit dem Legen des venösen Zugangs durch die Fachärztin Dr. P. nach 11 Uhr hätte vermieden werden können und müssen.

Dieser Organisationsmangel ist als "grob" im Sinne des groben Behandlungsfehlers einzustufen. "Grob" ist ein Behandlungsfehler, der aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf, das ärztliche Verhalten also eindeutig gegen gesicherte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstößt (BGH NJW 1992, 754; VersR 2002, 1026, 1027; Martis/Winkhardt, Arzthaftungsrecht aktuell S. 302 m.w.N.). Die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers ist stets dann gerechtfertigt, wenn Verstöße gegen elementare ärztliche Behandlungsstandards vorliegen (Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 3. Aufl., Rn B 252). Ein grober Behandlungsfehler kann aber auch anzunehmen sein, wenn die Gesamtbetrachtung mehrerer für sich genommen einfacher Fehler dazu führt, dass das ärztliche Vorgehen insgesamt als grob behandlungsfehlerhaft zu werten ist (BGH VersR 2001, 1030, 1031; 1998, 495).

Wenn wie im vorliegenden Fall die Frage zu entscheiden ist, wann und ob die Mängel in der Klinikorganisation als grobe Fehler einzustufen sind, ist entscheidend darauf abzustellen, ob sie bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ein solches Ausmaß angenommen haben, dass es gerechtfertigt erscheint, den für die Organisation Verantwortlichen den Beweis dafür aufzubürden, dass sich an dem tatsächlichen Verlauf nichts geändert hätte, wenn die Organisationsstrukturen so gewesen wären, wie sie die ärztlichen Sachverständigen für erforderlich halten, um den elementaren ärztlichen Behandlungsstandard zu garantieren. Zwar handelt es sich bei der Beurteilung eines Behandlungsfehlers als "grob" um eine juristische Wertung, die der Tatrichter vornimmt, nicht der Sachverständige. Dem Sachverständigen obliegt aber die medizinische Bewertung des Behandlungsgeschehens (BGH NJW 2001, 2794, 2795; NJW 2002, 2944; Hausch, VersR 2002, 671 ff.). Unter Würdigung dieser Ausführungen hat der Tatrichter die rechtliche Beurteilung vorzunehmen, ob nach der Gesamtbetrachtung des Behandlungsgeschehens der Fehler "grob" ist.

An den Erläuterungen des Sachverständigen Sch. bei seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht zum Zeitgewinn für eine erfolgreiche Behandlung, in der er insbesondere den weiteren Zeitverlust zwischen der ersten Blutzuckermessung durch die ÄiP L. gegen 10 Uhr und dem Beginn der Therapie mit dem Legen des venösen Zugangs nach 11 Uhr als "unverständlich" und "unvertretbar" bezeichnet, zeigt sich, dass die Versorgung des Klägers in den ersten 2 1/2 Stunden nach der Einlieferung im Grunde einer Nichtversorgung entsprach. Der Sachverständige hat bei seiner mündlichen Anhörung die Organisation der Aufnahme in der Klinik der Beklagten zu 1) deshalb als "schwer" und wahrscheinlich "folgenschwer fehlerhaft" bezeichnet. In der Summe und mit Blick auf das besondere Risiko der Einlieferung eines nur wenige Tage alten Kindes ohne ärztlichen Einweisungsschein sind diese Fehler und Versäumnisse nicht mehr hinnehmbar. Sie sind deshalb als grob fehlerhaft zu bezeichnen.

Der grobe Organisationsmangel führt zur Umkehr der Beweislast. Er ist generell geeignet, den beim Kläger eingetretenen Gesundheitsschaden hervorzurufen. Nach den Gutachten der Sachverständigen Prof. Sch. und Prof. von Stockhausen ist nicht nur nicht auszuschließen, dass die verzögerte Behandlung der Hypoglykämie des Klägers die Ursache des Restschadensyndroms ist. Vielmehr ist der Ursachenzusammenhang mit großer Wahrscheinlichkeit gegeben. Die schwere Hypoglykämie ist die wahrscheinliche Ursache des Zusammenbruchs aller vitalen Parameter beim Kläger am 28.8.1997 gegen 11 Uhr und damit Auslöser der späteren Krampfanfälle.

Für die Haftung der Beklagten zu 1) genügt auch eine Mitursächlichkeit. Denn der Fall einer abgrenzbaren Teilkausalität, dass also das ärztliche Versagen und ein weiterer, der Beklagten zu 1) nicht zurechenbarer Umstand abgrenzbar zu dem Schaden geführt haben (BGH NJW 2000, 2741, 2742, Martis/Winkhardt, a.a.O., S. 309), ist hier auszuschließen. Selbst dann, wenn, wie der Sachverständige Sch. in seinem Ergänzungsgutachten vom 31.8.2004 zu Gunsten der Beklagten zu 1) unterstellt hat, beim Eintreffen des Klägers in der Kinderklinik eine Vorschädigung des Gehirns bereits vorgelegen hat, ist deren Ausmaß nicht mehr feststellbar. Je länger nämlich die Hypoglykämie fortbesteht, desto höher ist das Risiko eines Schadens. Nachträglich lässt sich nicht mehr abgrenzen, welchen Umfang die Schäden bereits hatten und in welchem Ausmaß unter der Behandlung in der Klinik der Beklagten zu 1) weitere hinzugetreten sind.

Soweit die Beklagte zu 1) rügt, dass das Landgericht ihren Beweisantritten nicht nachgegangen sei, ließe sich weder mit der Verwertung der schriftlichen Befunde des Befunders zu den Ultraschallbildern vom 28. August 1997 gegen 16.00 Uhr, die der Sachverständige Schulte in seinem Gutachten vom 31. März 2004 (S. 31/32 d. Akte) dargestellt hat, noch mit der Vernehmung des Befunders der Nachweis fehlender (Mit-)Ursächlichkeit führen. Die Frage, ob auf den Ultraschallbildern eine beginnende Hyperechogenität zu erkennen war, ist streitig. Den Bildern lässt sich jedoch nicht entnehmen, ob das so war. Sie sind, wie der Sachverständige Helmke ergänzt hat, so schlecht, dass sie von der Krankenkasse als nicht erstattungsfähig eingestuft würden. Um sicher eine Vorschädigung feststellen zu können, müsste der Sachverständige die Übereinstimmung dessen, was der Behandler auf den Bildern erkannt hat, mit dem, was die Bilder tatsächlich zeigen, nachprüfen können. Wie der Sachverständige ausgeführt hat, sind Fehler bei der Befundung nicht selten.

Selbst dann, wenn auf den Ultraschallbildern eine beginnende Hyperechogenität zu erkennen gewesen wäre und sich daraus Rückschlüsse auf eine Vorschädigung des Klägers ziehen ließen, ist damit der Nachweis fehlender Kausalität nicht geführt. Wegen des weiteren Verlaufs ist vielmehr davon auszugehen, dass der organische Schaden mit weit überwiegender Wahrscheinlichkeit in der Kinderklinik entstanden ist. Die Hypoglykämie wird, wie der Sachverständige Prof. von St. näher ausgeführt hat, von Kindern meist gut vertragen. Problematisch wird sie erst, wenn Symptome hinzukommen. Ein solches schweres Symptom war zwar die Schläfrigkeit des Klägers in der Nacht vom 27. August auf den 28. August 1997. Da er aber in den Morgenstunden des 28. August 2005 in der Kinderklinik noch etwa 50 ml getrunken hat, muss es ihm zu diesem Zeitpunkt noch relativ gut gegangen sein. Das berichtet auch die ÄiP L. . Sobald aber zu der Hypoglykämie durch den Herz-/Atemstillstand eine Hypoxie hingetreten ist, wie das nach 11 Uhr geschehen ist, erhöht sich die Schadenswahrscheinlichkeit auf 50 % und mehr. Auch der Sachverständige Sch. hat darauf hingewiesen, dass das typisch hypoglykämische Schadensmuster beim Kläger, wie es typischerweise beim Zusammentreffen zwischen Hypoglykämie und Hypoxie vorkomme, gegen eine vollständige Vorschädigung spreche.

An dem Ergebnis ändert sich selbst dann nichts, wenn von einem einfachen Organisationsfehler auszugehen ist. Der Kläger müsste dann zwar den Nachweis der Mitkausalität des Organisationsversagens der Beklagten zu 1) führen, also beweisen, dass der Schaden bei seinem Eintreffen in der Klinik noch nicht bereits vollständig vorgelegen hat. Es steht jedoch mit dem Beweismaß des § 286 ZPO fest, dass das Verhalten der Beklagten zu 1) zumindest mitursächlich ist. Aus den Äußerungen der Sachverständigen Prof. Sch. und Prof. von St. folgt, dass sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit der Schaden in der Klinik der Beklagten zu 1) ereignet hat. Durch die Hypoxie in der Klinik habe sich die Schädigung des Gehirns zumindest vertieft. Wenn aber Zweifel am Nachweis der (Mit-)Kausalität bestünden, greift eine Beweiserleichterung für den Kläger Platz. Er könnte den Beweis dafür, dass ein Vorschaden fehlte, nur mit den Bildern der Ultraschalluntersuchung vom 28. August 1997 führen. Die Bilder sind aber aus Gründen, die eindeutig in den Verantwortungsbereich der Kinderklinik fallen, nicht brauchbar. Damit ist dem Kläger die nähere Aufklärung unzumutbar erschwert (vgl. dazu Gehrlein, Leitfaden zur Arzthaftpflicht, Rn. B 125, Martis/Winkhardt, a.a.O., S. 236 unter 6.).

2. Beklagte zu 2)

Auch der Beklagten zu 2) fällt ein grober Behandlungsfehler zur Last. Die Berufungsangriffe der Beklagten zu 2) sind nicht geeignet, die der rechtlichen Wertung des Landgerichts zu Grunde liegenden tatsächlichen Feststellungen zu erschüttern ( § 529 I Nr. 1 ZPO).

Dass die Entlassung des Klägers in den Morgenstunden des 26. August 1997 ohne vorherige Vorstellung bei einem Pädiater und ohne jeden detaillierten Hinweis an seine Mutter, die Hebamme oder den Kinderarzt zur Notwendigkeit der Kontrolle des Blutzuckerspiegels einen ärztlichen Behandlungsfehler darstellt, wird mit der Berufung nicht ausdrücklich gerügt. Dieser Behandlungsfehler ist auch "grob".

Auch vor dem Hintergrund des Beurteilungsmaßstabes, der an eine geburtshilfliche Klinik zu stellen ist, hat das Landgericht nach sorgfältiger Abwägung aller Umstände überzeugend dargestellt, dass und warum sich das Verhalten der Beklagten zu 2) als grober Behandlungsfehler darstellt. Der Senat teilt diese Erwägungen.

Die Sachverständigen Sch. und von St. sind zu dem Ergebnis gelangt, dass der Kläger bei seiner Geburt eindeutig makrosom war und dass er deshalb als ein Risikoneugeborenes hätte eingestuft werden müssen mit der weiteren Folge, dass er auch nach dem kurzfristigen Wiederanstieg des Blutzuckerspiegels durch Glukosegabe wenige Stunden nach der Geburt nicht hätte entlassen werden dürfen. Beide Sachverständige haben in ihrer mündlichen Anhörung ergänzt, dass es schon im Jahre 1997 längst gesichertes pädiatrisches Wissen gewesen sei, dass übergewichtige Kinder mit einer Hypoglykämie mindestens 24 Stunden lang im Hinblick auf den Blutzuckerspiegel kontrolliert werden müssen. Das Wissen um die Gestationsdiabetes und die Makrosomie von Neugeborenen rechnet nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. von St. in der mündlichen Anhörung seit den 60iger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum Standardwissen sowohl in der Geburtshilfe als auch in der Neonatologie. Wegen der schwerwiegenden Spätfolgen der Nichtbehandlung einer protahierenden Hypoglykämie für das Kind, muss aber, worauf der Sachverständige Sch. ausdrücklich hingewiesen hat, auch der Geburtshelfer, der das Kind unmittelbar nach der Geburt versorgt, mit dieser Problematik vertraut sein. Er muss zwar nicht im Einzelnen wissen, wie das Problem zu therapieren ist, er hat aber die Pflicht, einen Pädiater zu Rate zu ziehen.

Der Sachverständige Schulte hält die Nichtberücksichtigung der Problematik des Klägers in der Geburtsklinik für "nicht vertretbar" und "nicht entschuldbar". Auch der Sachverständige von St. hat deutlich gemacht, er habe dafür "keine Erklärung". Dass er in seiner mündlichen Anhörung das Fehlverhalten nicht generell als "unverständlich" bezeichnen wollte, hat er damit erklärt, dass Fehler immer wieder passieren und dass es im Einzelfall dafür auch Erklärungen geben könne. Im vorliegenden Fall fehle es daran aber. Die Ärzte im Hause der Beklagten zu 2) haben damit eindeutig gegen bewährte ärztliche Behandlungsregeln und gesicherte medizinische Erkenntnisse bei der Geburtsnachsorge verstoßen und einen Fehler begangen, der einem Geburtshelfer schlechterdings nicht unterlaufen darf (zur Definition des groben Behandlungsfehlers, vgl. BGH VersR 2002, 1026, 1027).

Gegen die Feststellung eines groben Behandlungsfehlers sprechen auch nicht die Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.8.2003 (Bl. 213 - 217), wonach die von der Beklagten zu 2) geübte Handhabung der Entlassung eines Kindes mit Blutzuckerproblemen ohne ausreichende Überwachung und ohne Empfehlung für Mutter, Hebamme oder Kinderarzt in der Praxis allgemein üblich sei. Der Senat hält - wie schon das Landgericht - diese Äußerungen für nicht geeignet, um daraus ernsthafte Zweifel am Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers zu begründen und das Fehlverhalten der Beklagten zu 2) in einem milderen Licht erscheinen zu lassen. Die Ausführungen des Sachverständigen sind nämlich in sich widersprüchlich und schlechterdings unhaltbar. Der Gutachter geht - insoweit in Übereinstimmung mit dem Sachverständigen von St. - zunächst davon aus, dass ein Blutzuckerabfall, der wie hier 2 Stunden nach der Geburt festgestellt wird, besonders ernst genommen werden muss. Auch wenn er darauf hinweist, dass systematische Untersuchungen für eine genaue Definition der Hypoglykämie fehlen, erläutert er dann, dass ein Blutzuckerspiegel von mehr als 47 mg/dl vor akuten und langfristigen neurologischen Störungen schützt. Der Wert war beim Kläger mit 27 mg/dl etwa 2 - 3 Stunden nach der Geburt deutlich unterschritten. Nachdem der Sachverständige Dr. K. - wie auch die übrigen Sachverständigen - darauf hinweist, dass bei schweren und langandauernden Hypoglykämien oft klinische Symptome fehlen, fehlende Symptome also nicht gegen eine ausgeprägte Hypoglykämie sprechen und gegen ihr Vorliegen auch nicht spricht, dass sich der Zustand nach einer Glukosegabe vorübergehend bessert, ist seine Äußerung, der Hyperinsulismus des Klägers hätte in der Geburtsklinik "möglicherweise" erkannt, behandelt und damit eine nachhaltige Schädigung vermieden werden können, nicht verständlich. Gleichfalls nicht nachvollziehbar ist auch seine Schlussfolgerung, das Vorgehen der Beklagten zu 2) sei allgemein üblich und habe den Regeln der Heilkunst entsprochen. Der Oberarzt Dr. Sch. , der mit Einverständnis der Parteien das Gutachten Kimmig mündlich erläutert hat, ist angesichts dieser Widersprüche denn auch in Übereinstimmung mit den Sachverständigen Prof. Sch. und Prof. von St. zu dem Schluss gelangt, dass der Kläger nicht in eine ambulante Nachsorge hätte entlassen werden dürfen. Auch er vertritt die Ansicht, das Verhalten der Ärzte in der Geburtsklinik habe nicht dem medizinischen Standard entsprochen, zumal die in der Klinik der Beklagten zu 2) festgestellte Hyperglykämie mitteilungspflichtig gewesen sei.

Die Ausführungen des Dr. Sch. stützen zudem den Vorwurf eines groben Behandlungsfehlers. Er hat erklärt, er würde einen Mitarbeiter, der so vorgehe, wie es in der Klinik der Beklagten zu 2) gehandhabt worden sei, zu einer Fortbildung schicken, damit er sich mit der Angelegenheit gründlich befassen könne. Wenn er weiter ausgeführt, die Frage, wie er reagieren würde, wenn der Fehler ein zweites Mal vorkäme, stelle sich nicht, denn ein Arzt würde einen solchen Fehler nicht wiederholen, dann folgt daraus im Kontext der von den Parteien nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen K. zu Bedeutung und Gefährlichkeit des Blutzuckerabfalls wenige Stunden nach der Geburt, dass sich das Verhalten eines solchen Arztes so weit vom medizinischen Standard entfernt, dass ihm der Fehler nie wieder passieren wird. Damit gibt es für den Senat wegen der überzeugenden und in jeder Hinsicht widerspruchsfreien Ausführungen der Sachverständigen Sch. und von St. sowie der mündlichen Erläuterungen des Oberarztes Dr. Sch. , wie sie im Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 2.3.2005 festgehalten sind, kein Zweifel am Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers. Es war daher nicht erforderlich, ein weiteres Gutachten einzuholen (§ 412 ZPO).

Da ein grober Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) zu bejahen ist, ist es für die Annahme einer Beweislastumkehr zwischen dem Behandlungsfehler und dem Eintritt des Gesundheitsschadens (Primärschadens) ausreichend, wenn der grobe Behandlungsfehler generell geeignet ist, diesen konkreten Gesundheitsschaden hervorzurufen (BGH NJW 1998, 2949). Davon ist das Landgericht unter Hinweis auf die gutachterlichen Feststellungen der Sachverständigen Sch. und von St. zutreffend ausgegangen.

Der Kausalzusammenhang ist auch nicht durch den groben Organisationsmangel im Hause der Beklagten zu 1) unterbrochen. Ebenso wenig kommt es für die Unterbrechung des Kausalzusammenhangs darauf an, ob der Beklagten zu 3) ein grobes Fehlverhalten zur Last fällt, wie die Beklagte zu 2) geltend macht. Macht eine fehlerhafte Erstbehandlung das Eingreifen des zweiten Arztes/Klinik unumgänglich, so ist auch ein diesem/dieser unterlaufender Fehler grundsätzlich zugleich dem erstbehandelnden Arzt haftungsrechtlich zuzuweisen. Der Zurechnungszusammenhang reißt nur ausnahmsweise ab, wenn der für die Zweitschädigung verantwortliche Arzt in außergewöhnlichem Maße gegen alle Regeln und ärztlichen Erfahrungen verstoßen hat. Insoweit wird nach der Rechtsprechung ein Versagen im oberen Bereich des groben Behandlungsfehlers vorausgesetzt (BGH NJW 1989, 767; Deutsch NJW 1989, 769). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat.

3. Beklagte zu 3)

Der Beklagten zu 3) fällt ein Behandlungsfehler zur Last, der jedoch nicht "grob" ist.

Soweit die Beklagte zu 3) geltend macht, sie habe auf Grund der Tatsache, dass sie keinerlei Hinweise von der Geburtsklinik und nur unzureichende Hinweise von der Mutter auf bestehende Auffälligkeiten des Klägers erhalten habe, keinen begründeten Anlass für eine umgehende stationäre Einweisung des Klägers haben müssen, sind die Gutachter Prof. Sch. und Prof. von St. , wie das Landgericht mit sorgfältiger Begründung dargelegt hat, zu dem eindeutigen Ergebnis gelangt, dass auch die Beklagte zu 3) als Hebamme auf Grund ihrer Ausbildung und Erfahrung das beim Kläger bestehende Risiko unabhängig von etwaigen Hinweisen der Geburtsklinik hätte erkennen und unverzüglich handeln müssen. Der Berufungsvortrag zeigt keine Anhaltspunkte auf, die konkrete Zweifel an den Ausführungen der Sachverständigen begründen (§§ 520 III Nr. 3, 529 I Nr. 1 ZPO).

Unabhängig davon, welche Symptome die Mutter des Klägers der Beklagten zu 3) mitgeteilt hat, haben sowohl die Sachverständigen Sch. und von St. wie auch der Oberarzt Dr. Sch. bei ihrer mündlichen Anhörung geäußert, dass die Beklagte zu 3) das beim Kläger bestehende gesundheitliche Problem hätte erkennen und darauf in der Weise reagieren müssen, dass spätestens am Nachmittag des 27.8.1997 ein Kinderarzt hätte hinzugezogen werden müssen. Den Einwand der Beklagten zu 3), sie habe darauf vertrauen dürfen, dass das Problem der Unterzuckerung in der Klinik der Beklagten zu 2) gelöst worden sei, lassen die Sachverständigen nicht gelten.

Soweit die Beklagte zu 2) mit Rücksicht auf den Haftungsanteil der Beklagten zu 3) geltend macht, das Landgericht habe weiter aufklären müssen, ob auch die Beklagte zu 3) grob fehlerhaft gehandelt habe, gibt es für einen groben Fehler keine ausreichenden Anhaltspunkte. Zwar ist die Bewertung, ob sich ein Behandlungsfehler als grob darstellt, eine Rechtsfrage, über die das - sachverständig beratene - Gericht entscheidet. Die Entscheidung muss aber auf tatsächlichen Anhaltspunkten beruhen, die sich regelmäßig aus der medizinischen Bewertung des Behandlungsgeschehens durch einen Sachverständigen ergeben. Der Sachverständige Prof. von St. hat zwar die Ansicht vertreten, das Verschulden der Beklagten zu 3) unterscheide sich nicht von dem der übrigen Beteiligten. Da er deren Verschulden als "grob" einstuft, scheint Einiges dafür zu sprechen, dass er auch das Verschulden der Beklagten zu 3) als "grob" bewerten will. Auch Dr. Sch. hat darauf hingewiesen, dass es zwischen Hebamme und Geburtshelfer kein Über- oder Unterordnungsverhältnis gibt, sondern die Hebamme eine eigene Verantwortung bei der Erkennung von Risikofaktoren und Krankheiten trifft. Der Sachverständige Prof. Sch. hat jedoch, worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat, in seinem schriftlichen Gutachten und auch bei seiner mündlichen Anhörung ein gewisses Verständnis dafür gezeigt, dass die Beklagte zu 3) den überlegenen Kenntnissen der Geburtshelfer vertraut hat, die die Geburt durchgeführt hatten und die, wie die Beklagte zu 3) von der Mutter des Klägers wusste, auch Behandlungsmaßnahmen wegen der Unterzuckerung ergriffen hatten. Vor diesem Hintergrund wiegt das Verhalten der Beklagten zu 3) letztlich weniger schwer als das der Beklagten zu 1) und 2) und ist nicht als grobes Versagen, für das es schlechterdings keine Erklärung mehr gibt, zu qualifizieren. Weitere Aufklärungsmöglichkeiten, wie sie die Beklagte zu 2) mit der Berufung anmahnt, stehen nicht zur Verfügung.

Daran, dass der Behandlungsfehler der Beklagten zu 3) kausal für den eingetretenen Schaden war, gibt es nach den Feststellungen der Sachverständigen keine vernünftigen Zweifel. Der Hirnschaden wäre wenigstens zu einem überwiegenden Anteil, wahrscheinlich aber ganz, vermeidbar gewesen, wenn die Beklagte zu 3) am Nachmittag des 27. August 1997 die Vorstellung des Klägers in der Kinderklinik veranlasst hätte.

Dass beim Kläger bei seinem Eintreffen in der Kinderklinik noch keine beginnende Hirnschädigung vorlag, wie die Beklagte zu 3) geltend macht, und die Beklagte zu 1) den Schaden bei rechtzeitigem Eingreifen möglicherweise in vollem Umfang hätte verhindern können und müssen, berührt die Kausalkette zwischen dem Nichthandeln der Beklagten zu 3) und der Hirnschädigung des Klägers nicht. Das Fehlverhalten Dritter unterbricht den Zurechnungszusammenhang auch dann nicht, wenn der Erstschädiger einen Gesundheitsschaden verursacht hat, den der Dritte auf Grund seiner Funktion hätte beseitigen müssen. Der Schädiger haftet auch für Folgeschäden, die während der notwendig gewordenen Behandlung durch ärztliche Fehler entstehen (BGH NJW 2000, 947; BGH NJW 89, 768). Dass das Versagen der Beklagten zu 1) nicht im oberen Bereich des groben Behandlungsfehlers liegt und der eingetretene Schaden ihr deshalb nicht allein zuzurechen ist, ist bereits bei der Haftung der Beklagten zu 2) ausgeführt.

4. Schmerzensgeld

Soweit die Beklagte zu 1) rügt, das Landgericht habe bei der Höhe des Schmerzensgeldes nicht berücksichtigen dürfen, dass die Beklagten bislang keinerlei Zahlungen erbracht haben, sieht der Senat keine Veranlassung, das Schmerzensgeld herabzusetzen. Abgesehen davon, dass allein die Schwere der beim Kläger vorhandenen Schäden und das zum Teil grobe Fehlverhalten der Ärzte bzw. in der Klinikorganisation ein Schmerzensgeld in der titulierten Höhe ohnehin rechtfertigen, haben die Beklagten auch im Berufungsrechtszug keinerlei ernsthafte Regulierungsbereitschaft gezeigt.

Der Senat teilt auch die Auffassung des Landgerichts zur Festlegung der einzelnen Haftungsanteile für das Schmerzensgeld. Die Aufteilung, nach der die Beklagte zu 1) EUR 30.000, die Beklagte zu 2) EUR 45.000 und die Beklagte zu 3) EUR 25.000 zu zahlen hat, trägt dem Umstand angemessen Rechnung, dass die Beklagte zu 2) den überwiegenden Verantwortungsanteil für die unglücklichen Ereignisse trägt, die letztlich zu der schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung des Klägers geführt haben. Sie hatte die Unterzuckerung zwar zunächst festgestellt, das Problem aber nicht in seiner tatsächlichen Bedeutung erkannt. Die erforderlichen Maßnahmen hat sie unterlassen. Sie hat es zu verantworten, dass der Kläger in die Obhut seiner Eltern und einer Hebamme entlassen wurde, die mit dem gesundheitlichen Problem des Klägers überfordert war. Der Verursachungsanteil der Beklagten zu 1) ist zwar auch nicht unerheblich, da der Kläger erwarten konnte, dass seine Erkrankung dort umgehend erkannt und behandelt würde. Er entspricht dem Verantwortungsanteil der Beklagten zu 2) jedoch nicht. Da der Beklagten zu 3) - insoweit im Unterschied zu den übrigen Beklagten - kein grober Behandlungsfehler unterlaufen und sie ersichtlich das schwächste Glied in der Kette der Verursacher ist, ist ihr Anteil deutlich niedriger anzusetzen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 100 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Es besteht kein Anlass zur Zulassung der Revision. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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