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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 4 UF 44/06
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1603 Abs. 2
ZPO § 114
ZPO § 287
Der einem minderjährigen Kind gegenüber zum Unterhalt Verpflichtete, der über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügt, aber wegen eines Studiums nicht erwerbstätig ist, ist angesichts seiner gesteigerten Unterhaltsverpflichtung im Regelfall unterhaltsrechtlich gehalten, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Das gilt auch dann, wenn der - vom anderen Elternteil gebilligte - Lebensplan des Unterhaltsverpflichteten ursprünglich ein Studium vorsah.
Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Beschluss

Geschäftszeichen: 4 UF 44/06

In Sachen

hat der 4. Zivilsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bremen als Familiensenat durch die Richter Wever, Schumann und Schilling auf die Beratung vom 19. Juli 2006 beschlossen:

Tenor:

I. Der Klägerin wird Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlungsanordnung unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. R. für die Anschlussberufung sowie für die Verteidigung gegen die von der Beklagten eingelegte Berufung (§ 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO) bewilligt.

II. Der Antrag der Beklagten, ihr für die Berufung Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wird abgelehnt.

Gründe:

Die Parteien streiten um Unterhalt für ein minderjähriges Kind.

I.

Die Klägerin ist die am 18. September 1997 geborene Tochter der Beklagten. Seit 1. März 2004 lebt sie bei ihrem Vater, dem geschiedenen Ehemann der Beklagten. Die Beklagte, die ebenso wie der Kindesvater aus dem Iran stammt und seit 1997 in Deutschland lebt, schloss im Jahr 2003 eine Ausbildung zur IT-Systemkauffrau ab und nahm zum Wintersemester 2004/2005 ein Studium auf. Sie bezieht im Wesentlichen BAföG -Leistungen.

Die Klägerin hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr ab 1. Dezember 2004 Kindesunterhalt in Höhe von jeweils 100 % des Regelbetrages der jeweiligen Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle zu zahlen.

Das Amtsgericht - Familiengericht - Bremen hat der Klage mit dem - mit der Berufung und Anschlussberufung angefochtenen - Urteil vom 10. Mai 2006 nur teilweise stattgegeben. Es hat die Beklagte verurteilt, der Klägerin für die Zeit von Dezember 2004 bis einschließlich August 2009 einen monatlichen Kindesunterhalt von 100 € und ab September 2009 von 100 % des Regelbetrages zu zahlen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagten müsse es möglich sein, ein Studium durchzuführen. Allerdings sei ihr ein Nebenverdienst zuzumuten, der es ihr erlaubte, bis zum Abschluss des Studiums monatlich 100 € an die Klägerin zu zahlen.

Hiergegen haben die Parteien Berufung und Anschlussberufung eingelegt und hierfür jeweils um die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nachgesucht.

II.

Die Berufung hat - anders als die Anschlussberufung - keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne des § 114 Satz 1 ZPO.

Die Beklagte hat nicht hinreichend dargetan, dass sie in rechtserheblicher Weise außer Stande ist, den von der Klägerin gemäß §§ 1601, 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB begehrten Kindesunterhalt zu zahlen.

Zu Recht hat die Klägerin in ihrer Anschlussberufung darauf verwiesen, dass die Beklagte angesichts ihrer gesteigerten Unterhaltsverpflichtung bei einer bereits abgeschlossenen Berufsausbildung unterhaltsrechtlich nicht berechtigt ist, das aufgenommene Studium zunächst einmal abzuschließen. Vielmehr hätte die Beklagte sich in der gebotenen Weise um eine Anstellung entsprechend ihrer Ausbildung bemühen müssen. Da sie solche Bemühungen nicht dargetan hat, ist ihr ein fiktives Einkommen zuzurechnen.

1. Ob und inwieweit ein Unterhaltspflichtiger leistungsfähig ist, wird nicht allein durch sein tatsächliches Einkommen und Vermögen bestimmt, sondern auch durch seine Erwerbsfähigkeit. Er ist verpflichtet, seine Arbeitskraft entsprechend seiner Vorbildung, seinen Fähigkeiten und den Arbeitsmarktverhältnissen so gut wie möglich einzusetzen und muss sich Einkünfte anrechnen lassen, die er bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte (vgl. BGH, FamRZ 2003, 1471, 1473; 2000, 1358, 1359; 1985, 158, 159; Wendl/Staudigl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 6. Aufl. 2004, § 1 Rn. 489). Das bedeutet, dass die berufliche Dispositionsmöglichkeit und freie Entfaltung der Persönlichkeit weitgehend hinter der Elternverantwortung zurücktritt (OLG Saarbrücken, Beschluss vom 16. Februar 2004 - 6 WF 60/03 - JURIS, Rn. 12; OLG Zweibrücken, FamRZ 1999, 881). Denn das Recht eines Unterhaltsverpflichteten auf Verwirklichung seiner Berufswünsche besteht nicht uneingeschränkt. Berufliche Entscheidungsfreiheit und Unterhaltspflicht stehen vielmehr in einer Wechselbeziehung zueinander. Dies bedeutet, dass der Unterhaltsberechtigte eine Einschränkung seines Unterhalts hinnehmen muss, wenn sie auf einer anzuerkennenden beruflichen Veränderung des Verpflichteten beruht; andererseits muss dieser Rücksicht auf die Belange eines Unterhaltsgläubigers nehmen (OLG Bamberg, FamRZ 1989, 93, 94). Hieraus hat der BGH (FamRZ 1987, 372) die Obliegenheit zur Bildung von Rücklagen, Aufnahme eines Kredits oder sonstigen geeigneten Maßnahmen hergeleitet. Scheiden aber derartige Möglichkeiten - wie offensichtlich auch hier - von vornherein aus, dann kann die Abwägung der Interessen von Unterhaltsgläubiger und Unterhaltsschuldner in aller Regel nur dazu führen, dass der Verpflichtete ein Studium beziehungsweise eine berufliche Fortbildung zurückstellen oder notfalls ganz aufgeben und eine Erwerbstätigkeit aufnehmen muss, wenn er nur hierdurch seine unterhaltsrechtliche Leistungsfähigkeit für die Zukunft sicherzustellen vermag (vgl. BGH, FamRZ 1987, 930, 933; OLG Bamberg, FamRZ 1989, 93, 94 f.; Wendl/Staudigl/Dose, aaO., § 1 Rn. 489). Das gilt jedenfalls dann, wenn es - wie hier - um den Regelbetrag für ein minderjähriges Kind geht und ein Beitrag des anderen Elternteils zum Barunterhalt wegen der Betreuung des Kindes ausscheidet. Der Unterhaltsanspruch des Kindes hat dann grundsätzlich Vorrang vor der beruflichen Entscheidungsfreiheit des barunterhaltspflichtigen Elternteils (OLG Bamberg, FamRZ 1989, 93, 95).

Daran ändert - entgegen der Auffassung des Familiengericht - auch nichts der Umstand, dass der Lebensplan der Beklagten "ein Studium vorsah" (vgl. Seite 4 des angefochtenen Urteils, Bl. 109 d.A.). Ein solcher Plan mag im Verhältnis zu ihrem geschiedenen Ehemann Geltung beanspruchen. Für ihre unterhaltsrechtliche Beziehung zur minderjährigen Klägerin gilt jedoch ein anderer Maßstab, nämlich der des § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB (vgl. Kalthoener/Büttner/Niepmann, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 9. Aufl. 2004, Rn. 653). Unerheblich ist für die Frage der Unterhaltsverpflichtung schließlich auch der Beweggrund für den Abschluss der Ausbildung. Selbst wenn die Beklagte diese allein deshalb abgeschlossen hätte, um einen Hochschulzugang zu erwerben, ändert dies nichts an dem vorstehend geschilderten Abwägungsergebnis. Im Übrigen erscheint der Vortrag insoweit widersprüchlich, als die Beklagte selbst Bewerbungen bezogen auf den erlernten Beruf zur Akte gereicht beziehungsweise in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2006 vor dem Amtsgericht ausgeführt hat, sich nach Abschluss der Ausbildung im Jahre 2003 um eine Arbeit in diesem Beruf bemüht zu haben (vgl. Seite 2 des Protokolls des Amtsgerichts, Bl. 101 d.A.).

2. Dass die Beklagte ihrer gesteigerten Erwerbsobliegenheit hinreichend Rechnung tragen hat, hat sie (auch) in der Berufungsinstanz nicht hinreichend dargetan. Von daher muss sie sich fiktive Einkünfte jedenfalls in einer Höhe zurechnen lassen, die ihr die Zahlung des Regelbetrages ermöglichen.

a) Nach dem oben zu Ziffer 1 Gesagten hätte die Beklagte spätestens mit der dauerhaften Übersiedlung der Klägerin zum Vater ab 1. März 2004 beginnen müssen, sich zielgerichtet um eine Anstellung in ihrem erlernten Beruf als IT-Systemkauffrau zu bemühen, anstatt zum Wintersemester 2004/2005 ein Studium aufzunehmen. Die Beklagte hat nicht ansatzweise substantiiert dargetan, warum es ihr nicht möglich beziehungsweise zumutbar sein sollte, als IT-Systemkauffrau zu arbeiten. Vielmehr hat sie sich in ihrer Berufungsbegründung im Wesentlichen darauf beschränkt darzulegen, wieso sie ihrer Auffassung nach nicht einmal in der Lage ist, die vom Amtsgericht ausgeurteilten 100 € an monatlichem Unterhalt an ihre Tochter zu zahlen.

Ebenso wenig hat die Beklagte mit ihrem erstinstanzlichen Vortrag den Anforderungen an ihre Darlegungslast genügt. Dort hatte sie mit Schriftsatz vom 28. September 2005 lediglich ein Konvolut an Bewerbungsunterlagen zur Akte gereicht (vgl. Bl. 8a, 16 ff. d.A.). In der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2006 hat sie lapidar erklärt, sie habe sich nach Abschluss der Ausbildung im Jahre 2003 um eine Arbeit in diesem Beruf bemüht (vgl. Seite 2 des Protokolls des Amtsgerichts, Bl. 101 d.A.). Schließlich lassen auch die zur Akte gereichten Unterlagen nicht auf zielgerichtete, den strengen, sich aus § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB ergebenden Anforderungen genügende Bemühungen schließen. Offensichtlich hat sich die Beklagte auf verschiedene Tätigkeiten beworben, zum Beispiel auch als Verkäuferin. Dass sie sich als IT-Systemkauffrau beworben hat, lässt sich insgesamt allenfalls 6 Absagen aus der Zeit bis März 2004 und 3 Bewerbungen vom Frühjahr 2004 beziehungsweise 2005 entnehmen. Diese Bemühungen reichen bei weitem nicht aus, um den strengen Anforderungen zu genügen (vgl. Wendl/Staudigl/Dose, aaO., § 1 Rn. 527 m.w.N.).

b) Da die Beklagte ihre Arbeitskraft mithin nicht so gut wie möglich eingesetzt hat, muss sie sich Einkünfte anrechnen lassen, die sie bei gutem Willen durch eine zumutbare Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Nach Auffassung des Senats ist es nicht auszuschließen, dass die 27-jährige und - soweit ersichtlich - gesundheitlich nicht eingeschränkte Beklagte unter Berücksichtigung ihrer abgeschlossenen Berufsausbildung auch bei der gegebenen Arbeitsmarktsituation bei Entfaltung der unterhaltsrechtlich gebotenen Bemühungen jedenfalls eine Anstellung hätte finden können, die ihr bei Beachtung des notwendigen Selbstbehalts von 890 € zumindest die Zahlung des geforderten Regelbetrages in Höhe von zurzeit 247 € ermöglichen würde (§ 287 ZPO).

Ende der Entscheidung

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