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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Bremen
Beschluss verkündet am 12.03.2007
Aktenzeichen: Verg 3/06
Rechtsgebiete: GWB, ZPO


Vorschriften:

GWB § 114 Abs. 2 Satz 2
GWB § 116
ZPO § 567
1. Betreibt im Falle des § 114 Abs. 2 GWB die Vergabekammer das Verfahren nicht, so kommt eine Untätigkeitsbeschwerde mangels gesetzlicher Regelung allenfalls als ultima ratio in Betracht.

2. Die Beteiligten des Nachprüfungsverfahrens müssen zunächst im Wege einer Dienstaufsichtsbeschwerde versuchen, den Fortgang des Verfahrens zu erreichen.


Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen Beschluss

Geschäftszeichen: Verg 3/06

In der Beschwerdesache

Tenor:

Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Beschwerdewert wird auf EUR 93.563,11 (5% von EUR 1.871.262,71) festgesetzt.

Gründe:

I. Die Antragstellerin hatte zunächst bei der Vergabekammer einen Nachprüfungsantrag betreffend ein Vergabeverfahren der Antragsgegnerin gestellt. Nachdem dieser Antrag vor Erteilung des Zuschlages nicht mehr hatte zugestellt werden können, stellte sie einen Antrag gemäß § 114 Abs. 2 GWB. Im Verlaufe dieses Nachprüfungsverfahrens kam es zu einer mündlichen Verhandlung am 28. November 2005, in der die Vergabekammer einen Vergleichsvorschlag unterbreitete. Anfang Dezember 2005 erhielt die Vergabekammer die Mitteilung, dass die Parteien diesen Vergleich nicht abschließen wollten.

Unter dem 13. Dezember 2005 und dem 21. Februar 2006 erkundigte sich die Antragstellerin nach dem Sachstand. Mit Schreiben vom 8. März 2006 wurde ihr mitgeteilt, mit einer Entscheidung der Vergabekammer sei in der folgenden Woche zu rechnen. Auf die weitere Anfrage vom 18. Mai 2006 wurde ihr vom Vorsitzenden der Vergabekammer mitgeteilt, die Entscheidung werde bis spätestens Mitte Juni den Beteiligten vorliegen. Mit Schriftsätzen vom 21. Juli und 4. September 2006 erkundigte sich die Antragstellerin erneut nach dem Sachstand und kündigte die Einlegung einer Untätigkeitsbeschwerde an. Mit e-mail vom 12. September 2006 kündigte der Vorsitzende der Vergabekammer eine Entscheidung für die 37. Kalenderwoche (11. bis 15. September) an.

Am 16. November 2006 hat die Antragstellerin Untätigkeitsbeschwerde erhoben.

Am 19. Dezember 2006 hat die Vergabekammer über den Nachprüfungsantrag entschieden. Darauf haben beide Parteien die Untätigkeitsbeschwerde für erledigt erklärt.

Die Antragstellerin ist der Auffassung, die Untätigkeitsbeschwerde sei zulässig gewesen. Jedermann habe als Folge des Selbsthilfeverbots einen Anspruch auf Rechtsschutz, zu dessen Durchsetzung auch die Untätigkeitsbeschwerde erforderlich sei, die allerdings gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen sei. Auch das Bundesverfassungsgericht habe mit seiner Entscheidung vom 11. Dezember 2000 die grundsätzliche Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde anerkannt.

Die Antragsgegnerin hält die Untätigkeitsbeschwerde für unzulässig.

II. Die Kosten des Rechtsstreits waren in entsprechender Anwendung des § 91 a ZPO der Antragstellerin aufzuerlegen, weil die Untätigkeitsbeschwerde unzulässig war.

Auf die Kostenentscheidung nach der übereinstimmenden Erledigungserklärung der Parteien sind die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend anzuwenden. Allerdings wird weder in § 120 Abs. 2 GWB noch in den dort aufgeführten Vorschriften auf die Kostenregelungen der ZPO verwiesen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind jedoch für die Kostengrundentscheidung im Beschwerdeverfahren vor dem Vergabesenat die §§ 91 ff. ZPO entsprechend heranzuziehen (BGH VergabeR 2004, S. 473, 478; NJW 2001, S. 1492, 1495, s.a. OLG Frankfurt NZBau 2001, S.101, 102; Kulartz/Kus/Portz-Wiese § 120 GWB Rdnr.45). Da die Parteien übereinstimmende Erledigungserklärungen abgegeben haben, konnte daher gemäß § 91 a ZPO durch Beschluss ohne mündliche Verhandlung entschieden werden.

Das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen sieht die Untätigkeitsbeschwerde nicht vor. Auch in der Zivilprozessordnung ist sie nicht erwähnt. Sowohl gemäß § 116 Abs.1 GWB als auch gemäß § 567 ZPO ist die sofortige Beschwerde gegen eine Entscheidung, nicht aber gegen eine unterbliebene Entscheidung vorgesehen. Selbst in dem in § 116 Abs.2 GWB geregelten Fall wird eine Entscheidung der Vergabekammer lediglich fingiert.

Demgegenüber sehen § 75 VwGO und § 27 EGGVG einen Rechtsbehelf gegen die Untätigkeit von Behörden ausdrücklich vor.

Allerdings wird für die Zivilprozessordnung die Untätigkeitsbeschwerde in Rechtsprechung und Literatur in entsprechender Anwendung von § 567 ZPO oder § 252 ZPO zur Sicherung des aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art . 2 Abs.1 i.V.m. Art.20 Abs.3 GG) folgenden Justizgewährleistungsanspruchs teilweise für zulässig gehalten (BVerfG NJW 1997, S.2811, 2812; NJW 2000, S. 797; NJW 2001, S.961, auch NJW 2003, S.2672; OLG Hamburg NJW-RR 1989, S.1022; OLG Karlsruhe NJW 1984, S.985; OLG Saarbrücken NJW-RR 1999, S.1290; OLG Zweibrücken NJW-RR 2003, S.1653; Zöller-Gummer, 26. Aufl. § 567 Rdnr. 21; Schneider MDR 2005 S.430; offen gelassen in KG OLG-Report 1997, 251).

Es kann dahingestellt bleiben, ob eine derartige Untätigkeitsbeschwerde im Vergabenachprüfungsverfahren statthaft ist. Der erkennende Senat ist der Auffassung, dass dies - mangels gesetzlicher Regelung - jedenfalls nur als ultima ratio in Betracht kommen kann. Vor der Einlegung einer solchen Beschwerde müssen sämtliche Möglichkeiten, die Vergabekammer zu einer Entscheidung bzw. der Fortsetzung des Verfahrens zu bewegen, ausgeschöpft sein. Dazu gehört nach Ansicht des Senats auch die Erhebung einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die Mitglieder der Vergabekammer. Diese Möglichkeit kommt jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden in Betracht, in denen die Vergabekammer über einen langen Zeitraum untätig bleibt.

Gemäß § 105 Abs.1 GWB entscheiden die Vergabekammern im Rahmen der Gesetze unabhängig und in eigener Verantwortung. Die Mitglieder der Kammern sind nach Abs.4 S.2 dieser Vorschrift unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen. Damit erhalten sie eine Stellung, die der von Richtern vergleichbar ist (vgl. Portz in: Kularz/Kus/Portz, § 105 GWB Rdnr.6), bleiben aber eine verwaltungsinterne Instanz, d.h. Teil der Exekutive. Insoweit unterliegen sie - wie Richter - der allgemeinen Dienstaufsicht durch den Dienstherrn (vgl. Reidt in Reidt/Stickler/Glas, 2. Aufl. § 105 GWB Rdnr. 4, Immenga/Mestmäcker-Stockmann, 3. Aufl., § 105 GWB Rdnr. 6). Das ist die gemäß § 106 Abs.2 GWB bestimmte, für die Einrichtung der Vergabekammer zuständige Stelle. In Bremen ist dies der Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung (§ 3 Abs.1 der Bekanntmachung über die Zuständigkeiten in Nachprüfungsverfahren bei der Vergabe öffentlicher Aufträge vom 8. Juni 1999 [Brem. ABl. S. 489] [jetzt: Senator für Bau, Umwelt und Verkehr]). Sinnvollerweise richtet sich die Dienstaufsicht wegen der Vergleichbarkeit in der jeweiligen Stellung nach den für Richter geltenden Vorschriften (Stockmann a.a.O.). Gemäß § 26 Abs.2 DRiG umfasst die Dienstaufsicht gegenüber Richtern jedenfalls auch die Befugnis, zu ordnungsgemäßer, unverzögerter Erledigung der Amtsgeschäfte zu ermahnen.

Nach Ansicht des Senats ist das Dienstaufsichtsverfahren aufgrund der größeren Sachnähe eher als das Beschwerdeverfahren geeignet, die Gründe für die Untätigkeit der Vergabekammer aufzudecken und gegebenenfalls durch geeignete Maßnahmen - notfalls durch Entfernung der untätigen Mitglieder - abzustellen (für das Dienstaufsichtsverfahren auch: Stein/Jonas-Grunsky, 21. Aufl., vor § 567 ZPO Rdnr. 19; MünchKomm-Braun, 2. Aufl., § 567 Rdnr.10; Musielak-Ball, 3. Aufl., § 567 ZPO Rdnr.14; differenzierend Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 63.Aufl. § 567 ZPO Rdnr. 5; abweichend: Zöller-Gummer, 26. Aufl. § 567 ZPO Rdnr. 21).

Erst wenn das Dienstaufsichtsverfahren nicht in angemessener Zeit zum Fortgang des Verfahrens geführt hat, kann nach Ansicht des Senats die Zulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde in Betracht kommen.

Dabei ist - im Unterschied etwa zu den Verwaltungsverfahren nach § 75 VwGO und § 27 EGGVG - auch zu berücksichtigen, dass sich die Untätigkeitsbeschwerde im Vergabeverfahren nicht gegen die Vergabekammer, sondern gegen den Gegner des Verfahrens richten muss und damit für die Beteiligten ein Kostenrisiko enthält, das diese nicht zu verantworten haben. Auch unter diesem Aspekt muss die Untätigkeitsbeschwerde die ultima ratio bleiben, wenn alle anderen Möglichkeiten, das Nachprüfungsverfahren voranzutreiben, ergebnislos verlaufen sind.

Die Antragstellerin hat eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den untätigen Vorsitzenden der Vergabekammer nicht erhoben.

Entgegen ihrer Ansicht war gegen diesen ein Dienstaufsichtsverfahren möglich, weil er - trotz seiner anderweitigen Tätigkeit als selbständiger Rechtsanwalt und Notar - vom Senator für Bau, Verkehr und Stadtentwicklung [jetzt: Senator für Bau, Umwelt und Verkehr] als Vorsitzender einer Vergabekammer eingesetzt ist und damit dessen Dienstaufsicht unterliegt.

Ende der Entscheidung

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