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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 07.04.2006
Aktenzeichen: 1 ARs 18/05 (Ausl)
Rechtsgebiete: IRG, GG, BVerfGG


Vorschriften:

IRG § 32
IRG § 73
GG Art. 6
BVerfGG § 79 Abs. 2
1. Der Vertrauensgrundsatz steht der Zulässigkeit der Auslieferung auch nach bereits abgelehnter Bewilligung in derselben Sache nicht entgegen, wenn ein erneutes, auf neue Umstände gestütztes Auslieferungsersuchen vorliegt.

Die Nichtigkeit des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedern der Europäischen Union (EuHbG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1748) aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (2 BvG 2236/04) stellt einen neuen beachtlichen Umstand dar.

2. Die Auslieferung eines Ausländers mit deutschen Familienangehörigen zur Strafvollstreckung in sein Heimatland ist auch unter Berücksichtigung des Schutzes von Ehe und Familie nach Art. 6 GG zulässig.


Oberlandesgericht Celle Beschluss

1 ARs 18/05 (Ausl)

In dem Auslieferungsverfahren

hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und die Richterin am Oberlandesgericht ####### am 7. April 2006 beschlossen:

Tenor:

Die Auslieferung des Verfolgten von D.####### nach I.####### zur Vollstreckung der Rest-Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren, fünf Monaten und einundzwanzig Tagen aus der Gesamtstrafenanordnung der Staatsanwaltschaft beim Berufungsgericht P.####### vom 26. März 2004 mit den zugrundeliegenden Erkenntnissen - Urteil des Amts- bzw. Bezirksgerichts P.####### vom 7. November 1990, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### am 20. November 1992, und Urteil des Landgerichts T.####### vom 27. Januar 2000, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### am 27. März 2002 - ist zulässig.

Gründe:

I.

Die i.####### Justizbehörden haben erstmals im Juni 2004 mit einer Ausschreibung im Sch. ####### Informationssystem (SIS) um Festnahme des Verfolgten zum Zwecke der Strafvollstreckung ersucht. Der Senat hat daraufhin mit Beschluss vom 10. Juni 2004 die vorläufige Auslieferungshaft und nach Vorlage der Auslieferungsunterlagen mit Beschluss vom 16. Juli 2004 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die benannten Senatsbeschlüsse Bezug genommen.

Auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft hat der Senat mit Beschluss vom 25. Au-gust 2004 den Haftbefehl vom 16. Juli 2004 allerdings aufgehoben und die Auslieferung für unzulässig erklärt. Der Senat hat seine Entscheidung auf den nach den bereits ergangenen Beschlüssen am 23. August 2004 in Kraft getretenen § 80 Abs. 2 und 3 IRG i.d.F. des Gesetzes zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl vom 21. Juli 2004 (BGBl. 2004 I, 1748) - Europäisches Haftbefehlsgesetz (EuHbG) gestützt. Danach hing die Auslieferung von einer Zustimmung des Verfolgten ab, weil dieser seit drei Jahren (konkret seit dem 28. Juli 2001) eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis besaß und eine Zustimmung zur Auslieferung nicht erteilt hatte. Die Generalstaatsanwaltschaft hat daraufhin mit Verfügung vom 4. Oktober 2004 die Auslieferung des Verfolgten nach I.####### nicht bewilligt und dies gegenüber den i.####### Behörden auch ausdrücklich erklärt.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 18. Juli 2005 (2 BvG 2236/04) das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl insgesamt und damit auch den § 80 Abs. 2 und 43 IRG für verfassungswidrig und nichtig erklärt.

Das i.####### Justizministerium hat mit Schreiben vom 23. September 2005 daraufhin sein Auslieferungsersuchen erneuert. Die Auslieferungsunterlagen - insbesondere auch die der Gesamtstrafenentscheidung zugrundeliegenden Urteile sämtlicher Instanzen - liegen dem Senat in beglaubigter Abschrift vor.

Aus den Unterlagen ergibt sich, dass der Verfolgte eine Reststrafe von sechs Jahren, fünf Monaten und einundzwanzig Tagen zu verbüßen hat, die ihm auferlegt wurde durch

a) das Urteil des Amtsgerichts P.####### vom 7. November 1990, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 20. November 1992 (zwei Jahre und vier Monate wegen Hehlerei) und

b) das Urteil des Gerichts zu T.####### vom 27. Januar 2000, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 27. Dezember 2002 (vier Jahre und sechs Monate wegen Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung mit erschwerenden Umständen und Hehlerei),

beide zu der vorgenannten Gesamtstrafe zusammengefasst durch Anordnung der Generalstaatsanwaltschaft beim Berufungsgericht P.####### vom 26. März 2004. Sämtliche Urteile sind in Abwesenheit des Verurteilten ergangen.

Dem Urteil zu a) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Bei einer normalen Verkehrskontrolle in P.####### am 17. April 1990 nahm die Polizei den Verfolgten fest, weil sich in seinem Fahrzeug versteckt hinter der Sonnenblende und in den Lautsprecherkonsolen 56 Schecks in unterschiedlicher Betragshöhe sowie ein Scheck in Höhe von 12.000.000 L.####### befanden, die alle auf verschiedene Namen und Firmen ausgestellt waren und - wie nachfolgende Ermittlungen ergaben - alle aus Diebstählen stammten.

Dem Urteil zu b) liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Bei einer Hausdurchsuchung am Wohnsitz des Verfolgten im Februar 1991 wurden mehrere gestohlene und geraubte Schecks festgestellt, die mittels Änderung der Zahl und der Namen der Indossanten verfälscht waren. Polizeiliche Ermittlungen und Telefonüber-wachungen ergaben, dass der Verfolgte persönlich als Mitglied einer Gruppierung, die sich kriminell verabredete, um den Schwarzmarkt von T.####### mit falschen Schecks zu beliefern, verantwortlich war.

Der Verfolgte ist am 20. Februar 2006 vom Amtsgericht H.####### zu dem Auslieferungsersuchen richterlich angehört worden.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt nunmehr, über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden (§ 29 IRG).

II.

Dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung des Verfolgten nach I.####### für zulässig zu erklären, war zu entsprechen.

Der Verfolgte hat sich in seiner gemäß § 28 IRG erfolgten richterlichen Anhörung nicht mit der vereinfachten Auslieferung einverstanden erklärt und auch nicht auf die Beachtung des Grundsatzes der Spezialität (§§ 11, 41 Abs. 2 IRG) verzichtet. Daher hatte der Senat nunmehr gemäß §§ 29 Abs. 1, 32 IRG über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden.

Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 18. Juli 2005 (2 BvG 2236/04) das Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedern der Europäischen Union (EuHbG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1748) für nichtig erklärt hat, ist die Entscheidung über die Auslieferung auf der Basis der früheren Rechtslage zu treffen (s.a. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2005 - 1 ARs 5/05).

Danach ist die Auslieferung des Verfolgten nach I.####### zulässig.

1.

Es liegt ein formgerechtes neues Auslieferungsersuchen vor.

a) Der Einwand der Verteidigung, es handele sich nicht um ein neues Auslieferungser-suchen, sondern um eine unzulässige und rechtswidrige Wiederaufnahme des früheren Auslieferungsverfahren nach § 33 IRG, greift letztlich auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes nicht durch.

So ist es zwar zutreffend, dass nach der Erklärung der Ablehnung der Bewilligung gegenüber den i.####### Behörden das (ursprüngliche) Auslieferungsverfahren zu einem Abschluss gekommen ist und eine erneute Entscheidung über dieses Auslieferungsersuchens im Wiederaufnahmeverfahren nach § 33 IRG nicht in Betracht kommt (vgl. Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 3. Aufl., § 33 IRG Rdn. 8). Es ist jedoch möglich, aufgrund eines erneuten Ersuchens mit neuen Tat-sachen in einem neuen Auslieferungsverfahren nach §§ 29, 41 IRG zu verfahren (BVerfGE 50, 244; BGHSt 6, 236; Schomburg/Lagodny ebenda).

Aus dem von der Verteidigung in diesem Zusammenhang herangezogenen Grundsatz des Vertrauensschutzes ergibt sich letztlich nichts anderes.

(1) Dabei verkennt der Senat nicht, dass eine Beendigung des Auslieferungsverfahrens mit einer ablehnenden Entscheidung für den betroffenen Ausländer einen verfassungsrechtlich geschützten Vertrauenstatbestand schafft (BVerfGE 50, 244; BVerfGE 13, 261). Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 14. Februar 1979 (BVerfGE 50, 244) ausdrücklich ausgeführt, dass es gegen den Vertrauenstatbestand verstoße, wenn nach Ablehnung des Auslieferungsbegehrens trotz des damit erfolgten Abschlusses des Auslieferungsverfahrens dennoch auf das verbrauchte Auslieferungsersuchen hin später zu irgend einer Zeit eine Auslieferungsbewilligung erteilt werden könnte. Das Bundesverfassungsgericht hat in derselben Entscheidung aber weiter ausgeführt, eine Auslieferung drohe nur dann noch, wenn in einem neuen Auslieferungsverfahren aufgrund eines erneuten Ersuchens die Auslieferung bewilligt würde.

Auch nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes kann eine vorangegangene Entscheidung eines Oberlandesgerichts über die Zulässigkeit der Auslieferung eine - wenn auch beschränkte - Rechtskraft entfalten, nämlich dahingehend, dass das Oberlandesgericht nur aufgrund neuer Tatsachen wegen eines sich auf dieselbe Tat oder Strafe beziehenden Auslieferungsersuchens eine abweichende Sachentscheidung treffen dürfe (Beschluss des 3. Strafsenates vom 29. Juni 1954; BGHSt 6, 236).

Dieser Rechtsprechung schließt sich der Senat ausdrücklich an.

(2) Dies zugrundegelegt kann ein neues Auslieferungsersuchen nach einer ablehnenden Zulässigkeitserklärung in derselben Sache Anlass zu einer abweichenden Entscheidung geben, wenn neue Tatsachen bzw. Umstände vorliegen.

Nach Auffassung des Senats sind eine neue Entscheidung rechtfertigende Umstände alle Tatsachen, Beweismittel oder Ereignisse, die die tatbestandlichen Voraussetzungen des materiellen oder formellen Auslieferungsrechts betreffen. Unerheblich ist, ob es sich um eine Änderung der Rechts- und/oder der Tatsachenlage handelt und ob diese Umstände beim Verfolgten selbst liegen oder nicht.

Dabei orientiert sich der Senat an der zu § 33 IRG ergangenen Rechtssprechung (dazu Schomburg/Lagodny, aaO, § 33 IRG, Rdn. 10 m.w.N.). Diese Vorschrift betrifft zwar nur den Fall der erneuten Entscheidung vor Abschluss des Auslieferungsverfahrens durch die Bewilligungsentscheidung (s.o.), ist aber Ausdruck des Vertrauensschutzes. Dieser gilt auch für den hier vorliegenden Fall einer erneuten Entscheidung nach einer abgelehnten Bewilligungsentscheidung gleichermaßen. Daher erscheint es sachgerecht, die zu § 33 IRG als spezieller Wiederaufnahme-Vorschrift im Auslieferungsrecht ergangene Rechtsprechung heranzuziehen.

Die von der Verteidigung erwähnten Grundsätze des "ne bis in idem" sind demgegenüber für die Frage der Zulässigkeitsentscheidung nicht uneingeschränkt übertragbar. Sie gelten nur für die Schuld- und Straffrage. Im Rahmen des Auslieferungsverfahrens sind sie nur im Hinblick auf die Vermeidung der Doppelbestrafung nach der Maßgabe von § 9 IRG, Art. 9 EuAlÜbk, § 54 SDÜ anwendbar. Auch die Vorschriften zur Wiederaufnahme eines Verfahrens zuungunsten eines Verurteilten nach § 362 StPO sind nicht entsprechend anwendbar, denn der Senat entscheidet nicht über die Schuld des Verfolgten - dies ist den i.####### Justizbehörden vorbehalten - sondern nur über die Zulässigkeit der Auslieferung aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen.

(3) Nach diesen Grundsätzen steht der Vertrauensschutz in diesem Fall einer Auslieferung nicht entgegen.

Es liegt ein neues Auslieferungsersuchen und es liegen neue Umstände vor, die eine andere Entscheidung über die Zulässigkeit zu begründen geeignet sind.

Mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2005 (2 BvG 2236/04) ist die Vorschrift des § 80 Abs. 2 und Abs. 3 Nr. 2 IRG i.d.F. vom 21. Juli 2004, auf die der Senat die Ablehnung gestützt hat, für nichtig erklärt worden. Nach den nunmehr anzuwendenden Vorschriften des IRG und des EuAlÜbk begründet der Aufenthaltsstatus des Verfolgten in Deutschland kein Auslieferungs-hindernis mehr. Dieser nachträgliche Wegfall des Auslieferungshindernisses stellt einen neuen, beachtlichen Umstand dar, der eine erneute Zulässigkeitsentscheidung rechtfertigt.

Dass der Verfolgte nach seinen Angaben nach der Ablehnung der Bewilligung Investitionen in sein Geschäft in H.####### getätigt hat, vermag einen schützenswerten Vertrauenstatbestand allein nicht zu rechtfertigen. Dies gilt um so mehr, als dem im Auslieferungsverfahren durchweg anwaltlich vertretenen Verfolgten die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und damit die Änderung der Rechtslage nicht verborgen geblieben sein dürfte.

b) Das neue Auslieferungsersuchen entspricht den Formanforderungen nach dem EuAlÜbk.

Die nunmehr in beglaubigter Abschrift vorliegenden Auslieferungsunterlagen sind vollständig und genügen den Anforderungen für die Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung nach Art. 12 EuAlÜbk.

Dass in der Übersendungsnote Bezug genommen wird auf das frühere Auslieferungsersuchen ("bekräftigen wir unser Interesse an der Auslieferung der im Betreff genannten Person und verweisen auf die Mitteilung derselben Nummer vom 16. Juni 2004, .... , und auf die bereits früher übersandten Unterlagen") , steht dem nicht entgegen. Eine ausdrückliche Bekräftigung des vorangegangenen - abgelehn-ten - Auslieferungsersuchens reicht aus (Schomburg/Lagodny, aaO, § 12 IRG Rdn. 11); alles andere wäre bloße Förmelei.

Dass die i.####### Justizbehörden das erneute Ersuchen erst auf einen ent-sprechenden Hinweis der Generalstaatsanwaltschaft gestellt haben, steht der Annahme eines erneuten Ersuchens ebenfalls nicht entgegen: Entscheidend ist nicht warum, sondern dass die i.####### Justizbehörden einen neuen Antrag gestellt haben.

2.

Die Auslieferung des Verfolgten nach I.####### aufgrund dieses neuen Ersuchens ist zulässig.

a) Die Straftaten, derentwegen die Auslieferung begehrt wird, sind nach Art. 2 Abs. 1 EuAlÜbk auslieferungsfähig. Die Taten sind nach i.####### und d.####### Strafrecht (§§ 259, 260 Abs. 1 Nr. 2, evtl. auch § 260a, 25 Abs. 1 und 2, 53 StGB) strafbar. Der Verfolgte hat auch mehr als vier Monate Strafhaft zu verbüßen, Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EuAlÜbk.

b) Gründe, die der Auslieferung nach den Bestimmungen des EuAlÜbk oder des IRG entgegenstehen könnten, sind nicht ersichtlich. Der Senat legt seinen Erwägungen insoweit die von der Generalstaatsanwaltschaft über das EJN (formlos) eingeholten Erklärungen der i.####### Justizbehörden zugrunde.

(1) Danach ist wegen keiner der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Taten Verfolgungs- oder Vollstreckungsverjährung nach dem hier allein maßgeb-lichen i.####### Recht (§ 9 Abs. 2 IRG, Art. 10 EUAlÜbK, Art 62 Abs. 1 SDÜ) eingetreten.

(a) Insbesondere ist keine Vollstreckungsverjährung hinsichtlich der Verurteilung durch das Amtsgerichts P.####### vom 7. November 1990, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 20. November 1992, eingetreten, weil § 172 des i.#######. Strafgesetzbuches vorsieht, dass eine Freiheitsstrafe nach Ablauf von zehn Jahren nach Inkrafttreten des Urteils ausnahmsweise nicht erlischt, wenn - wie hier - gegen den Verurteilten in diesem Zeitraum ein weiteres Urteil wegen einer Straftat derselben Art ergeht.

Auch hinsichtlich der Verurteilung durch das Gericht zu T.####### vom 27. Ja-nuar 2000, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 27. Dezem-ber 2002, ist keine Verjährung eingetreten, weil die Mindestfrist der Voll-streckungsverjährung von zehn Jahren ab Rechtskraft des Urteils, die am 9. Oktober 2002 eingetreten ist, noch nicht abgelaufen ist.

(b) Soweit die Verteidigung mit Schriftsatz vom 8. März 2006 vorgetragen hat, der Verfolgte habe beim Appellationsgericht in P.####### die Aufhebung des Gesamtstrafenbeschlusses wegen Verjährung beantragt, ergibt sich allein aus der Tatsache der Antragstellung und der Terminierung des Gerichts, die auf den 8. März 2006 erfolgt sein soll, nicht, dass tatsächlich ein Abschiebungshindernis nach § 9 Abs. 2 IRG, Art. 10 EUAlÜbK, Art 62 Abs. 1 SDÜ vorliegt.

Der Senat geht davon aus, dass die Bundesrepublik Deutschland umgehend von der i.#######. Seite unterrichtet werden wird, wenn die Grundlage für das Auslieferungsersuchen teilweise oder vollständig entfallen sein sollte.

Im übrigen hat die i.####### Kontaktstelle des EJN in P.#######, die zum Vorbringen der Verteidigung um eine Stellungnahme gebeten worden ist, hier am 24. März 2006 mitgeteilt, dass derzeit zwar ein entsprechendes Verfahren laufe, mit einer abschließenden Entscheidung auch aufgrund der beiderseitigen Rechtsmittelmöglichkeiten jedoch nicht vor der Sommerpause zu rechnen sei.

Der Senat sieht keinen Anlass, mit seiner Entscheidung bis dahin zuzuwarten. Ein Wiederaufnahmeverfahren in I.####### begründet kein Auslieferungshindernis nach den Vorschriften des IRG bzw. EuAlÜbk.

Von einer Übersetzung der vom Verfolgten in diesem Zusammenhang eingereichten, in i.####### Sprache abgefassten Schriftstücke seines i.####### Verteidigers und der in dem neuen Verfahren in I.####### ergangenen gerichtlichen Verfügungen und Beschlüsse hat der Senat abgesehen. Der Senat ist über den Verfahrensstand über die Stellungnahme der EJN-Kontaktstelle aktuell und hinreichend informiert. Die Bitte (des Verteidigers) des Verfolgten um Übersetzung der von dem i.####### Verfahrensbeteiligten gemachten Ausführungen, damit dem Verfolgten rechtliches Gehör gewährt werden könne, geht ersichtlich ins Leere. Die Schriftstücke sind dem Verfolgten bekannt und in seiner Muttersprache abgefasst. Die seines i.####### Verteidigers sind sogar von ihm veranlasst.

(2) Dass die Urteile gegen den Verfolgten in dessen Abwesenheit gefällt wurden, steht der Auslieferung nicht entgegen.

Auch insoweit ist auf die vor dem Europäischen Haftbefehlsgesetz bestehende Rechtslage und die dazu ergangene Rechtssprechung zu verweisen. Danach bestehen gegen eine Auslieferung nur dann verfassungsrechtliche Bedenken, wenn ein Verfolgter weder über die Tatsache der Durchführung und des Abschlusses des Verfahrens in irgend einer Weise unterrichtet war, noch ihm eine tatsächliche wirksame Möglichkeit eröffnet war, sich nach Erlangung dieser Kenntnis nachträglich rechtliches Gehör zu verschaffen und sich wirksam zu verteidigen (BVerfG StV 2004, 438; NJW 1983, 1726; Schomburg/Lagodny, IRG, 3. Aufl., § 15 IRG Rdn. 33a, Art. 1 EuAlÜbk Rdn. 6b m.w.N.). Zulässig ist die Auslieferung dagegen, wenn ein Verfolgter von dem gegen ihn anhängigen Verfahren in Kenntnis gesetzt worden ist, sich ihm aber durch Flucht entzogen hat und im Verfahren von einem ordnungsgemäß bestellten Pflichtverteidiger unter Beachtung rechtsstaatlicher Mindestanforderungen verteidigt werden konnte (BVerfG NJW 1987, 830, st. Rspr. des Senats, zuletzt Beschluss vom 27. Mai 2005, 1 ARs 12/05).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor:

(a) Nach den dem Senat von den i.####### Justizbehörden vorgelegten Unterlagen hatte der Verfolgte Kenntnis von den gegen ihn geführten Verfahren und konnte sich hinreichend verteidigen (lassen).

Hinsichtlich der Verurteilung durch das Amtsgericht P.####### vom 7. November 1990, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 20. Novem-ber 1992, ist mitgeteilt worden, dass der Verfolgte und der Verteidiger seines Vertrauens, Rechtsanwalt S.#######, zur Verhandlung am 30. Novem-ber 1990 geladen worden seien und der Verfolgte mit handschriftlich unterzeichnetem Schreiben, beglaubigt durch seinen Verteidiger, einem Urteil im Schnellverfahren zugestimmt habe. Die Verhandlung selbst habe dann wegen eines vom Verteidiger beantragten Aufschubes am 7. November 1990 nach der freien Wahl des Verfolgten in dessen Abwesenheit stattgefunden, zur Berufungsverhandlung am 20. November 1992 sei der Verfolgte mit der ihm am 2. September 1992 in seinem Wahlwohnsitz bei seiner Ehefrau zugestellten Anordnung geladen worden. Gegen das dort verkündete Urteil habe er noch persönlich Berufung eingelegt, die der oberste Gerichtshof am 6. Juli 1993 für unzulässig erklärt habe.

Hinsichtlich der Verurteilung durch das Gericht zu T.####### vom 27. Januar 2000, bestätigt durch das Berufungsgericht P.####### vom 27. Dezember 2002, ist mitgeteilt worden, dass sich der Verfolgte im Rahmen dieses Verfahrens vom 21. Februar 1991 bis zum 8. Mai 1991 in Untersuchungshaft befunden und danach bis zum 2. Juli 1991 unter Hausarrest gestanden habe. Die Eröffnung des Hauptverfahrens sei am 13. Juli 1993 erfolgt und dem Verfolgten am "Wohnsitz seiner Wahl zu Händen seiner Ehefrau" zugestellt worden. Das gesamte nachfolgende Verfahren fand in seiner Abwesenheit statt. Für den Verfolgten trat - so teilen die i.####### Justizbehörden mit - Rechtsanwalt S.####### auf. Angesichts der erlittenen Untersuchungshaft hatte der Verfolgte Kenntnis auch von der förmlichen Einleitung dieses gegen ihn gerichteten Verfahrens (dazu OLG Düsseldorf OLGSt IRG § 15 Nr. 4).

(b) Der Strafverfolgung in beiden Verfahren hat der Verfolgte sich bewusst entzogen. Dafür spricht schon seine in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Strafverfolgung erfolgte Ausreise aus I.#######. Nach polizeilichen Erkenntnissen ist er am 1. November 1993 in das Bundesgebiet eingereist. Dass das zweite Verfahren in Italien erst im Jahr 2002 zu einem Abschluss gekommen ist, gibt zu einer anderen Beurteilung keinen Anlass, weil der Verfolgte während der gesamten Zeit nicht nur für seinen Vertrauensanwalt, sondern auch für die i.####### Justizbehörden unauffindbar war.

Aus diesen Gründen kann dahinstehen, ob der mit Gesetz vom 22. April 2005 Nr. 60 geänderte § 175 des i.####### Strafgesetzbuches dem Verfolgten die Möglichkeit gibt, wegen der in seiner Abwesenheit gefällten Urteile nach der Auslieferung die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen und ihm damit eine gesetzliche Möglichkeit zur Wahrung seiner Rechte zusteht, die einer Zusicherung im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Satz 2 des 2. Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 17. März 1978 (2. ZP-EuAlÜbk) entspricht.

(3) Ein Auslieferungshindernis unter dem Gesichtspunkt des Schutzes von Ehe und Familie nach § 73 IRG i.V.m. Art. 6 GG sieht der Senat ebenfalls nicht.

(a) Art. 6 Abs. 1 GG schützt nicht davor, dass ein Ausländer - auch wenn er in Deutschland familiäre Bindungen hat - als Folge der Verletzung von Strafnormen außerhalb des Bundesgebietes zur Verantwortung gezogen wird (BVerfG, NStZ-RR 2004, 179 m.w.N.). Hinter dieser Rechtsprechung steht eine Abwägung des Anspruchs auf Ehe- und Familienleben mit dem staatlichen Strafverfolgungsinteresse bei den schweren Straftaten, die allein Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens sind, und für deren Durchsetzung die Bundesrepublik Deutschland auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen ist. Gerade aus diesem Grund unterstützt Deutschland das Strafverfolgungsinteresse anderer Staaten, um seinerseits in einem entsprechenden Fall Unterstützung zu erhalten. Die internationale Offenheit des vom Grundgesetz verfassten Staates sowie sein Interesse an der Durchsetzung des eigenen Strafanspruchs im Ausland überwiegen angesichts der typischerweise schwerwiegenden "auslieferungsfähigen" Straftaten regelmäßig die Schutzwirkung des Art. 6 GG (BVerfG ebenda).

Auch hier werden dem Verfolgten schwere Straftaten im Bereich der organisierten Kriminalität zur Last gelegt, wegen derer er eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hat.

(b) Die Verbüßung einer rechtskräftig verhängten Strafe wäre im übrigen auch im Inland mit wesentlichen Einschränkungen des Familienlebens verbunden (dazu Schomburg/Lagodny, aaO, § 73 Rdn. 105 m.w.N.). Die familiären Bindungen des Verfolgten würden auch die Strafvollstreckung in Deutschland nicht hindern, so dass dieser Gesichtspunkt die Ablehnung der Auslieferung nicht zu rechtfertigen vermag.

In diesem Fall steht überdies die Vollstreckung in einem - wenn auch nicht unmittelbar benachbarten, so doch leicht zu erreichenden - Staat der Europäischen Union in Rede, bei dem mit gleichartigen Vollzugsstandards - auch im Hinblick auf Besuchsregelungen u.a. - wie in Deutschland gerechnet werden kann.

(4) Der Auslieferung steht entgegen der Auffassung der Verteidigung auch die Vorschrift des § 79 Abs. 2 BVerfGG nicht entgegen.

Danach bleiben nach einer Entscheidung des Verfassungsgerichts die nicht mehr anfechtbaren Entscheidungen, die auf einer für nichtig erklärten Norm beruhen, unberührt. Dies bedeutet indes nur, dass die Entscheidung des Senats vom 25. Au-gust 2004, mit der die Auslieferung für unzulässig erklärt worden ist, unberührt bleibt, nicht aber, dass der Senat aufgrund eines erneuten Ersuchens nicht eine neue Zulässigkeitsentscheidung treffen kann (und muss). Die Wirksamkeit der vorangegangenen Senatsentscheidungen wird durch eine erneute Entscheidung nicht in Frage gestellt.

(5) Soweit die Verteidigung eine besondere Schützwürdigkeit des Verfolgten aus der Tatsache, dass die Bundesregierung eine neue Gesetzesvorlage zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erarbeitet hat, herleiten will, greift sein Vorbringen ebenfalls nicht durch.

Der Senat ist an das geltende Recht gebunden und kann davon nicht im Hinblick auf lediglich geplante gesetzliche Regelungen abweichen. Dies mag lediglich im Rahmen der Bewilligungsentscheidung, bei der ein weites außenpolitisches Grundsatzermessen besteht, Berücksichtigung finden (dazu Schomburg/Lagodny, aaO, Einl. Rdn. 62).

III.

Von einer Vorlage der Sache an den Bundesgerichtshof nach § 42 IRG hat der Senat abgesehen.

Es handelt sich um einen Einzelfall; Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung sind nicht zu klären. Der Senat will auch nicht in einer Rechtsfrage von einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes abweichen, sondern hat seine Entscheidung vielmehr auf der Basis der höchstrichterlichen Entscheidungen getroffen.

Ende der Entscheidung

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