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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 27.11.2006
Aktenzeichen: 1 U 74/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 29
Für Klagen aus dem Krankenhausaufnahmevertrag gilt (weiterhin) der besondere Gerichtsstand des Erfüllungsortes nach § 29 ZPO i. V. m. § 269 BGB, weil der eindeutige Schwerpunkt einer stationären Krankenhausaufnahme am Klinikort liegt.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Versäumnisurteil

1 U 74/06

Verkündet am 27. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 1. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 13. November 2006 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. H., den Richter am Oberlandesgericht Dr. B. und den Richter am Oberlandesgericht Dr. G. für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 8. Juni 2006 verkündete Urteil der 19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Klägerin ist eine Privatklinik mit Sitz in H., die von dem in M. wohnenden Beklagten die Bezahlung seiner stationären Behandlung vom 14. April bis zum 22. April 2005 verlangt.

Nachdem in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Hannover trotz ordnungsgemäßer Ladung für den Beklagten niemand erschienen ist, ist die Klage durch unechtes Versäumnisurteil vom 8. Juni 2006 (vgl. Bl. 55 ff. d. A.) im Verfahren gemäß § 280 ZPO als unzulässig abgewiesen worden. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass es für die Entscheidung des Rechtsstreits örtlich nicht zuständig sei. Insbesondere ergebe sich keine Zuständigkeit aus § 29 Abs. 1 ZPO. Der Erfüllungsort für die Zahlung der Behandlungskosten richte sich nach dem gemäß § 269 BGB zu bestimmenden Leistungsort. Dieser sei, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart hätten oder sich aus den Umständen nichts anderes ergäbe, der Wohnort des Schuldners, hier also M.. Eine wirksame abweichende Vereinbarung oder Umstände, die für H. als Erfüllungsort für die Honorarzahlung sprächen, lägen hier nicht vor. Beim Krankenhausvertrag würden üblicherweise die beiderseitigen Leistungspflichten nicht sogleich an Ort und Stelle erledigt, sondern der Patient werde zunächst einmal behandelt und bekomme erst später, wenn er wieder zu Hause sei, die Rechnung geschickt. Für die Krankenhausleistungen und die Zahlung der Behandlungskosten gebe es deshalb keinen einheitlichen Erfüllungsort. Die anders lautende Entscheidung des Senats vom 14. August 1989 (NJW 1990, 777) sei durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2003 zu Honorarklagen von Rechtsanwälten, die regelmäßig am Wohnsitz des Mandanten zu erfüllen seien, überholt.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin (Bl. 78 ff. d. A.). Sie vertritt weiterhin die Ansicht, dass eine Zuständigkeit des Landgerichts Hannover aus § 29 ZPO folge. Aus der Natur des Krankenhausaufnahmevertrages ergebe sich, dass beide Parteien ihre Leistungen an einem gemeinsamen Ort verwirklichen und die beiderseits geschuldeten Leistungen einheitlich dort erbringen wollten. Der eindeutige Schwerpunkt der stationären Krankenhausaufnahme liege am Klinikort, dort würden die charakteristischen Leistungen erbracht. Die Rechtsprechung des BGH zum Erfüllungsort für anwaltliche Honorarforderungen könne nicht auf Forderungen wegen eines stationären Krankenhausaufenthaltes übertragen werden, weil die Ortsbindung des Krankenhausaufnahmevertrages wesentlich stärker sei als die Ortsbindung anwaltlicher Leistungen. Auch prozessökonomische Gründe sprächen für einen einheitlichen Erfüllungsort am Sitz des Krankenhauses.

Die Klägerin beantragt,

1. das am 8. Juni 2006 verkündete Urteil des Landgerichts Hannover (19 O 15/06) aufzuheben und die Sache einschließlich des ihm zugrundeliegenden Verfahrens zurückzuverweisen;

2. hilfsweise, unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils der Klage stattzugeben und nach den in der ersten Instanz gestellten Schlussanträgen der Klägerin zu erkennen.

sowie, nachdem der Beklagte, der weiterhin weder einen Antrag gestellt noch sich zur Sache eingelassen hat, im Termin vor dem Senat vom 13. November 2006 trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen ist, den Erlass eines Versäumnisurteils.

II.

Die Berufung der Klägerin, über die nach Säumnis des Beklagten gemäß § 539 Abs. 2 ZPO zu entscheiden war, hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Hannover gemäß § 538 Abs. 2 Nr. 3 ZPO, weil durch das angefochtene Urteil nur über die Zulässigkeit der Klage entschieden worden ist.

Das Landgericht hat die Zulässigkeit der Klage zu Unrecht verneint. Es ist für die Entscheidung des Rechtsstreits gemäß § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig. Durch die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 11. November 2003 (BGHZ 157, 20 ff.) zum Gerichtsstand für Honorarforderungen für Rechtsanwälte hat sich für Forderungen aus einem Krankenhausaufnahmevertrag nichts geändert.

1.

Gemäß § 29 Abs. 1 ZPO ist, wenn, wie hier, über eine Verpflichtung aus einem Vertragsverhältnis gestritten wird, das Gericht des Orts zuständig, an dem die streitige Verpflichtung zu erfüllen ist. Dieser Erfüllungsort bestimmt sich, sofern keine gesetzlichen Sonderergelungen eingreifen, nach dem Leistungsort, der sich aus § 269 Abs. 1 und 2 BGB ergibt. Insoweit stellt § 269 Abs. 1 BGB als Dispositivnorm die von Gesetzes wegen zu beachtende Regel auf, dass die Leistung an dem Ort zu erfolgen hat, an welchem der jeweilige Schuldner zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses seinen Wohnsitz hatte. Etwas anderes gilt erst dann, wenn festgestellt werden kann und muss, dass die Vertragsparteien einen anderen, insbesondere einen Ort gemeinsamer Leistungserbringung bestimmt haben oder die Umstände des Falls einen solchen Leistungsort ergeben. Dabei soll durch die zweite dieser (Ausnahme)Alternativen in Fällen, in denen die Vertragsparteien es unterlassen haben, ihren tatsächlichen Willen zum Leistungsort durch ausdrückliches oder konkludentes Verhalten zum Ausdruck zu bringen, jedenfalls deren mutmaßlichem Willen Rechnung getragen werden können. Dieser mutmaßliche Wille kann sich vor allem aus der Beschaffenheit der streitigen Leistung ergeben, was als Selbstverständlichkeit keiner ausdrücklichen Erwähnung im Gesetz bedurfte (Prot. II.1. S. 306), aber auch aus der Natur des Schuldverhältnisses zu ersehen sein. Sofern sich Besonderheiten des konkreten Schuldverhältnisses nicht feststellen lassen, erlaubt diese zweite Alternative damit auch eine Bewertung anhand der typischen Art des Vertragsverhältnisses, das die streitige Verpflichtung begründet hat (BGH 157, 200 ff. unter IV.1.a)).

Für Honorarklagen von Rechtsanwälten hat der BGH nunmehr in dem zitierten Beschluss entschieden, dass ein gemeinsamer Erfüllungsort am Gericht des Kanzleisitzes des Rechtsanwalts nicht bestehe und sich insbesondere nicht aus der Natur des Schuldverhältnisses herleiten lasse. Es möge sein, dass der Schwerpunkt des Vertragsverhältnisses dort liege, wo der Rechtsanwalt seine nachgefragte Tätigkeit entfalte. Allein dies verleihe dem Schuldverhältnis jedoch keine Natur, die es rechtfertige oder gar erfordere, dass die Kläger als Mandanten ihre Verpflichtung nicht wirksam an ihrem jeweiligen Wohnsitz erfüllen könnten. Es müssten vielmehr weitere Umstände für die Annahme eines gemeinsamen Erfüllungsortes vorliegen, wie dies etwa beim klassischen Ladengeschäft des täglichen Lebens oder regelmäßig bei einem Bauwerksvertrag der Fall sei.

2.

Die Rechtsprechung zum Gerichtsstand für Honorarforderungen des Rechtsanwalts kann aber nicht auf Forderungen aus einem Krankenhausaufnahmevertrag übertragen werden. Vielmehr gilt weiterhin die bereits in der Entscheidung des Senats vom 14. August 1989 (NJW 1990, 777) enthaltene Erwägung, dass der Ort der Klinik, in der ein Patient stationär behandelt wird, sich in noch viel größerem Maße als beim normalen Beherbergungsvertrag oder auch beim Anwaltsvertrag als der Ort darstellt, an dem die charakteristischen Leistungen erbracht werden sollen. Beim Anwaltsvertrag muss der Dienstverpflichtete seine Leistung, etwa die gerichtliche Vertretung seines Mandanten, keineswegs stets am Kanzleisitz erbringen. Dies ist beim Krankenhausaufnahmevertrag anders. Der eindeutige Schwerpunkt einer stationären Krankenhausaufnahme liegt am Klinikort. Regelmäßig kann die Behandlung des Patienten bereits wegen der hierzu benötigten medizinischen Ausstattung nur am Klinikort vorgenommen werden. Zur Diagnostik und zur Durchführung der Therapie ist der Patient stets gezwungen, die Klinik aufzusuchen und die ärztlichen Leistungen dort "abzunehmen" (vgl. OLG Düsseldorf OLGR 2005, 28 f. unter II.). Auch die Aufklärungsgespräche vor einem Eingriff werden in aller Regel dort geführt. Schon deshalb liegen besondere Umstände vor, die sich von denen bei einem Anwaltsvertrag unterscheiden.

Außerdem wird gegen eine Honorarklage für ärztliche Leistungen erfahrungsgemäß vielfach eine fehlerhafte Behandlung eingewandt, die eine Klärung des medizinischen Sachverhalts erfordert. Dazu bedarf es regelmäßig der Beiziehung und Sichtung von Behandlungsunterlagen, die am Sitz des Krankenhauses oft schneller und sicherer abzuwickeln sein werden als an dem eventuell weit entfernten Wohnort des Patienten. Vielfach wird von Patienten auch eine unzureichende Aufklärung über den später durchgeführten Eingriff oder eine unzureichende Dokumentation der Behandlung geltend gemacht. In diesen Fällen wird dann eine Beweisaufnahme durch Vernehmung der beteiligten Ärzte und gegebenenfalls weiteren Pflegepersonals erforderlich sein, die regelmäßig am Ort des Krankenhauses unkomplizierter und schneller durchgeführt werden kann. Der Wohnort des Patienten spielt dagegen im Rahmen einer später erforderlichen Beweisaufnahme weniger eine Rolle. Sollte seine körperliche Untersuchung notwendig sein, wird diese regelmäßig nicht dort, sondern in der Praxis bzw. Klinik des vom Gericht bestellten Gutachters stattfinden. Auch im Hinblick auf möglicherweise notwendig werdende Beweisaufnahmen liegt es daher im wohlverstandenen Interesse des Patienten, eine gerichtliche Auseinandersetzung über eine Honorarforderung aus einem Krankenhausaufnahmevertrag am Sitz des Krankenhauses durchzuführen.

Im Ergebnis bleibt es deshalb dabei, dass gemeinsamer Erfüllungsort bei einem Krankenhausaufnahmevertrag der Ort des Krankenhauses ist, demnach also auch Honorarforderungen dort geltend zu machen sind (so auch die hM in Rechtsprechung und Literatur, vgl. BayObLG MDR 2005, 677 und 1397; LG München NJWRR 2003, 488; OLG Düsseldorf, OLGR 2005, 28; MedR 2005, 410; Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 29 Rn. 25; Palandt/Heinrichs, BGB, 64. Aufl., § 269 Rn. 14; a. A. LG Osnabrück NJWRR 2003, 789).

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