Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 19.09.2002
Aktenzeichen: 11 U 1/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 651 f Abs. 2
1. Ob ein Abhilfeverlangen des Reisenden auch dann Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches gemäß § 651 f. Abs. 2 ist, wenn die Reise gar nicht angetreten wird und dies darauf beruht, dass der Reiseveranstalter mitteilt, die gebuchte Reise sei nicht möglich, was einer Kündigung seinerseits gleichkommt, ergibt sich aus der Entscheidung BGHZ 92, 177 ff. nicht. Tendenziell würde der Senat diese Rechtsfrage eher verneinen.

2. Der Reisende muss nicht aus Schadensminderungsgesichtspunkten einen vom Reiseveranstalter vorgeschlagenen Alternativurlaub wahrnehmen. Diese wenn auch möglicherweise teilweise nur gefühlsmäßig getroffene Entscheidung des Reisenden muss der Reiseveranstalter, der seinerseits die vertraglich zugesagte andere Reise aufkündigt, hinnehmen.


11 U 1/02

Verkündet am 19. September 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 29. August 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Oberlandesgericht ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil der 20. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 9. November 2001 abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger als Gesamtgläubiger eine Entschädigung von 3.000 € nebst Zinsen in Höhe von jährlich 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz nach § 1 DÜG seit dem 24. April 2001 zu zahlen.

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des ersten Rechtszuges haben die Kläger 70 % und hat die Beklagte 30 % zu tragen.

Die Kosten des Berufungsrechtszuges hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Die Beschwer der Beklagten übersteigt nicht 20.000 €.

Die Kläger sind durch dieses Urteil nicht beschwert.

Gründe:

I.

Die Kläger begehren von der Beklagten in der Berufungsinstanz lediglich noch Entschädigung für vertane Urlaubszeit wegen eines Maledivenurlaubes, der in der Zeit vom 25. Dezember 2000 bis 8. Januar 2001 hätte stattfinden sollen, den die Kläger aber nicht angetreten haben, weil die Beklagte nicht in der Lage war, ihre Vertragspflichten zu erfüllen.

Die Reise scheiterte, nachdem die Beklagte den Klägern zunächst am Donnerstag, dem 21. Dezember 2000 vormittags die Reiseunterlagen hatte zukommen lassen, dann jedoch um 14:55 Uhr an das Reisebüro per Fax die Nachricht gelangen ließ, die von den Klägern gebuchte Unterkunft auf der Insel ####### sei überbucht. Man schlage den Klägern als Alternative einen Stelzenbungalow in der Anlage '#######' auf der Insel ####### vor, den man vorsorglich reserviert habe. Die Mehrkosten dieser teureren Unterkunft übernehme man gern. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 63 f. d. A. Bezug genommen. Das Reisebüro machte den Klägern hiervon am späten Nachmittag des Donnerstag 21. Dezember 2000 Mitteilung. Am Freitag, dem 22. Dezember erschien der Kläger zu 1 vormittags im Reisebüro und teilte mit, das Alternativangebot komme nicht in Betracht. Die Kläger könnten sich aber vorstellen, auf einer dritten Insel, die sie benannten, den Urlaub zu verbringen. Im Laufe des 22. Dezember konnte die Beklagte eine Klärung, ob dies möglich sei, nicht herbeiführen. Dementsprechend erklärte der Kläger zu 1, der von Beruf Rechtsanwalt ist, möglicherweise mit den Worten 'er storniere die Reise' oder 'trete zurück', am späten Nachmittag des 22. Dezember 2000, die Kläger würden nicht reisen.

Das Landgericht hat die erstinstanzlich in erheblich höherem Umfang als in der Berufungsinstanz geltend gemachte Schadensersatzforderung der Kläger abgewiesen. Es hat gemeint, die Kläger hätten das Alternativreiseangebot der Beklagten auf die Insel ####### unter dem Gesichtspunkt der Schadensminderung annehmen müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes erster Instanz sowie der landgerichtlichen Entscheidungsgründe wird auf das erstinstanzliche Urteil Bezug genommen.

Gegen das landgerichtliche Erkenntnis wenden sich die Kläger mit ihrer form- und fristgerecht eingereichten Berufung.

Mit ihr begehren die Kläger insgesamt noch eine Entschädigung wegen vertaner Urlaubszeit gemäß § 651 f. Abs. 2 BGB, die sie der Höhe nach ins Ermessen des Senats stellen, im Mindestmaß jedoch mit 2.600 € als angemessen ansehen, was die Hälfte des jeweiligen Reisepreises ausmache.

Die Kläger beantragen,

abweichend vom Antrag, wie er in der Berufungsbegründung versehentlich angekündigt war,

in Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie eine angemessene Entschädigung wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, insgesamt jedoch wenigstens 2.600 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Kläger zurückzuweisen.

Auch die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Sie meint, die Kläger hätten entgegen den Regelungen der §§ 651i und 651e BGB zu frühzeitig von der Reise endgültig Abstand genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Kläger hat Erfolg.

1. Die Kläger haben dem Grunde nach Anspruch auf Entschädigung für vertane Urlaubszeit gemäß § 651 f. Abs. 2 BGB.

Die Reise ist vereitelt worden. Die Beklagte hat dies zu vertreten. Sie hat nichts dafür vorgetragen, dass das Nichtstattfinden der gebuchten Reise auf einen Umstand zurückzuführen ist, der nicht von ihr zu vertreten wäre. Insbesondere Überbuchungen hat der Reiseveranstalter zu vertreten.

Einem Anspruch aus § 651 f. Abs. 2 steht auch nicht entgegen, dass die Kläger gegenüber der Beklagten ein nur unzureichendes Abhilfeverlangen bzw. eine zu kurze Frist zur Abklärung der Möglichkeit, ob die Kläger auf die von ihnen gewünschte dritte Insel hätten reisen können, gesetzt hätten.

Ob ein Abhilfeverlangen der Reisenden auch dann Voraussetzung eines Schadensersatzanspruches gemäß § 651 f. Abs. 2 ist, wenn die Reise gar nicht angetreten wird und dies darauf beruht, dass der Reiseveranstalter mitteilt, die gebuchte Reise sei nicht möglich, was einer Kündigung seinerseits gleichkommt, ergibt sich aus der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung BGHZ 92, 177 ff. nicht. Tendenziell würde der Senat diese Rechtsfrage eher verneinen.

Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es im Streitfall jedoch nicht an. Angesichts der in den Bereich der Beklagten fallenden späten Kündigung der gebuchten und bestätigten Reise ihrerseits, konnte die Beklagte nicht verlangen, dass die Kläger für ein aus ihrer Sicht in Betracht kommendes Alternativ-Reiseprogramm der Beklagten mehr als eine Frist von wenigen Stunden zur Prüfung beließen. Angesichts des nahe bevorstehenden Weihnachtsfestes mit mehreren aufeinander folgenden Feiertagen war es den Klägern nach Aufkündigung der vertraglich geschuldeten Reise durch die Beklagte am Donnerstagnachmittag nicht zuzumuten, mit der endgültigen Klärung der Frage, ob sie nun verreisten oder nicht, bis zum Samstag dem 23. Dezember 2000 zu warten. Die abschließende Verweigerung der Reise durch die Kläger im Laufe des Nachmittags des 22. Dezember 2000 war unter Berücksichtigung aller Umstände des Sachverhalts nicht zu beanstanden.

Entgegen dem landgerichtlichen Urteil mussten die Kläger auch nicht etwa aus Schadensminderungsgesichtspunkten den von der Beklagten vorgeschlagenen Alternativurlaub auf der Insel ####### wahrnehmen. Die Kläger haben unbestritten vorgetragen, diese Insel bereits im Zuge eines Kurzbesuches einmal aufgesucht zu haben und einen Urlaub dort nicht gewünscht zu haben. Eine derartige - wenn auch möglicherweise teilweise nur gefühlsmäßig getroffene - Entscheidung des Reisenden muss der Reiseveranstalter, der seinerseits die vertraglich zugesagte andere Reise aufkündigt, hinnehmen.

2. Der Höhe nach bemisst der Senat den den Klägern geschuldeten Ersatz auf insgesamt 3.000 €.

Die in diesem Betrag liegende geringfügige Überschreitung des von den Klägern in der Berufungsinstanz noch geltend gemachten Mindestbetrages stellt sich nicht als Verstoß gegen § 308 ZPO dar, da die Bemessung immaterieller Schäden, um die es hier geht, in das billige Ermessen des Gerichts gestellt ist.

Bemessungsmaßstab für die Höhe der im Einzelfall zu gewährenden Entschädigung für vertane Urlaubszeit sind alle Umstände des einzelnen Sachverhalts, darunter auch der Reisepreis, die Schwere der Beeinträchtigung des Erholungszweckes, die Schwere des Verschuldens des Veranstalters und Ähnliches (vgl. Palandt/Sprau, 61. Aufl., § 651 f BGB, Rn. 5).

Im Streitfall hat der Senat in die Bemessung der Entschädigung zum einen einfließen lassen, dass die Kläger einen Reisepreis von gut 10.000 DM insgesamt für einen 15-tätigen Urlaub bereit waren auszugeben. Dieser gehobene Reisepreis entspricht dem Lebens- und Vermögenszuschnitt der Kläger, die sich im Wesentlichen damit befassen, ihr beträchtliches Immobilienvermögen zu verwalten. Eine Entschädigung, die gut die Hälfte des auf jeden Kläger entfallenden Reisepreises als immateriellen Schaden gewährt, hat der Senat zum einen vor dem Hintergrund für angemessen gehalten, dass die Beklagte keinen ihre Vertragsverletzung rechtfertigenden oder auch nur entschuldigenden Grund dafür vorgetragen hat, warum sie die vertraglich geschuldete Reise den Klägern nicht erbracht hat. Zum anderen hat der Senat berücksichtigt, dass die Beklagte ihrerseits nach den allgemeinen Geschäftsbedingungen, die sie ihren Reisen zu Grunde legt, für den Fall der Stornierung durch den Reisenden ohne berechtigende Gründe in der Zeit von ein bis sieben Tagen vor Antritt der Reise, 65 % des Reisepreises vom Reisenden verlangt. Bei seinen Überlegungen hat der Senat auch berücksichtigt, dass die Reisenden, die nicht näher nachvollziehbare Verweigerung der vertraglich geschuldeten Leistung durch die Beklagte hinnehmen mussten, nachdem die Beklagte durch Übermittlung der Reiseunterlagen noch am Morgen des Donnerstag des 21. Dezember nochmals bekräftigt hatte, die geschuldete Reise durchführen zu wollen.

Eine Minderung der auf diese Weise mit 1.500 € je Kläger vom Senat bemessenen Entschädigung im Hinblick darauf, dass der Kläger zu 1 in Deutschland während der geplanten Urlaubszeit an einer Lungenentzündung erkrankte, die ihn vom 3. bis 6. Januar 2001 ans Bett fesselte und von deren ersten Symptomen er einräumt, sie am 2. Januar 2001 bemerkt zu haben, hat der Senat nicht vorgenommen. Insoweit steht nicht fest, dass die Infektion des Klägers bereits vor dem ursprünglich beabsichtigten Antritt der Reise vorgelegen hatte und er mithin während der Reise auch erkrankt wäre. Zum anderen lässt sich nicht ausschließen, dass psychische Faktoren, wie der von der Beklagten wenige Tage vor Weihnachten ausgelöste Stress durch die plötzliche und kurzfristige Entscheidung, die geschuldete Reise nicht zu gewähren, eine etwa bereits eingetretene Infektion erheblich erschwert haben könnte.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen gründen sich auf § 91 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten der Berufungsinstanz sowie auf § 92 Abs. 1 ZPO hinsichtlich der Kosten des ersten Rechtszuges. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gründet sich auf §§ 708 Nr.10, 713 ZPO.

Der Anregung des Prozessbevollmächtigten der Beklagten in der mündlichen Verhandlung, die Revision zuzulassen, ist der Senat nicht gefolgt. Eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung BGHZ 92, 177 ff. enthält die vorliegende Entscheidung nicht. Jener und der vorliegenden Entscheidung liegen gänzlich verschiedene Sachverhalte zu Grunde. Für die von der Beklagten vertretene Auffassung, der Reisende habe ihr, nachdem sie die geschuldete Reiseleistung abschließend und endgültig verweigerte, seinerseits noch ein Abhilfeverlangen mit ausreichend langer Frist setzen müssen, ist eine gesetzliche Grundlage nicht ersichtlich. Derartige Fristsetzungserfordernisse finden sich im Reisevertragsrecht nicht. Auch in anderen vertraglichen Konstellationen, wie insbesondere zu § 325 BGB a. F., werden sie für den Fall der endgültigen Leistungsverweigerung hinsichtlich der geschuldeten Leistung durch eine Vertragspartei in der Rechtsprechung stets abgelehnt. Das hier etwas anderes gelten könnte, erscheint rechtlich kaum begründbar.

Ende der Entscheidung

Zurück