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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 17.01.2006
Aktenzeichen: 14 U 169/05
Rechtsgebiete: StVG


Vorschriften:

StVG § 17
1. Bei der Abwägung nach § 17 StVG können nur bewiesene Tatsachen berücksichtigt werden, aber nicht bloße Annahmen und Vermutungen.

2. Lässt sich nicht aufklären, wer bei Rot auf die Kreuzung gefahren ist, ist eine Schadensteilung (50 : 50) gerechtfertigt.


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 169/05

Verkündet am 17. Januar 2006

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 6. Dezember 2005 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ... und der Richter am Oberlandesgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers und der Drittwiderbeklagten wird das am 29. Juni 2005 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.608,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. August 2003 zu zahlen.

Auf die Widerklage werden der Kläger und die Drittwiderbeklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner verurteilt, an den Beklagten zu 1 3.171,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20. September 2003 zu zahlen.

Im Übrigen werden Klage und Widerklage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden wie folgt verteilt:

Von den Gerichtskosten tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner 33 % und der Kläger darüber hinaus 17 % allein, die Beklagten als Gesamtschuldner 17 % und der Beklagte zu 1 darüber hinaus 33 % allein.

Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 17 % und der Beklagte zu 1 darüber hinaus 33 % allein.

Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten zu 2 und 3 trägt der Beklagte zu 1 50 %.

Von den außergerichtlichen Kosten des Beklagten zu 1 tragen der Kläger und die Drittwiderbeklagten zu 2 und 3 als Gesamtschuldner 33 % und der Kläger darüber hinaus 17 % allein.

Von den außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2 und 3 trägt der Kläger 50 %.

Im Übrigen trägt jede Partei ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden wie folgt verteilt:

Von den Gerichtskosten tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 34 % und der Beklagte zu 1 darüber hinaus 66 % allein. Von den außergerichtlichen Kosten des Klägers tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 34 % und der Beklagte zu 1 darüber hinaus 66 % allein.

Die außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten zu 2 und 3 trägt der Beklagte zu 1.

Die Beklagten tragen ihre außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 4.774,23 EUR festgesetzt.

Gründe:

Die zulässige Berufung des Klägers und der Drittwiderbeklagten hat Erfolg und führt zu der aus dem Tenor ersichtlichen Abänderung des angefochtenen Urteils.

Sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1 und Widerkläger (dieser aus abgetretenem Recht der Beklagten zu 3, § 398 BGB) haben gemäß §§ 7, 17 Abs. 3 StVG, 1, 3 PflVG wechselseitig Anspruch auf einen hälftigen Ersatz der - der Höhe nach unstreitigen - Schäden, die bei dem Verkehrsunfall vom 9. Juni 2003 auf der mit Ampeln versehenen Kreuzung der K.S.Straße mit der A./H.straße in H. an dem Pkw Golf des Klägers und dem Pkw BMW der Beklagten zu 3 entstanden sind. Es lässt sich nämlich nicht feststellen, ob die Tochter des Klägers (= Drittwiderbeklagte zu 2) oder der Beklagte zu 1 bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren ist. Zwar ist das Landgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass den Beklagten zu 1 an dem Zustandekommen des Unfalls kein Verschulden treffe; angesichts dessen hat es - gewissermaßen im Umkehrschluss - der Widerklage stattgegeben. Bei dieser Vorgehensweise hat sich die Einzelrichterin jedoch nur auf Annahmen und Vermutungen zu stützen vermocht und unberücksichtigt gelassen, dass in die Abwägung nach § 17 Abs. 3 StVG nur bewiesene Tatsachen eingestellt werden dürfen.

Hier ist das Landgericht insbesondere angesichts der verhältnismäßig niedrigen Kollisionsgeschwindigkeit des vom Beklagten zu 1 geführten Pkw, die der gerichtliche Sachverständige Dipl.-Ing. M. in seinem Gutachten vom 9. November 2004 mit ca. 10 km/h angegeben hat, davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1 vor dem Einfahren in den Kreuzungsbereich zunächst vor der Rot zeigenden Ampel angehalten hat und erst wieder angefahren ist, als diese Grün zeigte. Mit der von dem Sachverständigen festgestellten Kollisionsgeschwindigkeit lässt sich aber ebenso vereinbaren, dass der Beklagte zu 1 aus Unaufmerksamkeit, z. B. weil er abgelenkt war, trotz der noch Rot zeigenden Ampel wieder angefahren ist oder dass er die Rotlicht zeigende Lichtzeichenanlage zu spät bemerkt und deshalb mit der Folge zu spät gebremst hat, dass er mit nur noch verhältnismäßig geringer Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich eingefahren ist.

Ginge man mit der Einzelrichterin davon aus, dass der Beklagte zu 1 erst bei Grün angefahren ist, würde dies nach dem vom Kläger vorgelegten Kurzgutachten des Kfz-Sachverständigen Dipl.-Phys. S. vom 12. Mai 2005 bedeuten, dass die Tochter des Klägers bei einer Annäherungsgeschwindigkeit von 50 bis 55 km/h über eine Zeitdauer von 7 bis 8 Sekunden oder eine Strecke von ca. 100 m ohne eine Reaktion auf die für sie Rotlicht zeigende Ampel zugefahren wäre. Bei Zugrundelegung der von dem gerichtlichen Sachverständigen M. angenommenen Fahrgeschwindigkeit der Tochter des Klägers von (nur) 45 km/h würde sich der genannte Zeitraum bzw. die bereits bei Rot noch zurückgelegte Strecke sogar noch verlängern. Dass sich die Tochter des Klägers in dieser Weise verhalten hat, ist einerseits nicht eben wahrscheinlich, andererseits aber auch nicht auszuschließen.

Aus den Angaben, die die beiden Unfallfahrer bei ihrer Anhörung durch das Landgericht gemacht haben, lassen sich im Gegensatz zur Auffassung der Einzelrichterin ebenfalls keine konkreten Anhaltspunkte für die Ampelschaltung im Augenblick des Unfalls gewinnen. Während der Beklagte zu 1 angegeben hat, erst bei Grün wieder angefahren zu sein (Bl. 112), will die Tochter des Klägers noch am Unfallort sofort ausgerufen haben, dass sie doch noch Grün gehabt habe (Bl. 113).

Da sich nach alledem nicht aufklären lässt, welcher der beteiligten Unfallfahrer bei Rotlicht in die Kreuzung eingefahren ist, wen also ein Verschulden an dem Zustandekommen des Verkehrsunfalls trifft, kann hier eine Haftungsverteilung gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 3 StVG nur nach den von den beiden unfallbeteiligten Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahren vorgenommen werden. Da vorliegend zwei Pkw miteinander kollidiert sind, sind die von diesen ausgehenden Betriebsgefahren in etwa gleich hoch zu bewerten. Daher erscheint es angemessen, eine Haftungsverteilung von 50 zu 50 vorzunehmen. Dies bedeutet, dass Klage und Widerklage jeweils zur Hälfte Erfolg haben und im Übrigen abzuweisen sind. Da der Kläger mit seiner Berufung eben dieses Ziel weiterverfolgt hat, war sein Rechtsmittel in vollem Umfang erfolgreich und hat zu einer entsprechenden Abänderung des angefochtenen Urteils geführt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 (erste Instanz) und 91 Abs. 1 ZPO (Berufungsverfahren). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO liegen nicht vor.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren war auf 4.774,23 EUR festzusetzen. Dabei entfallen 1.608,08 EUR auf die Klage und 3.166,15 EUR auf die Widerklage (= vom Landgericht zugesprochene 6.337,31 EUR abzüglich nicht angefochtener 3.171,16 EUR).

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht ... ist erkrankt und kann deshalb nicht unterschreiben.

Ende der Entscheidung

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