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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 14 U 264/00
Rechtsgebiete: StVG, BGB


Vorschriften:

StVG § 7
BGB § 823
Indizien für einen fingierten Unfall
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

14 U 264/00 3 O 111/00 LG #####

Verkündet am 13. September 2001

In dem Rechtsstreit

hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 21. August 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ##### und die Richter am Oberlandesgericht ##### und ##### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten zu 3 wird das am 17. Oktober 2000 verkündete Anerkenntnisteil- und Schlussurteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts ##### geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und der Streithilfe trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer des Klägers: 15.722,22 DM.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten zu 3 hat Erfolg.

Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen keine Ansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 StVG, §§ 823 ff. BGB, § 3 Nr. 1 Pflichtversicherungsgesetz gegen die Beklagten zu. Der Kläger hat nicht bewiesen, dass am 2. Oktober 1999 tatsächlich ein Unfall, d. h. ein zufälliges Ereignis, das zu einem Schadenseintritt geführt hat, stattgefunden hat. Auf Grund des Sach- und Streitstands und des Ergebnisses der Beweisaufnahme vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Zusammenstoß vom 2. Oktober 1999 ohne die Absicht des Klägers sowie der beiden Fahrzeugführer zu Stande gekommen ist. Die unstreitigen und erwiesenen Indizien, die für eine Unfallmanipulation sprechen, rechtfertigen in ihrer Gesamtschau im Streitfall nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Schluss, dass das Unfallereignis auf einer Manipulation beruhte und der Kläger mit der Herbeiführung eines Schadens an seinem Fahrzeug einverstanden gewesen ist. Auch wenn jedes einzelne Indiz einer natürlichen Erklärung zugeführt werden kann, führt die auffällige Häufung manipulationstypischer Indizien zur Überzeugung des Senats, dass der Unfall vorgetäuscht war. Der Senat greift insofern auf sein als Fachsenat für Straßenverkehrsrecht erworbenes Erfahrungswissen unter Berücksichtigung einschlägiger Veröffentlichungen (vgl. insbesondere Born NZV 1996, 257, 260 ff; Lemcke r + s 1993, 121, 125; Dannert r + s 1990, 1, 2 ff. je mit umfangreichen Hinweisen zur Rechtsprechung) zurück. Im Einzelnen gilt:

Für eine Unfallmanipulation spricht bereits die Art und der Hergang des behaupteten Unfalls. Nach dem unstreitigen Vorbringen ist der Beklagte zu 1 mit seinem Pkw Mercedes Benz C 180 mit einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h ungebremst und ohne Ausweichbewegung auf das stehende, allenfalls im Anfahren begriffene Fahrzeug des Klägers, das an einer Kreuzung als Linksabbieger eingeordnet war, aufgefahren. Eine solche Konstellation ist typisch für einen gestellten Unfall, weil die Haftungsfrage auf den ersten Blick eindeutig ist und in der Regel zu einer 100%igen Haftung der Haftpflichtversicherung des Auffahrenden führt. Gleichwohl steht auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme fest, dass der Unfall so, wie ihn der Kläger und die Beklagten zu 1 und 2 darstellen, nicht stattgefunden haben kann. Zwar hat der Sachverständige ##### in dem vom Senat eingeholten Gutachten ausgeführt, dass die Schäden an den beteiligten Fahrzeugen kompatibel seien. Voraussetzung für die Kompatibilität sei jedoch, dass die Front des vom Beklagten zu 1 geführten Fahrzeuges sich deutlich um 6 bis 7 cm habe absenken müssen. Nur in diesem Fall würden die Schäden zueinander passen. Der Heckschaden am Fahrzeug des Klägers könne nur durch eine durchgeführte Vollbremsung des vom Beklagten zu 1 geführten Fahrzeugs entstanden sein. Demgegenüber hat der Beklagte zu 1, der im Senatstermin persönlich gemäß § 141 ZPO angehört worden ist, auf ausdrückliches Befragen erklärt, dass er nahezu ungebremst in das Fahrzeug des Klägers hineingefahren sei. Er habe vor dem Unfall nach rechts geschaut, als er kurz vor dem Aufprall nach vorn geschaut habe, sei das Fahrzeug des Klägers 'weniger als 3 bis 5 Meter' von seinem Fahrzeug entfernt gewesen, sodass er kaum habe bremsen können. Dieser Unfallhergang lässt sich mit den bei der Kollision entstandenen Schäden jedoch nicht in Einklang bringen.

Auffällig ist des Weiteren, dass der Unfall an einer Kreuzung auf einer im Übrigen schnurgeraden übersichtlichen Fahrbahn stattgefunden hat. Die vom Beklagten zu 1 geschilderte Fahrweise ist dabei wenig nachvollziehbar. Sie stellt sich als eine grob fahrlässige Unfallherbeiführung dar. Dies hat das Oberlandesgericht ##### in seinem Urteil vom 26. Februar 2001 (3 U 113/00) festgestellt, mit dem es die im Deckungsprozess auf Grund des Vollkaskoversicherungsvertrages erhobene Klage des Beklagten zu 1 gegen die Beklagte zu 3 rechtskräftig abgewiesen hat. Wie sich aus dem Protokoll des Einzelrichters über die Augenscheinseinnahme vom 8. Januar 2001 (Beiakte Bl. 103R f. d. A) sowie den Entscheidungsgründen des Urteils vom 26. Februar 2001 (UA S. 3) ergibt, war der Neubau, den sich der Beklagte zu 1 kurz vor dem Unfall angeschaut haben und durch den er abgelenkt geworden sein will, schon längere Zeit für ihn sichtbar und zudem wenig spektakulär. Im Deckungsprozess hatte der Beklagte zu 1 mit der Klageschrift zunächst vorgetragen, dass er mit einer Geschwindigkeit von rund 60 km/h gefahren sei und am Ortseingang von ##### mehrere Sekunden nach rechts auf den Neubau gesehen habe, obwohl er zuvor bereits ein vor ihm fahrendes Fahrzeug wahrgenommen gehabt habe ( Beiakte Bl. 2 d.A. ). Diese Fahrweise des Beklagten wäre als unverantwortlich riskant zu werten, da die relativ lange Zeit der Unaufmerksamkeit große Gefahren heraufbeschworen hätte. Aber auch der in der Berufungsinstanz vor dem Oberlandesgericht ##### geänderte Vortrag, dass sich der Beklagte zu 1 erst rund fünf Meter vor Erreichen der Einmündung, in die der Sohn des Klägers zum Wenden einfahren wollte, dem Neubauvorhaben zugewandt und den Bremsvorgang des vor ihm fahrenden Fahrzeugs nicht bemerkt haben will, erscheint lebensfremd, weil der Neubau für ihn auf der schnurgeraden Straße bereits über einen Kilometer gut sichtbar gewesen ist. Ein Unfall mit dem Sohn des Klägers wäre in diesem Fall nur erklärbar, wenn dieser seinerseits abrupt gebremst hätte. Hierfür ist jedoch kein Grund ersichtlich, denn auch für diesen war aufgrund der übersichtlichen Straßenverhältnisse ebenfalls bereits von weitem die Einmündung, in der er hätte wenden können, erkennbar. Ein abruptes Bremsen ist unter diesen Umständen - wie auch das Oberlandesgericht ##### ausgeführt hat (UA S. 4) - völlig unwahrscheinlich.

Typisch für manipulierte Unfälle ist gleichfalls, dass die Kollision - wie hier - mit relativ hoher Geschwindigkeit erfolgte, um einen großen Schaden zu verursachen und hohe Versicherungsleistungen, die fiktiv aufgrund eines Sachverständigengutachtens geltend gemacht werden, zu erhalten. Der Sachverständige ##### hat in seinem Gutachten insoweit ausgeführt, dass die Kollisionsgeschwindigkeit 45 bis 50 km/h betragen habe. Dies stellt eine erhebliche Geschwindigkeit dar, die geeignet ist, große Schäden - wie sie schließlich auch eingetreten sind - an den beteiligten Fahrzeugen zu verursachen. Andererseits spricht die hohe Kollisionsgeschwindigkeit noch nicht gegen einen gestellten Unfall. Unabhängig von der Frage, ob sich der Sohn des Klägers zum Zeitpunkt des Zusammenstoßes in seinem Fahrzeug befunden hat, stellt eine derartige Kollisionsgeschwindigkeit, die nach den Berechnungen des Sachverständigen ##### zu einer kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung für die beteiligten Fahrzeuge von rund 25 km/h geführt hat, nach der Erfahrung des Senats gleichwohl noch keine unbeherrschbare Gefahr für die Gesundheit der auf eine Kollision gefassten Insassen dar.

Typisch für eine Manipulation ist auch der Unfallort, eine wenig befahrene Straße, die abseits von der viel befahrenen Bundesstraße liegt. Am Unfallort war deshalb in geringerem Maße mit unbeteiligten Zeugen zu rechnen. Auch wenn der Kläger behauptet, dass sein Sohn vor dem Linksabbiegen auf Grund von Gegenverkehr zum Anhalten gezwungen gewesen ist, ist es merkwürdig, dass die Führer dieser Fahrzeuge nach der schweren Kollision nicht angehalten haben. Auch dies spricht dafür, dass andere Kraftfahrer nicht am Unfallort anwesend waren.

Ferner haben der Sohn des Klägers und der Beklagte zu 1 keinen überzeugenden Grund für ihre Anwesenheit am Unfallort gegeben. Insbesondere sind die Angaben zur beabsichtigten Fahrtstrecke und zum jeweiligen Ziel sehr vage. Der Sohn des Klägers hat in seiner Anzeige gegenüber der Beklagten zu 3 zunächst ##### als Fahrziel angegeben. Später hat er als Zeuge in dem Rechtsstreit des Beklagten zu 1 gegen die Beklagte zu 3 vor dem Oberlandesgericht ##### angegeben, sich auf dem Weg nach ##### verfahren zu haben und die Angaben gegenüber der Beklagten zu 3 in seiner Anzeige irrtümlich bzw. nicht vollständig gemacht zu haben. Der Beklagte zu 1 hat in seinem Schreiben vom 13. November 1999 gegenüber der Beklagten zu 3 angegeben, dass er sich auf einer 'samstäglichen Privatfahrt' von ##### nach ##### befunden habe. Im Rechtsstreit vor dem Oberlandesgericht ##### hat der Beklagte zu 1 ausgeführt, dass er einen Freund habe besuchen wollen, dessen Name ihm zur Zeit nicht einfalle. Er hat sodann seine Aussage dahingehend ergänzt, dass der Vorname dieses Freundes '#####' sei, der Nachname sei ihm entfallen (vgl. Protokoll der öffentlichen Sitzung des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts ##### vom 8. Januar 2001, Beiakte 3 U 113/00 Bl. 102 R d. A.).

Ein weiteres Indiz für eine Unfallmanipulation ist ferner, dass der Mercedes Benz der Beklagten zu 2 vollkaskoversichert gewesen ist, sodass bei der augenscheinlich klaren Rechtslage für die beteiligten Fahrzeugführer zu erwarten stand, dass die Fahrzeugschäden in jedem Fall von der Beklagten zu 3 ersetzt werden würden und ein Risiko für keinen der Beteiligten verblieb. Hinzu kommt, dass die wirtschaftliche Situation der Beteiligten im Zeitpunkt des streitigen Unfallereignisses angespannt gewesen ist. Mit Schreiben vom 11. Oktober 1999 wandte sich das Sozialamt des Landkreises ##### an die Beklagte zu 3 mit der Bitte um Mitteilung, ob und in welcher Höhe an den Sohn des Klägers, der beim Sozialamt angegeben hatte, dass sein Fahrzeug einen Totalschaden erlitten habe und er Versicherungsleistungen in Höhe von ca. 11.000 DM erwarte, Versicherungsleistungen gezahlt würden. Der Kläger hat ungünstige finanzielle Verhältnisse insofern eingeräumt, dass sein Sohn Sozialhilfe für die Renovierung seiner Wohnung beantragt hatte, jedoch nie Leistungen erhalten habe.

Die Beklagte zu 2 wandte sich im Rahmen der Regulierungsverhandlungen an die Beklagte zu 3 mit dem Hinweis, dass ihre Konten gesperrt seien. Im Deckungsprozess vor dem Landgericht ##### hat der Beklagte zu 1 eingeräumt, dass der ihm eingeräumte Dispositionskredit überzogen sei und er ein Baugrundstück im Wert von 55.000 DM zu finanzieren gehabt habe (Beiakte Bl. 43 d. A.).

Auffällig ist darüber hinaus, dass der Sohn des Klägers und der Beklagte zu 1 Russlanddeutsche sind, die beide aus #####, und zwar jeweils aus Dörfern unweit der Stadt #####, stammen. Ferner ist unstreitig, dass der Sohn des Klägers vom Bruder des Beklagten zu 1, der seinerzeit unter der gleichen Anschrift wie die Beklagten zu 1 und 2 lebte, rund sechs Monate vor dem hier streitigen Unfallereignis einen Pkw Mitsubishi kaufte, den der Sohn des Klägers wegen Zahlungsschwierigkeiten am 1. Juni 1999 wieder zurückgegeben hat. Dieses Fahrzeug wurde sodann auf die Schwägerin des Beklagten zu 1, die ebenfalls unter der gleichen Anschrift wie die Beklagten zu 1 und 2 lebte, wieder zugelassen. Zwar stellen der Kläger und die Beklagten zu 1 und 2 eine Bekanntschaft in Abrede, angesichts der vorstehenden unstreitigen Umstände erscheint dies jedoch als äußerst zweifelhaft. Es erscheint nach der Lebenserfahrung als wenig glaubwürdig, wenn der Sohn des Klägers bei der Abwicklung des Kaufvertrages über den Pkw Mitsubishi nicht auch die Beklagten zu 1 und 2 kennengelernt hat. In diesem Zusammenhang ist auch zu würdigen, dass der Bruder und die Schwägerin des Beklagten zu 1, die der Senat prozessleitend zu dem Beweisthema 'Bekanntschaft der Parteien' geladen hat, von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht haben. Dieses Verhalten, das der Senat würdigen darf (vgl. Zöller-Gummer, ZPO, 22. Auflage, § 383 Rdnr. 1), spricht dafür, dass der Bruder und die Schwägerin des Beklagten zu 1 bei wahrheitsgemäßer Aussage zu dessen Ungunsten ausgesagt hätten. Denn angesichts des Vorwurfs, dem sich die Beklagten zu 1 und 2 von Seiten der Beklagten zu 3 ausgesetzt sehen, hätte nichts näher gelegen, als durch eine Aussage zu bestätigen, dass die Beteiligten sich vor dem Unfall nicht gekannt haben.

Diese Indizien begründen in ihrer Gesamtheit die Überzeugung des Senats, dass es sich bei dem Unfallereignis vom 2. Oktober 1999 um einen gestellten Unfall gehandelt hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die weiteren prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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