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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 17.05.2005
Aktenzeichen: 16 U 232/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 323 Abs. 1
BGB § 281 Abs. 1 Satz 1
Verlangt der Gläubiger nach Ablauf einer gesetzten Nachfrist zur Erfüllung (§ 281 Abs. 1, § 323 Abs. 1 BGB) weiterhin die Erfüllung der vertraglichen Leistungspflicht, so führt das zum Untergang seiner nach Fristablauf entstandenen Rechte auf Rücktritt und Schadensausgleich. Leistet der Schuldner auf das neue Erfüllungsverlangen nicht, so muss der Gläubiger die tatsächlichen Voraussetzungen für die Begründung eines neuen Schadensersatzanspruchs grundsätzlich durch eine neue fristgebundene Aufforderung zur Leistung schaffen.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

16 U 232/04

Verkündet am 17. Mai 2005

In dem Rechtsstreit

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 12. Mai 2005 durch den Vorsitzenden Richter ... und die Richter ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten zu 2 wird das am 6. Oktober 2004 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann eine Vollstreckung der Beklagten - wegen der Kosten - durch Sicherheitsleistung in Höhe des 1,2fachen des vollstreckbaren Betrages abwenden, es sei denn, dass die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des 1,2fachen vom zu vollstreckenden Betrag leisten.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert erster Instanz wird in Abänderung des Beschlusses des Landgerichts bis zum 10. Mai 2004 auf 275.000 EUR und für die Zeit danach auf bis zu 18.000 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit notariellem Vertrag vom 31. Juli 2003 verpflichtete sich der Beklagte zu 2 (die Beklagte zu 1 ist im Vertrag nur im Hinblick auf § 1365 BGB erwähnt), ein Hausgrundstück auf die Klägerin gegen Zahlung von 275.000 EUR zu übertragen.

Die Fälligkeit des Kaufpreises - an sich für Mitte September vereinbart - setzte u. a. die Beibringung der Löschungsunterlagen für die von der Klägerin nicht zu übernehmenden Grundpfandrechte voraus.

Die Beibringung der Löschungsunterlagen der für die Nord/LB eingetragenen Grundschuld verzögerte sich, sodass die Zahlung des Kaufpreises und der Vollzug der Eigentumsumschreibung ausblieben. Sämtliche weiteren tatsächlichen Voraussetzungen für die Fälligkeit des Kaufpreises lagen vor.

Mit Schreiben vom 19. November 2003 setzte die Klägerin eine Frist von 10 Tagen zur Vorlage der Löschungsunterlagen (Bl. 13) mit dem Hinweis, sie werde nach Fristablauf keinen weiteren Tag zögern und sofort Klage auf Durchführung des Kaufvertrages erheben. Ferner kündigte sie Schadensersatzansprüche, insbesondere wegen der nicht rechtzeitigen Übergabe an (Bl. 14).

Mit am 30. Dezember 2003 zugestellter Klage vom 16. Dezember 2003 hat sie die Beklagten zunächst als Gesamtschuldner auf Verschaffung des Grundeigentums Zug um Zug gegen Zahlung des Kaufpreises in Anspruch genommen (Bl. 1).

Mit Schreiben vom 6. Februar 2004 teilte die Nord/LB dem Notar mit, die seit geraumer Zeit erbetene Löschungsbewilligung gehe ihm in den nächsten Tagen zu (Bl. 132).

Einen Tag früher, nämlich am 5. Februar 2004, erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag, weil die Beklagten die Löschungsunterlagen innerhalb der mit Schreiben vom 19. November 2003 gesetzten Frist nicht beigebracht hatten. Ferner teilte sie mit, sie gehe davon aus, dass der Vertrag nicht mehr durchgeführt werden solle und sei dazu auch nicht bereit (Bl. 27, 28). Daraufhin meldeten sich mit Schreiben vom 19. Februar 2004 die Prozessbevollmächtigten der Beklagten bei den Bevollmächtigen der Klägerin mit dem Hinweis, nach ihren Informationen lägen die Löschungsunterlagen vor. Der erklärte Rücktritt sei unwirksam, weil die Fristsetzung nicht mit der Ankündigung des Rücktritts verbunden gewesen sei und die Klägerin auch tatsächlich an der Durchführung des Vertrages festgehalten habe (Bl. 87, 88). Nachdem die Beklagten auch mit Schreiben vom 7. Mai 2004 an dieser Auffassung festhielten (Bl. 90), nimmt die Klägerin den Beklagten zu 2 nunmehr auf Schadensersatz, insbesondere Erstattung der wegen des Rücktritts nutzlos gewordenen Aufwendungen in Anspruch (Bl. 35). Wegen der Schadensposten wird auf den Schriftsatz vom 10. Mai 2004 verwiesen (Bl. 35 ff.).

Die Klägerin hat behauptet, die Löschungsunterlagen seien bei dem Notar erst nach Erhalt des Rücktrittschreibens am 7. Februar 2004 eingetroffen, nämlich am 12. Februar 2004 (Bl. 120).

Wegen der Anträge 1. Instanz wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Der Beklagte hat behauptet, unmittelbar im Anschluss an die Klageerhebung seien die Löschungsunterlagen eingereicht worden (Bl. 82). Schon deshalb sei der Rücktritt der Klägerin vom 5. Februar 2003 nicht berechtigt.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und ausgeführt, der mit Schreiben vom 5. Februar 2004 erklärte Rücktritt sei nach § 323 Abs. 1 BGB n. F. wirksam, weil der Beklagte die Löschungsunterlagen dem Notar unstreitig nicht innerhalb der mit Schreiben vom 19. November 2003 gesetzten Nachfrist von zehn Tagen vorgelegt hat. Ob und wann dem Notar danach die Löschungsunterlagen vorgelegt wurden, sei unerheblich. Die Klägerin sei nicht verpflichtet gewesen, unverzüglich nach Fristablauf vom Kaufvertrag zurückzutreten, der Rücktritt sei nicht treuwidrig. Auch die zunächst erhobene Klage auf Vertragserfüllung stehe dem späteren Rücktritt nicht entgegen. Der Gläubiger habe ein Wahlrecht, solange der Schuldner seine Leistungspflicht nicht erfülle. Wegen der weiteren Begründung wird auf die Gründe des angefochtenen Urteils verwiesen.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte zu 2 die Abweisung der Klage weiter.

Er meint, das Landgericht sei fehlerhaft von einem Rücktrittsrecht am 5. Februar 2004 ausgegangen, das zum Zeitpunkt der Zustellung der Rücktrittserklärung noch vorliegen müsse. Das sei nicht der Fall gewesen, weil dem Notar vorher durch Mitteilung der Nord/LB bekannt geworden sei, dass der Löschung nichts mehr im Wege stehe und die Löschungsunterlagen übermittelt würden.

Außerdem sei der erklärte Rücktritt auch treuwidrig, denn die Klägerin habe schon in ihrem Schreiben vom 19. November 2003 deutlich gemacht, dass sie nach Fristablauf Klage auf Durchführung des Kaufvertrages erheben werde und dies tatsächlich auch getan.

Er beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung ist begründet.

Die Klägerin hat keinen Schadensersatzanspruch nach § 281 Abs. 1, § 284 BGB. Auch ist der Rücktritt vom 5. Februar 2004 ohne Wirkung.

1. Ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Nichterfüllung, der nach § 284 BGB auch vergeblich getätigte Aufwendungen umfasst, besteht, wenn der Gläubiger dem Schuldner eine angemessene Frist zur Leistung gesetzt hat (§ 281 Abs. 1 BGB). Abgesehen vom (vermuteten) Verschulden besteht unter eben diesen Voraussetzungen auch ein Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 BGB. Insoweit hat der Gesetzgeber einheitliche Voraussetzungen für das Schadensersatzverlangen und den Rücktritt normiert. Vollkommen zutreffend hat das Landgericht darum angenommen, dass mit Ablauf der im Schreiben vom 19. November 2003 gesetzten Frist zur Vorlage der Löschungsunterlagen an den Notar ein Rücktrittsrecht ebenso entstanden ist wie die Berechtigung, Schadensersatz zu verlangen.

2. Entgegen der Auffassung des Beklagten bedurfte es zur Begründung der vorgenannten Sekundäransprüche (Schadensersatz und Rücktritt) auch nicht einer mit der fristgebundenen Leistungsaufforderung verbundenen Erklärung oder Ankündigung, dass im Falle der nicht fristgerechten Leistung statt dieser Schadensersatz verlangt und/oder der Rücktritt vom Vertrag erklärt werde. Im Zuge der Modernisierung des Schuldrechts hat der Gesetzgeber davon gerade abgesehen und sich für das "reine Fristenmodell" entschieden. Danach hat der bloße Fristablauf auf den Fortbestand des Erfüllungsanspruchs gegen den Schuldner keinen Einfluss, sondern begründet für den Gläubiger die Option, gegebenenfalls zurückzutreten und/oder Schadensersatz zu verlangen oder sogar am Vertrag festzuhalten. Die damit einhergehende Unsicherheit des Schuldners, der nicht weiß, was der Gläubiger will, hat der Gesetzgeber gesehen, diskutiert und dennoch in Kauf genommen (vgl. nur BTDrucks. 14/6040 S. 139 bis 141, 185). Der Gläubiger ist darum nicht gehalten, zur Vermeidung eines Rechtsverlustes sein mit Fristablauf entstandenes Rücktrittsrecht alsbald auszuüben oder seinen Schadensersatzanspruch geltend zu machen (vgl. dazu auch Ermann/Westermann, BGB, 11. Aufl. 2004, § 323 Rn. 24 und Staudinger/Otto, BGB [2004], § 323 Rdbem. D 3; § 281 Rdbem. D 8).

3. Dahinstehen kann, ob der mit Schreiben vom 5. Februar 2004 erklärte Rücktritt durch die vorherige Erfüllung der Hauptleistungspflicht rechtlich nicht mehr möglich war. Denn der Beklagte hat die erforderliche Leistungshandlung jedenfalls bis zum Zugang der Rücktrittserklärung am 7. Februar 2004 nicht erbracht. Die - im Übrigen nicht zu beanstandende - Feststellung, die Rücktrittserklärung sei dem Beklagten am 7. Februar 2004 zugegangen, greift der Beklagte zu 2 mit der Berufung nicht an. Dass die Löschungsunterlagen dem amtierenden Notar in grundbuchmäßiger Form bis zu diesem Zeitpunkt vorgelegen haben, hat der Beklagte selbst nicht behauptet, ja nicht einmal, entgegen der Behauptung der Klägerin seien die Unterlagen bei dem Notar nicht erst am 12. Februar 2004 eingegangen. Auch wenn die Nord/LB dem Notar bereits am 5. Februar 2004 telefonisch und sodann mit Schreiben vom 6. Februar 2004 die Übersendung der Unterlagen angekündigt hat, reicht das nach § 2 des Kaufvertrages für die Erfüllung der Leistungspflicht nicht aus.

4. Dennoch ist der mit Schreiben vom 5. Februar 2004 erklärte Rücktritt und auch das Verlangen der Klägerin, statt der Erfüllung Ersatz der getätigten Aufwendungen zu verlangen, unwirksam. Denn die Klägerin hat nach Fristablauf ihr Wahlrecht, entweder Erfüllung oder statt dessen Schadensersatz zu verlangen, konkludent im Sinne einer Forderung auf Vertragserfüllung ausgeübt, indem sie im Dezember 2003 Klage auf Verschaffung des Eigentums erhoben hat. An diese Wahl ist sie mit der Folge gebunden, dass ihr Sekundäransprüche nicht mehr zustehen.

Es ist anerkannt, dass der Leistungsanspruch mit der Entscheidung für Rücktritt oder Schadensersatz endgültig untergeht und fortan nur noch Sekundäransprüche bestehen (vgl. nur Palandt/Heinrichs, BGB, 63. Aufl., § 281 Rn. 50). Nichts anderes kann aber gelten, wenn der Gläubiger sein nach Ablauf der Nachfrist entstandenes Wahlrecht für die Vertragserfüllung ausübt. Der aufgrund der erfolgten Fristsetzung entstandene Schadensersatzanspruch statt der Leistung geht dann, soweit es die bisherigen Vertragsverletzungen betrifft, endgültig unter. Der Gläubiger ist an die getroffene Wahl gebunden (§ 262 BGB analog). Verlangt der Gläubiger - wie hier - unmissverständlich Erfüllung, so hat er kein anerkennenswertes Interesse daran, die Annahme der angebotenen Erfüllung zu verweigern, er würde sich damit vielmehr zu seinem vorausgegangenen Verhalten in Widerspruch setzen (§ 242 BGB). Hat der Gläubiger Erfüllung gewählt, bleibt er trotzdem in gewissen Grenzen schutzwürdig, denn er mag geglaubt haben, der Schuldner werde zwar verspätet, aber immer noch innerhalb von Wochen leisten können/wollen. Stellt sich diese Annahme als Irrtum heraus, ist es dem vertragstreuen Gläubiger möglich, nunmehr ein zweites Mal eine angemessene Frist zu setzen, nach deren ergebnislosem Ablauf er zurücktreten oder Schadensersatz verlangen kann.

5. Diese tatsächlichen Voraussetzungen hat die Klägerin nach ihrem Erfüllungsverlangen (Erhebung der Klage auf Eigentumsverschaffung) nicht geschaffen. Zwar liegt in der Klageerhebung zugleich auch eine Aufforderung an den Beklagten zu 2, den Anspruch auf lastenfreie Übertragung des Eigentums zu erfüllen, eine Frist hat die Klägerin aber nicht gesetzt. Die vom Landgericht zur Vorbereitung der auf den 3. März 2004 anberaumten Güteverhandlung und zugleich mündlichen Verhandlung gesetzte dreiwöchige Klageerwiderungsfrist erfüllt die Anforderungen des § 281 Abs. 1 BGB nicht. Die prozessuale Aufforderung (des Gerichts), auf die Klage zu erwidern, enthält nicht die materiellrechtliche Aufforderung zur Leistung, schon gar nicht eine solche des Gläubigers.

Die Fristsetzung war nach § 281 Abs. 2, § 323 Abs. 2 BGB auch nicht entbehrlich. Tatsachen, die die Annahme einer endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung begründen, sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Der Umstand, dass der Beklagte innerhalb der gesetzten Frist keine Klageerwiderung zu den Akten gereicht hat, lässt diesen Schluss nicht zu. Jedenfalls der Beklagte zu 2 mag angenommen haben, er könne gegen eine Verurteilung ohnehin nichts einwenden. Der aus dem Kaufvertrag verpflichtete Beklagte zu 2 hat sich zwar grob vertragwidrig verhalten und vielleicht auch erst nach Erhalt des Rücktritts die Löschung der Grundschulden mit Nachdruck betrieben haben; eine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung lässt sich seinem Verhalten aber nicht entnehmen.

6. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die über die Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 10 ZPO.

Die Zulassung der Revision beruht auf § 543 Abs. 2 ZPO. Von grundsätzlicher Bedeutung und zur Fortbildung des Rechts ist eine höchstrichterliche Entscheidung über die Rechtsfrage geboten, ob das nach einer fristgebundenen Aufforderung zur Leistung nach § 281 Abs. 1, § 323 Abs. 1 BGB grundsätzlich bestehende Recht auf Schadensersatz und Rücktritt untergeht, wenn der Gläubiger nach Fristablauf sein Wahlrecht auf Erfüllung ausübt und es deshalb zur Begründung eines neuen Schadensersatzanspruchs einer erneuten Aufforderung zur Leistung innerhalb einer bestimmter Frist bedarf.

Die Streitwertentscheidung erster Instanz beruht auf den §§ 3 ZPO, 63 Abs. 3 Satz 1 GKG.

Ende der Entscheidung

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