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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 20.07.2006
Aktenzeichen: 16 VA 4/05
Rechtsgebiete: HZÜ


Vorschriften:

HZÜ Art. 1
HZÜ Art. 13
Zustellung einer auf "treble damages" gerichteten US-amerikanischen Sammelklage im Wege der Rechtshilfe.
16 VA 4/05

Celle, 20. Juli 2006

Beschluss

In dem Verfahren nach §§ 23 ff EGGVG

wegen Zustellung einer US-amerikanischen Sammelklage, Sache E. C. u. a.

Tenor:

Die Anträge werden auf Kosten der Antragstellerin zurückgewiesen.

Geschäftswert: 500.000 EUR.

Gründe:

I.

Verschiedene Kläger, darunter E. C., haben vor dem Gericht in San Francisco (Superior Court) u. a. gegen die Antragstellerin eine unbezifferte Sammelklage nach US-amerikanischem Recht eingereicht, deren Zustellung in Deutschland bewirkt werden soll.

Gegenstand der Klage ist der Vorwurf, die Antragstellerin und andere Kartellmitglieder hätten für den Absatz von Kupferrohren in C. unzulässige Preisabsprachen getroffen und dadurch die Kläger und andere in ähnlicher Situation geschädigt. Sie beantragen deshalb u. a. Schadensersatz in unbezifferter Höhe, wobei der Schadensersatz verdreifacht werden soll (treble damages), Zinsen sowie Erstattung der Verfahrenskosten und angemessener Anwaltsgebühren.

Der Antragsgegner hat das Zustellungsersuchen nach Art. 13 HZÜ mit Schreiben vom 2. Mai 2005 bewilligt (Anlage 3), allerdings das AG Osnabrück bisher nicht angewiesen, die Zustellung zu veranlassen, weil die Antragstellerin dagegen am 3.6.2005 (und damit rechtzeitig) Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff EGGVG beim Senat gestellt hat.

Die Antragstellerin macht geltend, die Zustellung verstoße gegen Art. 13 HZÜ; sie sehe sich hierdurch einer möglichen Schadensersatzforderung und weiteren Verfahrenskosten ausgesetzt, die ihre Gesamtumsätze in den USA um ein Vielfaches überstiegen und für sie existenzbedrohend seien.

Sie ist der Auffassung, das mit der US-amerikanischen Sammelklage verfolgte Ziel entbehre einer substanziellen Grundlage; es solle auf sie als Beklagte in dem beabsichtigten Verfahren wirtschaftlicher Druck ausgeübt werden - auch durch die im amerikanischen Recht vorgesehene Verdreifachung des Schadensersatzes (treble damages). Hierdurch solle Vergleichsbereitschaft erzwungen werden.

Bereits durch die Zustellung der Klage sehe sie sich exorbitanten Verfahrenskosten ausgesetzt, auch durch das sog. Ausforschungsbeweisverfahren (pretrial discovery). Selbst bei einer Klagabweisung habe sie als Beklagte nach der sog. American Rule die eigenen Kosten der Rechtsverteidigung zu tragen. Schon die Zustellung verletze daher das Rechtsstaatsprinzip und Grundrechte der Antragstellerin aus Art. 2 GG; sie sei daher geeignet, die Hoheitsrechte oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Die Erledigung der Zustellung sei nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ abzulehnen.

Die Antragstellerin hat ursprünglich auch beantragt, die Zustellung bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 2 BvR 1198/03 auszusetzen, weil in jenem Verfahren Umfang und Grenzen des Art. 13 HZÜ verfassungsrechtlich zu klären seien. Jenem Verfahren lag eine Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des OLG Düsseldorf v. 11.7.2003 (I3 VA 6/03) zugrunde, in dem es um die Zustellung einer US-amerikanischen Sammelklage mit einer Schadensersatzsumme von 17 Mrd. US-Dollar ging.

Der Senat hat mit Beschluss vom 6. September 2005 das hiesige Hauptsacheverfahren bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (das mehrfach seine einstweilige Anordnung um jeweils weitere sechs Monate verlängert hat) ausgesetzt. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Hauptsache ist nach Rücknahme der Verfassungsbeschwerde nicht (mehr) ergangen, sodass der Aussetzungsgrund Ende 2005 weggefallen ist.

Mittlerweile hat das OLG Koblenz (IPRax 2006, 25ff) ein bei ihm anhängiges Zustellungsverfahren dem Bundesgerichtshof (Az. IV AR (VZ) 3/05) zur Entscheidung vorgelegt, weil es beabsichtigt, von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte abzuweichen. Es hält die im dortigen Verfahren auf einen Kartellrechtsverstoß gestützte Sammelklage nach US-amerikanischem Recht mit der Verpflichtung zur Zahlung von Strafschadensersatz (treble damages) nicht für eine Zivil oder Handelssache im Sinne von Art. 1 HZÜ. Weiter hält es hilfsweise die Anordnung der Klagezustellung wegen des Souveränitätsvorbehalts nach Art. 13 Abs. 1 HZÜ für unzulässig.

Die Antragstellerin macht sich die Erwägungen des OLG Koblenz zueigen.

Die Antragstellerin beantragt nunmehr noch,

1. die Bewilligung der Zustellung der in dem Zustellungsantrag der Firma A. ... vom 4. März 2005 genannten Schriftstücke an die Antragstellerin durch den Antragsgegner vom 2. Mai 2005 aufzuheben,

2. dem Antragsgegner zu untersagen, das Amtsgericht Osnabrück anzuweisen, die Zustellung zu veranlassen,

3. den Antragsgegner anzuweisen, die Erledigung des Zustellungsantrags der Firma A. ... vom 4. März 2005 abzulehnen,

4. das Hauptsacheverfahren und die Vollziehung der Bewilligung der Zustellung der in dem Zustellungsantrag der Firma A. ... vom 4. März 2005 genannten Schriftstücke an die Antragstellering durch den Antragsgegner vom 2. Mai 2005 bis zur Entscheidung des Bundesgerichtshofs in dem Verfahren IV AR (VZ) 3/05 auszusetzen.

Der Antragsgegner beantragt,

die Anträge zurückzuweisen.

Er hält das Zustellungsersuchen für zulässig und den vorliegenden Fall für nicht vergleichbar mit dem beim BVerfG anhängig gewesenen Verfahren. Er sieht auch keinen Grund für eine weitere Aussetzung des Verfahrens im Hinblick auf das beim BGH anhängige Vorlageverfahren.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die Anträge der Antragstellerin sind gemäß §§ 23 ff EGGVG zulässig. Sie haben im Ergebnis aber keinen Erfolg. Einer ausdrücklichen Aufhebung des Aussetzungsbeschlusses des Senats bedarf es nicht, nachdem das Verfahren vor dem BVerfG durch Rücknahme der Verfassungsbeschwerde beendet worden ist.

Gegen die Zustellung der Klage bestehen keine rechtlich erheblichen Bedenken. Gemäß Art. 13 Abs. 1 HZÜ kann ein Zustellungsersuchen nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat die Erledigung für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Ein derartiger Fall liegt nicht vor, so dass die Anträge der Antragstellerin zurückzuweisen sind. Auch verfassungsrechtliche Gründe stehen einer Zustellung nicht entgegen.

Der Senat teilt auch im Ergebnis nicht die Bedenken des OLG Koblenz (Vorlagebeschluss vom 27.6.2005, IPrax 2006, 25 ff). Er sieht sich deshalb auch nicht nach § 29 EGGVG zur Vorlage an den BGH verpflichtet, weil er mit dieser Entscheidung nicht von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte aufgrund des § 23 EGGVG oder des Bundesgerichtshofes abweicht, sondern vielmehr an der bisherigen Rechtsprechung der Obergerichte festhält. Aus diesen Gründen ist auch kein Raum für eine weitere Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des BGH in dem Verfahren IV AR (VZ) 3/05, das seit mehr als einem Jahr bei dem BGH anhängig ist.

Im Einzelnen:

1. Die Zustellung richtet sich nach dem HZÜ. Entgegen der Ansicht des OLG Koblenz in seinem Vorlagebeschluss hält der Senat an der bisherigen Rechtsprechung diverser Oberlandesgerichte fest, dass es sich (auch) bei der hier vorliegenden Klage mit dem Klageziel "treble damages" um eine Zivil oder Handelssache im Sinne des Art. 1 HZÜ handelt, so dass der Anwendungsbereich dieses Abkommens eröffnet ist.

Der Senat hat dies bereits in einer unveröffentlichten Entscheidung (Beschluss vom 14.6.1996, 16 VA 2/96; zitiert von Piekenbrock, IPRax 2006, 4, 7) in der Sache G. M. ... entschieden. In jenem Fall ging es ebenfalls um eine Klage auf Ersatz von treble damages (allerdings nach dem RICO Act). Nach gefestigter Rechtsprechung in Deutschland (Nachweise bei OLG Koblenz (a. a. O.) und Piekenbrock (a. a. O.) sind Klagen auf exemplary oder punitive damages in aller Regel dem Zivilrecht zuzuordnen. (ebenso Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 91, 335) für einen Fall, in dem ebenfalls mit der Klage punitive or exemplary damages als Schadensersatz verfolgt wurde, vorgehend KG OLGZ 1994, 587). Nichts anderes kann für den dreifachen Schadensersatz (treble damages) gelten. Auch hier stehen sich Kläger und Beklagte als gleich geordnete Parteien gegenüber. Punitive und treble damages unterscheiden sich nur graduell, nicht aber qualitativ. Entscheidend ist, dass hier die künftigen Kläger Schadensersatz für sich verlangen, so dass von einer Zivilsache auszugehen ist (ebenso Piekenbrock a. a. O. Seite 7, 8 mit weiteren Nachweisen; für punitive damages: BGHZ 118, 312, Abschnitt V Ziffer 2). Die Kläger machen ausschließlich einen sie selbst begünstigenden Individualanspruch u. a. gegen die ihnen gleich geordnete Antragstellerin geltend. Das ist sowohl nach dem amerikanischen Recht, wie auch nach dem deutschen Recht als Zivilsache zu qualifizieren. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob diese Frage allein nach ausländischem Recht, allein nach deutschem Recht, im Wege einer Doppelqualifikation nach beiden Rechtsordnungen oder einer vertragsautonomen Auslegung zu beantworten ist. In diesem Sinne hat auch kürzlich das OLG Naumburg (Beschluss vom 09.02.2006, 4 VA 1/04, Bl 116 ff d. A.) entschieden. Es entspricht deshalb nach wie vor gefestigter Rechtsprechung und der wohl herrschenden Meinung in der Literatur, der der Senat folgt, dass es sich auch im hier vorliegenden Fall um eine Zivilsache im Sinne des Art. 1 HZÜ handelt (vgl. dazu BGHZ 118, 312 mit zahlreichen Nachweisen).

Auch der Umstand, dass darüber hinaus eine sog. classaction erhoben werden soll, also eine im amerikanischen Recht vorkommende Sammelklage, bei der einzeln aufgeführte Kläger eine nicht näher bekannte, u. U. große Zahl nicht aufgeführter weiterer Geschädigter repräsentieren, ändert nichts an dem zivilrechtlichen Charakter der Klage.

2. Nach dem damit anwendbaren Art. 13 HZÜ darf die Zustellung nur abgelehnt werden, wenn der ersuchte Staat sie für geeignet hält, seine Hoheitsrechte oder seine Sicherheit zu gefährden. Dabei darf die Erledigung der Zustellung nicht allein aus dem Grunde abgelehnt werden, dass der ersuchte Staat (hier die Bundesrepublik Deutschland) nach seinem Recht ein Verfahren nicht kennt, das dem entspricht, für das der Antrag gestellt wird.

Daraus folgt eine sehr restriktive Auslegung dieses Ausnahmetatbestandes. Er kann nur zur Anwendung kommen, wenn schon die Zustellung verfahrenseinleitender Schriftstücke eine besonders schwere Beeinträchtigung der Wertungsgrundlagen der Rechtsordnung des ersuchten Staates mit sich brächte (vgl. auch BVerGE 91, 335).

Dabei sind neben dem Wortlaut des Abkommens vor allem drei Gründe zu beachten: Einmal soll nach der Präambel des Haager Übereinkommens die beiderseitige Rechtshilfe vereinfacht und beschleunigt werden. Damit wäre unvereinbar, wenn schon im Stadium der Klagezustellung eine detaillierte Prüfung nach dem ordre public vorgenommen würde. Außerdem handelt es sich bei einer Klage lediglich um das Rechtsschutzbegehren einer Partei, dessen Erfolg bei den Gerichten des um Rechtshilfe ersuchenden Staates noch völlig offen ist. Schließlich kann auch nicht davon ausgegangen werden, dass durch die Vorbehaltsklausel dem ersuchten Staat bei verfahrenseinleitenden Zustellungen die Möglichkeit eröffnet werden sollte, den im ersuchenden Staat anhängigen Rechtsstreit zu präjudizieren und vor der Entscheidung bereits Ermittlungen über Hintergrund, Anlass und Berechtigung des Klagebegehrens vorzunehmen, um festzustellen, ob eine Gefährdung der Hoheitsrechte oder der Sicherheit vorliegt oder vorliegen könnte. Auch deutschen Rechtsvorstellungen ist es fremd, vor der Zustellung einer Klage im Inland derartige Überlegungen anzustellen; vielmehr ist eine Klage nach § 271 ZPO unverzüglich zuzustellen. Auch eine Prüfung der Schlüssigkeit einer Klage findet in Deutschland vor der Zustellung nicht statt. Es ist deshalb unerheblich, dass die hier zuzustellende Klage nach der Auffassung der Antragstellerin nicht hinreichend schlüssig erscheint und das Klagebegehren nur unzureichend darstellt. Das ist im amerikanischen Recht im Übrigen durchaus üblich und zulässig (vgl. Stürner JZ 2006, 60, 62), so dass sich daraus auch prinzipiell keine Bedenken gegen die Zustellung im Wege der Rechtshilfe ergeben können.

So hat auch das Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 91, 335) ausgeführt, die Gewährung von Rechtshilfe durch Zustellung einer Klage, mit der Ansprüche auf Strafschadensersatz nach US-amerikanischem Recht geltend gemacht werden, verletze nicht die allgemeine Handlungsfreiheit in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Unverzichtbare Grundsätze des freiheitlichen Rechtsstaats würden durch die mögliche Verhängung von Strafschadensersatz nicht verletzt.

Diese Erwägungen greifen auch im vorliegenden Fall. Bei der Abwägung und Auslegung des HZÜ ist vor allem auch dessen Zweck zu beachten. Es soll gerade sicherstellen, dass gerichtliche und außergerichtliche Schriftstücke, die im Ausland zuzustellen sind, ihren Empfängern rechtzeitig zur Kenntnis gelangen. Das Übereinkommen soll die gegenseitige Rechtshilfe verbessern, vereinfachen und beschleunigen. Es dient damit - so das Bundesverfassungsgericht (a. a. O.) - wichtigen Belangen des Gemeinwohls und stärkt letztlich auch die Rechtsstellung von Parteien mit Sitz in Deutschland, die in einen Zivilrechtsstreit in einem anderen Vertragsstaat verwickelt werden. Die Beschränkung der Überprüfungsbefugnis rechtfertigt sich damit aus dem Ziel des Übereinkommens. Anderenfalls würde der internationale Rechtsverkehr erheblich beeinträchtigt, wenn man die Grundsätze der innerstaatlichen Rechtsordnung bereits zum Maßstab für die Zustellung machen würde (BVerfGE a. a. O.). Eine Einschränkung des Rechtshilfeverkehrs ist danach grundsätzlich um so weniger geboten, als im Zeitpunkt der Zustellung der Ausgang des Verfahrens noch völlig offen ist.

Das zeigt sich gerade auch im vorliegenden Verfahren, in dem der Klageschrift eine konkrete Benennung der Schadensersatzsumme nicht zu entnehmen und nach US-amerikanischem Recht auch nicht erforderlich ist. Im Verfahren der Prüfung des Zustellungsersuchens durch die zuständige Behörde (oder durch den Zivilsenat) wäre man deshalb allein auf Spekulationen über eine mögliche spätere Entscheidung des ausländischen Gerichts angewiesen. Von derartigen Überlegungen quasi ins Unreine darf die Frage der Zustellung nicht abhängig gemacht werden kann. Auch dem deutschen Recht ist es fremd, schon vor der Zustellung einer Klage im Inland derartige Überlegungen anzustellen.

Die Zustellung bewirkt lediglich, dass vor einem Gericht der USA eine Klage gegen eine in der Bundesrepublik Deutschland ansässige Person mit der Folge anhängig wird, dass im Falle des Obsiegens in das in den USA belegene Vermögen dieser Person vollstreckt werden kann. Unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten auf das Vermögen in Deutschland sind damit nicht verbunden. Ein Vollstreckungszugriff auf in Deutschland belegenes Vermögen kann zu einem späteren Zeitpunkt noch verhindert werden, wenn feststeht, ob und in welcher Höhe und aus welchem Rechtsgrund der Antragsteller verurteilt worden ist (dazu beispielsweise BGHZ 118, 312 ff).

Prinzipiell muss damit derjenige, der im internationalen Geschäftsverkehr tätig wird - wie hier die Antragstellerin - auch das Risiko hinnehmen, dass eine fremde Rechtsordnung auf ein in ihrem Hoheitsgebiet belegenes Vermögen zugreift.

Die hier beanstandete Zustellung der Sammelklage bewirkt allerdings eine Gefährdung der finanziellen Interessen des Beklagten im ersuchenden Staat. Er wird Prozesspartei und muss sich auf das Verfahren im Ausland einlassen. Dass dies mit Aufwand und Kosten verbunden ist, die besonders im US-amerikanischen Recht erhebliche Höhen erreichen können, muss dabei ebenfalls grundsätzlich hingenommen werden. Aufwand und Kosten sind in jeder Rechtsordnung die Folge eines eingeleiteten Verfahrens.

Ob eine später möglicherweise ergehende Entscheidung auch im Inland vollstreckt werden könnte, ist eine davon zu unterscheidende Frage, die nicht schon im Zustellungsverfahren zu überprüfen ist. Der Beklagte kann - so das Bundesverfassungsgericht (a. a. O.) - in dem ausländischen Verfahren seine Rechte wahren und schließlich im Falle der Verurteilung den Zugriff der Gläubiger auf sein inländisches Vermögen unter den Voraussetzungen des § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO verhindern.

Schließlich ist auch zu bedenken (so auch schon BVerfGE 91, 335 ff), dass auch bei einer Verweigerung der Zustellung die Rechtsstellung des deutschen Beklagten nicht notwendigerweise verbessert wäre, denn er wäre nicht davor geschützt, von dem amerikanischen Kläger dennoch in den Prozess hineingezogen zu werden. Im amerikanischen Recht wird die Auffassung vertreten, dass die Zustellung an eine dortige Tochtergesellschaft des deutschen Mutterunternehmens zugleich an dieses wirksam vorgenommen werden kann (US Supreme Court vom 15.06.1988, Volkwagen AG v. Schlunk; ebenso Piekenbrock IPRax 2006, 4, 10). Im Übrigen gibt es die Möglichkeit, das ausländische Verfahren nach Art. 15 Abs. 2 HZÜ auch ohne den Nachweis der Zustellung durchzuführen. Dabei dürften aus US-amerikanischer Sicht keine Zweifel daran bestehen, dass die Antragstellerin von der vorschriftsmäßig an den Antragsgegner als zuständige Zentrale Behörde in Niedersachsen eingereichten Klageschrift Kenntnis erlangt hat, denn sie hat selbst im Verfahren die entsprechende Klageschrift vorgelegt. Dieser Weg soll auch im Napster-Fall (BVerfGE 108, 238) beschritten worden sein und hat möglicherweise zur Rücknahme der Verfassungsbeschwerde geführt (Piekenbrock a. a. O. Seite 10, Fn. 101), weil eine Hauptsacheentscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Ergebnis ohne jede Auswirkung auf den Prozess in den USA gewesen wäre.

3. Vor diesem Hintergrund vermögen auch die weiteren Einwendungen der Antragstellerin gegen die Zulässigkeit der Zustellung letztlich nicht durchzugreifen.

Dies gilt zunächst für die im US-amerikanischen Recht (grundsätzlich) nicht vorgesehene Kostenerstattung für den im Prozess letztlich obsiegenden Beklagten (american rule of costs). Der BGH hat dazu bereits ausgesprochen, dass dies nicht gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public des § 328 ZPO verstößt (BGHZ 118, 312, 325 f). Um so weniger kann sie unter den (wie oben ausgeführt) noch viel engeren Vorbehalt des Art. 13 HZÜ fallen (ebenso Oberhammer IPRax, 2004, 40, 42).

Gleiches gilt für das pretrial discovery Verfahren. Auch dazu hat bereits der BGH entschieden, dass allein dieses Verfahren, bei dem es sich um ein Beweis und Beweisermittlungsverfahren unter weitgehender Parteiherrschaft handelt, noch keinen Verstoß gegen den anerkennungsrechtlichen ordre public im Sinne des § 328 ZPO darstellt (BGHZ 118, 312, 323ff). Diese Gründe gelten nach dem für Art. 13 HZÜ anzulegenden und engeren Prüfungsmaßstab sogar noch eher.

Schließlich liegen auch keine zureichenden und vor allem schon im Zustellungsverfahren überprüfbaren Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich bei dem angestrengten Klageverfahren etwa um eine offensichtlich missbräuchliche und verfahrensfremden Zwecken dienende Klage handelt, um allein die Antragstellerin für einen (erzwungenen) außergerichtlichen Vergleich gefügig zu machen. Zu dieser - von dem Bundesverfassungsgericht in seiner einstweiligen Anordnung im Fall Napster - angebrachten Überlegung ist im Übrigen im Anschluss an Oberhammer zu bemerken, dass wohl bisher noch niemand vertreten hat, es sei wegen Art. 2 Abs. 1 GG schon vor Zustellung einer Klage eine Art Grobprüfung ihrer Erfolgsaussichten vorzunehmen, um den künftigen Beklagten vor dem auch von wenig aussichtsreichen oder überhöhten Klagen ausgehenden Vergleichsdruck zu schützen (so ausdrücklich Oberhammer IPRax 2004, 40, 42; kritisch auch zu diesem Argument ferner Stürner, JZ 2006, 60, 65).

4. Nach allem bestehen weder nach Art. 13 HZÜ noch aus verfassungsrechtlichen Gründen Bedenken gegen die vom Antragsgegner bewilligte Zustellung der Klage. Das Bundesverfassungsgericht hat - wie oben erörtert - bisher keine Entscheidung dahin getroffen, dass etwa die Zustellung einer vergleichbaren Klage unzulässig sei. Im Fall Napster (BVerfGE 108, 238) war lediglich eine einstweilige Anordnung ergangen, die nach mehrfacher Verlängerung und schließlich durch Rücknahme der Verfassungsbeschwerde gegenstandslos geworden ist, so dass auch aus dieser Entscheidung, die in der Literatur überwiegend kritisch beleuchtet worden ist (vgl. nur Stürner JZ 2006, 60; Oberhammer IPRax 2004, 40), keine durchgreifenden Rückschlüsse gezogen werden können. Es verbleibt damit bei der zeitlich vorhergehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 91, 335 ff) sowie dem nachfolgenden Beschluss vom 11.6.2004 (NJW 2004, 3552), mit dem der Erlass einer einstweiligen Anordnung gegen die Zustellung einer Klage auf Strafschadensersatz (ebenfalls) abgelehnt worden ist.

Der Senat weicht mit dem vorliegenden Beschluss - soweit ersichtlich - nicht von einer Entscheidung eines anderen Oberlandesgerichts oder des Bundesgerichtshofes ab, so dass eine Vorlage nach § 29 EGGVG nicht in Betracht zu ziehen ist. Auch eine Aussetzung im Hinblick auf das anhängige Vorlageverfahren des OLG Koblenz scheidet aus, denn der Senat teilt gerade nicht die abweichende Auffassung jenes Gerichts, das seinerseits von der gefestigten Rechtsprechung anderer Oberlandesgericht abweichen will (zur Kritik an dieser Vorlageentscheidung vgl. Piekenbrock IPRax 2006, 4 ff).

5. Die Kostenentscheidung und Festsetzung des Geschäftswertes hat ihre Grundlage in §§ 30 EGGVG, 30 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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