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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 25.11.2004
Aktenzeichen: 16 W 136/04
Rechtsgebiete: AuslG


Vorschriften:

AuslG § 42
Den Polizeibehörden obliegt keine Dokumentationspflicht darüber, warum sie bestimmte Fälle wie geschehen und nicht in einer anderen Reihenfolge bearbeitet haben (gegen OLG Schleswig, NVwZ 2003, 421).

§ 42 Abs. 7 AuslG ermächtigt zur vorläufigen Festnahme zwecks Identifikation und Prüfung, ob ein Haftgrund i. S. v. § 57 AuslG vorliegt.


16 W 136/04

Beschluss

In der Beschwerdesache

betreffend den algerischen Staatsangehörigen A. K., geboren am ... in ...,

hat der 16. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter ... sowie die Richter ... und ... am 25. November 2004 beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen wird der angefochtene Beschluss der 10. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 8. August 2004 unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert:

Es wird festgestellt, dass die Ingewahrsamnahme am 25. Februar 2004 ab 18:20 Uhr bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses am Vormittag des 26. Februar 2004 rechtswidrig war.

2. Die Beteiligte hat dem Betroffenen die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten zu erstatten.

3. Für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde wird dem Betroffenen unter Beiordnung von Rechtsanwalt ... in ... Prozesskostenhilfe bewilligt.

4. Beschwerdewert: 3.000 EUR.

Gründe:

I.

Der Betroffene, der inzwischen abgeschoben worden ist, wurde am 25. Februar 2004 um 14:30 Uhr festgenommen, weil er von der Beteiligten gemäß § 42 Abs. 7 Satz 1 AuslG zur Festnahme ausgeschrieben war. Nach Durchführung der erkennungsdienstlichen Behandlung begann um 17:57 Uhr die Vernehmung des Betroffenen, die um 18:20 Uhr endete. Da das Vernehmungsende außerhalb der Dienstzeit der Beteiligten lag, legte die Polizei ihr den Vorgang erst am Morgen des Folgetages vor. Daraufhin prüfte die Beteiligte den Sachverhalt und stellte kurz darauf, nämlich bereits um 10:04 Uhr, beim Amtsgericht Hannover einen Antrag auf Anordnung von Abschiebehaft (Sicherungshaft), dem noch am selben Vormittag entsprochen wurde.

Der Betroffene meint, die Polizei habe bis 16:00 Uhr alle nötigen Feststellungen treffen können. Danach bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses am Vormittag des Folgetages sei seine Ingewahrsamnahme rechtswidrig gewesen, weil nicht unverzüglich im Rechtssinne eine richterliche Entscheidung herbeigeführt worden sei.

Amts und Landgericht haben den Antrag auf Feststellung als unbegründet zurückgewiesen. Die Beteiligte habe, so die tragenden Ausführungen der Beschwerdekammer des Landgerichts in dem angefochtenen Beschluss, vor der Antragstellung zunächst die Möglichkeit der Beschaffung eines Passersatzes zwecks Durchführung der Abschiebung abklären müssen. Insoweit hätten sachliche Gründe bestanden, dass der Betroffene erst am Folgetage dem Richter vorgeführt werden konnte.

Hiergegen richtet sich die sofortige weitere Beschwerde des Betroffenen, mit der er insbesondere Rechtsausführungen zur Frage der Unverzüglichkeit macht.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die Ingewahrsamnahme war nicht bereits ab 16:00 Uhr, wohl aber seit 18:20 Uhr bis zum Erlass des Abschiebehaftbeschlusses am Folgetag rechtswidrig.

1. Die Polizei war, was auch der Betroffene selbst bzw. sein in Abschiebungshaftsachen erfahrener Verfahrensbevollmächtigte nicht in Abrede nimmt, grundsätzlich befugt, ihn in Gewahrsam zu nehmen. Allerdings liegen, entgegen der Auffassung des Amtsgerichts in dem ursprünglichen Beschluss, die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Nr. 2 a Nds. SOG nicht vor, weil die Polizei tatsächlich nicht zur Gefahrenabwehr nach der genannten Vorschrift tätig geworden ist, um die Fortsetzung einer Dauerstraftat zu verhindern, sondern deshalb, weil der Betroffene von der Beteiligten zur Festnahme ausgeschrieben war.

Wäre demgegenüber eine Ingewahrsamnahme nach § 18 Abs. 1 Nr. 2 a Nds. SOG erfolgt, wäre der Rechtsweg ein anderer, die hier ergangene richterliche Entscheidung des Amtsgerichts vom 29. April 2004 gar nicht zulässig gewesen. Denn nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Nds. SOG hätte die Entscheidung "nach Beendigung der Freiheitsentziehung innerhalb eines Monats" beantragt werden müssen. Hier war die der angeordneten Abschiebungshaft vorgelagerte Ingewahrsamnahme am 26. Februar beendet, sodass der per Telefax am 21. April 2004 eingegangene Feststellungsantrag des Betroffenen ersichtlich verfristet gewesen wäre. Schließlich wäre das vorliegende Rechtsmittel der sofortigen weiteren Beschwerde mangels Zulassung durch den angefochtenen Beschluss der Beschwerdekammer ebenfalls nicht statthaft (§ 19 Abs. 2 Satz 4 Nds. SOG). Diese Überlegungen machen deutlich, dass eine Ingewahrsamnahme, die von der Polizei nicht als Maßnahme der Gefahrenabwehr gedacht war und daher auch nicht auf § 18 Nds. SOG gestützt worden ist, nicht im Nachhinein als eine solche behandelt und unter diese Vorschrift subsumiert werden kann.

Auch ein Festnahmerecht nach § 57 oder § 49 AuslG kommt nicht in Betracht.

Insoweit kann zur Vermeidung längerer Ausführungen auf die gefestigte Rechtsprechung zu dieser Frage Bezug genommen werden (BVerfG NJW 2002, 3161; BVerwGE 62, 317; BGH NJW 1993, 3069; OLG Celle Nds.Rpfl. 2004, 129; KG FGPrax 2001, 40; OLGR Frankfurt 1998, 71 und InfAuslR 1997, 315; OLG Braunschweig InfAuslR 2004, 166; vgl. auch Marschner/Volckart, Freiheitsentziehung und Unterbringung, 4. Aufl., § 13 FEVG, Rn. 2).

2. Allerdings hat die Ausländerbehörde die Befugnis, einen abzuschiebenden Ausländer zum Zwecke der Festnahme mit den Fahndungsmitteln der Polizei auszuschreiben, wie sich aus § 42 Abs. 7 AuslG ergibt. Diese seit dem 1. November 1997 geltende Bestimmung (BGBl. I, 2584) beruht auf der Empfehlung des Innenausschusses des Bundestages vom 6. November 1996 und soll sicherstellen, dass untergetauchte ausreisepflichtige Ausländer möglichst schnell aufgegriffen werden können, damit die Durchführung einer eventuellen Abschiebung nicht verzögert wird (BTDrucks. 13/5986, S. 12).

Nach den einschlägigen Verwaltungsvorschriften hat deshalb die Ausländerbehörde, wenn die Voraussetzungen für die zwangsweise Durchsetzung der vollziehbaren Ausreisepflicht bei einem Ausländer vorliegen, dessen Aufenthalt unbekannt ist, nach Ablauf der Ausreisefrist die für die Dateneingabe zuständige Polizeidienststelle zum Zwecke der Ausschreibung in INPOL (Aufenthaltsermittlung, Festnahme) zu unterrichten. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass der Ausländer sich bereits einmal der Abschiebung entzogen hat oder nach Ablauf der Ausreisefrist die Grenzübertrittsbescheinigung nicht vorliegt (AuslGVwV vom 28. Juni 2000, Abschnitt 49.3.2.).

Im vorliegenden Fall war der Betroffene von der Beteiligten zur Festnahme ausgeschrieben worden. Dies ergibt sich aus der Festnahmeanzeige der Polizeidirektion Hannover, soweit es darin heißt, eine Überprüfung der Personalien habe ergeben, dass die Person zur Festnahme und Abschiebung durch die Ausländerbehörde ausgeschrieben gewesen sei (Bl. 9 d. A.). Diese Regelung des § 42 Abs. 7 AuslG wäre sinnlos und ineffizient, wenn die Verwaltungsbehörde, die den untergetauchten Ausländer zur Fahndung ausgeschrieben hat, diesen gleichwohl wieder laufen und erneut untertauchen lassen müsste, sodass ein beantragter und nach Stunden erlassener Haftbefehl ins Leere liefe.

3. Nach der erfolgten Festnahme bestand indes nach § 13 Abs. 1 Satz 1 FEVG und Art. 104 Abs. 2 GG die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Berechtigung, den Betroffenen in Gewahrsam zu nehmen, herbeizuführen. Nach Auffassung der Beschwerdekammer in dem angefochtenen Beschluss war der Antrag am nächsten Morgen um 10:04 Uhr, der zur Anhörung des Betroffenen und anschließenden Anordnung der Abschiebungshaft geführt hat, noch unverzüglich im Sinne der genannten Vorschriften. Im Hinblick darauf, dass die Ausländerstelle der Landeshauptstadt Hannover die Möglichkeiten zur Beschaffung eines Passersatzes habe abklären müssen, um die Abschiebung durchführen zu können, sei es nicht zu beanstanden, dass der Betroffene erst am Folgetag seiner Ingewahrsamnahme dem Richter habe vorgeführt werden können. Insoweit hätten sachliche Gründe bestanden, die es rechtfertigen würden, den Betroffenen bis zu dieser Zeit in Polizeigewahrsam zu halten.

Dieser Auffassung kann der Senat nur teilweise beitreten, nämlich insofern, als es der Beteiligten zugestanden werden muss, dass sie, bevor sie einen Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft stellt, den Sachverhalt, insbesondere die Möglichkeit zur Abschiebung, überprüfen muss. Der Beteiligten ist insofern kein Vorwurf zu machen, als sie erst in den frühen Morgenstunden des Folgetages von dem Sachverhalt erfahren und bereits um 10:04 Uhr beim Amtsgericht den Antrag auf Anordnung der Abschiebehaft gestellt hat. Insoweit hat die Beteiligte in der Tat unverzüglich gehandelt.

Ferner ist es nicht zu beanstanden, dass die Polizei nach der Festnahme einige Zeit für die Feststellung der Personalien des Betroffenen, die erkennungsdienstliche Behandlung sowie schließlich die Vernehmung des Betroffenen benötigt hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass es insoweit zu vermeidbaren Verzögerungen gekommen wäre, sind nicht ersichtlich. Die Angabe der Polizei und der Beteiligten, die entsprechenden Maßnahmen hätten bis 18:20 Uhr gedauert, geben daher noch keinen Anlass, die Ingewahrsamnahme bis dahin für rechtswidrig zu halten.

Der Senat teilt insoweit nicht die Ansicht des OLG Schleswig (NVwZ 2003, 421), die Gerichte seien verpflichtet, durch Beweisaufnahme zu klären, ob die Identität eines Ausländers nicht einige Stunden schneller hätte festgestellt und damit seine Inhaftierung nicht einige Stunden hätte abgekürzt werden können, sofern keine Anhaltspunkte für Missbrauch vorliegen. In einer Großstadt wie Hannover sind Dutzende von Polizeibeamten allein in der zentralen Dienststelle beschäftigt, zahllose andere in den einzelnen Revieren. Es bedeutet eine nicht mehr nachvollziehbare Überspannung, sämtlichen Polizeibeamten - 365 Tage im Jahr und 24 Stunden pro Tag - eine Dokumentationspflicht darüber aufzuerlegen, warum sie Fälle - zu denen regelmäßig Schwerkriminalität, die Versorgung von Opfern, von Betrunkenen und Rauschgiftsüchtigen gehört - in einer bestimmten und nicht in einer anderen Reihenfolge erledigt haben. Mit der Dokumentation wäre es im Übrigen nicht getan, denn da ihre Richtigkeit stets bestritten würde, müssten sämtliche Beamten als Zeugen vernommen werden. Derartige Vorgaben sind geeignet, den gesamten Polizeiapparat weitgehend lahm zu legen und vor allem den (rechtzeitigen) Rechtsschutz für andere Bürger, die dringend der polizeilichen oder gerichtlichen Hilfe bedürfen, zu verringern.

Damit wird der Grundsatz nicht in Frage gestellt, dass konkreten Vorwürfen über rechtswidrige Freiheitsentziehungen nachzugehen ist, es soll damit lediglich zum Ausdruck gebracht werden, dass ohne konkrete Anhaltspunkte eine Haftdauer von ungefähr sieben bis acht Stunden, hier konkret sogar nur etwa vier Stunden, nicht zu mehrstündigen, unter Umständen tagelangen Beweisaufnahmen und wochenlangen Ermittlungen darüber verpflichtet, ob die Bearbeitungszeit die eine oder andere Stunde kürzer hätte erfolgen können, zumal dies, wie dargelegt, in Wirklichkeit nur eine der Lebensrealität entbehrende Inanspruchnahme von Sachkompetenz durch das Gericht ist.

Insoweit sieht der Senat auch keinen Anlass, diese Frage nach § 28 FGG dem Bundesgerichtshof vorzulegen. Das OLG Schleswig hat in einem Fall entschieden, in dem die Festnahme auf § 127 StPO gestützt worden war. Die Ausführungen beziehen sich in erster Linie auf diese Norm, um die es im vorliegenden Fall nicht geht. Zudem scheidet eine Vorlage aus, wenn ein Gericht, wie hier der Senat, lediglich eine andere Rechtsmeinung äußert, die Entscheidung hierauf aber letztlich nicht stützt, sondern schon aus tatsächlichen Gründen anders entscheidet, als das andere Oberlandesgericht, dessen Rechtsauffassung es nicht teilt. So aber liegen die Dinge hier, weil es um einen Zeitraum von knapp vier Stunden (14:30 Uhr bis 18:20 Uhr) geht, die während dieses Zeitraum veranlassten Maßnahmen feststehen (Personalienfeststellung, erkennungsdienstliche Behandlung, Vernehmung) und keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Angelegenheit dilatorisch gehandhabt worden wäre.

4. Anders verhält es sich für die nachfolgende Zeit bis zum Erlass des Abschiebungshaftbeschlusses. Denn ab 18:20 Uhr war die Vernehmung des Betroffenen abgeschlossen und es wurde bis zur Benachrichtigung der Beteiligten am nächsten Morgen nichts weiter unternommen, weil die Beendigung der Vernehmung außerhalb der Dienstzeiten der Beteiligten lag. Allein dieser Umstand ist aber kein sachlicher Grund, den Betroffenen weiter in Polizeigewahrsam zu halten, ohne für die Dauer von ca. 12 Stunden irgendetwas Verfahrensförderndes zu tun. Ausgehend davon, dass die Polizei von der Beendigung der Vernehmung am Festnahmetag um 18:20 Uhr bis zu den frühen Morgenstunden des Folgetages nichts veranlasst hat, weil die Ausländerbehörde keine Dienstzeit hatte, liegt ein Verstoß gegen die Verpflichtung, unverzüglich eine richterliche Entscheidung über die Berechtigung der Ingewahrsamnahme herbeizuführen, vor (BVerfG NJW 2002, 3161). Die Grundsätze dieser Entscheidung, wonach der Staat zur Tageszeit (§ 104 Abs. 3 StPO) die Überprüfung der Inhaftierung durch einen Richter gewährleisten muss, gelten sinngemäß für die Verwaltung, sofern nicht nach § 63 Abs. 6 AuslG verfahren wird (s. dazu unter 5.). Damit ist die Ingewahrsamnahme des Betroffenen ab diesem Zeitpunkt bis zum Erlass der Abschiebungshaftanordnung rechtswidrig, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung dazu bedarf, wie der richterliche Eildienst beim Amtsgericht Hannover geregelt ist und wie die betreffende Handhabung im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur notwendigen Erreichbarkeit eines Richters zur Tages oder Nachtzeit zu bewerten ist.

5. Es ist im Übrigen nicht Aufgabe des Senates, der Polizei und der Beteiligten vorzuschreiben, durch welche Maßnahmen dem Gebot der Unverzüglichkeit hier hätte Genüge getan werden können. Möglich erschiene die Einrichtung eines Eildienstes bei der Beteiligten, der außerhalb der regulären Dienstzeiten tätig wird, denkbar wäre aber auch, dass bei der Ausschreibung zur Festnahme der erforderliche Sachverhalt und die erforderlichen Angaben der Polizei mitgeteilt werden, damit diese in Amtshilfe für die Beteiligte unmittelbar beim eildiensthabenden Richter einen Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft nach § 57 AuslG oder jedenfalls auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 11 FEVG stellen kann (§ 63 Abs. 6 AuslG).

III.

Gemäß § 16 FEVG hat die Beteiligte die zur Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.

Ferner folgt aus den vorstehenden Ausführungen zu Ziffer II., dass dem Betroffenen für das Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist.

Ende der Entscheidung

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