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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 23.10.2006
Aktenzeichen: 17 W 101/06
Rechtsgebiete: FGG


Vorschriften:

FGG § 68b Abs. 3 S. 2
Eine Untersuchungs- und Vorführungsanordnung ist bei verfassungsgemäßer Auslegung des § 68 b Abs. 3 S. 2 FGG zumindest dann anfechtbar, wenn gleichzeitig die Befugnis zur Anwendung von Gewalt gegen den Betroffenen und/oder die Erlaubnis zum gewaltsamen Zutritt zu dessen Wohnung erteilt wird.
17 W 101/06

Beschluss

in der Betreuungssache betreffend

wegen Anordnung einer Betreuung

hier: weitere Beschwerde gegen Untersuchungs- und Vorführungsanordnung

hat der 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Amtsgericht ... auf die weitere Beschwerde des Betroffenen vom 1. September 2006 (Bl. 65 d. A.) gegen den Beschluss der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 21. August 2006 (Bl. 55 d. A.) am 23. Oktober 2006 beschlossen:

Tenor:

Die weitere Beschwerde des Betroffenen wird dem Bundesgerichtshof zur Entscheidung vorgelegt (§ 28 Abs. 2 FGG).

Gründe:

I.

Der 84jährige Betroffene lebt zusammen mit den Familien seines Sohnes sowie seines Enkelsohnes auf dem Hofgrundstück ... in ... . Dem Betroffenen steht ein lebenslängliches und unentgeltliches Wohnrecht auf dem Hof in Form eines Altenteils zu. Innerhalb der Familie gibt es Differenzen. Dabei wird dem Betroffenen seitens seines Sohnes K. sowie dessen Sohn J. u.a. vorgeworfen, dass er deren Familienmitglieder bedrohe und mit seinem Pkw viel zu dicht an auf dem Hof befindlichen Personen vorbeifahre. So sei er am 9. Juli 2006 so dicht an seinen erst zweijährigen Urenkel T. herangefahren, dass jener nur durch ein Eingreifen seines Vaters, des Enkels J. des Betroffenen habe in Sicherheit gebracht werden können. Der Betroffene stellt diesen Vorfall sowie die anderen Vorwürfe in Abrede. Mit diesen würden Teile seiner Familie versuchen, ihn aus dem Haus und vom Hof zu "vergraulen".

Auf ein Schreiben des Sohnes K. des Betroffenen vom 10. Juli 2006 (Bl.2 d.A.) hat die Betreuungsbehörde am 12. Juli 2006 (Bl.1 d.A.) gegenüber dem Amtsgericht Lüchow-Dannenberg angeregt, die Erforderlichkeit der Einrichtung einer Betreuung für den Betroffenen zu überprüfen. Das Amtsgericht Lüchow-Dannenberg hat daraufhin einen Arzt mit der Erstellung eines Betreuungsgutachtens beauftragt (Bl.3 rück d.A.).

Die vom Betroffenen eingeschalteten Verfahrensbevollmächtigten haben sowohl der Notwendigkeit einer Betreuungsanordnung als auch der Beauftragung eines Sachverständigen widersprochen. Sie haben angekündigt, dass der Betroffene der Terminsladung des Sachverständigen nicht Folge leisten werde (Bl.8 d.A.). Unter Vorlage eines aktuellen Attestes des Hausarztes des Betroffenen (Bl.11 d.A.) haben sie weiterhin darauf hingewiesen, dass der Betroffene körperlich und geistig leistungsfähig sei. Im übrigen haben sie eine persönliche Anhörung des Betroffenen durch das Gericht - wenn gleich im Beisein seines Sohnes K. ausdrücklich angeboten (Bl.10 d.A.).

Gemäß § 68 Abs.3 FGG hat das Amtsgericht Dannenberg mit Beschluss vom 4. August 2006 (Bl.18 d.A.) die Untersuchung des Betroffenen sowie dessen Vorführung zu dieser Untersuchung angeordnet. Darüber hinaus hat das Amtsgericht zur Ausführung seines Beschlusses die Anwendung von Gewalt sowohl gegen den Betroffenen als auch zur Öffnung seiner Wohnung gestattet.

Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 10. August 2006 (Bl.33 d.A.) hat das Landgericht Lüneburg mit Beschluss vom 21. August 2006 (Bl.55 d.A.) als unzulässig verworfen. Nach § 68b Abs.3 S.2 FGG sei die Entscheidung des Amtsgerichts unanfechtbar. Dagegen wendet sich der Betroffene mit seiner weiteren Beschwerde vom 1. September 2006 (Bl.65 d.A.).

II.

1. Die weitere Beschwerde des Betroffenen ist zulässig. Die Zulässigkeit der weiteren Beschwerde des Betroffenen ist dabei nicht von der Zulässigkeit der (Erst)Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts abhängig, sondern unabhängig davon zu beurteilen. Die Beschwerdeberechtigung des Betroffenen folgt hier bereits daraus, dass das Landgericht Lüneburg seine Beschwerde verworfen hat (Meyer-Holz in Keidel/Kuntze/Winkler, 15.Aufl., Rdnr.10 zu § 27). Die weitere Beschwerde des Betroffenen muss nach Auffassung des Senats auch in der Sache Erfolg haben, da seine (Erst)Beschwerde gegen die Entscheidung des Amtsgerichts sowohl zulässig als auch begründet ist. Da der Senat dies jedoch nicht feststellen kann, ohne von Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte abzuweichen, ist eine Vorlage nach § 28 Abs.2 FGG erforderlich. Im Einzelnen:

2.

2a. Die Diskussion, ob bereits die Entscheidung, ein Gutachten zur Betreuungsnotwendigkeit einzuholen, gesondert mit der Beschwerde anfechtbar ist (so KG FamRZ 2001, 311; 2002, 970) oder ob es sich dabei um eine unanfechtbare Zwischenentscheidung handelt (BayObLG FamRZ 1996, 499; 2000, 249; FGPrax 2001,78; OLG Brandenburg, FamRZ 1997, 1019; OLG Hamm, FamRZ 1997, 440; OLG Zweibrücken, FamRZ 2000,1441) kann vorliegend dahinstehen. Gegenstand dieses Beschwerdeverfahrens ist nämlich nicht die Entscheidung des Amtsgerichts Dannenberg vom 18. Juli 2006, überhaupt ein Gutachten einzuholen, sondern vielmehr der Beschluss vom 4. August 2006, mit dem die Untersuchung des Betroffenen durch den Sachverständigen sowie die Vorführung des Betroffenen zur Untersuchung angeordnet und für die Sicherstellung der Vorführung die Anwendung von Gewalt gegen den Betroffenen sowie zur Öffnung der Wohnung gestattet worden ist.

2b. Nach § 68b Abs.3 S.2 FGG ist eine Untersuchungs- und Vorführungsanordnung zur Vorbereitung eines Sachverständigengutachtens unanfechtbar. Ungeachtet der grundsätzlichen Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung (vgl. Bienwald in Bienwald/Sonnenfeld/Hoffmann, 4.Aufl., Rdnr.74 ff zu § 68b) gebietet nach Auffassung des Senats eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift zumindest in denjenigen Fällen eine gesonderte Anfechtbarkeit, in denen mit der Untersuchungs- und Vorführungsanordnung gleichzeitig die Befugnis zur Anwendung einfacher Gewalt gegen den Betroffenen und/oder die Erlaubnis zum gewaltsam Zutritt zur Wohnung des Betroffenen erteilt wird (so auch Sonnenfeld in Jansen, 3.Aufl., Rdnr. 51 zu § 68b; wohl auch Bienwald a.a.O.; a.A. OLG Hamm FamRZ 1997,440; BayObLG FamRZ 2003, 60; 1994,1190; Kayser in Keidel/Kuntze/ Winkler, 15.Aufl., Rdnr.14 zu § 68b; Damrau/Zimmermann, 3.Aufl., Rdnr.28 zu § 68b FGG).

Sowohl die Befugnis zur Anwendung körperlicher Gewalt gegen den Betroffenen als auch die Erlaubnis zur gewaltsamen Öffnung seiner Wohnung stellen tiefgreifende Eingriffe in besonders bedeutsame Grundrechte des Betroffen dar. Dabei gibt der mit der Regelung des § 68b Abs.3 S.2 FGG vom Gesetzgeber lediglich beabsichtigte Zweck, Rechtsmittel in Nebenverfahren zu beschränken (BT Drs.11/4528, S.215, 232), nach Auffassung des Senat keine hinreichende Rechtfertigung, in diesen besonderen Fällen schwerwiegender Grundrechtseingriffe das Verfassungsgebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes aus Art.19 Abs.4 GG so stark einzuschränken, dass ein wirklich effektiver - nämlich die angefochtene Maßnahme ggf. verhindernder - Rechtsschutz des Betroffenen nicht stattfinden kann. Würde man nämlich der Gegenansicht folgen und von einer Unanfechtbarkeit auch für den Fall der Genehmigung von Gewaltanwendung ausgehen, so könnte der Betroffene weder gegen seine zwangsweise Vorführung noch die gewaltsame Öffnung seiner Wohnung isoliert und damit vor allem nicht zeitlich vor deren Durchführung gerichtlich angehen. Er wäre vielmehr auf die Anfechtung der später ergehenden Endentscheidung und damit allenfalls auf die nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der genehmigten Gewaltanwendung beschränkt. Ein wirksamer Rechtsschutz gegen diese besonders beeinträchtigenden Grundrechtseingriffe wäre somit nicht gegeben.

Zwar ist dem OLG Hamm darin zuzustimmen, dass eine Anfechtbarkeit z.B. der Erlaubnis, gewaltsam in die Wohnung des Betroffenen einzudringen, in der Regel zugleich auch die - nach § 68b Abs.3 S.2 FGG gerade zu vermeidende - Überprüfung der Untersuchungsanordnung selbst erfordert (OLG Hamm, a.a.O. S.441). Dieser zusätzliche Aufwand ist jedoch nach Auffassung des Senats kein hinreichender Grund, dem Betroffenen in diesen Fällen besonders schwerwiegender Grundrechtseingriffe einen effektiven, weil vor Durchführung der angefochtenen Maßnahme liegenden, Rechtsschutz zu versagen.

2c. Das Landgericht durfte somit nach der vom Senat vertretenen Auffassung, die Beschwerde des Betroffenen nicht als unzulässig verwerfen, sondern musste in der Sache selbst entscheiden. Das hätte nach Akteninhalt zur Aufhebung des Untersuchungs- und Vorführungsbeschlusses des Amtsgerichts Dannenberg geführt. Zunächst ergeben sich aus dem Akteninhalt keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung oder Behinderung des Betroffenen. Vielmehr hat der Betroffene ein aktuelles Attest (Bl.11 d.A.) seines Hausarztes vorgelegt, welches ihm hinreichende körperliche und geistige Gesundheit bescheinigt. Aber selbst wenn man dies anders sehen wollte, würde schon der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der erteilten Erlaubnis zur Gewaltanwendung entgegenstehen. Es ist nicht nachvollziehbar, dass und warum hier noch vor einem Versuch des Gerichts, den Betroffenen und ggf. seine Familienmitglieder persönlich anzuhören und sich im Rahmen einer solchen Anhörung einen unmittelbaren Eindruck zu verschaffen, eine mit Gewalt durchgesetzte Vorführung zu einer ärztlichen Untersuchung erfolgen soll. Dies gilt umso mehr als der Betroffene über seinen Verfahrensbevollmächtigten ausdrücklich seine persönliche Anhörung durch das Gericht angeboten hat (Bl.10 d.A.).

3. In der von ihm beabsichtigten Art und Weise kann der Senat allerdings nicht entscheiden, ohne im Sinne des § 28 Abs.2 FGG von den vorstehend genannten Entscheidungen des OLG Hamm (FamRZ 1997,440) und des BayObLG (FamRZ 2003,60; 1994,1190) abzuweichen. Wegen dieser Divergenz ist die Sache dem Bundesgerichtshof gemäß § 28 Abs.2 FGG vorzulegen.

Ende der Entscheidung

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