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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 23.01.2002
Aktenzeichen: 20 U 42/01
Rechtsgebiete: StVO


Vorschriften:

StVO § 28 Abs. 2
Zu den Anforderungen an die Sorgfaltspflichten eines Fußgängers, der beim Überqueren einer Fahrbahn ein Großtier mitführt.
Oberlandesgericht Celle

Im Namen des Volkes

Urteil

20 U 42/01

Verkündet am

23. Januar 2002

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 20. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 9. Januar 2002 durch die Präsidentin des Oberlandesgerichts ####### und die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Klägerin wird das am 1. Juni 2001 verkündete Urteil des Einzelrichters der 13. Zivilkammer des Landgerichts Hannover teilweise unter Zurückweisung des weiter gehenden Rechtsmittels und der Anschlussberufung des Beklagten abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 7.172,19 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 19. April 2000 zu zahlen.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer liegt für beide Parteien unter 20.000 €.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist zum weitaus überwiegenden Teil, die Anschlussberufung des Beklagten vollumfänglich unbegründet. Das Landgericht hat jedenfalls im Ergebnis zur Haftungsquote zutreffend entschieden. Der Beklagte hat schuldhaft seine Pflichten als Fußgänger aus § 25 Abs. 3 StVO sowie als Führer eines Pferdes nach § 28 Abs. 2 StVO i. V. m. § 1 Abs. 2 StVO verletzt. Demgegenüber muss sich die Klägerin vorhalten lassen, entweder mit unangepasster Geschwindigkeit (§ 3 Abs. 1 Satz 2 StVO) oder unaufmerksam gefahren zu sein.

Im Einzelnen:

1. Mit zutreffenden Erwägungen hat das Landgericht ein Mitverschulden der Klägerin angenommen. Diese Annahme ist auch nicht durch das Berufungsvorbringen ausgeräumt. Die Klägerin will die Unfallstelle mit knapp 50 km/h befahren haben. Die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h darf indes nur unter günstigsten Bedingungen gewählt werden. Solche Bedingungen lagen hier unstreitig nicht vor, denn es herrschte Dunkelheit und es regnete. Die durch Regen und diffuse Lichtverhältnisse (Blendwirkung) bedingten Sichtbehinderungen können die Klägerin nicht entlasten, führen vielmehr dazu, dass zum Schutze anderer Verkehrsteilnehmer und insbesondere von Fußgängern eine Geschwindigkeit zu wählen war, die deutlich unter der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h lag (vgl. zu dieser Problematik BGH VRS 27, 122; OLG Koblenz VersR 1974, 442; OLG Hamm NZV 1989, 190). Dass die Klägerin nicht innerhalb der übersehbaren Strecke hat anhalten können (der Anhalteweg betrug auf nasser Fahrbahn bei einer durchschnittlichen Verzögerung von 6 m/s² bei einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 50 km/h 30 m), steht auf der Grundlage der tatsächlichen Geschehnisse fest. Sie war nämlich nicht dazu in der Lage, durch eine adäquate Reaktion auf das plötzlich auftretende Hindernis zu reagieren. Sollte hingegen eine frühere Erkennbarkeit und damit eine rechtzeitige Reaktionsmöglichkeit gegeben gewesen sei, dann muss ihr der Vorwurf gemacht werden, nicht rechtzeitig genug reagiert zu haben. Mit sich nicht verkehrsgerecht verhaltenden Fußgängern muss nämlich in den frühen Abendstunden innerorts immer gerechnet werden.

2. Aber auch der Beklagte hat schuldhaft seine Pflichten als Verkehrsteilnehmer verletzt. Als Fußgänger hatte er den in der Nähe befindlichen Fußgängerüberweg zu benutzen und die Straße ohnehin nur unter ständiger Beobachtung des fließenden Verkehrs und Beachtung dessen Vorrangs überqueren dürfen. Zudem war er als Führer eines Großtieres in dieser Situation zu besonderer Vorsicht verpflichtet. Die Beleuchtungsvorschrift des § 28 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 StVO mag nicht direkt die Situation beim Überqueren einer Fahrbahn im Auge haben (so BayObLG DAR 1973, 109), statuiert jedoch nur die Mindestanforderungen. Im Übrigen gelten die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung sinngemäß. Beim Überqueren der Fahrbahn ist bereits für einen Fußgänger höchste Sorgfalt geboten. Schon allemal gilt dies beim Mitführen eines Großtieres. In einer solch potentiell viel gefährlicheren Situation als der bloßen Benutzung der Fahrbahn in Fahrtrichtung war für weithin sichtbarere Erkennbarkeit zu sorgen, es sei denn, es konnte aufgrund der Örtlichkeiten und der Verkehrssituation ausgeschlossen werden, dass das Pferd für einen anderen Verkehrsteilnehmer als unvermutetes Hindernis auftauchte. In diesem Zusammenhang vermag den Beklagten auch nicht zu entlasten, dass die Klägerin möglicherweise durch eine objektiv unnötige Panikreaktion selbst für die beträchtlichen Schäden an dem Pkw verantwortlich war. Theoretische Reaktionen eines außerordentlich versierten Kraftfahrzeugführers müssen außer Betracht bleiben. Typische Instinktreaktionen aus der Situation des Erschreckens heraus sind grundsätzlich zurechenbar. Dazu gehört namentlich das instinktiv eingeleitete Ausweichmanöver, wobei hier erschwerend hinzukam, dass sich die Klägerin nicht nur einem Hindernis auf der Mitte der Fahrbahn, sondern in Gestalt der Ehefrau des Beklagten noch einem weiteren Gefahrenmoment gegenübersah (vgl. zu dieser Problematik schon BGH VersR 1967, 458).

3. Auf der Grundlage des beiderseitigen Verschuldens hält auch der Senat eine Haftungsverteilung von 50 : 50 für angemessen. Die Pflichtverletzung der Klägerin wiegt namentlich mit Blick auf das von ihr benutzte, in kritischen Situationen nur schwer beherrschbare Fahrzeug, das aufgrund seiner Masse ein besonderes Gefährdungspotenzial darstellt, nicht unerheblich. Nicht minderschwer wiegt der dem Beklagten zu machende Schuldvorwurf: Das Überqueren einer Fahrbahn ist schon an sich ein potenziell gefährlicher Vorgang und musste hier bei Führen eines Großtieres unter eingeschränkten Sichtmöglichkeiten mit allergrößter Vorsicht durchgeführt werden. Diese Vorsicht hat der Beklagte gänzlich vermissen lassen.

4. Was die Höhe des Schadens anbelangt, so steht es dem Geschädigten grundsätzlich frei, auf so genannter 'Gutachtenbasis' abzurechnen (BGH NJW 1989, 3009). Bei Wahl dieser Abrechnungsmethode ist der geltend gemachte Schaden allemal gegeben. Deshalb ist die Berufung zu einem geringen Teil, nämlich in Höhe der Differenz zwischen dem zugesprochenen Betrag und der Hälfte des geltend gemachten Schadens begründet.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 2, 97 Abs. 1 ZPO.

Die sonstigen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO.

III.

Der Senat sieht keine Veranlassung, nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO die Revision zuzulassen.



Ende der Entscheidung

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