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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 22.11.2006
Aktenzeichen: 23 W 13/06
Rechtsgebiete: BRAGO


Vorschriften:

BRAGO § 123
Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der neben der mittellosen Partei auch einen leistungsstarken Streitgenossen in derselben Angelegenheit vertritt, ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag beschränkt, sondern umfasst die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei nach § 123 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren.
23 W 13/06

Beschluss

In der Beschwerdesache

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die sofortige Beschwerde des Prozessbevollmächtigten zu 1 gegen den Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 28. Juli 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, die Richterin am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht ####### am 22. November 2006 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Der Beschluss des Landgerichts Hildesheim vom 3. Mai 2005 wird dahin abgeändert, dass die dem beigeordneten Rechtsanwalt T. aus der Landeskasse zu erstattende Vergütung auf 1.383,88 € festgesetzt wird.

Diese Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei, außergerichtliche Auslagen werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Das Landgericht hat dem Beklagten zu 1 am 20. August 2002 mit Rückwirkung zum 14. August 2002 Prozesskostenhilfe bewilligt und ihm Rechtsanwalt T. beigeordnet. Zu diesem Zeitpunkt war die Klage auch gegen die Beklagte zu 2 rechtshängig, die seinerzeit ebenfalls von Rechtsanwalt T. vertreten wurde. Der Beklagte zu 1 ist zwischenzeitlich verstorben. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen.

Der Urkundsbeamte des Landgerichts hat die Festsetzung der von Rechtsanwalt T. mit Schreiben vom 27. Januar 2005 angemeldeten 10/10 Gebühren in Höhe von 1.383,88 € abgelehnt und die dem Prozessbevollmächtigten aus der Landeskasse zustehende Vergütung auf die 3/10 Erhöhungsgebühr gemäß § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO in Höhe von 159,27 € beschränkt. Die dagegen gerichtete Erinnerung hat das Landgericht mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Mit seiner Entscheidung ist es der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Beschluss vom 1. März 1993, NJW 1993, 1715) gefolgt, wonach sich die Bewilligung von Anwaltsgebühren im Rahmen der Prozesskostenhilfe auf die Erhöhungsbeträge nach § 6 Abs. 1 Satz 2 BRAGO beschränkt, wenn zwei Streitgenossen denselben Prozessbevollmächtigten mit der Wahrnehmung ihrer Interessen in einem Rechtsstreit, der dieselbe Angelegenheit betrifft, beauftragen, aber nur bei einem von ihnen die persönlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorliegen.

Dagegen richtet sich die Beschwerde des Prozessbevollmächtigten, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg.

Dem Beschwerdeführer stehen die mit dem Antrag vom 27. Januar 2005 geltend gemachten 10/10 Gebühren nach der Tabelle für Prozesskostenhilfeverfahren gegen die Landeskasse zu.

Der Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der neben der mittellosen Partei auch einen leistungsfähigen Streitgenossen in derselben Angelegenheit vertritt, ist nicht auf den Mehrvertretungszuschlag beschränkt, sondern umfasst die vollen, durch die Vertretung der bedürftigen Partei nach § 123 BRAGO ausgelösten Anwaltsgebühren (so auch OLG München, NJW-RR 1997, 191; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1997, 1493; OLG Stuttgart, JurBüro 1997, 200; OLG Schleswig, JurBüro 1998, 476; OLG Köln, NJW-RR 1999, 725; OLG Hamm, AGS 2003, 509).

Soweit der Bundesgerichtshof (a. a. O.) die Prozesskostenhilfe in diesen Fällen auf die Erhöhungsgebühren beschränkt, fehlt dafür eine gesetzliche Grundlage. Der Bundesgerichtshof begründet seine Auffassung mit dem Sinn der §§ 114 ff. ZPO, wonach die mittellose Partei für ihre Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung staatliche Hilfe nur in Anspruch nehmen könne, soweit sie aus finanziellen Gründen zur Prozessführung außerstande sei. Dem Sinn des Prozesskostenhilferechts widerspräche es jedoch, wenn die vermögende Partei aus Steuermitteln finanziell dadurch entlastet würde, dass ihr Prozessbevollmächtigter zugleich eine bedürftige Partei vertritt.

Demgegenüber normiert § 6 Abs. 2 BRAGO, dass jeder Auftraggeber die Gebühren mit Ausnahme der Erhöhungen in vollem Umfang schuldet. Dies gilt nach der Gesetzesfassung auch dann, wenn eine bedürftige Partei den Rechtsanwalt beauftragt. Einschränkungen für den Fall, dass der Prozess von Streitgenossen geführt wird, finden sich im Gesetz nicht, auch nicht für den Fall, dass einer der Streitgenossen prozesskostenhilfebedürftig ist.

Zudem lässt sich die seinerzeit vom Bundesgerichtshof vertretene Auffassung auch aus anderen Gründen nicht mit der bestehenden Gesetzessystematik vereinbaren. Grundsätzlich haben Streitgenossen die Möglichkeit, sich in einem Rechtsstreit von demselben Prozessbevollmächtigten vertreten zu lassen und damit die Kosten der Prozessführung herabzusetzen. Dem Prozessbevollmächtigten steht dann statt zweier voller Vergütungen nur eine volle Vergütung und zusätzlich die Erhöhungsgebühr von 3/10 zu. Der Prozessbevollmächtigte kann nach seiner Wahl von jedem Streitgenossen die angefallenen 10/10 Gebühren verlangen, von beiden zusammen aber nicht mehr als die erhöhte Gebühr von 13/10. Im Innenverhältnis haben die Streitgenossen im Wege des Gesamtschuldnerausgleichs nach § 426 Abs. 1 BGB je zur Hälfte die Gebühren ihres Prozessbevollmächtigten zu tragen.

Dieses Wahlrecht zur Inanspruchnahme jeder Partei verliert der Prozessbevollmächtigte indessen, wenn er vom Bundesgerichtshof auf die Inanspruchnahme des vermögenden Streitgenossen verwiesen wird.

Die Bewilligung der Prozesskostenhilfe hat nach § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO zur Folge, dass der beigeordnete Anwalt den Anspruch auf Vergütung gegen die betreffende Partei nicht geltend machen kann. An die Stelle dieses Anspruchs tritt die Vergütungsforderung des beigeordneten Anwaltes gegen die Staatskasse gemäß §§ 121 ff. BRAGO. Dieser Vergütungsanspruch des beigeordneten Rechtsanwalts, der neben der bedürftigen Partei auch noch einen vermögenden Streitgenossen in derselben Angelegenheit vertritt, ist nicht auf die Erhöhung des § 6 Abs. 2 BRAGO beschränkt. Nicht immer ist die erfolgreiche Durchsetzung des auf die vollen Gebührensätze bezogenen Honoraranspruchs gegen die vermögende Partei gewährleistet. Die Durchsetzung kann aus unterschiedlichen Gründen, etwa einem nachträglichem Vermögensverfall, erschwert oder unmöglich werden.

Zudem ist der beigeordnete Anwalt gemäß § 48 Abs. 1 Nr. 1 BRAO zur Vertretung der betreffenden Partei im gerichtlichen Verfahren verpflichtet, und zwar völlig unabhängig davon, ob er daneben einen vermögenden Streitgenossen vertritt. Er hat diese Verpflichtung auf der Grundlage der reduzierten Gebührensätze des § 123 BRAGO wahrzunehmen. Dann stehen ihm aber auch die sich daraus ergebenden Gebühren zu, ohne dass er wegen der gleichzeitigen Vertretung eines nichtbedürftigen Streitgenossen einen Nachteil zu befürchten hat.

Schließlich spricht für die hier vertretene Auffassung auch das schutzwürdige Interesse des bedürftigen Streitgenossen. Wenn der beigeordnete Anwalt infolge einer Beschränkung seines Vergütungsanspruchs gegen die Staatskasse auf den Erhöhungsbetrag seine restliche und überwiegende Honorarforderung gegen den vermögenden Streitgenossen geltend macht, erwirbt dieser nach der Erfüllung der Gebührenschuld gemäß § 426 Abs. 1 BGB einen Ausgleichsanspruch, der mangels anderweitiger Absprachen im Innenverhältnis der Streitgenossen die Hälfte des gezahlten Honorars umfasst. Die Prozesskostenhilfebewilligung würde im Ergebnis den unterstützungsbedürftigen Streitgenossen nicht davor schützen, durch den Innenausgleich mit der Bezahlung eines höheren Anteils der Anwaltskosten vom vermögenden Streitgenossen in Anspruch genommen zu werden als nach den reduzierten Sätzen der Prozesskostenhilfe. Dies widerspricht im Ergebnis der gesetzgeberischen Absicht, den Prozesskostenhilfeberechtigten allenfalls in Höhe der Sätze der Prozesskostenhilfe mit den Kosten seines eigenen Prozessbevollmächtigten zu belasten.

Letztlich überzeugt auch die Erwägung nicht, es widerspräche dem Sinn des Prozesskostenhilferechts, wenn die vermögende Partei aus Mitteln der Allgemeinheit weitgehend dadurch entlastet werde, dass ihr Prozessbevollmächtigter zugleich eine bedürftige Partei vertrete. Hierbei wird übersehen, dass § 130 BRAGO (jetzt § 59 RVG) bei Erfüllung der Vergütungsforderung des beigeordneten Prozessbevollmächtigten einen gesetzlichen Forderungsübergang gegen die bedürftige Partei oder den Gegner auf die Staatskasse vorsieht (dazu im Einzelnen OLG Düsseldorf, a. a. O., 1495).

Soweit die Staatskasse an Stelle der bedürftigen Partei den beigeordneten Rechtsanwalt befriedigt, erwirbt sie jedenfalls in entsprechender Anwendung des § 426 Abs. 2 BGB den bürgerlich rechtlichen Ausgleichsanspruch der bedürftigen Partei gegen den Streitgenossen, weil sowohl die Interessenlage als auch die rechtliche Vergleichbarkeit im Falle einer Leistungsbewirkung dem Verhältnis zweier leistungsfähiger Streitgenossen entspricht (so auch im Ergebnis OLG München, a.a.O, 192; Gerold/Schmidt/v.Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17 Auflage, § 59, Rdn.9).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 Abs. 5 BRAGO.

Ende der Entscheidung

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