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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 14.11.2000
Aktenzeichen: 32 Ss 78/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 222
StPO § 354 Abs. 1
Einschränkung des Grundsatzes der Straflosigkeit wegen fahrlässiger Tötung bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung des Opfers, wenn die Selbstgefährdung in der Verweigerung der Einwilligung in eine notwendige Operation liegt.
Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

32 Ss 78/00 124 Js 10135/98 StA #######

In der Strafsache

gegenden #######

wegen fahrlässiger Körperverletzung

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die Revisionen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin gegen das Urteil der 3. kleinen Strafkammer des Landgerichts #######vom 18. Mai 2000 in der Sitzung vom 14. November 2000, an der teilgenommen haben :

Richter am Oberlandesgericht ####### als Vorsitzender,

Richter am Oberlandesgericht #######,

Richter am Landgericht ####### als Beisitzer, Oberstaatsanwältin ####### als Beamtin der Generalstaatsanwaltschaft,

Rechtsanwalt ####### als Verteidiger,

Rechtsanwalt ####### als Vertreter der Nebenklägerin,

Justizamtsinspektorin ####### als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird zum Schuldspruch dahin abgeändert, dass der Angeklagte der fahrlässigen Tötung schuldig ist (§ 222 StGB).

Im Rechtsfolgenausspruch wird das Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revisionen, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts ####### zurückverwiesen.

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht hatte den Angeklagten wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 40 DM verurteilt.

Die Strafkammer hat die Berufungen der Staatsanwaltschaft und der Nebenklägerin, die das Ziel einer Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung verfolgten, verworfen.

2. Nach den Feststellungen der Strafkammer fuhr der Angeklagte am 23. April 2000 in den frühen Morgenstunden in ####### in den Kreuzungsbereich ####### ein und übersah dabei aufgrund seiner aufgebrachten Stimmung das deutlich sichtbar aufgestellte Verkehrszeichen- STOP - (Verkehrszeichen 206) sowie das Fahrzeug des ebenfalls in die Kreuzung einfahrenden und vorfahrtberechtigten Rentners #######. Durch die Kollision wurde der Pkw ####### gegen die Grundstückseinfriedung der ####### geschleudert. #######erlitt bei dem Unfall starke Thoraxprellungen. Nach Feststellung und Versorgung der Verletzungen im Kreiskrankenhaus ####### wurde er zunächst am selben Tag nach Hause entlassen. Bereits während der Heimfahrt und in den nächsten Tagen klagte ####### über starke Schmerzen im Brustbereich. Am 27. April 1998 wurde er stationär im Kreiskrankenhaus #######aufgenommen, wo sich bei der Untersuchung der Verdacht auf eine Aortendissektion ergab. Da die aus ärztlicher Sicht notwendige Operation nicht im Krankenhaus ####### durchgeführt werden konnte, wurde #######auf Veranlassung der Klinik in die Spezialklinik in ####### verlegt. Im Rahmen der dort vorgenommenen diagnostischen Untersuchungen wurden bei ####### Magenblutungen aufgrund von ca. 40 Magengeschwüren festgestellt, worauf hin die Operation von der Klinik in ####### als nicht durchführbar eingestuft wurde. ####### wurde nach ####### zurückverlegt, wo die Magenblutungen bereits nach zwei Tagen gestillt werden konnten. Er fühlte hatte sich im Laufe der Behandlung zunehmend kräftiger und besser und war stets bei klarem Bewusstsein. Obwohl er aufgrund seines guten Befindens drängte, nach Hause entlassen zu werden, gelang es dem Leiter der inneren Abteilung des Kreiskrankenhauses #######, dem Zeugen Prof. Dr. #######, ihn davon zu überzeugen, dass die Operation notwendig sei. Die Strafkammer führt zum weiteren Geschehen aus (Seite 6 f d. UA.):

" Mit Einverständnis des Geschädigten wurde er dann am 8. Mai 1998 in die Medizinische Hochschule ####### verlegt. Dort sollte nach einer weiteren kardiologischen Diagnostik die Operation der in ####### festgestellten Aoertendissektion vorgenommen werden. Es kam in der Medizinischen Hochschule jedoch weder zu diagnostischen Maßnahmen noch zur Durchführung der Operation, weil der Geschädigte jegliche eingreifende Behandlung einschließlich einer kardiologischen Diagnostik ablehnte. Da er bei dieser ablehnenden Haltung verblieb, wurde der Geschädigte am 12. Mai 1998 von der Medizinischen Hochschule ####### wieder in das Kreiskrankenhaus ####### verlegt. 2 Tage zuvor, am 10. Mai 1998, besuchte ihn seine Ehefrau in der Medizinischen Hochschule und stellte fest, dass der Geschädigte zu diesem Zeitpunkt "nicht mehr ganz klar bei Verstand" war. Auf Fragen gab er bisweilen gar keine oder sachlich nicht zugehörige Antworten. Die Ehefrau des Geschädigten hatte zu diesem Zeitpunkt den Eindruck, dass ihr Mann unter zeitweiser Verwirrtheit litt. Eine durchgängige Verwirrtheit konnte sie jedoch nicht feststellen. Mit ihrem Mann konnte sie durchaus auch von ihr als "vernünftig" bezeichnete Gespräche führen.

Nach der Rückverlegung des Geschädigten in das Kreiskrankenhaus ####### wurde er dort alsbald von dem sachverständigen Zeugen Prof. Dr. ####### aufgesucht. Er fand den Patienten in einem Zustand vor, der sich deutlich von dem vor der Verlegung in die Medizinische Hochschule ####### unterschied. Der Patient war ersichtlich geistig verwirrt. Dieser Verwirrtheitszustand hatte ein Ausmaß, dass seitens der Klinik die Einrichtung einer Betreuung für notwendig erachtet wurde.

Am 14. Mai 1998 wurde dann im Wege einer einstweiligen Anordnung die Nebenklägerin zur Betreuerin für ihren Ehemann bestellt. Der Aufgabenkreis umfasste die Sorge für die Gesundheit, die Aufenthaltsbestimmung sowie die Vertretung vor Behörden und ähnlichen Einrichtungen. Ausgangspunkt war die Stellungnahme des Krankenhauses #######, wonach der Geschädigte wegen eines hirnorganischen Psychosyndroms keine verbindliche Einverständniserklärung zu diagnostischen Maßnahmen in Zusammenhang mit einer lebensbedrohenden Erkrankung von Herz und Hauptschlagader mehr erteilen konnte. Nicht völlig geklärt werden konnte in der Hauptverhandlung, ob die Geschädigte in Zusammenhang mit ihrer Einsetzung als Betreuerin um eine Operationsgenehmigung nachsuchte. Tatsächlich wurde eine solche Operationsgenehmigung seitens des Amtsgerichts ####### nicht erteilt. Im Vordergrund der medizinischen Behandlung des Geschädigten stand in diesem Zeitraum indessen auch nicht eine etwaige Operation des Patienten an der Aorta, sondern die Beseitigung des hirnorganischen Psychosyndroms. Am 5. Juni 1998 wurde zur Abklärung des geistigen Abbaus des Geschädigten eine Computertomografie des Gehirns angefertigt. Über eine ausgeprägte Hirnatrophie hinaus fand sich hierbei kein pathologischer Befund. Im Ergebnis konnte das hirnorganische Psychosyndrom bei dem Geschädigten schließlich nicht beseitigt werden. Bei wieder zunehmenden Anzeichen einer Herzinsuffizienz ist der Geschädigte dann am 13. Juni 1998 unter zunehmender Verschlechterung des Allgemeinzustandes verstorben.".

Der Angeklagte hat den äußeren Ablauf des Unfallgeschehens eingeräumt.

Die Strafkammer hat es aufgrund der Aussagen des sachverständigen Zeugen Prof. Dr. ####### sowie der Sachverständigen Dr. ####### für bewiesen angesehen, dass die Aortendissektion durch das Unfallereignis verursacht wurde und der Eintritt des Todes auf die Nichtbehandlung der Aortendissektion zurückzuführen ist. Nach der Aussage der Sachverständigen sei bei einer Untersuchung ####### zwei Monate vor dem Unfall weder eine Aorteninsuffizienz noch eine Aortendissektion festgestellt worden. Ferner sei die Aortendissektion eine unfalltypische innere Verletzung aufgrund eines starken Thoraxtraumas. Es gehöre im Übrigen zu dem Krankheitsbild einer Aortendissektion, dass in der Folge der Dissektion eine Instabilität des Herz-Kreislaufsystems des Patienten eintrete und dann zum Tod durch Herz-Kreislaufversagen führen könne. Die Operation hätte den Krankheitsverlauf verändert. Nach den Aussagen des Zeugen und der Sachverständigen bestehe das Mortalitätsrisiko bei dieser Operation bei 5% bzw. 5 bis 15 %.

Die Strafkammer hat in ihrer rechtlichen Würdigung das Vorliegen einer fährlässigen Körperverletzung bejaht, das einer fahrlässigen Tötung jedoch aus dem Grund verneint, dass "der tatbestandsmäßige Erfolg wegen des Prinzips der so genannten eigenverantwortlichen Selbstschädigung oder Selbstgefährdung" dem Angeklagten nicht zugerechnet werden könne.

Die Überzeugung, dass der Geschädigte ####### #######nach seiner Verlegung in die Medizinische Hochschule ####### die Entscheidung, weitere diagnostische Maßnahmen und eine Operation seiner Aortendefektion abzulehnen, eigenverantwortlich getroffen hat, hat die Strafkammer aus den Angaben des Zeugen Prof. Dr. ####### über die geistig seelische Verfassung seines Patienten einen Tag vor der Verlegung in die Medizinische Hochschule ####### gewonnen. Dem stehe die Aussage der Zeugin ####### nicht entgegen, da sie am 10. Mai 1998 mit ihrem Mann durchaus auch "vernünftige" Gespräche habe führen können. 3. Gegen dieses Urteil richten sich die Revisionen der Staatsanwaltschaft mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts, und der Nebenklägerin mit der Aufklärungsrüge und der Rüge der Verletzung materiellen Rechts.

II.

Die zulässigen Rechtsmittel sind begründet.

Die Revisionen haben schon mit der Sachrüge Erfolg. Der Erörterung der von der Nebenklägerin erhobenen Verfahrensrüge bedarf es daher nicht.

Die Erwägungen, mit denen die Strafkammer es abgelehnt hat, den Angeklagten über die erkannte fahrlässige Körperverletzung hinausgehend wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB zu verurteilen, halten der sachlich-rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

1. Das Unfallgeschehen war kausal für den Tod #######. Sein Tod wurde durch die pflichtwidrige, unter Missachtung der Haltepflicht vorgenommene Einfahrt des Angeklagten in den Kreuzungsbereich verursacht. Über die beim Unfall erlittene Verletzung der Hauptschlagader kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der Tod ####### entfiele. Hiervon geht auch die Strafkammer aus.

2. Die Strafkammer hat jedoch zu Unrecht die strafrechtliche Zurechnung des Todes ####### für den Angeklagten verneint. Der Ursachenzusammenhang wird nicht dadurch unterbrochen, dass noch andere Ursachen zur Herbeiführung des Erfolges beitragen. Ein Ursachenzusammenhang ist nur zu verneinen, wenn ein späteres Ereignis die Fortwirkung der ursprünglichen Bedingung beseitigt und seinerseits allein unter Eröffnung einer neuen Ursachenreihe den Erfolg herbeigeführt hat (BGHSt. 39, 322, 324 m.w.N.). Der von Strafkammer angenommene Fall der freiwilligen, eigenverantwortlichen Selbstgefährdung bzw. Selbstschädigung liegt hier nicht vor. Die hierzu für die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Drogendealers für den Tod des Rauschgiftkonsumenten entwickelte Rechtsprechung geht davon aus, dass derjenige, der - ohne überlegenes Sachwissen - eine eigenverantwortlich gewollte und bewirkte Selbstgefährdung veranlasst, ermöglicht oder fördert, an einem Geschehen teilnimmt, das kein tatbestandsmäßiger und damit kein strafbarer Vorgang ist (vgl. BGHSt. 32, 262, 265; NJW 2000, 2286, 2287; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 222, Rdnr. 15 a). Die Grundsätze der bewussten Selbstgefährdung sind jedoch nicht schematisch auf alle Fälle anwendbar, in denen durch deliktisches Verhalten eines Täters ein Dritter zu einer sich selbst gefährdenden Handlung veranlasst worden ist. In diesen Fällen bedarf die angeführte Rechtsprechung des BGH dann eine Einschränkung, wenn der Täter durch die deliktische Handlung die nahe liegende Möglichkeit einer bewussten Selbstgefährdung dadurch schafft, dass er ohne Mitwirkung und ohne Einverständnis des Opfers eine erhebliche Gefahr für ein Rechtsgut des Opfers begründet und damit ein einsichtiges Motiv für anschließende gefährliche Maßnahmen des Opfers schafft (BGHSt 39, 322, 325; Tröndle/Fischer, StGB, a.a.O.). So liegt der Fall hier. ####### hat das maßgebliche Ausgangsrisiko des Verkehrsunfalls gerade nicht gebilligt und sich in dieses Risiko auch nicht bewusst eigenverantwortlich und aktiv begeben wollen. Selbst wenn er eigenverantwortlich die weitere Behandlung in der Medizinischen Hochschule ####### abgelehnt haben sollte, ist dies unter Berücksichtigung der festgestellten Mortalitätsquote für die Operation von 5 bis 15 % nicht als offenkundig unvernünftig anzusehen (vgl. BGHSt 39, 322, 326). Insofern kommt es in diesem Zusammenhang nicht auf die Frage an, ob die Strafkammer rechtsfehlerfrei eine eigenverantwortliche Weigerung ####### in die Operation in der Medizinischen Hochschule ####### festgestellt hat.

3. Die Grenze zur Unvorhersehbarkeit des Todeseintritts wird auch nicht durch die besonderen Umstände und deren Folgen überschritten. Für die Voraussehbarkeit kommt es entscheidend darauf an, dass der tödliche Erfolg im Rahmen der möglichen Wirkungen einer verkehrswidrigen Handlung liegt (BGHSt. 12, 75, 78f.) und sich innerhalb des durch die pflichtwidrige Erstverletzung geschaffenen Ausgangsrisikos bewegt (OLG Stuttgart NJW 1982, 295, 296). Darin eingeschlossen sind noch durch weitere Umstände und damit verbundene Folgen bedingte Modifizierungen des bereits gesetzten Risikos, so bei der Anwendung eines durch die Verletzung notwendig gewordenen und möglicherweise komplikationsbehafteten Heilverfahrens (OLG Stuttgart a.a.O; OLG Hamm NJW 1973, 1422, 1423). Dies gilt selbst für den Fall, dass der behandelnde Arzt dabei - auch pflichtwidrig - keine oder nicht die richtigen Maßnahmen trifft. (vgl. OLG Stuttgart MDR 1980, 951; OLG Celle MDR 1957, 627, 628).

Bei dem vorliegenden Unfallgeschehen war es voraussehbar, dass ein Fahrzeuginsasse durch den Aufprall an Lenkrad bzw. Armaturenbrett schwere Verletzungen in Form einer Thoraxprellung nebst einer Aortendissektion erleidet, die auch durch die als Folge einhergehende Herz- und Kreislaufinsuffizienz zum Tode führen kann. Der Verlauf der ärztlichen Behandlung bewegt sich nicht außerhalb des gesetzten Risikos und der Lebenserfahrung.

III.

Die von der Strafkammer zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen rechtfertigen die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung gemäß § 222 StGB. Der Senat kann unter entsprechender Anwendung des § 354 Abs. 1 StPO die erforderliche Schuldspruchänderung selbst vornehmen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 44. Aufl., § 354 StPO Rdnr. 12).

Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches bedarf es jedoch der Zurückverweisung an das Landgericht #######.

Der Senat weist für die neue Hauptverhandlung darauf hin, dass im Rahmen der Strafzumessung auch ein für den Todeseintritt möglicherweise mitursächliches Verhalten des Geschädigten oder Dritter strafmildernd zu berücksichtigen ist (BGH StV 2000, 556). Insoweit kommt der von der Nebenklägerin erhobenen Aufklärungsrüge Bedeutung zu.

Ende der Entscheidung

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