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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 28.02.2007
Aktenzeichen: 322 Ss 21/07 (Owi)
Rechtsgebiete: StPO, OWiG, GG


Vorschriften:

StPO § 26a Abs. 1
StPO § 27
StPO § 28
StPO § 338 Nr. 3
StPO § 344
OWiG § 46 Abs. 1
OWiG § 79 Abs. 3
GG Art. 101 Abs. 1 S. 2
Zu den Voraussetzungen der Verfahrensrüge nach § 338 Nr. 3 StPO im Falle der fehlerhaften Verwerfung eines Ablehnungsgesuches nach § 26a Abs. 1 Nr. 3 2. Alt. StPO.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

322 Ss 21/07 (Owi)

In der Bußgeldsache

wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit

hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Z. vom 24. November 2006 nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ####### sowie die Richter am Oberlandesgericht ####### und ####### am 28. Februar 2007 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Z. zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Am 1. August 2006 erließ der Landkreis R./W. gegen den Betroffenen einen Bußgeldbescheid wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit und verhängte eine Geldbuße von 100 € sowie ein einmonatiges Fahrverbot.

Auf den Einspruch des Betroffenen bestimmte das Amtsgericht unter dem 10. November 2006 Termin zur Hauptverhandlung auf den 24. November 2006 und ordnete das persönliche Erscheinen des Betroffenen an. Die Terminsladung erreichte den Betroffenen am 16. November, dessen Verteidiger am 15. November 2006. Mit Telefax vom 20. November 2006, einem Montag, 13:48 Uhr, beantragte der Verteidiger unter Hinweis auf eine lange geplante mehrtägige Geschäftsreise des Betroffenen ins europäische Ausland eine Terminsverlegung, hilfsweise die Entbindung des Betroffenen von der Pflicht zum persönlichen Erscheinen. Diese Anträge lehnte das Amtsgericht mit Beschluss vom 21. November 2006 ab, wobei die Ablehnung der Terminsverlegung nicht begründet wurde. Stattdessen wies das Amtsgericht in der Ablehnungsentscheidung gemäß § 265 StPO darauf hin, dass auch eine Verurteilung des Betroffenen wegen vorsätzlichen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit in Betracht komme und dass der Betroffene mit einer Erhöhung der Geldbuße und Verlängerung des Fahrverbotes zu rechnen habe. In diesem Zusammenhang bezeichnete der Bußgeldrichter den Betroffenen als "massiv vorbelastet und gerichtsbekannt."

Darauf lehnte der Betroffene den erkennenden Bußgeldrichter mit Telefax vom 22. November 2006 wegen Besorgnis der Befangenheit ab und wiederholte zugleich den Verlegungsantrag. Das Ablehnungsgesuch begründete er in erster Linie damit, dass der erkennende Bußgeldrichter grundlos und ohne den Ansatz einer Begründung den Terminsverlegungsantrag abgelehnt habe. Im Übrigen sei der Betroffene auch keineswegs gerichtsbekannt, insbesondere noch nie in seinem Leben vor dem Amtsgericht Z. erschienen.

Mit Beschluss vom 22. November 2006 lehnte der Bußgeldrichter den neuerlichen Verlegungsantrag ab und verwarf das Ablehnungsgesuch gemäß §§ 46 Abs. 1 OWiG, 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO als unzulässig, weil der Betroffene verfahrensfremde Zwecke, nämlich die Erzwingung der Verlegung des Hauptverhandlungstermins, verfolge. In der Ablehnungsentscheidung setzte sich der Bußgeldrichter eingehend mit der Begründung des Ablehnungsgesuches auseinander.

Im Hauptverhandlungstermin vom 24. November 2006 erschien der Betroffene nicht und der Bußgeldrichter verwarf seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid vom 1. August 2006 mit dem angefochtenen Urteil. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der er mit der Verfahrensrüge einen Verstoß gegen § 338 Nr. 3 StPO i. V. m. §§ 27, 28 StPO rügt. Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluss vom 27. Februar 2007 gemäß § 80 a Abs.3 S. 1 OWiG dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern zur Entscheidung übertragen.

II.

Das zulässige Rechtsmittel hat Erfolg. Die in zulässiger Weise gemäß §§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO, 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG erhobene Rüge der Verletzung des § 338 Nr. 3 StPO ist begründet.

In der Rechtsprechung (etwa BGHSt 18, 200, 203; 23, 265; StV 2002, 116) war bis zur Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005, StV 2005, 473 ff., anerkannt, dass die fehlerhafte Ablehnung eines Ablehnungsgesuches als unzulässig allein noch nicht den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO eröffnen konnte, weil die Entscheidung darüber nach Beschwerdegrundsätzen zu erfolgen hat, sodass letztlich allein maßgeblich für die Annahme des absoluten Revisionsgrundes die sachliche Berechtigung des Ablehnungsgesuches war. Nach der neuen höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH NStZ 2006, 50 f. = BGHSt 50, 216 ff. und BGH NStZ 2006, 51 ff. mit Anmerkung Meyer-Goßner) infolge der o. g. Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch ein Ablehnungsgesuch schon dann i. S. von § 338 Nr. 3 StPO "mit Unrecht verworfen", wenn die Verwerfung als unzulässig gemäß § 26 a StPO durch den oder unter Mitwirkung des abgelehnten Richter(s) auf einer willkürlichen oder die Anforderungen des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundlegend verkennenden Rechtsanwendung beruht; auf die sachliche Berechtigung des Ablehnungsgesuches kommt es dann nicht an.

Tragender Grund für die Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung war zu verhindern, dass durch die unangemessen großzügige Anwendung des § 26 a StPO der abgelehnte Richter sein eigenes Verhalten beurteilt und damit zum Richter in eigener Sache wird, weil dadurch dem Betroffenen der gesetzliche Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entzogen wird und häufig zudem der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt wird. Für die Fälle des § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO, über die der BGH bislang zu entscheiden hatte, ist nunmehr anerkannt, dass maßgeblich für die Willkürprüfung ist, ob das Ablehnungsgesuch bereits mit einer rein formalen Prüfung ohne nähere Auseinandersetzung mit den konkreten Umständen des Einzelfalls als zur Begründung der Besorgnis der Befangenheit gänzlich ungeeignet qualifiziert werden kann. Ist dies nicht der Fall, ist dem erkennenden Gericht das Verfahren nach § 26 a StPO verwehrt (BGH a. a. O.).

Diese - wie dargelegt - zu § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO entwickelten Grundsätze müssen auch Geltung für den hier in erster Linie einschlägigen Ablehnungsgrund des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 2. Alt. StPO beanspruchen (Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Rdnr. 28 zu § 338, und NStZ 2006, 53 ff.). Denn gerade der Unzulässigkeitsgrund der Verfolgung verfahrensfremder Zwecke ist dem Unzulässigkeitsgrund der "völligen Ungeeignetheit", der § 26 a Abs. 1 Nr. 2 StPO unterfällt, eng verwandt, wird doch häufig gerade die Abwegigkeit der vorgebrachten Ablehnungsgründe die Verfolgung verfahrensfremder Zwecke i. S. von § 26 a Abs. 1 Nr. 3 StPO dokumentieren (vgl. BGH NStZ 2006, 50, 51; BGHR StPO, § 26 a, Unzulässigkeit 7; LR-Siolek, StPO, 26. Aufl., Rdnr. 27 ff. zu § 26 a). Auch in diesen Fällen muss deshalb die Verfolgung ausschließlich verfahrensfremder Zwecke offen zutage treten und ohne nähere Auseinandersetzung mit den vorgebrachten Ablehnungsgründen erkennbar sein, um das Verfahren nach § 26 a StPO zu eröffnen.

Das ist vorliegend nicht der Fall. Vielmehr erscheint die Ablehnung des Befangenheitsgesuches durch den Bußgeldrichter als grobe Fehlanwendung des Gesetzes und deshalb als willkürliche Entscheidung. Denn der Bußgeldrichter begnügt sich in der das Ablehnungsgesuch zurückweisenden Entscheidung keineswegs mit einer formalen Prüfung, sondern setzt sich mit den vorgebrachten Ablehnungsgründen eingehend auseinander, was im Übrigen auch sachlich geboten war, weil die vorgebrachten Ablehnungsgründe nach der Rechtsprechung (OLG Bamberg, Beschluss vom 10.10.2005, 22 Ss (Owi) 269/05, Beck RS 2006 Nr. 06654; OLG Naumburg StraFo 2005, 24 f.; LG Krefeld StV 1995, 426) durchaus die Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall begründen können.

Allerdings gibt es keinen uneingeschränkten Anspruch auf Terminsverlegung. Gleichwohl ist der erkennende Richter in Terminierungsfragen nicht frei. Vielmehr hat er eine Ermessensentscheidung zu treffen, bei der neben der Belastung des Gerichts und dem Gebot der Verfahrensbeschleunigung auch die Interessen der Beteiligten, insbesondere des Betroffenen, zu berücksichtigen sind (OLG Bamberg, a. a. O.; OLG Naumburg, a. a. O.; LG Krefeld, a. a. O.; Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., Rdnr. 6 zu § 213). Dies folgt auch aus dem Grundsatz des fairen Verfahrens. Wenn der erkennende Richter vor diesem Hintergrund einen mit langfristig vereinbarten Geschäftsterminen im Ausland begründeten Antrag auf Terminsverlegung nach doch sehr kurzfristiger erstmaliger Terminierung ohne jede Begründung ablehnt und stattdessen die Ablehnungsentscheidung dazu nutzt, den Betroffenen darauf hinzuweisen, dass eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Begehung sowie die Erhöhung der Geldbuße und die Verlängerung des Fahrverbotes in Betracht kommen, ist nicht ersichtlich, wie der Bußgeldrichter zu der Überzeugung gelangt, dass auf diesen Sachverhalt gestützte Ablehnungsgesuch diene offensichtlich ausschließlich verfahrensfremden Zwecken. Tatsächlich führt das Amtsgericht in seiner Verwerfungsentscheidung betreffend das Ablehnungsgesuch dann auch Gesichtspunkte wie die hohe Belastung des Gerichts und eine bereits vorhandene enge Terminplanung an, die dem Betroffenen bis dato unbekannt sein mussten, weshalb das Vorgehen des Bußgeldrichters auch den Grundsatz des rechtlichen Gehörs verletzt. Schon der Umstand, dass der Bußgeldrichter sich gehalten sah, derartige Ausführungen zu machen, zeigt jedoch, dass verfahrensfremde Zwecke bei Anbringung des Ablehnungsgesuches keineswegs offen zutage traten, vielmehr sich der Bußgeldrichter durchaus zu einer umfangreicheren sachlichen Auseinandersetzung veranlasst sah. Die Verwerfung des Befangenheitsgesuches als unzulässig gemäß § 26 a Abs. 1 Nr. 3 2. Alt. StPO wird deshalb den Anforderungen aus Art. 100 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gerecht, zumal mit dem Befangenheitsgesuch auch noch objektiv mindestens missverständliche Formulierungen des Bußgeldrichters wie "gerichtsbekannt" und "erheblich vorbelastet" beanstandet wurden. Die Entscheidung konnte sich deshalb gerade nicht mit einer formalen Prüfung begnügen und hat dies auch nicht getan; vielmehr hat der Bußgeldrichter sich zum Richter in eigener Sache gemacht und sein eigenes Verhalten gewürdigt.

Bei derartigen willkürlichen Verfahrensfehlern im Ablehnungsverfahren obliegt es dem Rechtsbeschwerdegericht nach der neuen BGH-Rechtsprechung (s. o.) unter Anwendung von § 338 Nr. 3 StPO das angefochtene Urteil unabhängig von der sachlichen Begründetheit des Ablehnungsgesuches aufzuheben, weil über das Ablehnungsgesuch durch die willkürliche Anwendung des § 26 a Abs. 1 Nr. 3 2.Alt. StPO dem Betroffenen der gesetzliche Richter (vgl. § 27 Abs. 1 StPO) entzogen worden ist.

Da das Ablehnungsgesuch gegen den erkennenden Bußgeldrichter wohl auch in der Sache begründet gewesen sein dürfte, jedenfalls aber ein schwerwiegender Verfahrensfehler vorgelegen hat, hat der Senat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, die Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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