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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 30.11.2001
Aktenzeichen: 322 Ss 217/01
Rechtsgebiete: AEntG, SGB III, OWIG


Vorschriften:

AEntG § 1 Abs. 1
AEntG § 1 Abs. 4
AEntG § 5 Abs. 1 Nr. 1
SGB III § 211 Abs. 1
OWIG § 30 Abs. 1
OWIG § 30 Abs. 4
Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einem Verstoß gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz, wenn gegen eine juristische Person polnischen Rechts wegen Unterschreitung des tariflichen Mindestlohns eine Geldbuße festgesetzt wird.
Oberlandesgericht Celle Beschluss

322 Ss 217/01 (Owi) 702 Js 13258/00 StA #######

In der Bußgeldsache

wegen einer Ordnungswidrigkeit nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz

hat der 2. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Celle auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts #######vom 22. August 2001 auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht #######, den Richter am Oberlandesgericht ####### und den Richter am Landgericht #######am 30. November 2001 beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts ####### zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene wegen 'fahrlässiger und tateinheitlicher Lohnunterschreitung gemäß §§ 5 Abs. 1 Nr. 1, 1 Abs. 1 Satz 2 AEntG i. V. m. §§ 17 Abs. 2, 30 Abs. 4, 19 Abs. 2 OwiG' eine Geldbuße von 70.000 DM festgesetzt.

Nach den Feststellungen handelt es sich bei der Betroffenen um ein Produktions- und Dienstleistungsunternehmen, das als GmbH an seinem Hauptsitz in ####### in das dortige Handelsregister eingetragen ist. Vom 5. August 1997 bis zum 31. August 2000 unterhielt die Betroffene eine Betriebsstätte in #######, und beschäftigte im Zeitraum von Mai bis Dezember 1998 'insgesamt 21 polnische Arbeitnehmer für Bauarbeiten' an der Baustelle Freizeitbad #######. Es handelte sich um 'Bauleistungen, vorwiegend Maurerarbeiten im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III'. Den 21 Arbeitnehmern wurden Entgelte gezahlt, die den in dem Tarifvertrag vom 17. Juli 1997 zur Regelung des Mindestlohnes im Baugewerbe im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bestimmten Mindestlohn von 16 DM/Stunde unterschritten, wodurch die Betroffene - so das Urteil - einen wirtschaftlichen Vorteil vom 32.273,18 DM erlangt hat.

Nach den Feststellungen war 'Geschäftsführer in der Betriebsstätte #######. Das Bußgeldverfahren hat sich zunächst gegen diesen als Betroffenen und gegen die Firma ####### als Verfahrensbeteiligte gerichtet. Nach gerichtlicher Einstellung des Verfahrens gegen ####### ist in dem danach selbstständigen Verfahren gegen die Firma ####### als Betroffene, das angefochtene Urteil ergangen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

II.

Das Rechtsmittel hat Erfolg.

1. Es besteht kein Verfahrenshindernis.

Die Prozessvoraussetzung eines wirksamen Bußgeldbescheides liegt vor. Im Bußgeldbescheid vom 28. März 2000 ist die Identität der Betroffenen mit der Firmenbezeichnung sowie dem Sitz der Niederlassung in Deutschland - die zum Zeitpunkt des Bußgeldbescheides noch bestand - unverwechselbar angegeben worden. Der Bußgeldbescheid gegen die juristische Person wird nicht dadurch unwirksam, dass in ihm das vertretungsberechtigte Organ nicht angegeben ist (vgl. KK-Kurz, OWiG, 2. Aufl. § 66 Rdnr. 50 m.w.N.). Deshalb berührt die Frage, ob der im Bußgeldbescheid als 'Niederlassungsleiter/Handlungsbevollmächtigter' bezeichnete ####### die Betroffene wirksam rechtlich vertreten konnte, die Wirksamkeit des Bescheides nicht. Dieser stellt vielmehr eine taugliche Verfahrensgrundlage für das nachfolgende selbstständige Verfahren (§§ 30, 88 OWiG) gegen die Betroffene dar, weil die Betriebsbezogenheit der angelasteten Pflichtverletzung ausreichend konkretisiert ist.

2. Das Rechtsmittel hat mit der Sachrüge Erfolg, sodass nicht darauf eingegangen zu werden braucht, ob überhaupt eine Verfahrensrüge erhoben worden ist.

Der Schuldspruch hält sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht stand. Die lückenhaften Feststellungen belegen keinen Verstoß der Betroffenen gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG). Nach den Feststellungen bleibt schon offen, ob es sich bei der Betroffenen um einen Betrieb im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 AEntG handelt, was Voraussetzung für eine Ordnungswidrigkeit nach § 5 AEntG ist. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AEntG findet dieses Gesetz nur dann auf einen ausländischen Arbeitgeber Anwendung, wenn sein Betrieb überwiegend Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III erbringt, wobei die von dem Arbeitgeber im Inland eingesetzten Arbeitnehmer gemäß § 1 Abs. 4 AEntG in ihrer Gesamtheit als Betrieb anzusehen sind. Das Urteil verhält sich nicht dazu, ob und in welchem Umfang die 21 in ####### eingesetzten Arbeitnehmer neben den durchgeführten Maurerarbeiten andere Arbeiten erbracht haben, die keine Bauleistungen im Sinne des § 211 Abs. 1 SGB III waren. Zudem bleibt offen, ob und für welche Arbeiten der Betrieb in Deutschland weitere Arbeitnehmer eingesetzt hat. Die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 AEntG notwendige Gesamtbetrachtung, ob im Rahmen der unternehmerischen Betätigungen der Betroffenen derartige Bauleistungen überwiegen, kann auf Grundlage der lückenhaften Feststellungen nicht erfolgen.

Die unvollständigen Feststellungen sind zudem nicht geeignet, gemäß § 30 OWiG den Vorwurf einer Ordnungswidrigkeit gegen die Betroffene als juristische Person zu begründen. Das nach § 30 Abs. 4 OWiG - nach Einstellung des Verfahrens gegen den Betroffenen ####### - selbstständig gegen die Betroffene weitergeführte Verfahren setzt voraus, dass eine natürliche Person als Organ oder Bevollmächtigter im Sinne des § 30 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 OWiG betriebsbezogene Pflichten vorwerfbar verletzt und dadurch eine Ordnungswidrigkeit begangen hat (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl. § 30 Rdnr. 40). Insoweit müssen die Urteilsgründe Feststellungen zur betrieblichen Organisation der Betroffenen im Hinblick auf die Wahrnehmung der Pflichten nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz enthalten. Dazu sind die Betriebsabläufe, die getroffenen und unterlassenen Maßnahmen im Einzelnen bzw. die von der betroffenen getroffenen Anordnungen anzugeben (vgl. OLG Hamm wistra 2000, 433 m. w. N.). Die Feststellung, es sei Aufgabe des 'Geschäftsführers' der Betroffenen gewesen, den Mindestlohn zutreffend zu berechnen und auszuzahlen, genügt diesen Anforderungen nicht, weil dessen rechtliche und tatsächliche Befugnis und Stellung im Unternehmen und seine Einbindung in die Betriebsabläufe ebenso offen bleibt wie die Frage, ob er allein als Verantwortlicher in Betracht kommt.

III.

Danach war das Urteil mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen, weil weitere Feststellungen möglich erscheinen.

Für die neue Verhandlung und Entscheidung weist der Senat darauf hin, dass es Aufgabe des Tatrichters ist, Feststellungen über die tatsächlichen und rechtlichen Umstände zu treffen, unter denen die Betroffene als polnisches Unternehmen ihre Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigt und entlohnt hat. Dies betrifft einerseits die rechtliche Grundlage, auf der die Betroffene polnische Arbeitnehmer in Deutschland beschäftigen durfte, (in Betracht käme insoweit die deutsch-polnische Vereinbarung über die Entsendung von Arbeitnehmern polnischer Unternehmen zur Ausführung von Werkverträgen vom 31. Januar1990 (BGBl. II S. 603), geändert durch die durch Notenwechsel vom 1. März und 30. April 1993 geschlossene und zum 1. Januar 1993 in Kraft getretene Vereinbarung (BGBl. II S. 1125, 1126) ('deutsch-polnische Vereinbarung')).

Andererseits sind zu dem Beschäftigungsverhältnis zwischen der Betroffenen und ihren Arbeitnehmern grundlegende Feststellungen über die Ausgestaltung der arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen nach polnischem Recht zu treffen, um beurteilen zu können, ob Sozialversicherungsbeiträge und 'Prämien' bei der Berechnung des Mindestlohns außer Ansatz bleiben müssen. Soweit es sich bei den 'Prämien' um eine Entlohnung wegen auswärtiger Beschäftigung im Sinne des Art. 4 b der 'deutsch-polnischen Vereinbarung' handeln sollte, würde dies für eine Hinzurechnung dieser Zahlungen bei der Berechnung des Mindestlohns sprechen.

Das Amtsgericht wird sich unter Berücksichtigung dieser neu zu treffenden Feststellungen auch näher mit der subjektiven Seite der der Betroffenen zur Last gelegten Verstöße beschäftigen müssen. Zwar kann einem tätig gewordenen Vertreter der Betroffenen grundsätzlich Fahrlässigkeit angelastet werden, wenn er sich bei eigener Unkenntnis nicht erkundigt hatte, welche Zahlungen der Arbeitgeberin bei der Berechnung des Mindestlohns zu berücksichtigen sind (vgl. BayObLG wistra 2001, 117, 119). Allerdings bedarf es dazu der Abgrenzung zu einem auch in Betracht kommenden Verbotsirrtum (§ 11 Abs. 2 OWiG) .

Die Berechnung des gezahlten Lohnes und einer möglichen Ersparnis der Betroffenen durch zu geringe Lohnzahlungen ist im angefochtenen Urteil widersprüchlich und nicht nachvollziehbar ausgeführt. In der neu zu treffenden Entscheidung wird das Amtsgericht die Berechnungsgrundlage, den Berechnungsweg und die Ergebnisse nachvollziehbar anzugeben haben.

Um die Überprüfung zu ermöglichen, ob ggf. vorliegende Verstöße gegen das Arbeitnehmer-Entsendegesetz als tateinheitlich (§ 19 OWiG) oder als tatmehrheitlich (§ 20 OWiG) begangen anzusehen sind, sind auch insoweit weitere Feststellungen zur Betriebsorganisation der Entlohnung und dem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang der durchgeführten Arbeiten zu treffen.

Für den Rechtsfolgenausspruch wird das Amtsgericht zu bedenken haben, dass bei zu geringen Lohnzahlungen der wirtschaftliche Vorteil zwar in der Verbesserung der Marktposition des Unternehmens durch Zurückdrängen von Mitbewerbern bestehen kann und eine Schätzung der Höhe dieses Vorteils grundsätzlich zulässig ist. Jedoch müssen bei einer Schätzung die tragenden Grundlagen dargelegt werden, um dem Rechtsbeschwerdegericht die Möglichkeit der Nachprüfung zu geben (vgl. Göhler, OWiG, 12. Aufl., § 17 Rdnr. 41, 43 m. w. N.). Ebenso werden die wirtschaftlichen Verhältnisse der Betroffenen (§ 17 Abs. 3 Satz 2 OWiG) näher aufzuklären sein.

Das Amtsgericht wird mit der neuen Entscheidung Gelegenheit haben, den Tenor des Urteils entsprechend §§ 46 Abs. 1 OWiG, 260 Abs. 4 StPO zu fassen. Die Urteilsformel dient nicht dazu, die angewendeten Vorschriften aufzulisten; sie soll zum Schuldspruch nur die rechtliche Bezeichnung der Tat in knapper Form enthalten. Die Liste der angewendeten Vorschriften ist davon zu trennen (§§ 46 Abs. 1 OWiG, 260 Abs. 5 StPO). Ergänzend wird auf Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. § 260 Rdnr. 19 ff verwiesen; die dort erläuterten Grundsätze gelten auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren. Es wird dabei zu beachten sein, dass das Arbeitnehmer-Entsendegesetz in der zur Tatzeit (1998) geltenden Fassung anzuwenden ist (§ 4 Abs. 1 OWiG).

Im Rubrum des Urteils ist die Betroffene mit der Firmenbezeichnung, dem Namen eines vertretungsberechtigten Organs sowie der zum Zeitpunkt der Entscheidung gültigen Geschäftsadresse zu bezeichnen.

Die Frage, ob im vorliegenden Verfahren maßgebliche Vorschriften des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes europäisches Gemeinschaftsrecht verletzen könnten, ist für dieses Verfahren ohne Bedeutung, weil die Betroffene ihren Sitz in der nicht zur Europäischen Union gehörenden Republik Polen hat und polnische Arbeitnehmer eingesetzt waren. Schon deshalb war der Senat weder zu einer Anrufung des EuGH nach Art. 234 EGV verpflichtet, noch besteht Veranlassung, dieses Bußgeldverfahren im Hinblick auf evtl. andere Verfahren vor dem EuGH auszusetzen. Dass die Betroffene ihren Sitz in Polen hat und polnische Arbeitskräfte eingesetzt waren, schließt die Anwendung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes nicht aus (vgl. BayObLG GewArch 2000, 342).

Ende der Entscheidung

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