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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 05.06.2009
Aktenzeichen: 4 AR 19/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 253 Abs. 1
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 281 Abs. 2 Satz 4
ZPO § 506 Abs. 1
Verweist das Amtsgericht ein Verfahren, in dem der Beklagte für den Fall der Klagabweisung hilfsweise Widerklage in Höhe eines Betrags von über 5.000,00 EUR erhebt, auf den Antrag einer der Parteien mit begründetem Beschluss an das örtlich zuständige Landgericht, ohne zuvor über die Klage entschieden zu haben, ist dieser Verweisungsbeschluss jedenfalls nicht objektiv willkürlich und für das Landgericht bindend, zumal wenn die andere Partei ihr Einverständnis mit der Verweisung erklärt hat.
4 AR 19/09

Beschluss

In dem Verfahren

über die Bestimmung des zuständigen Gerichts

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ... am 5. Juni 2009 beschlossen:

Tenor:

Das Landgericht Verden ist zuständig.

Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei. außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Klage über einen Anspruch in Höhe von 1.454,81 EUR vor dem Amtsgericht Syke erhoben. Die Beklagte hat zunächst hilfsweise die Aufrechnung mit einer Forderung in Höhe von 7.327,32 EUR erklärt und im weiteren Verlauf des Verfahrens für den Fall der Klagabweisung und des Nichtverbrauchs der hilfsweisen Aufrechnung mit Schriftsatz vom 3. März 2009 eine Hilfswiderklage über den Betrag von 7.327,32 EUR erhoben. Dieser Schriftsatz ist der Klägerin zugestellt worden. Die Klägerin hat sodann für den Fall, dass das Amtsgericht die Widerklage mit dem unter eine Bedingung gestellten Antrag für zulässig erachten sollte, den Antrag gestellt, den Rechtsstreit an das zuständige Landgericht Verden abzugeben. Die Beklagte hat ihr Einverständnis mit der Verweisung erteilt. Mit Beschluss vom 22. April 2009 hat das Amtsgericht Syke sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit entsprechend § 506 Abs. 1 ZPO an das Landgericht Verden verwiesen. Auf die Begründung des Verweisungsbeschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen. Das Landgericht Verden hat nach Anhörung der Parteien mit Beschluss vom 25. Mai 2009 eine Übernahem des Rechtsstreits abgelehnt, sich für sachlich unzuständig erklärt und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über die Zuständigkeit von Amts wegen vorgelegt. Auf die Argumentation des Landgerichts wird ebenfalls zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

II.

1. Das Oberlandesgericht Celle ist gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung über die Zuständigkeit berufen. Der Senat hat das Landgericht Verden als zuständiges Gericht bestimmt.

2. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts Syke ist für das Landgericht Verden bindend. Er ist jedenfalls nicht objektiv willkürlich.

Grundsätzlich sind Verweisungsbeschlüsse nach § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht, an das verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht erlassenen Verweisungsbeschluss grundsätzlich jeder Nachprüfung (BGH, Beschl. v. 27. Mai 2008, Az.: X ARZ 45/08 m. w. N. - aus juris). Die Bindungswirkung entfällt nur dann, wenn der Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist, etwa weil er einer gesetzlichen Grundlage entbehrt. Ausreichend ist nicht, dass der Verweisungsbeschluss inhaltlich unrichtig oder fehlerhaft ist (z. B. BGH NJW 2003, 3201).

Im vorliegenden Verfahren hat das Amtsgericht Syke in der sich hier stellenden Frage, ob eine Verweisung nach § 506 Abs. 1 ZPO analog zulässig ist, wenn die den Streitwert des Landgerichts erreichende Widerklage nur hilfsweise erhoben wird, das Verfahren mit begründetem Beschluss an das Landgericht Verden abgegeben. Dieses Problem wird in den Kommentaren - soweit ersichtlich auch in den Großkommentaren - nicht behandelt. Die Stichwortabfrage unter juris ergibt als einziges Ergebnis den Aufsatz von Dr. Toussaint in NJ 2006, 392 ff., den das Amtsgericht Syke vor der Verweisung zu Rate gezogen hat. Ist aber der Verweisungsbeschluss begründet und lässt er nicht eine einhellige Rechtsprechung oder zwingende gesetzliche Vorgaben außer Acht, erscheint er nicht als objektiv willkürlich und ist für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, bindend. Eine Verletzung des § 506 Abs. 1 ZPO als zwingende gesetzliche Vorgabe in einem Ausmaß, dass der Verweisung durch das Amtsgericht Syke objektive Willkür anhaften würde, liegt nach Auffassung des Senats nicht vor. Zwar ist dem Landgericht zuzugeben, dass die Erhebung der Hilfswiderklage zunächst nicht streitwerterhöhend und damit zuständigkeitsbegründend wirkt. Jedoch sprechen gute Gründe für die Auffassung des Amtsgerichts, in diesen Fällen dennoch den Rechtsstreit auf einen entsprechenden Antrag hin sofort zu verweisen. Denn das Amtsgericht müsste - sofern es zu der Ansicht gelangt, dass die Klage abzuweisen wäre, die Erhebung der Hilfswiderklage wegen Eintritts der Bedingung also zum Tragen kommt - den Rechtsstreit möglicherweise nach einer umfassenden Beweisaufnahme ohnehin an das Landgericht verweisen. Ein vom Amtsgericht erlassenes Teilurteil dürfte unzulässig sein (vgl. hierzu Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. Aufl., § 301 Rn 9 a m.w.N.). Das Landgericht müsste nun noch einmal die Erfolgsaussicht der Klage überprüfen. dies ist unter dem Gesichtspunkt der Prozessökonomie und einer den Parteien nicht zuzumutenden Verfahrensverzögerung vermeidbar. Ob das Landgericht die Auffassung des Amtsgerichts zur Klage teilt, ist ungewiss. Sollte das Amtsgericht die Klage hingegen durch Teilurteil abweisen und wegen der unter diese Bedingung gestellten Hilfswiderklage den Rechtsstreit an das Landgericht verweisen, könnte das Landgericht dennoch der Auffassung sein, dass die Klagabweisung nicht gerechtfertigt war und deswegen die Bedingung, unter der die Hilfswiderklage gestellt war, als nicht eingetreten ansehen. in dem Fall müsste es die Frage einer Bindungswirkung des amtgerichtlichen Teilurteils erörtern. Ggfls. hat das Landgericht auch die Durchführung einer Berufung gegen das Teilurteil des Amtgerichts abzuwarten, ehe es das Verfahren möglicherweise fortsetzen könnte. Dabei könnte sich die Situation ergeben, dass die Kammer der Berufungsinstanz je nach dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts auch die Kammer sein könnte, die in diesem Verfahren erstinstanzlich zu entscheiden hätte, sofern die Verweisung gem. § 506 Abs. 1 ZPO analog als zulässig erachtet wird.

Die weitere Voraussetzung des § 506 Abs. 1 ZPO, dass nur bei einer gem. § 253 Abs. 1 ZPO erhobenen (Hilfs)Widerklage der Rechtsstreit zu verweisen ist, ist gegeben. Das Amtsgericht hat den entsprechenden Schriftsatz dem Klägervertreter zugestellt.

Der Senat lässt ausdrücklich offen, ob er die Verweisung gemäß § 506 Abs. 1 ZPO analog wie geschehen für zulässig und den gebotenen Weg erachtet. Jedenfalls ist der Verweisungsbeschluss - wie oben ausgeführt - nicht objektiv willkürlich.

Darüber hinaus ist zu beachten, dass sich beide Parteien mit einer Verweisung des Rechtsstreits an das Landgericht Verden einverstanden erklärt haben, sodass sich das Amtsgericht Syke mit seinem Verweisungsbeschluss nicht über den erklärten Willen der Parteien hinweggesetzt hat.

Ende der Entscheidung

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