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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 08.06.2006
Aktenzeichen: 4 W 82/06
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 23 Abs. 3
1. Eine wirksame Beschlussfassung nach § 23 Abs. 3 WEG setzt eine unmissverständliche Initiative zur schriftlichen Universalentscheidung voraus, die einer bloßen Aufforderung zu einer "Meinungsabgabe" nicht hinreichend deutlich zu entnehmen ist.

2. Die Zustimmungserklärung im schriftlichen Beschlussverfahren gem. § 23 Abs. 3 WEG ist widerruflich, bis der Beschlussinitiator das Zustandekommen des Beschlusses festgestellt und eine an alle Wohnungseigentümer gerichtete Mitteilung über das Beschlussergebnis veranlasst hat.


4 W 82/06

Beschluss

In dem Wohnungseigentumsverfahren

betreffend die Wohnungseigentümergemeinschaft

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 2. Mai 2006 gegen den ihr am 25. April 2006 zugestellten Beschluss der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg vom 10. April 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht H. sowie die Richter am Oberlandesgericht S. und P. am 8. Juni 2006 beschlossen:

Tenor:

Die weitere sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens der weiteren sofortigen Beschwerde hat die Antragsgegnerin zu tragen, die auch die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller im weiteren Beschwerdeverfahren zu erstatten hat.

Wert für das Verfahren der weiteren sofortigen Beschwerde: 3.000 EUR.

Gründe:

Die weitere sofortige Beschwerde ist gemäß den §§ 45 Abs. 1 WEG, 27, 29 FGG statthaft und zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 29 Abs. 1 und 4, 22 Abs. 1 FGG). In der Sache hat die weitere sofortige Beschwerde jedoch keinen Erfolg. Gemäß § 27 Abs. 1 FGG wäre die weitere sofortige Beschwerde nur begründet, wenn das Beschwerdegericht eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet hat und dessen Entscheidung gerade auf einer derartigen Verletzung des Rechts i. S. v. §§ 27 Abs. 1 Satz 1 und 2 FGG, 546 ZPO n. F. beruht. Bei der Überprüfung der angefochtenen Entscheidung vermag der Senat jedoch keine Rechtsfehler festzustellen. Der Senat nimmt zwecks Vermeidung von Wiederholungen zunächst Bezug auf die zutreffenden Gründe des Kammerbeschlusses vom 10. April 2006 sowie den Beschluss des Amtsgerichts vom 24. Januar 2006 mit gleichem Ergebnis. Im Einzelnen ist im Hinblick auf die Begründung der weiteren sofortigen Beschwerde der Antragsgegnerin ergänzend auszuführen:

1. Die weitere sofortige Beschwerde ist schon deshalb unbegründet, weil die Vorinstanzen mit Recht angenommen haben, dass die Antragsgegnerin im Rahmen ihrer Beschlussinitiative mit Schreiben vom 27. April 2005 (Bl. 10 d. A.) nicht ausreichend deutlich klargestellt hat, dass eine verbindliche Stimmabgabe über eine Zustimmung zur Baumaßnahme des weiteren Beteiligten S. getroffen werden sollte.

Denn eine Beschlussfassung nach § 23 Abs. 3 WEG setzt zunächst eine unmissverständliche Initiative zur schriftlichen Universalentscheidung voraus, damit für jeden Wohnungseigentümer erkennbar ist, dass eine verbindliche Entscheidung und nicht lediglich eine unverbindliche Meinungsäußerung herbeigeführt werden soll (Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 23 Rn. 96; soweit ersichtlich einhellige Meinung). Diese Voraussetzung hat die Antragsgegnerin nicht erfüllt.

Denn in der Wohnungseigentümerversammlung vom 8. April 2005 zu Ziffer 4 des Protokolls (Bl. 9 d. A.) wurde der Antrag des weiteren Beteiligten S. zur Loggienverkleidung nach ausführlicher Diskussion von den Versammlungsteilnehmern abgelehnt und die Verwaltung lediglich beauftragt, von allen Eigentümern, insbesondere den an der Versammlung nicht teilnehmenden (so wörtlich:) "eine Meinungsabgabe" einzuholen. Die Einholung einer Meinungsabgabe umschreibt aber allenfalls das Ziel, den Meinungsstand innerhalb der Eigentümerversammlung festzustellen und lässt nicht ausreichend erkennen, dass damit bereits ein verbindliches Abstimmungsverfahren i. S. v. § 23 Abs. 3 WEG beabsichtigt war.

Dies lässt auch das Begleitschreiben der Antragsgegnerin vom 27. April 2005 an die Wohnungseigentümer, wovon beispielsweise das an die Antragsteller gerichtete Schreiben zu den Akten gereicht worden ist (Bl. 10 d. A.), nicht erkennen. Im letzten Absatz dieses Schreibens wird vielmehr auf die kontroverse und gegenüber dem Begehren des weiteren Beteiligten S. in der Versammlung vom 8. April 2005 ablehnende Haltung der Versammlungsteilnehmer Bezug genommen und lediglich ausgeführt, dass alle Miteigentümer von diesem Begehren informiert würden und sie gebeten würden, ihr Votum bis zum 15. April 2005 der Antragsgegnerin zur Kenntnis zu geben. Auch das lässt allenfalls erkennen, dass eine Meinungsumfrage beabsichtigt war. Die Bedeutung der Initiative der Antragsgegnerin als verbindliche Stimmrechtsabgabe im Rahmen eines schriftlichen Beschlussverfahrens wird nicht ausreichend deutlich. Die Verwendung des Ausdrucks "Votum" ändert hieran nichts. Der Begriff des "Votums" mag unter Juristen als Stimmrechtsabgabe im Rahmen der Entscheidungsfindung vor allem in einem Kollegialgericht gebräuchlich und bekannt sein. Unter juristischen Laien ist er es nicht ohne weiteres.

Auch der mit dem Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. April 2005 überreichte Stimmzettel (beispielhaft für die Antragsteller überreicht zu Bl. 12 d. A.) ändert an dieser Beurteilung nichts. Die Überschrift über diesem Stimmzettel lautet zwar "Abstimmung im schriftlichen Verfahren". Dass es sich dabei schon um eine verbindliche Stimmrechtsabgabe i. S. v. § 23 Abs. 3 WEG und nicht um die bloße Erkundung des Meinungsstandes innerhalb der Wohnungseigentümergemeinschaft handelt, wird jedoch nicht hinreichend deutlich, zumal auch in jenem Stimmzettel wieder auf das Protokoll der Wohnungseigentümerversammlung vom 8. April 2005 Bezug genommen wird, worin es lediglich heißt, dass Meinungsabgaben eingeholt werden sollten und über die Bedeutung der Abgabe dieser Meinung als verbindlicher Stimmrechtsabgabe weiter nichts ausdrücklich und hinreichend klar gesagt wird.

2. Selbst wenn ein schriftliches Beschlussverfahren gemäß § 23 Abs. 3 WEG wirksam in Gang gesetzt worden sein sollte, liegt ein wirksamer Beschluss über die Genehmigung der Loggiaverkleidung des weiteren Beteiligten S. auch deshalb nicht vor, weil die Antragsteller sowie die weiteren Beteiligten zu 8 und 10 wirksam mit ihren Schreiben vom 4., 6. und 8. September (Bl. 15 ff. d. A.) eine etwa erfolgte Stimmabgabe widerrufen haben.

Zwar hatten zu diesem Zeitpunkt bereits alle übrigen Wohnungseigentümer - unterstellt, ihre Erklärungen seien entgegen den Ausführungen vorstehend zu Ziffer 1 so zu verstehen - ihre Stimmabgabe erteilt. Gleichwohl ist der seitens der Antragsteller und der weiteren Beteiligten zu 8 und 10 erklärte Widerruf jedoch wirksam erfolgt. Beide Vorinstanzen haben nämlich insoweit mit Recht angenommen, dass der Widerruf der Zustimmungserklärung wirksam ist, solange das Beschlussergebnis nicht mitgeteilt worden ist. Das Beschlussergebnis ist jedoch auch nach dem Vortrag der Antragsgegnerin erst zu einem Zeitpunkt mitgeteilt worden, zu dem die genannten Widerrufserklärungen bereits der Antragsgegnerin zugegangen waren. Das war jedenfalls auch schon mit Schreiben der Antragsgegnerin vom 23. September 2005 der Fall, sodass offen bleiben kann, ob die Beschlussmitteilung schon mit diesem Schreiben und nicht erst in der Versammlung vom 30. September 2005 erfolgt ist.

Denn die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen eine im schriftlichen Zustimmungsverfahren gemäß § 23 Abs. 3 WEG einmal erteilte Zustimmung widerrufen werden kann, ist zwar in der Literatur umstritten. Das Amtsgericht - und ihm folgend die Kammer - haben sich der Auffassung angeschlossen, dass der Widerruf möglich ist, solange die Mitteilung des Beschlussergebnisses nicht vorliegt. Dieser auch von Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 23 Rz. 108 und ihm folgend Palandt/Bassenge, BGB, 65. Aufl., § 23 WEG Rn. 6, entwickelten Auffassung schließt sich der Senat aus folgenden Gründen an:

Soweit vor allem Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl., § 23 Rn. 11, unter Hinweis auf § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB die Auffassung vertreten, schon mit dem Zugang der Zustimmungserklärungen des einzelnen Wohnungseigentümers - ohne Rücksicht auf die Erklärungen der übrigen Wohnungseigentümer - werde die erteilte Zustimmung unwiderruflich, kann dem deshalb nicht gefolgt werden, weil die Zustimmung als Willenserklärung zwar bereits mit Zugang gemäß § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB wirksam wird, hieraus jedoch nicht der Schluss gezogen werden kann, dass der Wohnungseigentümer bereits zu diesem Zeitpunkt gebunden ist.

Auch Willenserklärungen im Rahmen der §§ 873, 929 BGB entfalten mit Zugang noch keine Bindungswirkung. Der Grundsatz des § 130 Abs. 1 Satz 2 BGB kann deshalb nicht auf die schlichte Zustimmungserklärung nach § 23 Abs. 3 WEG angewendet werden. Denn sie ist im Hinblick auf eine Beschlussfassung erfolgt und kann deshalb für die Wohnungseigentümer keine selbständige Regelungswirkung entfalten, solange die Beschlussfassung nicht vorliegt. Die Situation ist insoweit anders, als etwa bei einem Vertragsangebot nach § 145 BGB, wo mit dem Zugang der Zustimmungserklärung im Interesse schutzwürdiger Belange des Adressaten eine über die Wirksamkeit hinausgehende Bindungswirkung statuiert wird. Deshalb kann eine verbindliche Regelung, auf die jeder Wohnungseigentümer vertrauen kann, auch erst vorliegen, wenn ein entsprechender Beschluss konstitutiv zustande gekommen ist und eine Bindungswirkung im Hinblick auf diese Beschlussfassung abgegebene Zustimmung auch erst zu diesem Zeitpunkt eintreten.

Der in diesem Zusammenhang weiter vertretenen Auffassung, eine solche Bindungswirkung liege jedenfalls dann vor, wenn sämtliche (Zustimmungs)Erklärungen dem Abschlussinitiator zugegangen seien (so vor allem Staudinger/Bub, BGB, 13. Bearb. 2005, § 23 WEG, Rn. 221 m. w. N.), vermag sich der Senat ebenfalls nicht anzuschließen. Denn entgegen der früher herrschenden Meinung hat der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 23. August 2001 (NJW 2001, 3339 ff.) entschieden, dass der Beschluss im schriftlichen Verfahren nach § 23 Abs. 3 WEG konstitutiv erst zustande kommt, wenn der Feststellende eine an alle Wohnungseigentümer gerichtete Mitteilung über das Beschlussergebnis veranlasst hat. Auch dieser Auffassung schließt sich der Senat an. Für sie spricht entscheidend, dass die Beschlussfassung im schriftlichen Verfahren nicht anders gehandhabt werden kann, wie wenn der Beschluss im Rahmen einer Eigentümerversammlung gefasst worden wäre. Auch dann ist gerade wegen der Möglichkeit kontroverser Diskussion innerhalb der Versammlung so auch im schriftlichen Verfahren erst bei Mitteilung des Ergebnisses und nach Vorliegen aller Stimmen der Wohnungseigentümer überschaubar, wie die Stimmenverhältnisse wirklich sind und auch nur so ist theoretisch denkbaren Manipulationen am ehesten zu begegnen, weil Streit darüber entstehen kann, ob und wann welche Zustimmung oder Verweigerungserklärung dem jeweiligen Abstimmungsinitiator zugegangen ist. Erst wenn er alle Stimmrechtsabgaben nicht nur erhalten, sondern nach Sichtung des Ergebnisses dieses auch der Eigentümerversammlung mitgeteilt ist, wissen auch alle übrigen Wohnungseigentümer verlässlich, welches Abstimmungsergebnis vorliegt. Erst dann tritt der Zustand ein, der dem vergleichbar ist wenn in einer Eigentümerversammlung das entsprechende Ergebnis bekannt gegeben wird.

Soweit das OLG Hamburg in seinem Beschluss vom 14. Mai 1971 (MDR 1971, 1012) die Auffassung vertreten hat, ein ohne Versammlung von den Wohnungseigentümern nach § 23 Abs. 3 WEG gefasster Beschluss liege erst (bzw. bezogen auf den vorliegenden Fall: schon) vor, wenn sämtliche Zustimmungserklärungen dem Verwalter bekannt gegeben worden seien und im Schrifttum (so heute noch Staudinger/Bub, a. a. O., Rn. 222) diese Entscheidung als Beleg für die Auffassung zitiert wird, dass ein Beschluss und damit eine verbindliche und unwiderrufliche Zustimmungserklärung mit Eingang der letzten Erklärung beim Initiator vorliege, kann der Senat dem nicht zustimmen. Die genannte Entscheidung des OLG Hamburg ist zum einen ersichtlich überholt durch die vorstehend zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23. August 2001. Außerdem setzt sich die Entscheidung des OLG Hamburg auch jedenfalls nicht unmittelbar mit Fragen des Widerrufs der erteilten Zustimmung, sondern der Fristenberechnung auseinander. Der Senat hat deshalb auch im Hinblick auf diese ältere Entscheidung des OLG Hamburg keinen Anlass zu einer Vorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 28 FGG gesehen.

3. Ob in der Eigentümerversammlung vom 30. September 2005 ein die vorliegenden Widerrufserklärungen der drei Wohnungseigentümer übergehender und die Auffassung der Antragsgegnerin bestätigender Beschluss zu sehen ist, ist schon deshalb unerheblich, weil entsprechend den Ausführungen vorstehend durch Ziffer 1. kein wirksames Beschlussverfahren gemäß § 23 Abs. 3 WEG in Gang gesetzt worden ist. Im Übrigen gibt der Wortlaut des Eigentümerprotokolls von jenem Tage (Bl. 18 d. A.) auch keinen Anhalt dafür, dass entgegen der vorliegenden Widerrufserklärungen eine einstimmige Einigung erzielt worden ist, weil nach dem vorliegenden Protokoll die "anschließende Aussprache bzw. Diskussion sehr engagiert kontrovers ... verlief " ... "aber zu keinem Ergebnis" führte.

4. Nach alledem musste die weitere sofortige Beschwerde mit der Kostenfolge des § 47 Satz 1 WEG zurückgewiesen werden. Im Hinblick auf die übereinstimmenden Entscheidungen sowohl des Amts als auch des Landgerichts und im Hinblick darauf, dass die Vorinstanzen jedenfalls zur Frage der Unwirksamkeit der Einleitung des schriftlichen Beschlussverfahrens wegen Unbestimmtheit ersichtlich richtig entschieden hatten, war es gerechtfertigt, der Antragsgegnerin auch die Erstattung der außergerichtlichen Auslagen der Antragsteller wegen offensichtlicher Erfolglosigkeit der weiteren sofortigen Beschwerde aufzuerlegen. Ihre nach den vorstehenden Ausführungen sicherlich diskussionswürdige Auffassung zur Frage, bis zu welchem Zeitpunkt im schriftlichen Verfahren erteilte Zustimmungserklärungen widerruflich sind, ändert nichts daran, dass das Rechtsmittel der weiteren sofortigen Beschwerde jedenfalls deshalb offensichtlich aussichtslos war, weil wegen unbestimmter Bezeichnung die Einleitung des schriftlichen Beschlussverfahrens unwirksam und ihr Rechtsmittel schon deshalb offensichtlich erfolglos war.

Die Festsetzung des (Regel)Geschäftswerts folgt den Vorinstanzen.

Ende der Entscheidung

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