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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 12.11.2009
Aktenzeichen: 6 W 142/09
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 2075
Eine Pflichtteilsstrafklausel in einem gemeinschaftlichen Testament kann, wenn Kinder jeweils nur von einem der testierenden Ehegatten abstammen, dahin auszulegen sein, dass Kinder, die nach dem Erstversterbenden den Pflichtteil verlangen, nach dem überlebenden Stiefelternteil nicht mehr Erbe, sondern nur noch mit einem Geldvermächtnis in Höhe des fiktiven Pflichtteils nach dem Stiefelternteil bedacht sind.
6 W 142/09

Beschluss

In der Nachlasssache

betreffend die Erteilung eines Erbscheins nach dem am 24. April 2008 verstorbenen K. B., zuletzt wohnhaft gewesen in H.,

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die weitere Beschwerde des Beteiligten zu 1 vom 5. Oktober 2009 gegen den Beschluss der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 8. September 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Piekenbrock, den Richter am Oberlandesgericht Volkmer und die Richterin am Landgericht Natho am 12. November 2009 beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss und der Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 5. Januar 2009 werden aufgehoben. Das Amtsgericht wird angewiesen, dem Beteiligten zu 1 einen Erbschein zu erteilen, der ihn als Alleinerben des Erblassers ausweist.

Beschwerdewert: 105.778 €.

Der Beschluss des Landgerichts vom 9. September 2009 wird geändert. Der Wert für das Beschwerdeverfahren vor dem Landgericht wird auf 105.778 € festgesetzt.

Gründe:

Die weitere Beschwerde ist begründet.

I.

Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Das Landgericht hat im Rahmen seiner Feststellungen nicht alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt. Die Auslegung des Testaments vom 1. November 1984 hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

1. Bei der Auslegung von Urkunden und Erklärungen ist das Gericht der weiteren Beschwerde an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden, wenn sie nicht unter Verletzung des Rechts zustande gekommen sind (§ 27 Abs. 1 Satz 1 FGG). Die Auslegung einer Erklärung ist vom Gericht der weiteren Beschwerde nur darauf hin zu überprüfen, ob sie nach den Denkgesetzen und der feststehenden Erfahrung möglich ist, mit den gesetzlichen Auslegungsregeln in Einklang steht, dem klaren Sinn und Wortlaut der Erklärung nicht widerspricht und alle wesentlichen Tatsachen berücksichtigt (vgl. Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2005, § 27 Rn. 49).

Diesen Grundsätzen genügt die Auslegung des Testaments durch das Landgericht nicht. Dem Landgericht sind bei der Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments Rechtsfehler unterlaufen.

a) Das Landgericht hat zwar ebenso wie das Nachlassgericht die Bestimmungen des formwirksam errichteten Testaments zutreffend dahin ausgelegt, dass der Erblasser und seine vorverstorbene Ehefrau einander wechselseitig zu befreiten Vorerben und alle drei Kinder - die Beteiligten zu 1 bis 3 - zu Nacherben eingesetzt haben, die gemäß § 2102 Abs. 1 BGB Ersatzerben für die vorverstorbene Ehefrau nach dem Erblasser sind. Rechtsfehlerhaft hat das Landgericht diese Auslegung jedoch auf die in Satz 2 des Testaments formulierte Strafklausel gestützt. Diese Klausel gibt für die Auslegung nichts her. Der Tod des Letztversterbenden ist mangels Verwandtschaft niemals ein das Pflichtteilsrecht auslösendes Ereignis für den Beteiligten, der nach dem Erstversterbenden pflichtteilsberechtigt ist.

Die Nach und Ersatzerbeneinsetzung aller drei Kinder ergibt sich daraus, dass die Eheleute in dem Testament 'unsere Kinder' formuliert und keine weiteren Differenzierungen vorgenommen haben. Es befindet sich im Testament kein Anhaltspunkt, dass Nacherben und Ersatzerben jeweils nur die Kinder sein sollten, die mit dem Erblasser verwandt sind. In einem Schreiben des Erblassers an das Nachlassgericht vom 8. Januar 1999 (Bl. 9 der Nachlassakte) teilt dieser zudem mit, dass im Falle seines Todes auch sein Sohn T. B. als Erbe in Betracht komme. Auch dies zeigt, dass die Erbeinsetzung aller drei Kinder gewollt war.

Die Würdigung der handschriftlichen Notiz des Erblassers vom 29. April 2001 (Bl. 32 d. A.) über das 'Berliner Testament' durch das Landgericht ist zutreffend. Diese nach dem Tod der Ehefrau angefertigte Notiz lässt keinen Rückschluss auf den Willen der Testierenden bei Errichtung des Testamentes zu. Es findet sich in der Notiz schon keine konkrete Bezugnahme auf das Testament. Im Übrigen stammt diese nur vom Erblasser, lässt also nicht auf den Willen der Ehefrau schließen.

b) Die Eheleute haben die Erbeinsetzung davon abhängig gemacht, dass die für den ersten Erbfall getroffene Regelung hingenommen werde. Damit stand die Erbfolge der Kinder des zuerst versterbenden Ehegatten nach dem überlebenden Ehegatten unter der auflösenden Bedingung (§ 2075 BGB), dass sie der in Satz 2 des Testaments enthaltenen Strafklausel nicht zuwiderhandelten.

Da die Kinder nach dem Tod des jeweiligen Stiefelternteils kein Pflichtteilsrecht haben, ist die Strafklausel auslegungsbedürftig. Sie ist dahingehend auszulegen, dass die Eheleute denjenigen, der nach dem Erstversterbendem den Pflichtteil verlangt, nur noch mit einem Vermächtnis in Höhe des fiktiven Pflichtteils nach dem überlebenden Ehegatten bedenken wollten. Die Eheleute haben unter dem Pflichtteil ein (Geld) Vermächtnis in Höhe des rechtlich nicht gegebenen Pflichtteils (§ 2303 Abs. 1, § 1924 Abs. 1 BGB) verstanden.

Die betroffenen Söhne sollten auch bei Eingreifen der Pflichtteilsklausel nach dem erstversterbenden Ehegatten etwas aus dem Nachlass beim Tode des Überlebenden erhalten. Umstände, die darauf hindeuten, dass die Eheleute die Klausel dahin verstanden hätten oder dahin hätten verstanden wissen wollen, dass die Kinder nach Pflichtteilsverlangen beim zweiten Erbfall überhaupt nichts mehr hätten erhalten sollen, liegen nicht vor. Der Wortlaut lässt deutlich erkennen, dass die Eheleute den Kindern bei unerwünschtem Pflichtteilsverlangen hier nicht die Stellung von Erben nach dem Tod des Letztversterbenden verschaffen wollten, sondern dass die Kinder in diesem Fall nicht etwa nichts mehr, sondern "nur" den "Pflichtteil" und damit weniger als die 1/3-Erbanteile erhalten sollten.

Die Eheleute haben unter dem Pflichtteil ein (Geld)Vermächtnis in Höhe des rechtlich nicht gegebenen Pflichtteils verstanden. Dabei sollten die Kinder wie Abkömmlinge des Stiefelternteils behandelt werden. Das ist aus dem Gesamtinhalt des Testaments zu schließen, insbesondere aus der Nach und Ersatzerbeneinsetzung in Nummer 1. Der Berechnung dieses 'Pflichtteils'-Vermächtnisses ist hier der Nachlass des Erblassers, nicht derjenige dessen vorverstorbener Ehefrau zugrunde zu legen, weil die Testierenden ihre Vermögen getrennt vererbt haben. Der Zweck der Pflichtteilsklausel, der auf einen möglichst ungeschmälerten Vermögensübergang auf den überlebenden Ehegatten und auf Einräumung einer möglichst freien Stellung für diesen gerichtet ist, wird durch das Vermächtnis erreicht.

2. Die Beteiligten zu 2 und 3 sind nicht Erben des Erblassers geworden. Die auflösende Bedingung, unter der ihre Ersatzerbeneinsetzung stand, ist eingetreten. Die Beteiligten zu 2 und 3 haben nach dem Tod ihrer Mutter den Pflichtteil geltend gemacht und erhalten. Die Strafklausel greift daher. Sie haben somit nur noch Anspruch auf ihr Vermächtnis in Höhe des rechtlich nicht gegebenen Pflichtteils.

Auch wenn die Beteiligten zu 2 und 3 mitteilen, dass der Pflichtteil nicht geltend gemacht worden sei, ergibt sich aus den überreichten Unterlagen das Gegenteil. Der Erblasser hat nach dem Tod seiner Ehefrau deren Vermögen an ihre leiblichen Söhne, die Beteiligten zu 2 und 3, ausgezahlt. Auf die Überweisungsträger schrieb er 'von Deiner Mutter'. Aus dem Schreiben des Beteiligten zu 2 vom 24. März 1998 (Bl. 77 d. A.) an den Erblasser ergibt sich, dass es zu 'Irritationen' wegen des Pflichtteils gekommen war. Aus dem Schreiben des Beteiligten zu 2 vom 2. April 1998 (Bl. 90 d. A.) an den Beteiligten zu 1 ergibt sich ebenfalls, dass es eine Diskussion um den Pflichtteil gab. Auch das Schreiben des Beteiligten zu 2 vom 21. Dezember 1998 (Bl. 92 d. A.) zeigt, dass es im Hinblick auf das Testament Gesprächsbedarf gab. Die Entgegennahme und das Behalten der mit 'von Deiner Mutter' bezeichneten Überweisungen vom 19. März 1998 (Bl. 78 d. A.) in Verbindung mit diesen Irritationen und Diskussionen zeigt, dass die Beteiligten zu 2 und 3 ihren Pflichtteil verlangt haben.

3. Da der Sachverhalt für die Entscheidung über den Erbscheinsantrag des Beteiligten zu 1 vollständig geklärt ist, konnte der Senat als Gericht der weiteren Beschwerde die angefochtenen Beschlüsse aufheben und das Amtsgericht anweisen, den von dem Beteiligten zu 1 beantragten Erbschein zu erteilen, der diesen als Alleinerben ausweist.

II.

Gerichtskosten für die erfolgreiche weitere Beschwerde fallen nicht an (§ 131 Abs. 1 Satz 2 KostO). Die Erstattung außergerichtlicher Kosten wird nicht angeordnet. es verbleibt für alle Instanzen bei dem in der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Grundsatz, dass jeder Beteiligte seine Kosten selbst trägt, da keine besonderen Gründe vorliegen, die es billig erscheinen lassen, den unterliegenden Beteiligten die Kosten des obsiegenden Beteiligten ganz oder teilweise aufzuerlegen (§ 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG).

Die Entscheidungen zum Beschwerdewert beruhen auf § 30 Abs. 1 Halbs. 1, § 131 Abs. 2, § 31 Abs. 1 Satz 2 Fall 2 KostO. Das wirtschaftliche Interesse des Beteiligten zu 1 war sowohl im Beschwerdeverfahren als auch im Verfahren der weiteren Beschwerde darauf gerichtet, als Alleinerbe ausgewiesen zu werden. Der Wert des Nachlasses beträgt 238.000 €. Von diesem Wert abzuziehen war zunächst der Betrag, der dem Beteiligten zu 1 auch nach Auffassung der Beteiligten zu 2 und 3 zusteht, nämlich 1/3 und somit 79.333 €, wonach 158.667 € verbleiben. Wegen der eingeschränkten Funktion des Erbscheins (nur Legitimationswirkung) war wiederum 1/3 und somit 52.889 € abzuziehen, wonach 105.778 € verbleiben.

Ende der Entscheidung

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