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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 13.04.2000
Aktenzeichen: 8 U 40/99
Rechtsgebiete: AGBG


Vorschriften:

AGBG § 3
AGBG § 5
AGBG § 8
AGBG § 9
Die sogenannte "Verwandtenklausel" in privaten Krankenversicherungsverträgen, mit der die Erstattung ärztlicher Kosten für eine Behandlung des Versicherungsnehmers durch seinen Ehegatten, seine Eltern oder seine Kinder ausgeschlossen ist, verstößt nicht gegen die Vorschriften des AGBG.
8 U 40/99

Verkündet am 13. April 2000

In dem Rechtsstreit

pp.

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 24. März 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht ############## und der Richter am Oberlandesgericht ####### und ############## für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23. Dezember 1998 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer übersteigt 60.000 DM nicht.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung hat keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage zu Recht und mit im Wesentlichen zutreffender Begründung abgewiesen.

Über die bereits vorprozessual erfolgte Erstattung von Sachkosten hinaus hat der Kläger gegenüber der Beklagten aus der bei dieser zum 1. August 1986 nach den MB/KK 76 genommenen Krankenversicherung keinen Anspruch auf Erstattung von Kosten, die ihm von seiner als niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin tätigen Ehefrau für die Behandlung seiner Person in Rechnung gestellt worden sind. Die Erstattung derartiger Kosten ist im Rahmen des zwischen den Parteien geschlossenen Krankenversicherungsvertrages durch § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift besteht für den privaten Krankenversicherer keine Leistungspflicht für die Behandlung des Versi-cherungsnehmers durch seinen Ehegatten, seine Eltern oder Kinder mit Ausnah-me der nachgewiesenen Sachkosten, die tarifgemäß erstattet werden (sog. Verwandtenklausel). Diese Beschränkung der Leistungspflicht begegnet nach Auffassung des Senats in Übereinstimmung mit der überwiegenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken (vgl. OLG München, Urteil vom 8. März 1984 - 19 U 2944/83; LG Aachen, VersR 1999, 1099; Bruck/Möller/Wriede, VVG - Krankenversicherung, 8. Aufl., Anm. G 32; Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 2. Aufl., § 5 MB/KK Rn. 83; Prölss/Martin, VVG, 26. Aufl., § 5 MB/KK Rn. 14; a. A. LG Lüneburg, VersR 1997, 689; Präve, VersR 1997, 938, 940).

1. Allerdings ist es zweifelhaft, ob die Klausel mit der vom Landgericht unter 1. der Entscheidungsgründe gegebenen Begründung der Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG entzogen werden kann (vgl. insoweit auch BGH VersR 1995, 328, 329 m. w. N.). Aber selbst wenn man davon ausgeht, dass § 8 AGBG der Kontrollfähigkeit dieser Bestimmung nicht entgegensteht und sie einer Inhaltskontrolle nach § 9 AGBG unterzieht, lässt sich eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers und folglich eine Unwirksamkeit von § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 nicht feststellen. Sinn und Zweck dieser Klausel ist es, die Schwierig-keiten bei der Überprüfung der Ernsthaftigkeit von Honorarforderungen unter nahen Angehörigen, die u. U. ein Eindringen in die Privatsphäre des Versi-cherungsnehmers erforderlich machen würde, zu vermeiden. Zwar hat das Landgericht Lüneburg (a. a. O.) die Auffassung vertreten, dass die Verwandten-klausel gegen § 9 AGBG verstoße, weil sie auch dann die Leistungspflicht des Versicherers ausschließe, wenn der behandelnde nahe Angehörige gar nicht die Möglichkeit gehabt habe, auf die Liquidierung der Behandlungskosten zu ver-zichten, etwa weil er lediglich als angestellter Arzt tätig geworden sei; in derartigen Fällen würde der Versicherungsnehmer i. S. v. § 9 Abs. 1 AGBG entgegen Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Ganz abgesehen davon, dass es sich hierbei um eine Fallkonstellation handelt, die nur selten vorliegen wird, kann diesen Bedenken gegen die Wirksamkeit der Klausel jedoch mit den Überle-gungen des Landgerichts Aachen (a. a. O.), auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, im Wege der Auslegung begegnet werden. Für einen durchschnittlichen Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse ist bei aufmerksamer Lektüre der Klausel erkennbar, dass der Leistungsausschluss nur für Behandlungen durch liquidationsberechtigte Ehegatten, Eltern oder Kinder gilt, nicht dagegen, wenn keine unmittelbare ver-tragliche Beziehung zwischen dem behandelnden nahen Angehörigen und dem Versicherungsnehmer besteht.

Selbst wenn der Kläger, beispielsweise bei einer plötzlichen lebensbedrohlichen Erkrankung, im Einzelfall der medizinischen Behandlung durch seine Ehefrau als Notärztin bedürfte - ein Fall, der bisher jedenfalls noch nicht eingetreten ist -, führ-te die hier in Rede stehende Klausel nicht zu einer unangemessenen Benachtei-ligung i. S. v. § 9 AGBG. Die Beklagte weist nämlich zutreffend darauf hin, dass eine solche atypische Situation nicht zur generellen Unwirksamkeit der Klausel, sondern allenfalls zu der Notwendigkeit einer Anpassung im Einzelfall führen kann. Dies kann beispielsweise bedeuten, dass es dem Versicherer unter beson-deren Umständen, wie sie eine Notfallbehandlung darstellt, nach Treu und Glauben verwehrt sein kann, sich auf die Verwandtenklausel zu berufen.

2. Es liegt auch keine unangemessene Benachteiligung in Form eines Ver-stoßes gegen wesentliche Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung gemäß § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG vor. Es gibt nämlich keine gesetzliche Regelung, die es gebietet, auch die Kosten der Behandlung durch nahe Angehörigen in den Versi-cherungsschutz einzuschließen (vgl. Präve a. a. O.).

3. Ebenso wenig schränkt § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Krankheitskostenversicherungsvertra-ges ergeben, so ein, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist (§ 9 Abs. 2 Nr. 2 AGBG). Zweck dieser Versicherung ist es, dem Versicherungsnehmer die Aufwendungen zu ersetzen, die ihm durch die medizinisch notwendige Be-handlung einer Krankheit entstehen (§ 1 MB/KK 76). Dieser Zweck wird durch die Verwandtenklausel nur in geringfügiger Weise eingeschränkt. Mit Ausnahme der Behandlung durch Ehegatten, Eltern oder Kinder bleibt dem Versicherungsnehmer die freie Wahl unter allen niedergelassenen approbierten Ärzten. Und auch von den genannten nahen Angehörigen kann er sich behandeln lassen, wenn die Behandlung unentgeltlich erfolgt oder er auf eine Geltendmachung der entste-henden Kosten gegenüber seinem Krankenversicherer verzichtet.

Demgegenüber sprechen gute Gründe dafür, Kosten, die einem Versicherungs-nehmer von einem der in der Verwandtenklausel genannten nahen Angehörigen für seine Behandlung in Rechnung gestellt werden, vertraglich von der Erstattung auszuschließen. Im Interesse der Versichertengemeinschaft hat der Krankheits-kostenversicherer ein berechtigtes Interesse daran, Heilbehandlungen nicht zu finanzieren, von denen von vornherein zweifelhaft sein kann, ob überhaupt ein entgeltlicher Vertrag zu Grunde liegt. Die Leistungsbegrenzung entspricht der Erfahrung, dass die Wahrscheinlichkeit einer in Wirklichkeit unentgeltlichen, gegenüber dem Versicherer jedoch abgerechneten Behandlung desto größer erscheint, je näher die Verwandtschaft ist (vgl. Bach/Moser a. a. O., m. w. N.). Zudem besteht gerade bei engen verwandtschaftlichen Beziehungen die nicht unerhebliche Gefahr, dass objektiv nicht überprüfbare Leistungen, die im Einzelfall nicht erforderlich waren, abgerechnet werden. Bei dem Massengeschäft, das die Erstattung von Behandlungskosten darstellt, wäre die Überprüfung, ob der Be-handlung durch einen nahen Angehörigen ein entgeltlicher Vertrag zu Grunde liegt und ob die Behandlung überhaupt medizinisch notwendig war, seitens des Versi-cherers nur mit einem nicht unerheblichen und daher unverhältnismäßigen wirt-schaftlichen Aufwand möglich. Es ist daher nicht zu beanstanden, dass durch die in § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 enthaltene generalisierende Regelung den prak-tischen Erfordernissen des Versicherers Rechnung getragen wird. Wegen der dar-gelegten Schwierigkeiten bei der Überprüfung von Behandlungsleistungen naher Angehöriger begegnet es im Gegensatz zur Auffassung des Klägers auch keinen Bedenken, dass die Verwandtenklausel auch dann eingreift, wenn der Versicherungsnehmer im Einzelfall die Entgeltlichkeit der Behandlung durch einen nahen Angehörigen zu beweisen vermag.

4. Entgegen der Auffassung des Klägers ist § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 auch nicht nach § 3 AGBG unwirksam, weil es sich etwa um eine überraschende Klausel handelt. Zunächst ist in diesem Zusammenhang darauf hinzuweisen, dass der Kläger bei der Beantragung der hier in Rede stehenden Krankenversicherung am 30. Juni 1986 bestätigt hat, die Tarifdruckstücke und die zugehörigen Allge-meinen Versicherungsbedingungen erhalten zu haben und sie anzuerkennen. Es ist daher davon auszugehen, dass er auch die in den Allgemeinen Versicherungs-bedingungen enthaltene Verwandtenklausel bei der Antragstellung tatsächlich zur Kenntnis genommen hat. Aber selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte und der Kläger ihr seinerzeit jedenfalls für sich keine besondere Bedeutung beige-messen hat, kann die Klausel nicht als so ungewöhnlich angesehen werden, dass der Kläger mit ihr nicht zu rechnen brauchte. Ähnliche Klauseln enthalten bei-spielsweise die Beihilfevorschriften des Bundes und der Länder. Einen vergleich-baren Fall regelt auch § 4 II Nr. 2 Buchst. a AHB, wonach Haftpflichtansprüche aus Schadenfällen von Angehörigen des Versicherungsnehmers, die mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, von der Haftpflichtversicherung ausgeschlossen sind. Dabei ist anzumerken, dass weder der Ausschluss der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die persönliche Tätigkeit eines nahen Angehörigen bei einer Heilmaßnahme noch der in § 4 AHB enthaltene Haftungsausschluss rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. - zu den BhV - BVerfG NVwZ 1993, 560; BVerwGE 41, 101 ff.; BVerwG ZBR 1983, 206 f.; 1991, 149 f. und - zu § 4 AHB - OLG Hamm VersR 1995, 908 f.).

5. Schließlich verstößt § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 auch nicht etwa deshalb gegen § 5 AGBG, weil die Vorschrift keine Definition der nachgewiesenen Sachkosten' enthält, die auch bei Eingreifen dieser Klausel tarifgemäß erstattet werden. Entgegen der Auffassung des Klägers versteht es sich geradezu von selbst, dass mit 'Sachkosten' nicht die Kosten der von dem behandelnden nahen Angehörigen betriebenen Arztpraxis gemeint sind, sondern diejenigen, die bei der Behandlung des Versicherungsnehmers als Patient unmittelbar anfallen. Diese lassen sich - wie die Beklagte unwidersprochen vorgetragen hat - anhand des Tarifs der Deutschen Krankenhausgesellschaft ohne weiteres ermitteln.

6. Einer besonderen Prüfung, ob die Verwandtenklausel dem Maßstab des § 242 BGB standhält, bedarf es nicht, weil die Gesichtspunkte, die hierbei zu be-rücksichtigen wären, bereits bei der Frage erörtert worden sind, ob § 5 Abs. 1 Buchst. g MB/KK 76 gegen § 9 AGBG verstößt.

7. Da die sog. Verwandtenklausel nach alledem keinen rechtlichen Bedenken begegnet, hat der Kläger keinen Anspruch auf Erstattung der Behandlungskosten, die den Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits bilden. Soweit die Beklagte in der Vergangenheit bereits irrtümlich Kosten erstattet hat, die die Ehefrau des Klä-gers ihm für Behandlungen seiner Person in Rechnung gestellt hat, war die Be-klagte berechtigt, mit ihrem dadurch entstandenen Anspruch aus § 812 BGB die Aufklärung gegenüber späteren - berechtigten - Kostenerstattungsansprüchen des Klägers zu erklären. Ein Rechtsgrund dafür, dass der Kläger die irrtümlich erstat-teten Beträge endgültig behalten darf, ist nicht ersichtlich. Da sich seine Berufung gegen das klagabweisende erstinstanzliche Urteil somit insgesamt als unbegrün-det erweist, war sie zurückzuweisen.

Die vom Kläger für den Fall einer ihm negativen Entscheidung beantragte Zulas-sung der Revision war nicht geboten. Das Urteil des Senats weicht von keiner höchstrichterlichen Entscheidung und - soweit ersichtlich - nicht einmal einem Urteil eines anderen Oberlandesgerichts ab; trotz der Abweichung von der Auf-fassung des Landgerichts Lüneburg hat die Sache auch keine grundsätzliche Bedeutung (§ 546 Abs. 1 Satz 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO. Den Wert der Beschwer hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 Satz 1 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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