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Gericht: Oberlandesgericht Celle
Urteil verkündet am 23.12.2003
Aktenzeichen: 9 U 176/03
Rechtsgebiete: GmbHG


Vorschriften:

GmbHG § 64
1. Der Geschäftsführer einer insolventen Gesellschaft ist verpflichtet innerhalb der in § 64 Abs. 1 GmbHG normierten Frist den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen und nach § 64 Abs. 2 S. 1 GmbHG Masseschmälerung zu verhindern; er darf aber - zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes - nach § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG bestimmte Leistungen (noch) erbringen, also etwa Zahlungen, die die Erfüllung von für die Gesellschaft vorteilhaften zweiseitigen Verträgen betreffen, die auch vom Insolvenzverwalter vgl. § 103 InsO - erfüllt würden, die der Abwendung höherer Schäden aus einer sofortigen Betriebseinstellung dienen, da auch nach Eintritt der Insolvenz - aber vor einer Insolvenzverfahrenseröffnung - der Geschäfts und Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden muss und einer Entscheidung des Insolvenzverwalters - oder eines nach § 22 InsO eingesetzten vorläufigen Insolvenzverwalters - nicht vorgegriffen und dessen Entscheidungsspielraum nicht eingeschränkt werden soll.

2. Da es aber ebenfalls zur Sorgfalt des Geschäftsführer als "ordentlichen Kaufmann" gehört, rechtzeitig - nämlich nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 GmbHG - den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen, können nur solche Zahlungen als nicht ersatzpflichtig nach § 64 Abs. 2 S. 2 GmbHG qualifiziert werden, die seitens der Gesellschaft auch bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages (noch) geleistet worden wären; dafür wiederum ist entscheidend, wann ein voraussichtlich eingesetzter Insolvenzverwalter insbesondere die Beendigung von Dauerschuldverhältnissen - z.B. die Kündigung von Mietverträgen nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO - hätte bewirken können.


Oberlandesgericht Celle Im Namen des Volkes Urteil

9 U 176/03

Verkündet am 23. Dezember 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S.####### sowie der Richter am Oberlandesgericht Sch####### und Dr. S####### auf die mündliche Verhandlung vom 3. Dezember 2003 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts H####### vom 8. Juli 2003 teilweise abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.669,38 EUR nebst 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. Dezember 2002 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger 69 %, der Beklagte trägt 31 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

Die Berufung des Klägers ist teilweise begründet; ihm steht ein Anspruch auf Erstattung der seitens der vom Beklagten geführten Gesellschaft an den Vermieter gezahlten Mietzinses für die Monate Juli 2000 bis September 2001 zu, mithin in einer Höhe von 15.000 DM (= 7.669,38 EUR).

1. Der Beklagte ist zur Erstattung der Mietzinszahlungen ab Juli 2000 gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG verpflichtet, da diese Zahlungen nach Feststellung der Überschuldung der Gesellschaft geleistet wurden (§ 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG) und auch nicht mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren (§ 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG).

Die nach § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG maßgebliche Überschuldung der Gesellschaft ist zum Jahresende 1999 anzunehmen. Eine bereits früher vorliegende Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft hat der Kläger nicht dargetan:

Konkreten Sachvortrag zu Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit der GmbH bereits im Jahr 1998 hat der Kläger nicht gehalten. Er hat lediglich pauschal geltend gemacht, dass seit Anfang 1998 das Eigenkapital aufgezehrt gewesen sei, ohne dies anhand konkreter Zahlen zu belegen, sodass sein diesbezüglicher Vortrag, aus dem im Übrigen - allenfalls - ein Zustand der Gesellschaft am Rande der Unterbilanz, nicht jedoch der Überschuldung, abgeleitet werden könnte, zu unsubstantiiert ist. Gegen bereits im Jahr 1998 vorliegende Insolvenzeröffnungsgründe spricht zudem die Einschätzung des Klägers in dem von ihm selbst verfassten Bericht zur ersten Gläubigerversammlung vom 27. Februar 2002, dass sich der genaue Zeitpunkt des Eintritts der Überschuldung nicht nachweisen lasse. Schließlich hat der Kläger in diesem Bericht auch ausgeführt, Zahlungsunfähigkeit liege seit Oktober 2001 vor.

Dieselbe Bewertung gilt für die Behauptung des Klägers, die Gesellschaft sei Ende 1998 überschuldet gewesen, woraus der Kläger die Schlussfolgerung zieht, der Beklagte habe Anfang 1999 den Insolvenzantrag stellen müssen. Präziser Sachvortrag zur Überschuldung der Gesellschaft und ihrer Höhe am 31. Dezember 1998 hat der Kläger nicht gehalten; Bilanzen dazu hat der Kläger in erster Instanz nicht vorgelegt. Soweit der Kläger im Berufungsrechtszug mit Schriftsatz vom 13. Oktober 2003 die Bilanz der Gesellschaft zum 31. Dezember 1998 vorgelegt hat, kann dieser Sachvortrag nicht mehr berücksichtigt werden. Es kommt nicht darauf an, dass dem Kläger die Bilanzen erst durch den Steuerberater der Insolvenzgesellschaft, Herrn K#######, "vor zwei Wochen" zur Verfügung gestellt worden sind. Der Kläger hätte sich - anstatt im Verfahren erster Instanz lediglich pauschal zur Überschuldung im Jahr 1998 vorzutragen - diese Information frühzeitig besorgen können und müssen; die Bilanz für 1998 ist im September 1999 festgestellt worden. Der Berücksichtigung dieses Vortrags steht also § 531 ZPO entgegen.

Die Gesellschaft war allerdings zum 31. Dezember 1999 überschuldet. Aus der vom Kläger überreichten Bilanz ergibt sich eine bilanzielle Überschuldung zum 31. Dezember 1999 in Höhe von 1,47 Mio. DM. Diese bilanzielle Überschuldung ist vom Beklagten nicht bestritten worden. Zwar hat er sich gegen die Überschuldung gewandt, ohne allerdings deutlich gemacht zu haben, inwiefern er die Rechenwerte anzweifeln will, was ihm hinsichtlich der in der Zeit seiner Geschäftsführung erstellten Bilanzen auch kaum möglich sein dürfte. Zwar sind - im Hinblick auf die in § 64 GmbHG angesprochene Überschuldung - nicht die Buchwerte maßgeblich, sondern die tatsächlichen Werte, wobei hier - da der Gesellschaft kaum eine günstige Prognose gestellt werden konnte - von Liquidationswerten ausgegangen werden musste. Die Buchwerte bilden aber ein wesentliches Indiz bei der Feststellung der tatsächlichen, also der rechnerischen Überschuldung, jedenfalls sofern es keine Anhaltspunkte für nahe liegende Abweichungen der Werte gibt, wobei sich diese etwa aus stillen Reserven ergeben könnten. Letztere liegen aber ersichtlich nicht vor; die Gesellschaft verfügte etwa nicht über Grundvermögen, sondern hatte das Grundstück vom Alleingesellschafter, dem Vater des Beklagten, gemietet. Angesichts der erheblichen Überschuldung der mit einem Stammkapital von 100.000 DM ausgestatteten GmbH oblag es daher dem Beklagten vorzutragen, dass bei Ansatz von Liquidationswerten unter Einbeziehung der stillen Reserven keine rechnerische Überschuldung vorlag. Dies hat der Beklagte indes nicht getan und damit die Indizwirkung der Handelsbilanz nicht entkräften können. Im Gegenteil ist der Geschäftsführer verpflichtet, spätestens dann, wenn ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag nach § 268 Abs. 2 HGB ausgewiesen werden muss, eine Überschuldungsbilanz zu erstellen und diese regelmäßig fortzuschreiben (Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 15. Aufl., § 63 Rn. 12). Dass dies geschehen ist und welche Erkenntnisse sich daraus hätten ergeben können, die zur Entscheidung geführt hätten, keinen Insolvenzantrag zu stellen, ist weder vom Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich. Es oblag zudem dem Beklagten, zu einer möglicherweise gegebenen positiven Fortbestehungsprognose vorzutragen, was er ebenfalls nicht getan, eine solche Prognose auch nicht einmal behauptet hat. Der Beklagte selbst hat sich nicht dazu entschließen können, den Betrieb zu übernehmen, da die Auftragslage schlecht gewesen sei, wie sich aus dem Bericht des Verwalters - dort S. 4 oben - ergibt.

Im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft über kein Grundvermögen verfügte, die Betriebs und Geschäftsausstattung auch 14 Monate später - vgl. den Bericht des Verwalters zum 27. Februar 2002, dort S. 6 - lediglich mit 121.000 EUR zu bewerten war und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass angesichts der sich vertiefenden Überschuldung (nämlich auf 1,197 Mio. DM zum 31. Dezember 2000) eine positive Prognose gestellt werden konnte, muss von einer Überschuldung zum 31. Dezember 1999 ausgegangen werden.

Im Grundsatz traf also den Beklagten bereits zum 31. Dezember 1999 die Pflicht gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 GmbHG, keine Zahlungen mehr vorzunehmen. Der Beklagte kann sich im Übrigen nicht darauf berufen, die Überschuldung nicht bereits zum 31. Dezember 1999, sondern erst später - nämlich zum Zeitpunkt der Erstellung der Bilanz - erkannt zu haben. Der Geschäftsführer einer GmbH muss sich nämlich permanent einen aktuellen Überblick über die Vermögensverhältnisse verschaffen, wozu der Beklagte hier besonderen Anlass hatte, da die im September 1999 erstellte Bilanz zum 31. Dezember 1998 bereits eine erhebliche Überschuldung auswies.

b) Eine Erstattungspflicht hinsichtlich der seitens der Gesellschaft in der Zeit von Januar 2000 bis Juni 2000 erbrachten Mietzinszahlungen besteht jedoch nicht, da diese Zahlungen mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar gewesen sind, § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG. Hierunter fallen nämlich Zahlungen, die die Erfüllung von für die Gesellschaft vorteilhaften zweiseitigen Verträgen betreffen, die etwa auch vom Konkursverwalter - vgl. § 103 InsO - erfüllt würden, zudem laufende Lohn-, Miet-, Steuerzahlungen u. ä., die der Abwendung höherer Schäden aus einer sofortigen Betriebseinstellung dienen (vgl. Hachenburg/Ulmer, GmbHG, § 64 Rn. 42). Dieser Gedanke rechtfertigt sich aus der Überlegung, dass auch nach Eintritt der Insolvenz, aber vor einer Insolvenzverfahrenseröffnung ein Geschäfts und Zahlungsverkehr aufrechterhalten werden muss (s. Scholz/Karsten Schmidt, GmbHG, 9. Aufl., § 64 Rn. 27). Insofern können mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns durchaus Zahlungen vereinbar sein, wenn es sich etwa um laufende Zahlungen aus Dauerschuldverhältnissen handelt, nämlich Lohn und Mietzinszahlungen (Scholz/Karsten Schmidt, a. a. O., Rn. 30 a. E.). Selbst wenn sich die Berechtigung solcher Zahlungen nach dem voraussichtlichen Erfolg von Sanierungsbemühungen richten wird (Scholz/Karsten Schmidt, a. a. O., Rn. 27), wird man als den Regelfall annehmen dürfen, dass der Geschäftsführer einer Entscheidung durch den Insolvenzverwalter jedenfalls nicht insofern vorgreift, als er den Betrieb von vornherein zum vollständigen Erliegen bringt. Für eine gegenteilige Annahme, dass hier eine jegliche Betriebsfortführung erkennbar sinnlos gewesen wäre, hat der Kläger nichts vorgetragen.

Danach entsprach es jedenfalls der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns i. S. d. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, wenn der Beklagte zunächst - trotz festgestellter Überschuldung - weiter Mietzinszahlungen erbrachte. Gerade vor dem Hintergrund, dass diese nur insofern gerechtfertigt sind, als der Betrieb aufrechterhalten wird, um eine Entscheidung im Insolvenzverfahren nicht vorzugreifen, ergibt sich jedoch, dass die Zulässigkeit dieser Zahlungen begrenzt wird. Gerade durch die Pflicht des Geschäftsführers, bei erkannter Überschuldung den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen.

In diesem Fall wären jedoch Zahlungen an den Vermieter jedenfalls ab Juli 2000 nicht mehr erbracht worden. Dies ergibt sich aus Folgendem: Legt man - spätestens - die Überschuldung der Gesellschaft zum 31. Dezember 1999 zugrunde, war der Beklagte als Geschäftsführer nach § 64 Abs. 1 Satz 1 GmbHG verpflichtet, spätestens nach drei Wochen den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu stellen. Geht man danach von einem Beginn des Antragsverfahrens Ende Januar 2000 aus, so ist mangels gegenteiliger Anhaltspunkte anzunehmen, dass - wie im vorliegenden Fall - das Verfahren nach etwa sechs Wochen eröffnet worden wäre und der sodann eingesetzte Insolvenzverwalter die Kündigung des Mietvertrages nach § 109 Abs. 1 Satz 1 InsO erklärt hätte. Eine nach dem geschilderten Verfahrensablauf demnach vom Insolvenzverwalter etwa Mitte März 2000 ausgesprochene Kündigung hätte das Mietverhältnis nach § 565 Abs. 1 Nr. 3 BGB (a. F.), der eine dreimonatige Kündigungsfrist vorsieht, zum 30. Juni 2001 beendet, sodass bis zu diesem Zeitpunkt aus dem Gesellschaftsvermögen Mietzahlungen auch bei rechtzeitiger Stellung des Insolvenzantrages hätte erfolgen können und müssen.

Zahlungen ab Juli 2000 waren also demnach - wegen der unterlassenen Antragstellung noch im Januar 2000 - nicht "mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar" i. S. d. § 64 Abs. 2 Satz 2 GmbHG.

Ab Januar 2000 war von der Gesellschaft ein monatliche Mietzins in Höhe von 1.000 DM zu zahlen, sodass sich die Summe von (15 x 1.000 =) 15.000 DM ergibt, wobei zugrunde zu legen ist, dass der Kläger Erstattung der Zahlungen bis September 2001 geltend gemacht hat, sodass sich die Erstattungspflicht auf die Monate Juli 2000 bis September 2001 bezieht.

2. Auf weitere Anspruchsgrundlagen kann sich der Kläger nicht berufen. Insbesondere schuldet der Beklagte keine Erstattung aus § 43 GmbHG. Dem Beklagten kann nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte auf andere Art und Weise als durch die Stellung des Insolvenzantrages verhindern müssen, dass Zahlung an den Vermieter erfolgen. Der Mietvertrag selbst war befristet bis zum 31. Dezember 2003, sodass der Beklagte Mietzinszahlungen nicht durch eine Vertragskündigung verhindern konnte. Der Beklagte konnte im Übrigen auch nicht durch eine Auflösung der Gesellschaft verhindern, dass Mietzinszahlungen erfolgten; er war kein Gesellschafter, konnte also eine durch Beschluss der Gesellschafterversammlung (vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 2 GmbHG) herbeizuführende Auflösung nicht erreichen.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92, 97 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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