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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Celle
Beschluss verkündet am 10.10.2008
Aktenzeichen: 9 W 78/08
Rechtsgebiete: ZPO, EGV


Vorschriften:

ZPO § 252
EGV Art. 234
1. Eine Beschwerde gegen eine Aussetzungsentscheidung, die mit einer Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht verbunden ist, insbesondere mit einer Vorlage an den EuGH, ist nicht statthaft.

2. Der Ausschluss der Anfechtungsmöglichkeit gilt nicht nur dann, wenn das aussetzende Gericht das Verfahren dem EuGH vorlegt, sondern auf den Ausgang eines anderen bereits vor dem EuGH anhängigen Verfahrens warten will, das dieselbe entscheidungserhebliche Frage zum Gegenstand hat.


9 W 78/08

Beschluss

In dem Rechtsstreit

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Dr. S, sowie der Richter am Oberlandesgericht D. und Dr. St. am 10. Oktober 2008 beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Klägerin vom 11. Juli 2008 gegen den Aussetzungsbeschluss der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 7. Juli 2008 wird kostenpflichtig verworfen.

Gründe:

Die Beschwerde ist unzulässig, da unstatthaft. Zwar findet nach § 252 ZPO gegen die Entscheidung, nach der aufgrund der Vorschriften des fünften Titels des dritten Abschnitts des ersten Buchs der ZPO (§§ 239 ff. ZPO) oder aufgrund anderer gesetzlicher Bestimmungen die Aussetzung des Verfahrens angeordnet oder abgelehnt wird, die sofortige Beschwerde statt. Dies gilt jedoch nach fast einhelliger Auffassung nicht für Aussetzungsentscheidungen, die mit einer Vorlageentscheidung an ein höheres Gericht verbunden sind, also vor allem nicht für die Aussetzungsbeschlüsse nach Art. 100 Abs. 1 GG sowie für Vorlageentscheidungen anderer Art, etwa die Vorlage an den EuGH (OLG Köln WRP 1977, 734. Gehrlein in: MünchKomm. zur ZPO, 3. Aufl., 2008, § 252 Rdnr. 17. Rother in: Stein/Jonas, Komm. zur ZPO, 22. Aufl., § 252 Rdnr.. Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., § 252 Rdnr. 1 b. Thomas/Putzo/Hüßtege, ZPO, 28. Aufl., § 252 Rdnr. 1, vor § 239 Rdnr. 10. Rosenberg/Schwab/Gottwald, Zivilprozessrecht, 16. Aufl., § 123 Rdnr. 22. teilweise ablehnend: Pfeiffer, NJW 1994, 1969). Dies gebieten die allgemeinen Prozessgrundsätze, nach denen die Instanzgerichte ihre eigentliche Prozessentscheidung unabhängig und ohne Steuerung von außen - grundsätzlich auch ohne eine solche durch die übergeordnete Instanz - finden und fällen dürfen, was etwa in § 355 Abs. 2 ZPO zum Ausdruck gebracht wird (OLG Köln WRP 1977, 734, 736).

Bei Vorlageentscheidungen geht es - im Gegensatz zu den in § 252 ZPO vorgesehenen Aussetzungsfällen - um die Frage des Zeitpunkts, nicht um die des Inhalts der Meinungsbildung des aussetzenden Gerichts. Eine Entscheidung über die Beschwerde würde nämlich - wollte man sie als zulässig erachten - zwangsläufig dem unteren Instanzgericht jedenfalls teilweise auch den Inhalt seiner Meinungsbildung vorschreiben (OLG Köln, WRP 1977, 734, 736). Die gegen diese ganz überwiegend vertretene Meinung von Pfeiffer vorgebrachten Kritikpunkte (NJW 1994, 1996 ff.) hat der Senat geprüft. er hält sie für nicht durchgreifend. Dies gilt insbesondere, wenn es für die Klärung weiterer Fragen (wie hier: das Vorliegen eines Haustürgeschäfts ist vom Sachverhalt her streitig) möglicherweise auf eine Beweiserhebung ankäme. Das Gesetz sieht - wie sich aus § 355 Abs. 2 ZPO ergibt - eine (teilweise) bindende rechtliche Weichenstellung im Sinne einer Vorabklärung durch das - mit dem Berufungsgericht identische - Beschwerdegericht gerade nicht vor. Eine solche "Schlüssigkeitsprüfung" durch das Beschwerdegericht ist also ausgeschlossen. ebenso wenig kommt es in Betracht, dass das Beschwerdegericht selbst insofern streitige Tatsachen aufklärt oder dem Ausgangsgericht die bindende Anweisung erteilt, eine Sachverhaltsaufklärung zunächst vorzunehmen. Mit der Entscheidung des Beschwerdegerichts im Prozesskostenhilfeverfahren ist diese Konstellation ebenfalls nicht vergleichbar: Einerseits findet hier nur - mit ausnahmsweise zulässiger Beweisantizipation - eine vorläufige Prüfung statt, deren Ergebnis andererseits das Ausgangsgericht lediglich für das Prozesskostenhilfeverfahren, nicht für die Entscheidung in der Hauptsache bindet. Schließlich ist auch bei Beschwerden gem. § 252 ZPO nicht nachprüfbar, ob das Gericht die Rechtslage im Hinblick auf die Vorgreiflichkeit zutreffend beurteilt hat (Zöller/Greger a. a. O., Rdnr. 3. Pfeiffer a. a. O., S. 2000).

Allerdings will das Landgericht die von ihm für erheblich gehaltene Frage nicht selbst vorlegen, wenn es auch eine Aussetzung "analog Art. 234 EGV" beschlossen hat. Das Landgericht will aber das Verfahren ersichtlich aussetzen, bis der EuGH in einer Parallelsache über die Vorlage des BGH (II ZR 292/06) entschieden hat. Dass für ein solches Vorgehen (anstatt eigener Vorlage) gute Gründe sprechen mit der Folge, dass auch eine Aussetzung nach oder entsprechend § 252 ZPO nicht zu beanstanden und die Beschwerde deshalb jedenfalls unbegründet wäre, hat der BGH bereits ausgesprochen (BGH NJW 2005, 1947). Auch der Senat hält es für sinnvoll. Schon hinsichtlich der Anfechtbarkeit dieses Beschlusses kann dann aber nichts anderes gelten als für die des Vorlagebeschlusses selbst. Für den Verfahrensablauf macht es - auch aus der Sicht der Parteien - nämlich keinen Unterschied, ob das Ausgangsgericht wegen derselben Frage, über die vom EuGH bereits aufgrund der Vorlage eines anderen Gerichts vorab zu entscheiden ist, eine unanfechtbare (weitere) Vorlageentscheidung trifft, die den EuGH unökonomisch und überflüssig zusätzlich belastet (vgl. BGH a. a. O., 1948), oder ob es - wie hier das Landgericht - lediglich die Vorabentscheidung abwartet und deshalb den Weg einer "vorlagespezifischen" Aussetzung unter Hinweis auf Art. 234 EGV wählt.

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