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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 18.03.2009
Aktenzeichen: 1 Reha Ws 2/09
Rechtsgebiete: StrRehaG


Vorschriften:

StrRehaG § 16 Abs. 2
StrRehaG § 17a
Der Ausschlusstatbestand des § 16 Abs. 2 StrRehaG fordert auch im Kontext der Gewährung einer Opferrente einen "Systembezug" der in Rede stehenden Verstöße.
Oberlandesgericht Dresden Beschwerdesenat für Rehabilitierungssachen

Aktenzeichen: 1 Reha Ws 2/09

Beschluss

vom 18. März 2009

in der Rehabilitierungssache des

Tenor:

1. Auf die Beschwerde der Staatskasse wird Ziffer 3. des Beschlusses des Landgerichts Chemnitz vom 13. Oktober 2008 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Landesdirektion Chemnitz zurückgegeben.

2. Die weitergehende Beschwerde der Staatskasse wird als unbegründet verworfen.

3. Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erhoben. Die dem Betroffenen durch das Beschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

4. Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe gewährt. Rechtsanwalt , wird als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnet.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde mit Urteil des Kreisgerichts Zwickau-Stadt vom 03. Oktober 1983 wegen verbrecherischen Diebstahls zum Nachteil persönlichen Eigentums, mehrfachen Betruges zum Nachteil sozialistischen Eigentums, Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit durch asoziales Verhalten, begangen im Rückfall, und wegen Vorbereitung zur rechtswidrigen Nichtrückkehr in die DDR zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Mit Beschluss vom 25. April 1995 hat das Landgericht Chemnitz - Rehabilitierungskammer - das vorgenannte Urteil aufgehoben, soweit eine Verurteilung wegen Vorbereitung zur rechtswidrigen Nichtrückkehr in die DDR und zu einer Freiheitsstrafe von mehr als zwei Jahren erfolgt ist. Im Übrigen wurde der Antrag auf strafrechtliche Rehabilitierung des Betroffenen zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Betroffene in der Zeit vom 03. Juni 1985 bis zum 30. Januar 1986 zu Unrecht Freiheitsentzug erlitten hat.

Der Betroffene war bereits zuvor mit Urteil des Landgerichts Zwickau vom 18. März 1994 wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Er verbüßt diese derzeit in der Justizvollzugsanstalt .

Vor diesem Hintergrund hat die Landesdirektion Chemnitz mit Bescheid vom 11. August 2008 den Antrag des Betroffenen auf Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer gemäß § 17 a StrRehaG abgelehnt, weil ein Ausschlussgrund im Sinne des § 16 Abs. 2 StrRehaG vorliege. Die Landesdirektion hat ausgeführt, dass der Betroffene durch den von ihm begangenen Mord das Recht eines jeden Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit verletzt habe; dadurch habe er "selbst gegen die Menschlichkeit in einer demokratischen Grundordnung verstoßen".

Hiergegen hat der Betroffene Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt. Das Landgericht Chemnitz hat mit Beschluss vom 13. Oktober 2008 den abweisenden Bescheid der Landesdirektion Chemnitz aufgehoben (Ziffer 2. des Beschlusses) und diese verpflichtet, dem Betroffenen eine monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer zum 01. Oktober 2007 gemäß § 17 a StrRehaG zu gewähren (Ziffer 3. des Beschlusses). Das Landgericht hat das Vorliegen eines Ausschlussgrundes mit der Begründung verneint, der Ausschluss könne "nur für ein Verhalten vor der "Wende" gelten". Nach "Sinn und Zweck des § 16 Abs. 2 StrRehaG solle ein Opfer politischer Verfolgung, das selbst Täter in diesem politischen System gewesen sei, nicht mit den politischen Opfern gleichgestellt werden, die letztlich diese Maßnahmen gegen sich erdulden mussten". Auf Kapitalverbrechen, die "nach der politischen Wende begangen" wurden, sei § 16 Abs. 2 StrRehaG nicht anwendbar.

Hiergegen wendet sich die Staatskasse, vertreten durch das Landesamt für Finanzen, mit der Beschwerde, mit der sie die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses erstrebt. Die Beschwerdeführerin ist der Auffassung, dass vorliegend der Betroffene durch die Tötung eines Menschen gegen die Grundsätze der Menschlichkeit verstoßen habe und deshalb der Ausschlussgrund des § 16 Abs. 2 StrRehaG eingreife. Entgegen der Ansicht des Landgerichts ergebe sich aus dem Wortlaut des § 16 Abs. 2 StrRehaG "weder eine zeitliche Begrenzung des Verwirkungstatbestandes auf Verhalten zu Zeiten der DDR noch" lasse "sich ein Systembezug erkennen". Im Übrigen sei die Vorschrift des § 16 Abs. 2 StrRehaG im Hinblick auf den neu eingefügten § 17 a StrRehaG und den darin postulierten Zweck der Würdigung politischer Inhaftierung in diesem Kontext abweichend von der bisherigen Rechtsprechung extensiver auszulegen. Der Zweck der Opferrente, "eine besonders herausragende politische Verfolgung" durch die Gewährung einer besonderen Zuwendung zu würdigen, würde "entwertet, wenn jemand", der "anderen Personen schlimmstes Unrecht" - wie das der Tötung eines anderen Menschen - angetan habe, die Zuwendung erhalte. "Ein Haftopfer, das selbst gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit verstoßen" habe, sei "einer über die normalen sozialen Ausgleichsleistungen hinausgehenden lebenslangen Zuwendung nicht würdig". Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringens wird auf das Schreiben des Landesamtes für Finanzen vom 08. Dezember 2008 verwiesen.

Der Betroffene und sein Verfahrensbevollmächtigter hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.

II.

Das Rechtsmittel der Staatskasse hat - zumindest vorläufig - Erfolg, soweit es die Verpflichtung der Landesdirektion Chemnitz betrifft, dem Betroffenen eine monatliche besondere Zuwendung für Haftopfer ab dem 01. Oktober 2007 zu gewähren. Im Übrigen ist es, soweit es die Verneinung eines Ausschlussgrundes im Sinne des § 16 Abs. 2 StrRehaG betrifft, unbegründet.

1. Das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung im Ergebnis zutreffend einen Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" i.S.d. § 16 Abs. 2 StrRehaG verneint.

Allerdings hat der Betroffene durch die Tötung eines anderen Menschen eine schwere Straftat begangen, die mit der Verhängung einer lebenslangen Freiheitsstrafe geahndet wurde.

Insoweit weist die Beschwerdeführerin zutreffend darauf hin, dass zu den allgemein anerkannten und unveräußerlichen Menschenrechten insbesondere auch das Recht eines jeden Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit gehört, das vor staatlicher Willkür zu schützen ein Gebot der Rechtsstaatlichkeit ist (vgl. Artikel 1 Abs. 1 und Artikel 2 Abs. 2 GG, Artikel 2 und 15 Abs. 2 EMRK; BVerwGE 31, 337, 338). Nicht jede Straftat eines Einzelnen, die sich gegen Leib oder Leben eines anderen richtet, stellt jedoch gleichzeitig einen Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit" i.S.d. § 16 Abs. 2 StrRehaG dar.

Der Senat hält auch im Kontext der Opferrente gemäß § 17 a StrRehaG weiterhin an seiner in Einklang mit der sonstigen höchstrichterlichen Rechtsprechung stehenden einschränkenden Auslegung des § 16 Abs. 2 StrRehaG (Senat, OLG-NL 1996, 19 f.) fest mit der Folge, dass Taten der allgemeinen Kriminalität, die keinen Bezug zu einem Unrechts-Regime haben, nicht als Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" im Sinne der genannten Vorschrift anzusehen sind.

Der Senat lässt sich dabei von folgenden Erwägungen leiten:

a) Eine Legaldefinition des Begriffs der "Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit" existiert nicht. Für seine Auslegung kann zunächst zurückgegriffen werden auf den Tatbestand in Anlage I Kapitel XIX Sachgebiet A Abschnitt III Nr. 1 Abs. 5 des Einigungsvertrages. Dort sind - im Rahmen des Rechts der im öffentlichen Dienst stehenden Personen - als Beispiel für eine Verletzung derartiger Grundsätze Verstöße gegen den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. Dezember 1966 und die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte vom 10. Dezember 1948 genannt. Dieselbe Verweisung enthält auch Artikel 119 der Verfassung des Freistaates Sachsen. Allerdings richten sich die genannten internationalen Menschenrechtskonventionen in erster Linie an die unterzeichnenden Mitgliedsstaaten und nicht an die einzelnen Staatsbürger.

Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwGE 125, 344 ff.) hat dementsprechend im Rahmen einer Entscheidung zu § 5 Nr. 1 b des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge (BVFG) ausgeführt, dass eine Einzelperson durch eine dem allgemeinen Kriminalunrecht zuzuordnende Straftat ohne jeden politischideologischen Hintergrund, mag diese auch noch so schwer wiegen, nicht gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" verstoßen kann, da der Einzelne nicht Adressat der "Grundsätze der Menschlichkeit" im Sinne der Vorschrift sei. Bereits aus dem Wortlaut, dass das Verhalten gegen die "Grundsätze" der Menschlichkeit verstoßen müsse, folge, dass es sich zumindest um eine Handlung handeln müsse, die nicht nur in einem Einzelfall Rechtsgüter eines anderen verletze, sondern nach Art, Umfang oder Schädigungsfolgen bzw. dem Zusammenhang, in dem sie stehe, geeignet sein müsse, die "Grundsätze" zu berühren. In dieser Auffassung sah sich das Bundesverwaltungsgericht durch die einfach gesetzliche Ausformung bestätigt, die der Begriff des "Verbrechens gegen die Menschlichkeit" in § 7 des Völkerstrafgesetzbuches (VStGB - Gesetz vom 26. Juni 2002, BGBl. I., S. 2254) gefunden hat. Danach liege ein "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" für den Fall der Tötung eines Menschen nicht stets, sondern nur dann vor, wenn diese "im Rahmen eines ausgedehnten oder systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung" erfolgt sei.

Das Bundesverwaltungsgericht hat weiter ausgeführt, dass diesem Verständnis von einem Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" bei einer systematischen Betrachtung andere Bestimmungen des Bundesrechts, die Rechtsfolgen an einen Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit" knüpfen, zumindest nicht entgegenstehen. Zu diesen Bestimmungen ergangene Rechtsprechung betreffe ausschließlich Fragen der Intensität der Verstrickung in ein Unrechtssystem.

b) Ausschlusstatbestände, die an Verstöße gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit und Rechtsstaatlichkeit" anknüpfen, sind in vielen Entschädigungs- und Wiedergutmachungsgesetzen üblich (vgl. Bundesentschädigungsgesetz, Lastenausgleichsgesetz, Häftlingshilfegesetz etc.). Diesen liegt jeweils der allgemeine Gedanke zugrunde, "dass in den Genuss der für die unschuldigen Opfer einer Gewaltherrschaft bestimmten Vergünstigungen nicht auch jene kommen sollen, die als politische Häftlinge ein Schicksal erfuhren, das sie zuvor unter dem Schutze der Gewaltherrschaft anderen zugefügt haben" (BVerwGE 9, 132 ff., 141; BVerwG, Urteil vom 08. März 2002 - BVerwG 3 C 23.01 -). Dementsprechend wird in der hierzu ergangenen obergerichtlichen Rechtsprechung regelmäßig als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal vorausgesetzt, dass der Verstoß im Zusammenhang mit Tätigkeiten zugunsten eines Unrechtssystems erfolgt sei (vgl. LSG Berlin ZfS 1995, 333 ff.: langjähriges Mitglied des nationalen Verteidigungsrates der früheren DDR - Entschädigungsrentengesetz; BVerwG NJW 2008, 95 f.: Denunziationen, die das Opfer der Willkür eines staatlichen Verfolgungsapparates ausliefern - Ausgleichsleistungsgesetz; OVG Berlin-Brandenburg NJ 2006, 422 ff.: Mitwirkung eines ehemaligen DDR-Staatsanwalts an der Strafverfolgung gegen einen Republikflüchtigen - Vertriebenenzuwendungsgesetz; BSGE 95, 244 ff. - Bundesversorgungsgesetz).

In § 2 Abs. 1 Nr. 2 HHG wurde das Erfordernis des Systembezuges - nachträglich (vgl. BVerwGE 9, 132 a.a.O.) - in den Wortlaut der Vorschrift aufgenommen (Nr. 2: die während der Herrschaft des Nationalsozialismus oder in den Gewahrsamsgebieten (§ 1 Abs. 1 Nr. 1) durch ihr Verhalten gegen die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit oder Menschlichkeit verstoßen haben ...).

c) Auch die bislang zu § 16 Abs. 2 StrRehaG ergangene obergerichtliche Rechtsprechung geht davon aus, dass die Verstöße gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit oder Rechtsstaatlichkeit" im Sinne der Vorschrift regelmäßig im Zusammenhang mit einer Gewaltherrschaft und zweckgerichtet zur Förderung oder Unterstützung dieses Regimes begangen sein müssen (vgl. KG Berlin NJ 1996, 40 f.; Thüringer OLG VIZ 1995, 128 und OLG-NL 2006, 214 ff.; OLG Rostock, VIZ 1995, 63 und Beschluss vom 10. Februar 2004 - I Ws RH 3/03 -).

Dem Gesetzgeber standen bei der Schaffung der Vorschrift Verstöße vor Augen, die aus einer Verstrickung mit dem SED-Unrechts-Regime entstanden. Er wollte durch die Einfügung des Ausschlusstatbestandes verhindern, dass in den Genuss der Entschädigung für die Opfer der Gewaltherrschaft auch die Täter kommen (vgl. BT-Drs. 12/1608 S. 24).

Dementsprechend betreffen auch sämtliche Fälle eines Anspruchsausschlusses, die im Gesetzentwurf der Bundesregierung, der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung (BT-Drs. 12/1608 S. 22, 36 f., 41, 44) beispielhaft angeführt sind, allein "systemnahes" Verhalten als "Denunziant", "Spitzel", "Vollstrecker kommunistischer Unrechtsmaßnahmen" oder "Handlanger des SED-Unrechtsregimes". Darüber hinaus wird in der Stellungnahme des Bundesrates zu § 16 Abs. 2 StrRehaG ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Entwurf "zu Recht davon ausgehe, dass es nicht hingenommen werden könne, wenn den Handlangern des SED-Unrechtsregimes die Entschädigung für die Opfer der Gewaltherrschaft gewährt würde" (vgl. BT-Drs. 12/1608 S. 36).

In diesem Sinne wird der Wille des Gesetzgebers auch durch die Ausführungen in den Gesetzesmaterialien zum Verwaltungsrechtlichen- und Berufsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz bestätigt. Im Rahmen der dort vorgesehenen - dem § 16 Abs. 2 StrRehaG nachgebildeten -Ausschlusstatbestände wird unter anderem ausgeführt, dass Personen, die "den untergegangenen Unrechtsstaat mitgetragen und dessen Unrechtshandlungen selbst (mit-)verschuldet" haben, "nach dessen Zusammenbruch keine Folgeansprüche zugute kommen" sollen. "Diejenigen, die drittschädigend maßgeblich zur Aufrechterhaltung des SED-Staates beigetragen haben", sollen "vom Genuss der Entschädiungsleistungen" ausgeschlossen werden. Der Ausschlusstatbestand erfordere daher "eine individuell vorwerfbare erhebliche Verstrickung in das Repressionssystem der ehemaligen DDR" (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 28 und 45).

d) Für eine im Sinne eines Systembezugs einschränkende Auslegung des § 16 Abs. 2 StrRehaG spricht ferner auch der Gesamtkontext der Vorschrift selbst. Als zweite Alternative des Ausschlusstatbestandes wird genannt, wer "in schwerwiegendem Maße seine Stellung zum eigenen Vorteil oder zum Nachteil anderer missbraucht hat". Hier weist der Tatbestand schon vom Wortlaut her dergestalt einen Systembezug auf, als an den Begriff des Missbrauchs aufgrund der Stellung im "System" angeknüpft wird. Stellungsmissbrauch setzt regelmäßig voraus, dass Machtbefugnisse, die das Unrechts-Regime verliehen hat, bewusst und gewollt dazu ausgeübt werden, sich selbst zu bevorzugen oder anderen zu schaden (vgl. BayVGH, Urteil vom 30. Mai 2001 - 12 B 97.685 -; Bruns/Schröder/Tappert StrRehaG § 16 Rdnrn. 28, 29).

e) Auch ein Vergleich mit den Ausschließungsgründen des § 2 Abs. 1 HHG ergibt, dass der Systembezug als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 16 Abs. 2 StrRehaG anzusehen ist. Während die Ausschließungsgründe des § 2 Abs. 1 Nr. 1 HHG offenkundig und des § 2 Abs. 1 Nr 2 HHG jedenfalls dem zugrundeliegenden allgemeinen Gedanken nach (vgl. BVerwGE 9, a.a.O.) ein systemnahes Verhalten verlangen, schließt § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG die Leistungen bereits bei Verurteilungen "wegen vorsätzlicher Straftaten zu Freiheitsstrafen von insgesamt mehr als drei Jahren" aus. Einen dem § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG entsprechenden Ausschließungsgrund, der von den Verstrickungen in das Unrechts-Regime unabhängig ist, enthält das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz jedoch gerade nicht (vgl. BayVGH, a.a.O.).

f) Die von der Beschwerdeführerin erstrebte - nach der Art der zu gewährenden sozialen Ausgleichsleistung differenzierende - Auslegung des § 16 Abs. 2 StrRehaG hält der Senat für systemwidrig und damit für nicht vertretbar.

§ 16 StrRehaG ist als allgemeine Regelung den Vorschriften über die sozialen Ausgleichsleistungen vorangestellt. Die Vorschrift und damit auch die Ausschlussgründe des § 16 Abs. 2 StrRehaG gelten somit einheitlich für alle Fälle der sozialen Ausgleichsleistungen, unabhängig davon, wann die Regelungen in das Gesetz aufgenommen worden sind. Die obergerichtliche Rechtsprechung zu § 16 Abs. 2 StrRehaG war zum Zeitpunkt der Einfügung des § 17 a StrRehaG in das Strafrechtliche Rehabilitierungsgesetz bekannt. Hätte der Gesetzgeber die einschränkende Auslegung der Vorschrift dergestalt, dass ein Zusammenhang mit dem Unrechtssystem der DDR verlangt wird, auf die Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer für nicht anwendbar erklären wollen, hätte er im Rahmen des § 17 a StrRehaG einen eigenständigen Ausschlusstatbestand schaffen können.

g) Der Beschwerdeführerin ist zwar zuzugeben, dass ein "Systembezug" sich dem Gesetzeswortlaut der Vorschrift ausdrücklich nicht entnehmen lässt. Aus den vorgenannten Gründen ist die Vorschrift jedoch dahingehend einschränkend auszulegen.

Dem Vorbringen der Beschwerdeführerin, der Zweck der besonderen Zuwendung, Opfer der SED-Diktatur zu würdigen, würde konterkariert, wenn jemand, der einer anderen Person schlimmstes Unrecht zugefügt hat, ebenfalls diese Zuwendung erhält, ist entgegenzuhalten, dass die Zuwendung nach § 17 a StrRehaG den Charakter einer Ausgleichsleistung als Entschädigung für tatsächlich erlittenes staatliches Unrecht hat. Diesem Charakter würde es widersprechen, wenn wegen eines allgemeinen kriminellen Verhaltens - ohne Bezug zum Unrechts-Regime der DDR - die Entschädigung versagt werden könnte (vgl. BayVGH a.a.O.). Der Senat übersieht dabei nicht, dass das Unrecht von Taten der allgemeinen Kriminalität, wie z.B. Mord, Totschlag oder Vergewaltigung, durchaus schwerer wiegen kann als ein Verhalten, das einer - in das Unrechtssystem verstrickten - Person im Rahmen des § 16 Abs. 2 StrRehaG anspruchsausschließend vorgeworfen wird. Die Vorschrift des § 16 Abs. 2 StrRehaG ist jedoch - zumindest aufgrund der bestehenden Gesetzeslage - nicht als allgemeine "Unwürdigkeitsklausel" auszulegen, die zur Folge hat, dass Personen, die schwere bzw. schwerste Straftaten begangen haben, die ihnen dem Grunde nach zustehende besondere Zuwendung für Haftopfer dadurch quasi verwirken. Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Gesetzeswortlaut noch der Gesetzesbegründung. Soweit die dadurch erzielten Ergebnisse als unbefriedigend empfunden werden, ist es dem Gesetzgeber unbenommen, für die Gewährung der besonderen Zuwendung für Haftopfer einen - dem § 2 Abs. 1 Nr. 3 HHG nachgebildeten - Ausschlussgrund in das Gesetz aufzunehmen (vgl. zur grundsätzlichen Zulässigkeit: BVerfGE 13, 46 ff.).

2. Das Landgericht hat deshalb im Ergebnis zu Recht den Bescheid der Landesdirektion Chemnitz aufgehoben, da dem Betroffenen ein Verstoß gegen die "Grundsätze der Menschlichkeit" i.S.d. § 16 Abs. 2 StrRehaG nicht vorzuwerfen ist. Insoweit ist die Beschwerde der Staatskasse als unbegründet zu verwerfen.

Der Senat weist die Sache zu neuer Entscheidung an die Landesdirektion Chemnitz zurück. Diese wird unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats zu § 16 Abs. 2 StrRehaG die weiteren Anordungsvoraussetzungen des § 17 a StrRehaG zu prüfen und sodann abschließend über den Antrag des Betroffenen zu entscheiden haben.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 14 Abs. 1 und 2 StrRehaG.

Dem Betroffenen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt Dr. L gewährt, weil seine Rechtsverteidigung aus den vorgenannten Gründen hinreichende Aussicht auf Erfolg hat.

Ende der Entscheidung

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