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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 29.01.2003
Aktenzeichen: 11 U 726/02
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 I
Ein Bauunternehmer, der ohne planerische Vorgabe neben bestehenden Gebäuden eine Baugrube aushebt, haftet dem Eigentümer des Nachbargebäudes für Schäden durch die Baugrube. Es hilft ihm im Verhältnis zum Nachbarn nichts, wenn der Bauherr ihm die Sicherungsmaßnahmen vorenthält, die der Statiker des Bauherrn vorgeschlagen hatte.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 11 U 726/02

Verkündet am 29.01.2003

IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatz u. Feststellung

hat der 11. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 08.01.2003 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, Richter am Oberlandesgericht und Richter am Amtsgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten zu 2) gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 04.03.2002, Az.: 11 O 8442/96, wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Beklagten zu 2) zur Last.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte zu 2) darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 145.000,00 EUR abwenden, wenn nicht die Kläger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leisten.

Sicherheit kann auch die selbstschuldnerische, unbefristete und unbedingte Bürgschaft einer deutschen Sparkasse, Volksbank oder Großbank sein.

4. Der Streitwert für die zweite Instanz beträgt 122.957,53 EUR.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger verlangen von den Beklagten Schadensersatz wegen der Beschädigung ihres Hauses in Leipzig, H. , bestehend aus Reparaturkosten, merkantilem Minderwert und Mietausfallschäden.

Die Beklagte zu 1) ist Eigentümerin des benachbarten Grundstücks H. in Leipzig. Die Beklagte zu 1) ließ das vormalige Gebäude abreißen und einen Neubau errichten. Im Zusammenhang mit diesen Arbeiten wurde die Beklagte zu 2) beauftragt, Bohrpfähle einzubringen, um die Standfestigkeit des Gebäudes der Kläger für die bevorstehende Vertiefung zu gewährleisten. Zuvor hatte die Beklagte zu 1) ein Bodengutachten der Firma G. und ein Gutachten des I. & Partner (Bl. 120-154 d. A.) zur Standsicherheit des Nachbargiebels H. , also des Anwesens der Kläger, erstellen lassen. Letzteres sah vor, dass neben weiteren Sicherungsmaßnahmen zu Gunsten des Giebels H. verrohrte Bohrpfähle in erschütterungsarmer Bauweise einzubringen seien.

Im Juli 1996 begann die Beklagte zu 2) mit dem Einbringen der Pfähle. Dies erfolgte zunächst im sogenannten SOB-Verfahren mit unverrohrter Bohrung und, nachdem es hierbei zu Schwierigkeiten gekommen war, mit verrohrten Bohrpfählen. Insgesamt wurden jedoch weniger Pfähle eingebracht, als das Statikergutachten vorsah. Auch wurden die übrigen, vom Statiker vorgesehenen Sicherungsmaßnahmen nicht durchgeführt.

Bereits bei Einbringen der Bohrpfähle neigte sich der Giebel des klägerischen Anwesens und bildeten sich an den Außen- und Innenwänden des gesamten Gebäudes Risse. Gleichwohl wurden die Arbeiten von der Beklagten zu 2) zu Ende ausgeführt. Der nach Abschluss der Arbeiten auf der Baustelle erschienene Statiker stellte fest, dass seine Sicherungsmaßnahmen nicht eingehalten worden waren.

Bereits vor Beginn und während der Bauarbeiten erstellte der Sachverständige B. Gutachten zum Zustand des klägerischen Gebäudes. Hieraus ergibt sich, dass bereits vor Beginn der Bauarbeiten eine Rissbildung am klägerischen Anwesen festzustellen war, sich diese nach den Bauarbeiten der Beklagten zu 2) jedoch wesentlich verstärkt hatten.

Die Parteien streiten insbesondere darum, ob die Beklagte zu 2) verantwortlich für die am klägerischen Anwesen entstandenen Schäden ist.

Das Landgericht hat zur Schadensursache ein Sachverständigengutachten (P. ) mit zwei Untergutachten (F. und Dr. K. , Bl. 762 ff. und 779 ff. d. A.) eingeholt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Das Landgericht hat durch das angefochtene Teilurteil die Beklagte zu 2) hinsichtlich der Reparaturkosten und des merkantilen Minderwerts weitestgehend verurteilt und hat sich hinsichtlich der Verantwortlichkeit der Beklagten zu 2) im wesentlichen auf die eingeholten Sachverständigengutachten gestützt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten zu 2), die geltend macht, sie treffe an den eingetretenen Vertiefungsschäden kein Verschulden. Sie habe vielmehr ihre Leistungen auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen mit der Beklagten zu 1) und der zur Verfügung gestellten Baugrundgutachten und weiteren Stellungnahmen mangelfrei erbracht. Insbesondere sei sie von der Beklagten zu 1) ausdrücklich mit der Ausführung von sogenannten SOB-Pfählen beauftragt worden. Das Gutachten des Statikers S. sei ihr hingegen von der Beklagten zu 1) nicht bekannt gemacht worden. Es sei nicht von ihr zu verlangen, eigene Prüfungen und Untersuchungen anzustellen, sofern der Bauherr mit den Ausschreibungsunterlagen auch ein Baugrundgutachten vorlegt. Nachdem sie am 26.06.1996 festgestellt habe, dass bei den Pfahlarbeiten ein erheblicher Betonmehrverbrauch auftrete, habe sie bei der Beklagten zu 1) Bedenken angemeldet. Die Beklagte zu 1) habe mit Schreiben vom 28.06.1996 diese Bedenken abgelehnt und sie zur weiteren Bauausführung aufgefordert.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 04.03.2002 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kläger beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Kläger wiederholen ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Entscheidungsgründe:

1. Die Formalien der Berufung sind gewahrt. Soweit die Kläger meinen, dass die Berufung der Beklagten zu 2) deswegen unzulässig sei, weil der Prozessbevollmächtigte der Beklagten zu 2) nur von der K. GmbH, nicht jedoch von der im Urteilstenor als Beklagte zu 2) ausgewiesenen S. GmbH bevollmächtigt sei, geht dieser Einwand fehl. Ausweislich eines vorgelegten Handelsregisterauszuges des Amtsgerichts Kempten ist die K. GmbH in "S. GmbH" umfirmiert worden. Die von der K. GmbH erteilte Prozessvollmacht gilt daher fort, so dass der Prozessbevollmächtigte wirksam für die Beklagte zu 2) Berufung einlegen konnte.

2. Die Berufung der Beklagten zu 2) ist unbegründet.

Zu Recht geht das Landgericht davon aus, dass die Kläger gegen die Beklagte zu 2) einen Schadensersatzanspruch wegen der Beschädigung ihres Gebäudes gemäß § 823 Abs. 2 i.V.m. § 909 BGB haben.

Aus den vorliegenden Gutachten geht klar hervor, dass die am klägerischen Gebäude entstandenen Schäden auf die Arbeiten der Beklagten zu 2) zurückzuführen sind. Nach den Gutachten Dr. K. und Dipl.-Ing. F. hat bei den Bohrarbeiten der Beklagten zu 2) ein Bodenentzug stattgefunden, der zu den Setzungen des Gebäudes der Kläger geführt hat. Diese Setzungen sind Ursache für die starke Rissbildung innerhalb des Gebäudes. Der Sachverständige Dr. K. nimmt detailliert zur Schadensursache Stellung, vgl. insbesondere die Beantwortung der Frage 2 c) des Beweisbeschlusses, Bl. 762 ff. d. A.

Die Beklagte zu 2) trifft insoweit auch ein Mitverschulden. Es ist anerkannt, dass auch den Bauunternehmer, der eine Vertiefung vornimmt, eine eigenverantwortliche Prüfungspflicht dahingehend, dass durch die vorzunehmenden Arbeiten das Nachbargebäude nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, trifft. Die Beklagte zu 2) kann sich nicht darauf zurückziehen, sie habe lediglich den von der Beklagten zu 1) erteilten Auftrag ausgeführt. Vielmehr hätte es ihr oblegen, eigenverantwortlich zu prüfen, ob durch die von ihr vorzunehmenden Arbeiten die Standsicherheit des klägerischen Anwesens gefährdet wird. Allein die von der Beklagten zu 2) behauptete Einsichtnahme in das Baugrundgutachten genügt dieser eigenverantwortlichen Prüfungspflicht nicht. Zum einen ergibt sich aus dem Gutachten K. , dass das Bodengutachten keine Empfehlungen zur Sicherung der Nachbarbauten enthält und somit auch keine Hinweise zu baugrundbedingten und bei Herstellung von Sicherungskonstruktionen zu lösenden Problemen. Demgemäß führt der Gutachter K. aus, dass das Bodengutachten unvollständig sei und es an einem, bei einer innerstädtischen Lückenbebauung absolut unumgänglichen Bezug zu den bestehenden Nachbargebäuden mangele. Der Beklagten zu 2) als Fachunternehmen hätte daher bereits bei der Lektüre des Bodengutachtens auffallen müssen, dass dieses keine hinreichenden Aussagen zu erforderlichen Sicherungsmaßnahmen der Nachbargebäude enthält. Die Beklagte zu 2) hätte daher insoweit bei der Beklagten zu 1) auf die Vorlage eines entsprechenden Gutachtens drängen müssen, bevor sie mit den Bauarbeiten beginnt.

Auf die Frage, ob die Beklagte zu 2) von den Auflagen des Statikers S. gewusst hat oder nicht, kommt es daher nicht an. Hätte sie diese Auflagen gekannt, so hätte sie die Arbeiten nicht entgegen diesen Auflagen ausführen dürfen. Kannte sie die Auflagen dagegen nicht, so hätte sie Anlass gehabt, die Beklagte zu 1) auf die Notwendigkeit einer statischen Überprüfung des Nachbargrundstücks hinzuweisen.

Die Beklagte zu 2) kann sich im Verhältnis zu den Klägern auch nicht auf das als Anlage B 1 vorgelegte Schreiben der Beklagten zu 1) vom 09.04.1996 berufen, in dem diese erklärt, die für die Straßenseite erstellte Statik sei auch für die Verbaumaßnahme auf der Grundstücksgrenze zum klägerischen Grundstück anzuwenden. Ein Fachbetrieb wie die Beklagte zu 2) hätte erkennen müssen, dass diese Aussage der Beklagten zu 1) unzureichend ist. Denn es liegt auf der Hand, dass aus einer statischen Überprüfung der Straßenseite nicht ohne weiteres Rückschlüsse auf die Standsicherheit eines in geschlossener Bauweise errichteten Nachbargebäudes gezogen werden können. Hierauf hätte die Beklagte zu 2) hinweisen müssen.

Die Beklagte zu 2) kann sich auch nicht erfolgreich auf eine Bedenkensanmeldung gegenüber der Beklagten zu 1) berufen, da eine solche ebenfalls lediglich Auswirkungen im Verhältnis der beiden Beklagten zueinander, nicht jedoch im Haftungsverhältnis der Beklagten zu 2) zu den Klägern hätte.

Schließlich kann die Beklagte zu 2) auch nicht damit gehört werden, der Zeuge S. habe nach der vorläufigen Einstellung der Arbeiten ein "vorsichtiges Weiterbohren" empfohlen. Entweder war ihr nämlich zu diesem Zeitpunkt das Gutachten des Zeugen S. zur Standsicherheit des klägerischen Giebels bekannt - dann hätte sie erkennen müssen, dass wesentliche Sicherungsmaßnahmen nicht ergriffen worden waren - oder es war ihr nicht bekannt - dann hätte sie sich nicht auf eine telefonische "Ferndiagnose" des Zeugen S. verlassen dürfen, weil für sie nicht erkennbar gewesen wäre, inwieweit eine Überprüfung der Standsicherheit des Giebels durch den Zeugen S. erfolgt war.

Die Schadenshöhe wurde von der Beklagten zu 2) im Berufungsverfahren nicht ausdrücklich bestritten. Sie ergibt sich im Übrigen aus den erstinstanzlich eingeholten Gutachten, wonach ein merkantiler Minderwert von 28.000,00 DM anzunehmen ist (Gutachten Dr. T. , Bl. 319 d. A. - nach dem Gutachten P. beträgt dieser sogar 35.000,00 DM) und von Schadensbeseitigungskosten von 208.527,20 DM netto auszugehen ist. Ebenfalls zu Recht wurden die Kosten für zwei von den Klägern vorgerichtlich eingeholte Gutachten in Höhe von 2.000,00 DM und 1.956,83 DM zuerkannt.

3. Da die Beklagte zu 2) ihr Rechtsmittel ohne Erfolg eingelegt hat, fallen ihr die Kosten des Rechtsmittelzuges zur Last, § 97 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch der Senat von einem veröffentlichten obergerichtlichen Urteil abweicht.

Ende der Entscheidung

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