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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 10.12.2003
Aktenzeichen: 12 U 1209/03
Rechtsgebiete: GenG


Vorschriften:

GenG § 19
GenG § 73
1. Es verstößt gegen den genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn bei der Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens ausscheidender Genossen über die anteilige Berücksichtigung eines Bilanzverlustes hinaus die Auseinandersetzungsguthaben vollständig zur Verlustdeckung herangezogen werden.

2. Die Berücksichtigung der im Bilanzverlust enthaltenen Verlustvorträge der Vorjahre ist auch ohne entsprechende Satzungsregelung möglich.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 12 U 1209/03

Verkündet am 10.12.2003

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung

hat der 12. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 12.11.2003 durch Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., Richter am Oberlandesgericht ... und Richterin am Amtsgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen das Urteil des Landgerichts Bautzen vom 03.07.2003 aufgehoben, soweit die Beklagte zur Zahlung von mehr als 925,20 Euro mit 4 % Zinsen hieraus seit dem 01.07.2002 verurteilt wurde. Die Klage wird insoweit abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt der Kläger 5/6, die Beklagte 1/6.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger war mit Geschäftsanteilen im Einzahlungsbetrag von 10.800,00 DM Mitglied der Beklagten, einer Wohnungsgenossenschaft. Diese Mitgliedschaft kündigte er zum 31.12.2001. Streitig ist nunmehr das Auseinandersetzungsguthaben des Klägers.

Nach § 12 Abs. 2 Satz 2 der Satzung wird das Auseinandersetzungsguthaben nach dem Geschäftsguthaben des Mitgliedes berechnet; das Geschäftsguthaben ergibt sich gem. § 17 Abs. 6 der Satzung aus den Einzahlungen auf die Geschäftsanteile, vermehrt um zugeschriebene Gewinnanteile und vermindert um abgeschriebene Verlustanteile. Vor dem Beschluss der Mitgliederversammlung vom 24.10.2002 erfolgten solche Gewinnzuschreibungen und Verlustabschreibungen nicht.

In der Mitgliederversammlung der Beklagten am 24.10.2002 wurde der Jahresabschluss 2001 mit einem Jahresfehlbetrag von 3.604.576,75 DM und einem Verlustvortrag von 1.740.428,00 DM festgestellt. Weiter wurden folgende Beschlüsse gefasst:

"Zu TOP 10:

Der Bilanzverlust des Geschäftsjahres 2001 in Höhe von 5.345.004,75 DM ... wird auf neue Rechnung vorgetragen

zu TOP 11:

1. Das Auseinandersetzungsguthaben der zum 31.12.2001 ausscheidenden Mitglieder wird unter Schonung der Geschäftsguthaben der verbleibenden Mitglieder zur Verlustdeckung herangezogen.

2. Der nach Heranziehung der Auseinandersetzungsguthaben der zum 31.12.2001 ausscheidenden Mitglieder verbleibende Verlust wird auf neue Rechnung vorgetragen."

In der Folge teilte der Vorstand der Beklagten dem Kläger mit, die Beklagte habe auf der Mitgliederversammlung vom 24.10.2002 beschlossen, die Auseinandersetzungsguthaben der ausgeschiedenen Mitglieder zur Deckung des Jahresfehlbetrages heranzuziehen und nicht zur Auszahlung zu bringen.

Erstinstanzlich hat der Kläger beantragt festzustellen, dass der Beschluss der Mitgliederversammlung vom 24.10.2002 nichtig sei, soweit die Auseinandersetzungsguthaben der zum 31.12.2001 ausgeschiedenen Mitglieder der Beklagten zur Deckung des Jahresfehlbetrages herangezogen und nicht ausgezahlt werden; daneben verlangte er von der Beklagten Zahlung von 5.510,20 Euro als Auseinandersetzungsguthaben.

Das Landgericht hat dem Kläger den Betrag von 5.510,20 Euro zugesprochen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Zur Begründung wird im wesentlichen ausgeführt, der angefochtene Beschluss sei nichtig, da er sowohl gegen das genossenschaftliche Gleichheitsgebot als auch gegen §§ 19, 73 GenG verstoße. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 GenG i.V.m. § 71 der Satzung sei allenfalls eine anteiligte Verlustbeteiligung der ausscheidenden Genossen möglich, nicht jedoch eine vollständige Heranziehung ihres Geschäftsguthabens ohne Berücksichtigung eines Verlustanteiles der verbleibenden Genossen. Aus Gründen der Rechtsklarheit sei es nicht möglich, den Beschluss vom 24.10.2002 insoweit als teilweise wirksam anzusehen, dass lediglich eine anteilige Verlustheranziehung der ausscheidenden Genossen erfolgen solle.

Mit ihrer Berufung strebt die Beklagte die Abweisung auch des Zahlungsantrages an. Die vollständige Heranziehung des Auseinandersetzungsguthabens der ausscheidenden Genossen verstoße nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da die Tatsache des Ausscheidens einen sachlichen Differenzierungsgrund darstelle. Hilfsweise sei der angefochtene Beschluss dahin auszulegen, dass eine anteilige Heranziehung beschlossen sei. Bei gleichmäßiger Verteilung des Bilanzverlustes 2001 auf die zum 31.12.2001 vorhandenen (ausscheidenden und verbleibenden) Mitglieder stehe dem Kläger ein Auseinandersetzungsguthaben von 925,20 Euro zu.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bautzen vom 03.07.2003 insgesamt abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt vorrangig das erstinstanzliche Urteil; allenfalls könne der Jahresfehlbetrag aus dem Jahr 2001, nicht jedoch auch der aus dem Vorjahr stammende Verlustvortrag bei der Verlustverteilung berücksichtigt werden.

II.

Die Berufung ist zulässig und überwiegend begründet. Das Landgericht ist zwar zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte die festgestellten Verluste nicht vorrangig von den Auseinandersetzungsguthaben der ausscheidenden Genossen in Abzug bringen kann, allerdings kann das Auseinandersetzungsguthaben ungeachtet einer förmlichen Abschreibung anteilig um die aufgelaufenen Verluste gekürzt werden.

Im Ergebnis steht dem Kläger ein Auseinandersetzungsguthaben in Höhe von 925,20 Euro zu. Von seinen Einzahlungen auf die Geschäftsanteile in Höhe von umgerechnet 5.510,20 Euro (10.800,00 DM) muss er sich einen Betrag von 4.596,75 Euro (8.990,46 DM) in Abzug bringen lassen, der sich aus der Verteilung des Bilanzverlustes 2001 in Höhe von 5.345.004,75 DM auf die zum 31.12.2001 gezeichneten 16.599 Anteile ergibt.

1. Die Beklagte kann sich nicht auf eine Verlustabschreibung in voller Höhe des Geschäftsguthabens aufgrund des Beschlusses der Mitgliederversammlung vom 24.10.2000 berufen, da der Beschluss mit diesem Inhalt dem Kläger gegenüber als nichtig zu betrachten ist.

a) Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass die vollständige Heranziehung der Auseinandersetzungsguthaben und der Vortrag (nur) des danach verbleibenden Bilanzverlustes auf neue Rechnung gegen den genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Zwar gilt dieser als relativer Gleichbehandlungsgrundsatz, so dass eine unterschiedliche Behandlung unterschiedlicher Sachverhalte gerechtfertigt sein kann. Die von der Beklagten geltend gemachten Umstände rechtfertigen die streitgegenständliche Ungleichbehandlung aber gerade nicht.

Dabei sieht der Senat die nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung der ausscheidenden Genossen nicht darin, dass diesen ihr (anteiliger) Verlust vom Auseinandersetzungsguthaben abgezogen wird und damit von ihnen endgültig getragen wird, während der auf die verbleibenden Genossen entfallende (anteilige) Verlust ohne Abschreibung von den einzelnen Geschäftsguthaben pauschal auf neue Rechnung vorgetragen wird. Die "Schonung" der Geschäftsguthaben der verbleibenden Mitglieder durch den Verlustvortrag ist lediglich eine formale Schonung, da sie mit dem Verlustvortrag belastet bleiben und dieser eine Gewinnausschüttung im selben Umfang entgegensteht wie eine Verlustabschreibung von den Geschäftsguthaben (so ausdrücklich BGH vom 26.05.2003 in ZIP 2003, 1498, 1500).

Nicht gerechtfertigt ist hingegen die Ungleichbehandlung, die darin liegt, dass über den anteiligen Verlustbeitrag eines jeden Genossen hinaus das volle Geschäftsguthaben der ausscheidenden Genossen zur Verlustdeckung herangezogen werden soll und nur der danach noch verbleibende Verlustanteil auf neue Rechnung vorgetragen werden soll. Dies würde bedeuten, dass die ausscheidenden Genossen ein Sonderopfer bringen, welches aufgrund des entsprechend verminderten Verlustvortrags den verbleibenden Genossen zugute kommt.

Der Umstand, dass die Benachteiligten ausgeschieden und damit keine Genossen mehr sind, ist nach dem Gesetz kein rechtfertigender Differenzierungsgrund. Der Wortlaut des § 73 Abs. 1 GenG sieht schließlich vor, dass bei der Auseinandersetzung einerseits die Vermögenslage der Genossenschaft, andererseits der Bestand der Mitglieder zum Ausscheidenszeitpunkt relevant ist. Entgegen der Ansicht der Beklagten tragen die verbleibenden Genossen auch kein höheres finanzielles Risiko als die ausgeschiedenen: Da die Satzung der Beklagten eine Nachschusspflicht ausschließt, können auch die verbleibenden Genossen maximal ihre Einzahlungen verlieren, haben dafür aber auch die Chance zukünftiger Gewinnzuschreibungen. Auch die finanzielle Begünstigung der Beklagten durch die weiterlaufenden Mietzahlungen der verbleibenden Genossen ist nicht relevant, da diesen hierfür Leistungen der Beklagten erbracht werden. Im Übrigen ist ein der Satzung die Wohnungsversorgung als Recht der Mitglieder ausgestaltet, nicht als Pflicht.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem von der Beklagten herangezogenen Urteil des BGH vom 26.05.2003 (ZIP 2003, 1498). Dort ging es um eine Verlustbeteiligung der ausscheidenden Genossen, die vergleichbar war mit der Beteiligung der verbleibenden Genossen an den (nicht abgeschriebenen) Verlustvorträgen.

b) Der Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz führt zur Nichtigkeit. Zwar ist fraglich, ob eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes grundsätzlich bereits zur Nichtigkeit des Beschlusses führt; so hat der BGH in NJW 1960, 2142 ausgeführt, dass die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes bei Gesellschafterbeschlüssen, die der Nichtigkeits- und Anfechtungsklage unterliegen, zur Anfechtbarkeit führt (so auch Beuthin, a.a.O., Rz. 53 zu § 18 ausdrücklich für Beschlüsse der Gesellschafterversammlung). Vorliegend ist aber zu berücksichtigen, dass der Beschluss ohne sachliche Rechtfertigung darauf abzielt, einen Personenkreis zu benachteiligen, der aufgrund seiner Kündigung der Mitgliedschaft zum Zeitpunkt der Beschlussfassung nicht mehr anfechtungsberechtigt ist. Nach der Entscheidung des Bundesgerichtshofs in BGHZ 15, 382, 385 sind aber "Beschlüsse der Hauptversammlung einer Aktiengesellschaft oder der Gesellschafterversammlung ... auch dann inhaltlich sittenwidrig, wenn der Beschluss seinem Wortlaut nach keine Sittenwidrigkeit beinhaltet, aber seinem inneren Gehalt nach in einer sittenwidrigen Schädigung nicht anfechtungsberechtigter Personen besteht". Demnach ist der Beschluss vom 24.10.2002 in seiner ursprünglichen Auslegung dem Kläger gegenüber als nichtig zu behandeln.

2. Der Kläger muss sich aber gleichwohl den Verlustanteil entgegenhalten lassen, der sich bei der zulässigen gleichmäßigen Verteilung des Bilanzverlustes auf die Gesamtzahl der Genossen zum Zeitpunkt 31.12.2001 ergibt.

Insoweit kann offen bleiben, ob der Beschluss der Mitgliederversammlung entsprechend dem hilfsweisen Vortrag der Beklagten gleichsam im Wege der geltungserhaltenden Reduktion dahin ausgelegt werden kann, dass das Auseinandersetzungsguthaben der ausscheidenden Genossen nur um ihren proportionalen Anteil am Bilanzverlust zu kürzen ist. Jedenfalls ist dem Kläger nach den Grundsätzen des "dolo agit, qui petit, quod statim redditurus est" ein Auseinandersetzungsguthaben über den Betrag von 925,20 Euro hinaus zu versagen, da die Beklagte bei materieller Betrachtung das Auseinandersetzungsguthaben des Klägers auf diesen Betrag beschränken kann und ihr dann im Hinblick auf einen überschießenden Betrag ein Anspruch auf Rückzahlung aus Bereicherungsrecht zustünde.

a) Wie bereits dargestellt, ist es mit dem genossenschaftlichen Gleichbehandlungsgrundsatz vereinbar, einen sich zum Bilanzstichtag ergebenden Verlust in der Form auf die (ausscheidenden und verbleibenden) Genossen zu verteilen, dass er bei den ausscheidenden Genossen vom Auseinandersetzungsguthaben abgezogen und im Übrigen auf neue Rechnung vorgetragen wird (vgl. oben unter II. 1 a).

b) Bei der hilfsweise durchgeführten Berechnung des Auseinandersetzungsguthabens hat die Beklagte den in der Bilanz zum 31.12.2001 ausgewiesenen Bilanzverlust in Höhe von 5.345.004,75 DM den gezeichneten 16.599 Anteilen rechnerisch zugewiesen, so dass sich jeweils ein Verlustanteil von 332,98 DM/Geschäftsanteil ergab. Entsprechend der Anzahl der durch den Kläger gehaltenen Anteile hat die Beklagte von dessen ursprünglichen Geschäftsguthaben von 10.800,00 DM einen Verlust von 8.990,46 DM in Abzug gebracht (27 x 332,98 DM) und das Auseinandersetzungsguthaben auf 925,20 Euro berechnet.

Diese Berechnung ist nicht zu beanstanden. Insbesondere durfte die Beklagte - entgegen der Ansicht des Klägers - auch den Verlustvortrag aus dem Vorjahr einbeziehen. Gleichnun, ob ein Verlust an den Anteilen abgeschrieben oder auf neue Rechnung vorgetragen wird, mindert er bilanziell das Eigenkapital und den Wert der Anteile. Eine Nichtberücksichtigung würde vielmehr dazu führen, dass die verbleibenden Genossen (allein) mit den Verlusten der Vorjahre belastet würden; damit wäre eine Ungleichbehandlung in der anderen Richtung gegeben. In diesem Sinne ist eine Berücksichtigung im Hinblick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz selbst dann geboten, wenn insoweit eine satzungsmäßige Regelung nicht besteht (insoweit offen gelassen vom BGH in ZIP 2003, 1498, 1499).

c) Ungeachtet der Frage, ob zur Umsetzung der Kürzung ein Beschluss der Mitgliederversammlung erforderlich ist (vgl. oben unter II, 2 S. 8 des Urteils), ist jedenfalls nach den Umständen davon auszugehen, dass die Beklagte einen solchen Beschluss fassen würde. Die Beklagte hat hilfsweise vorgetragen, dass die Mitgliederversammlung mit Beschluss vom 24.10.2002 eine anteilige Heranziehung der Auseinandersetzungsguthaben beschlossen habe. Der Senat hat auch angesichts des Protokolls der Mitgliederversammlung vom 24.10.2002 (Anlage K 9) keine Zweifel daran, dass im Falle einer erneuten Befassung der Mitgliederversammlung diese diejenige Beschränkung der Auseinandersetzungsguthaben der ausscheidenden Mitglieder beschließen wird, die unter rechtlichen Aspekten zulässig ist. Auch der Kläger hat insoweit Zweifel nicht geäußert.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich weder um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handelt noch eine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder Sicherung der einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Insbesondere legt der Senat seiner Entscheidung die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.06.2002 zugrunde.

Ende der Entscheidung

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