Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 02.04.2001
Aktenzeichen: 15 W 478/01
Rechtsgebiete: FGG, AuslG, FreihEntG, VwVfG


Vorschriften:

FGG § 27
FGG § 29
AuslG § 57
AuslG § 64 Abs. 3
AuslG § 57 Abs. 2
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 4
AuslG § 103 Abs. 2
FreihEntG § 3 Satz 2
VwVfG § 46
Leitsätze:

1. Der Anordnung von Sicherungshaft gemäß § 57 AuslG steht es nicht entgegen, dass sich der Betroffene zum Zeitpunkt der Haftanordnung in Untersuchungshaft befindet, wenn erkennbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass er vor Ablauf von drei Monaten aus der Untersuchungshaft entlassen wird und die Abschiebung aus ihm zurechenbaren Gründen (hier: fehlende Passersatzdokumente) weder aus der Haft heraus noch im unmittelbaren Anschluss an die Entlassung durchgeführt werden kann.

2. Sicherungshaft gegen einen in Untersuchungshaft befindlichen Ausländer kann auch angeordnet werden, wenn die Staatsanwaltschaft noch keine (positive) Einvernehmenserklärung nach § 64 Abs. 3 AuslG abgegeben hat, weil das fehlende Einvernehmen im Falle späterer Abschiebung jederzeit nachgeholt werden kann.


Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 15 W 0478/01 11 T 0140/01 LG Dresden

des 15. Zivilsenats

vom 02.04.2001

In der Freiheitsentziehungssache

wegen Freiheitsentziehung

hat der 15. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht

den Richter am Oberlandesgericht und

den Richter am Landgericht

beschlossen:

Tenor:

1. Die weitere sofortige Beschwerde des Antragsgegners vom 16.03.2001 gegen den Beschluss des Landgerichts Dresden vom 08.03.2001 - 11 T 140/01 - wird zurückgewiesen.

2. Der Beschwerdewert wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegen den Beschwerdeführer, der sich aufgrund eines Haftbefehls vom 19.12.2000 zur Zeit in Untersuchungshaft befindet, ist mit Beschluss des Amtsgerichts Dresden vom 05.02.2001 Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 2 AuslG für die Dauer von höchstens einem Monat als Überhaft im Anschluss an die bestehende Untersuchungshaft angeordnet. Seine hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde hat das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss zurückgewiesen. Wegen der Einzelheiten des zugrunde liegenden Sachverhalts nimmt der Senat Bezug auf die Begründung der vorgenannten Beschlüsse.

Mit dem weiteren Rechtsbehelf rügt der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer, diese Beschlüsse seien schon deshalb unzulässig, weil die beabsichtigte Abschiebung durch die strafprozessuale Haft bereits gesichert und ein weitergehendes Sicherungsbedürfnis daher nicht erkennbar sei. Die Abschiebung sei überdies aus Rechtsgründen derzeit unzulässig, weil das dafür erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 64 Abs. 3 AuslG (unstreitig) nicht vorliege. Auch gebe es keine Anhaltspunkte für eine baldige Entlassung des Beschwerdeführers aus der Untersuchungshaft, so dass der angeordneten Sicherungshaft auch § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG entgegenstehe.

II.

Die gemäß den §§ 27 und 29 FGG i.V.m. § 103 Abs. 2 AuslG und § 3 Satz 2 FreihEntG zulässige weitere sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Der Beschluss des Landgerichts lässt Rechtsfehler nicht erkennen. Der Senat teilt dessen Auffassung, dass die gegen den Beschwerdeführer verhängte Haft zur Sicherung seiner Abschiebung zulässig und geboten war.

Dem Beschwerdeführer ist zuzugeben, dass die Abschiebung eines Ausländers, der sich in strafprozessualer Haft befindet, nach Möglichkeit aus dieser Haft heraus durchgeführt werden muss. Die Strafhaft ist ebenso wie die Abschiebungshaft des § 57 AuslG geeignet, die Abschiebung zu sichern (BayOblGZ 1991, 369; OLG Frankfurt, FGPrax 1996, 118). Hat die Ausländerbehörde daher im Hinblick auf den verbleibenden Strafrest genügend Zeit zur Durchführung der Abschiebung (was der Abschiebungshaftrichter zu prüfen hat), so scheidet die Anordnung von Abschiebungshaft - auch als anschließende Überhaft - aus.

Grundsätzlich gilt dies alles auch, wenn sich der Ausländer nicht in Strafhaft, sondern in Untersuchungshaft befindet. Allerdings werden die tatsächlichen Voraussetzungen für einen Ausschluss der Sicherungshaft regelmäßig schwerer festzustellen sein, weil es im Falle der Untersuchungshaft ihrer Natur nach keinen zuverlässig berechenbaren Strafrest gibt. Ihre Dauer (und damit auch ihre Fortdauer im Zeitpunkt der nach § 57 AuslG vorzunehmenden Prüfung) kann von Art und Schwere des Tatvorwurfs, von dem gegenüber dem Inhaftierten bestehenden Verdachtsgrad, vom Vorliegen von Haftgründen und damit insgesamt von Verlauf und jeweiligem Stand der polizeilichen und staatsanwaltlichen Ermittlungen abhängen. Untersuchungshaft kann je nach Entwicklung des Einzelfalls jederzeit, auch plötzlich, ihr Ende finden, ohne dass der Ausländerbehörde in jedem Fall ausreichend Zeit bleibt, Sicherungshaft gegen einen Ausländer anordnen zu lassen, dessen Abschiebung, obwohl ausländerrechtlich angezeigt, nicht unmittelbar durchgeführt werden kann. Die Sicherungswirkung der Untersuchungshaft ist mithin signifikant geringer als die der Strafhaft. Ob Untersuchungshaft solange andauern wird, dass sie die Anordnung von Abschiebungshaft nach den obengenannten Grundsätzen ausschließt, ist Gegenstand einer Prognoseentscheidung mit vielerlei Unsicherheiten, die bei der Abwägung in Rechnung zu stellen sind. Daraus folgt, dass Abschiebungshaft als Überhaft zu bestehender Untersuchungshaft nicht von vornherein ausgeschlossen ist, wenn erkennbare Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausländer vor Ablauf von drei Monaten (§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG) aus der Untersuchungshaft entlassen wird und die Abschiebung weder aus dieser Haft heraus noch im unmittelbaren Anschluss an die Entlassung durchgeführt werden kann; dies gilt jedenfalls dann, wenn die Ausländerbehörde, wie hier, den Hinderungsgrund nicht zu vertreten hat.

Die Abschiebung des Beschwerdeführers ist derzeit nämlich noch nicht ausführbar, weil seine hierfür notwendigen Passersatzdokumente nicht vorliegen und laut Auskunft des russischen Generalkonsulats in Leipzig wegen der erforderlichen Identifizierung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland auch nicht kurzfristig, d.h. vor Ablauf von zwei bis drei Monaten, beschafft werden können. Dies fällt, wie das Landgericht mit Recht angenommen hat, in den Risikobereich des Beschwerdeführers, so dass insoweit § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG dem angegriffenen Beschluss nicht entgegensteht. Andererseits beschränkt sich der die Untersuchungshaft begründende Tatvorwurf gegenüber dem Beschwerdeführer nach dessen eigener Einlassung in der landgerichtlichen Anhörung auf seinen illegalen Aufenthalt in Deutschland. Es handelt sich mithin um einen nach Art und Schwere des in Rede stehenden Delikts (vgl. §§ 92 ff. AuslG) rechtlich und tatsächlich begrenzten Vorwurf, der einen überschaubaren Sachverhalt und damit einen zügigen Abschluss der strafrechtlichen Ermittlungen erwarten lässt. Vor diesem Hintergrund hatte das Landgericht begründeten Anlass für die Annahme, dass die (immerhin schon seit Dezember 2000 andauernde) Untersuchungshaft vor Ablauf der Frist des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG ihr Ende findet und die Passersatzdokumente bis dahin nicht vorliegen (siehe oben).

Die derzeit fehlende Einvernehmenserklärung der Staatsanwaltschaft nach § 64 Abs. 3 AuslG steht der Anordnung der Sicherungshaft nicht entgegen. Es ist schon zweifelhaft, ob sich der Beschwerdeführer auf das mangelnde Einvernehmen zur Begründung seiner weiteren Beschwerde überhaupt berufen kann (vgl. Renner, Ausländerrecht, 7. Aufl. 1999, § 64 AuslG Rn. 5 und 8 unter Hinweis auf die ablehnende Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, EZAR 033 Nr. 11). Aber selbst wenn man annähme, dass die Vorschrift auch im Interesse des Ausländers liegende Ziele verfolgte und damit auch seinem Schutz diente, folgt daraus allenfalls eine Verpflichtung des Abschiebungshaftrichters, vor Anordnung der Sicherungshaft zu prüfen, ob das Einvernehmen bereits endgültig verweigert ist. Denn dann wäre die Abschiebung samt den ihr zugrunde liegenden Verwaltungsakten ohne Heilungsmöglichkeit nach § 46 VwVfG rechtswidrig (vgl. Renner, a.a.O.). Dieser Fall steht hier aber nicht zur Entscheidung. Vielmehr hatte die Staatsanwaltschaft zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Abschiebungshaft eine Erklärung nach § 64 Abs. 3 AuslG noch nicht abgegeben; das steht der späteren Abschiebung aber gerade nicht entgegen, weil das Einvernehmen jederzeit nachgeholt werden kann (vgl. Renner, a.a.O.).

Dies steht auch der Annahme entgegen, dass eine positive Einvernehmensentscheidung der Staatsanwaltschaft bereits Zulässigkeitsvoraussetzung einer Sicherungshaftanordnung nach § 57 Abs. 2 AuslG ist. Denn dies würde Ausländerbehörde und Staatsanwaltschaft regelmäßig in die Lage versetzen, Erklärungen nach § 64 Abs. 3 AuslG "auf Vorrat" einholen und abgeben zu müssen, obwohl nicht feststeht, dass der Anwendungsbereich dieser Vorschrift zum Zeitpunkt der späteren Abschiebung überhaupt (noch) eröffnet ist. So ist auch im vorliegenden Fall offen, ob nach der Beschaffung der Passersatzdokumente für den Beschwerdeführer für die dann durchzuführende Abschiebung ein Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen noch erforderlich ist. Bejahendenfalls steht es dem Ausländer, wenn man den drittschützenden Charakter des § 64 Abs. 3 AuslG bejaht (siehe oben), dann im Übrigen frei, die Auswirkungen eines etwa fehlenden Einvernehmens auf die ihm drohende Abschiebung verwaltungsgerichtlich überprüfen zu lassen. In einer solchen Konstellation, in der die Sicherungshaft als Überhaft ohnehin nur deshalb angezeigt ist, weil absehbar ist, dass der Ausländer aus von ihm zu vertretenden Gründen auch im unmittelbaren Anschluss an seine Entlassung aus der Untersuchungshaft nicht abgeschoben werden kann, hält es der Senat daher nicht für geboten, schon die Zulässigkeit der Haftanordnung nach § 57 AuslG daran zu messen, dass die Staatsanwaltschaft eine Einvernehmenserklärung nach § 64 Abs. 3 AuslG bereits ausgesprochen hat.

Eine Entscheidung über die Gerichtskosten ist nicht angezeigt, da insoweit die Kostenordnung gilt (vgl. § 14 FreihEntG) und der Kostenbeamte hierüber kraft eigener Kompetenz befindet. Es bestand auch keine Veranlassung, die Erstattung außergerichtlicher Kosten anzuordnen (§ 13a Abs. 1 Satz 2 FGG).



Ende der Entscheidung

Zurück