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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 18.10.2001
Aktenzeichen: 19 U 1064/01
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 766
BGB § 124 Abs. 1
BGB § 124 Abs. 2
BGB § 138 Abs. 1
ZPO § 711
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 546 Abs. 2
Die Grundsätze über Bürgschaften krass überforderter Ehepartner bzw. nichtehelicher Lebenspartner sind nicht anwendbar, wenn der Bürge im Betrieb des Hauptschuldners eine mitunternehmerähnliche Stellung innehat und daher ein eigenes wirtschaftliches Interesse vorliegt.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 19 U 1064/01

Verkündet am 18.10.2001

In dem Rechtsstreit

wegen Bürgschaft

hat der 19. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24.09.2001 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht , Richterin am Oberlandesgericht und Richter am Landgericht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Dresden vom 20.03.2001, Az. 5 O 4476/00, wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 250.000,00 DM abwenden, wenn nicht zuvor die Klägerin Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand:

Die Klägerin nimmt die Beklagte aus einer Bürgschaft in Anspruch.

Herr (fortan: Hauptschuldner) machte sich Ende 1993 selbständig und eröffnete ein Goldschmiedeatelier mit Werkstatt und Ladengeschäft in . Unter dem 19.09.1994 eröffnete der Hauptschuldner bei der Klägerin ein Giro-Konto und erteilte gleichzeitig der Beklagten und deren Mutter hierüber Verfügungsberechtigung (Bl. 98 ff. dA). Die Beklagte lebte zu diesem Zeitpunkt mit dem Hauptschuldner in nichtehelicher Lebensgemeinschaft und absolvierte bei ihm eine Goldschmiedelehre.

Ende 1994 beabsichtigte der Hauptschuldner eine Betriebsverlagerung nebst Neueinrichtung eines Ladengeschäftes nach und stellte zur Gewährung eines Kredits der Klägerin sein Unternehmenskonzept vor (Anlage BB 2). Der Hauptschuldner vereinbarte mit der Klägerin am 15.12.1994 (Bl. 10 ff. dA) und am 30.03.1995 (Bl. 14 ff. dA) auf das vorbezeichnete Geschäftsgirokonto valutierte Darlehensverträge. Die Beklagte gab für die bestehenden Verbindlichkeiten zu Gunsten der Klägerin am 28.01.1995 (Bl. 165 dA) und am 13.11.1995 (Bl. 166 dA) eine Bürgschaft über 200.000,00 DM ab. Mit Datum vom 03.09.1996 erteilte die Beklagte der Klägerin eine Selbstauskunft über ihre Einkommens- und Vermögensverhältnisse (Bl. 101 ff. dA). Unter dem 24.10.1997 unterzeichnete die Beklagte eine Bürgschaft bis zu einem Höchstbetrag von 200.000,00 DM für die Verbindlichkeiten des Hauptschuldners aus dem Kontokorrentkonto, einem Avalkredit und aus den vorgenannten Darlehen (Bl. 167 dA).

Die Beklagte bezog im Zeitraum vom 13.10.1997 bis zum 31.12.1997 Arbeitslosengeld (Bl. 60 dA). Unter dem 15.03.1999 schloss der Hauptschuldner mit der Beklagten einen Arbeitsvertrag (Bl. 124 ff. dA).

Im September 1998 traten Zahlungsrückstände bei den Darlehensraten auf. Die Beklagte beabsichtigte, das Unternehmen des Hauptschuldners zu übernehmen und führte - unter Vorlage eines Unternehmenskonzeptes (Bl. 22 ff. dA) - ab Mai 1999 mit der Klägerin konkrete Verhandlungen, die auch die Entlassung aus der Bürgschaft zum Gegenstand hatten. Um die Verhandlungen mit der Beklagten uneingeschränkt führen zu können, befreite der Hauptschuldner die Klägerin am 01.06.1999 vom Bankgeheimnis (Anlage BB 12). Der Hauptschuldner meldete sein Gewerbe im November 1999 ab. Die Beklagte meldete am 22.11.1999 ihr Gewerbe in an (Bl. 130 dA). Die Verhandlungen mit der Klägerin führten zu keinem Ergebnis.

Unter dem 28.03.2000 stellte die Klägerin ihre - den Höchstbetrag der Bürgschaft übersteigende - Forderung gegenüber dem Hauptschuldner fällig (Bl. 32 ff. dA) und forderte die Beklagte mit Schreiben vom 29.03.2000 zur Zahlung von 200.000,00 DM auf (Bl. 8 ff. dA). Mit Schreiben vom 26.05.2000 focht die Beklagte die Bürgschaft vom 24.10.1997 wegen arglistiger Täuschung und Drohung an (Bl. 61 dA).

Die Klägerin hat in 1. Instanz vorgetragen:

Bei Erteilung der Bürgschaft sei die Beklagte mit dem Verlust des Arbeitsplatzes bei dem Hauptschuldner nicht bedroht worden. Im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung sei die Frist zur Anfechtung abgelaufen gewesen. Die Beklagte habe im Betrieb des Hauptschuldners eine mitunternehmerähnliche Stellung inne gehabt und sei die eigentliche treibende Kraft des Unternehmens gewesen. Die Bürgschaft überfordere sie nicht in wirtschaftlich krasser Weise und sei daher nicht sittenwidrig. Im Übrigen sei die Beklagte bei sämtlichen zu den Bürgschaftserteilungen geführten Gesprächen durch ihren Steuerberater fachkundig beraten worden.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zur Zahlung an die Klägerin i.H.v. 200.000,00 DM zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz gemäß DÜG ab dem 27.05.2000 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat in 1. Instanz vorgetragen:

Während der Gespräche mit der Klägerin habe sie sich bei dem Hauptschuldner in einem weisungsabhängigen Angestelltenverhältnis befunden. Die Klägerin habe mit der Kündigung der Kredite und dem Verlust ihres Arbeitsplatzes gedroht. Bei den Gesprächen sei lediglich der Steuerberater des Hauptschuldners anwesend gewesen. Die übernommene Bürgschaft habe sie in objektiver und für die Klägerin erkennbar krasser Weise finanziell überfordert. Mit ihrem gegenwärtigen Bruttoeinkommen von ca. 2.000,00 DM/Monat könne sie in den nächsten fünf Jahren nicht wenigstens ein Viertel der Hauptschuld ohne Zinsen abdecken. Der Bürgschaftsvertrag vom 24.10.1997 entspreche nicht dem Bestimmtheitsgebot. Die Bürgschaft sei sittenwidrig bzw. durch Anfechtung unwirksam geworden.

Das Landgericht hat der Klage mit - der Beklagten am 30.03.2001 zugestelltem - Urteil vom 20.03.2001 (Bl. 134 ff. dA), auf welches wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird, stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die am 30.04.2001 eingegangene und am 30.05.2001 begründete Berufung der Beklagten. Zur Begründung trägt sie - unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens - im Wesentlichen vor:

Die Bürgschaft vom 24.10.1997 habe lediglich die Bürgschaft vom 13.11.1995 ersetzt. Sie sei daher zwei Bürgschaften vom 28.01.1995 und 24.10.1997 jeweils i.H.v. 200.000,00 DM ausgesetzt. Zum Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung am 24.10.1997 habe sie Arbeitslosengeld i.H.v. monatlich 1.287,00 DM bezogen und über kein erheblich verwertbares Vermögen verfügt. Die Klägerin habe außer der Aufforderung zur Abgabe einer Selbstauskunft keine Erkundigungen über die Werthaltigkeit eingezogen. Der Beweggrund der Bürgschaftserklärung sei die Angst um den Arbeitsplatz und die emotionale Bindung zu dem Hauptschuldner gewesen. Die Entscheidung sei wirtschaftlich nicht sinnvoll gewesen, insbesondere habe sie keine mitunternehmerähnliche Stellung im Betrieb des Hauptschuldners gehabt. Seit ihrer Arbeitslosigkeit habe sie kein eigenes - die Bürgschaft auch nur anteilig abdeckendes - Vermögen aufbauen können. Die Bürgschaften seien auch sittenwidrig, weil die Valutierung eines der Kredite an den Hauptschuldner bereits 1994 erfolgt sei. Insbesondere im Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung vom 24.10.1997 seien die abzusichernden Kreditverbindlichkeiten insgesamt voll valutiert gewesen.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des am 20.03.2001 verkündeten Urteils des Landgerichts Dresden, Az. 5 O 4476/00, die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

Die Klägerin verteidigt im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die angefochtene Entscheidung. Ergänzend trägt sie vor:

Die Beklagte hafte lediglich aus einer Bürgschaft i.H.v. 200.000,00 DM. Unter Berücksichtigung der beruflichen Perspektiven sowie der Stellung der Beklagten im Betrieb des Hauptschuldners habe sie davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte Zahlungen auf die Bürgschaft in nennenswertem Umfang leisten könne. Eine Pflicht zur Hinterfragung der Selbstauskunft der Beklagten habe nicht bestanden. Die Beklagte habe eine mitunternehmerähnliche Stellung im Betrieb des Hauptschuldners inne gehabt sowie eigene unternehmerische Ziele bis hin zur Unternehmensübernahme verfolgt. Eine - auszunutzende - geschäftliche Unerfahrenheit habe bei der Beklagten nicht bestanden.

Wegen der näheren Einzelheiten des Verfahrens und des weitergehenden Parteivorbringens wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die Berufung der Beklagten vom 24.04.2001 ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Endurteil des Landgerichts Dresden ist der Beklagten am 30.03.2001 zugestellt worden. Die Berufung ist - jeweils per Fax - am 30.04.2001 eingelegt und am 30.05.2001 begründet worden. Die Berufung ist damit insgesamt zulässig.

2. Die Berufung ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 200.000,00 DM auf der Grundlage des zwischen den Parteien am 24.10.1997 geschlossenen Bürgschaftsvertrages (§ 765 Abs. 1 BGB). Der Bürgschaftsvertrag ist zwischen den Parteien wirksam zustande gekommen (2.1), durch Anfechtung der Beklagten nicht unwirksam geworden (2.2) nicht nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sitten nichtig (2.3) und auch sonst nicht unwirksam (2.4).

2.1 Der Bürgschaftsvertrag ist zwischen den Parteien wirksam zustande gekommen. Insbesondere wurde die Bürgschaftserklärung gemäß § 766 BGB schriftlich erteilt.

Auch wenn die Beklagte in der Berufungsinstanz insoweit nichts vorgetragen hat, ist von Amts wegen die Frage der Bestimmtheit der Bürgschaftsurkunde zu klären. Bedenken bestehen insoweit im Ergebnis jedenfalls nicht. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist der Schuldgrund hinreichend bestimmt, wenn auf bestehende und künftige Forderungen verwiesen wird, die aus einem festgelegten Kreis von Rechtsbeziehungen entstehen können. Dieser ist unter Ziffer 1 der Bürgschaftsabrede vom 24.10.1997 - unter Hinweis auf die zwischen der Klägerin und dem Hauptschuldner bestehenden Kreditverträge mit ihren jeweiligen Kontonummern - näher erläutert und mithin genügend konkret beschrieben. Die Höhe der verbürgten Forderung mit dem Höchstbetrag von 200.000,00 DM ist ebenso genau umgrenzt wie der Hauptschuldner namentlich bezeichnet.

2.2 Der Bürgschaftsvertrag ist durch die von der Beklagten erklärte Anfechtung nicht unwirksam geworden (§ 142 Abs. 1 BGB). In Übereinstimmung mit dem Landgericht kann dabei offen stehen, ob die Beklagte zur Abgabe ihrer Bürgschaftserklärung durch widerrechtliche Drohung bestimmt worden ist. Denn die Anfechtung ist nicht innerhalb der Jahresfrist und damit fristgemäß nach § 124 Abs. 1 und 2 BGB erklärt worden. Mit zutreffender Begründung, der sich der Senat anschließt und auf die er ausdrücklich Bezug nimmt, hat das Landgericht die Anfechtungserklärung am 26.05.2000 als verspätet erachtet und den geltend gemachten Anfechtungsgrund verneint.

2.3 Die von der Beklagten am 24.10.1997 eingegangene Bürgschaft ist nicht sittenwidrig. Gemäß § 138 Abs. 1 BGB ist eine Bürgschaft insbesondere dann nichtig, wenn der aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner handelnde Bürge finanziell krass überfordert wird und die Bürgschaft sich auch aus Sicht eines vernünftig denkenden Gläubigers als wirtschaftlich sinnlos erweist. Davon ist vorliegend nicht auszugehen.

2.3.1 Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist eine krasse finanzielle Überforderung grundsätzlich dann zu bejahen, wenn der Bürge voraussichtlich nicht einmal in der Lage ist, die laufenden Zinsen mit seinen eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen (BGH, ZIP 2001, 189, 191; Horn, ZIP 2001, 93, 99; Tiedtke, NJW 2001, 1015, 1022). In einem solchen Falle spricht ohne Hinzutreten weiterer Umstände eine widerlegliche tatsächliche Vermutung dafür, dass sich der Bürge bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von seinen Interessen und von einer rationalen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos hat leiten lassen und das Kreditinsitut die emotionale Beziehung zwischen dem Hauptschuldner und dem Bürgen in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat (vgl. BGH, ZIP 2001, 189, 191; BGH, ZIP 2000, 351, 352; BGH, ZIP 1998, 1999, 2000).

a) Für die Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Beklagten ist das Leistungsvermögen ihres ehemaligen Lebenspartners und Hauptschuldners nicht zu berücksichtigen, sondern nur ihr eigenes pfändbares Einkommen und Vermögen. Denn die Bürgschaft wird in aller Regel gerade für den Fall der Insolvenz des Hauptschuldners oder anderer Leistungshindernisse vereinbart. Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist auf diese Situation im Rahmen der Prüfung der finanziellen Möglichkeiten des mitverpflichteten Ehepartners oder nahen Angehörigen abzustellen (vgl. BGH, ZIP 2001, 189, 191; BGH, ZIP 2000, 351, 353).

b) In diesem Zusammenhang kann die Beklagte nicht mit dem Einwand gehört werden, sie sei zweier Bürgschaften i.H.v. jeweils 200.000,00 DM ausgesetzt und bereits deswegen krass wirtschaftlich überfordert. Die Klägerin hat - unwidersprochen - vorgetragen, die Bürgschaft vom 28.01.1995 sei zur Absicherung des Darlehens vom 15.12.1994 erteilt worden. Mit der Bürgschaft vom 13.11.1995 sei keine nominelle Ausweitung der Bürgschaftsforderung, sondern eine Ausweitung der Bürgschaftszweckerklärung verbunden gewesen, soweit zwischenzeitlich der ERP-Darlehensvertrag geschlossen und in der Bürgschaft als Zweckerklärung benannt worden sei. Der Bürgschaftsvertrag vom 24.10.1997 habe lediglich eine Änderung der Bürgschaftszweckerklärung insoweit gebracht, als die Haftung der Beklagten sich ausdrücklich auch auf Kontokorrentprolongierungen erstrecken sollte. Die Beklagte hafte daher nur einmal zum Höchstbetrag von 200.000,00 DM aus der Bürgschaft vom 24.10.1997. Dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

c) Es kann vorliegend offen bleiben, ob die Beklagte bei Abgabe der Bürgschaftserklärungen voraussichtlich nicht einmal in der Lage gewesen ist, die - nach Berechnung des Landgerichts - laufenden Zinsen i.H.v. 1.533,33 DM pro Monat mit ihren eigenen finanziellen Mitteln auf Dauer aufzubringen. Insbesondere kann dahinstehen, welcher Zeitraum für die zukünftige Wertentwicklung von Lebensversicherungen oder anderen Sicherheiten vernünftigerweise prognostizierbar ist, welche Werthaltigkeit das Vermögen der Beklagten nach ihrer Selbstauskunft vom 03.09.1996 gehabt hat und unter welchen Voraussetzungen bloße Erwerbsaussichten des Bürgen zu berücksichtigen sind.

2.3.2 Denn nach Auffassung des Bundesgerichtshofs reicht allein die krasse finanzielle Überforderung des Bürgen nicht aus, um der Gläubigerbank sittenwidriges Handeln vorwerfen zu können. Erforderlich ist vielmehr ein Handeln des Bürgen aus emotionaler Verbundenheit. Die wegen der - hier zu Gunsten der Beklagten unterstellten - krassen finanziellen Überforderung bestehende tatsächliche Vermutung, dass sie sich bei der Übernahme der Bürgschaft nicht von einer realistischen Einschätzung des wirtschaftlichen Risikos, sondern von ihrer emotionalen Bindung an den Hauptschuldner hat leiten lassen und die Klägerin dies in sittlich anstößiger Weise ausgenutzt hat, hat die darlegungs- und beweisbelastete Klägerin ausgeräumt. Dem ist die Beklagte - zumindest substantiiert - nicht entgegengetreten.

Handeln aus emotionaler Verbundenheit bedeutet, dass sich der Bürge gerade nicht von einer realistischen, rationalen Einschätzung des von ihm zu übernehmenden Risikos oder gar von eigenen Interessen, sondern allein von seiner emotionalen Bindung an den eigentlichen Schuldner leiten lässt (BGH, ZIP 2001, 189, 192; BGH, ZIP 2000, 351, 353 ff.). Zwischen dem Bürgen und dem eigentlichen Schuldner muss eine gefühlsmäßige Bindung bestehen, die ihren Grund in der Ehe (BGH, ZIP 2001, 189), dem Bestehen einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft (BGH, ZIP 2000, 351; Horn, ZIP 2001, 93, 100) oder einer sonstigen Beziehung (BGH, ZIP 1998, 196) haben kann. Diese Verbundenheit führt zu Entscheidungen, die nicht selbstbestimmt, eigenverantwortlich oder aus autonomen Entschlüssen heraus erfolgen.

Nach Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein auf einen freien Willensentschluss hindeutendes oder ein Handeln allein aus emotionaler Verbundenheit voll ausgleichendes Eigeninteresse des finanziell krass überforderten Bürgen an der Darlehensgewährung allerdings grundsätzlich zu bejahen, wenn er zusammen mit dem - gefühlsmäßig verbundenen - Partner ein gemeinsames Interesse an der Kreditgewährung hat oder ihm aus der Verwendung der Darlehensvaluta unmittelbare und ins Gewicht fallende geldwerte Vorteile erwachsen sind. Bei wirtschaftlicher Betrachtung besteht dann kein wesentlicher Unterschied zu den Fällen, in denen die Partner den Kredit als gleichberechtigte Vertragspartner aufgenommen und verwandt haben (BGH, ZIP 2001, 189, 192). Dann verfolgt der Bürge unmittelbare eigene wirtschaftliche Ziele (Tiedtke, NJW 2001, 1015, 1023). Sein Handeln kann daher nicht fremdbestimmt sein. Vielmehr erfolgt die Mithaftungsübernahme in solchen Fällen aus autonomen Motiven. Dann erscheint es gerechtfertigt, die Mithaftungsübernahme nicht als sittenwidrig anzusehen. Bei Prüfung des Ausschlusses des Handelns aus emotionaler Verbundenheit ist zwar nicht die - nach Auffassung des Senats aber vorliegende - Geschäftsgewandtheit der Beklagten zu berücksichtigen (BGH, ZIP 2000, 351, 354). Denn ein Handeln im Privatbereich kann auch bei einer geschäftsgewandten Person aus rein emotionaler Verbundenheit erfolgen, so dass der geschäftlich Gewandte in seinem Privatbereich gleichwohl eine Verpflichtung eingehen kann, die er im geschäftlichen Bereich niemals eingehen würde (Canaris, AcP 200, 273, 345 ff.).

Die Grundsätze über Bürgschaften finanziell krass überforderter Ehepartner - und nichts anderes kann für nichteheliche Lebensgemeinschaften gelten - sind aber insbesondere dann nicht anwendbar, wenn der Bürge im Betrieb des Hauptschuldners eine mitunternehmerähnliche Stellung inne hat und daher ein eigenes wirtschaftliches Interesse und die Möglichkeit der geschäftlichen Einflussnahme auf den Betrieb gegeben ist (BGH, Beschluss vom 11.05.2000, Az. IX ZR 396/99, zitiert nach: DRsp-ROM Nr. 2000/5072). Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen ist der Senat davon überzeugt, dass die Beklagte die Bürgschaft nicht allein aus emotionaler Verbundenheit mit dem Hauptschuldner übernommen hat. Hierfür sind folgende Umstände maßgeblich:

a) Ende 1994 legte der Hauptschuldner sein Unternehmenskonzept zur Erlangung eines Kreditengagements bei der Klägerin vor. Hieraus ist bei einer Gesamtbetrachtung ersichtlich, dass die Beklagte im Betrieb des Hauptschuldners eine mitunternehmerähnliche Stellung inne hatte und sowohl eigenes wirtschaftliches Interesse als auch die Möglichkeit der geschäftlichen Einflussnahme auf den Betrieb gegeben waren. Die Beklagte war vielmehr ein wesentlicher und wichtiger Bestandteil der Betriebserweiterung.

Nach dem Unternehmenskonzept wurde das Goldschmiedeatelier durch den Hauptschuldner und die Beklagte allein betrieben. Der Hauptschuldner und die Beklagte konzentrierten sich auf die Anfertigung von Neuschmuck entsprechend ihrer handwerklichen Fähigkeiten sowie Reparaturen. Die Beklagte übernahm zusätzlich den "Außer-Haus-Verkauf" für eine gehobene Kundschaft. Die Buchhaltung des Betriebes wurde mit einem hohen Arbeitsaufwand von der Beklagten neben dem Steuerberater mit durchgeführt. Innerhalb "der Familie" übernahm die Mutter der Beklagten als versierte Buchhalterin die Buchführung.

Ausweislich des Unternehmenskonzeptes wurde die Existenzerweiterung bereits mehrere Monate vor dem Herantreten des Hauptschuldners an die Klägerin betrieben. Das Unternehmenskonzept stellt zudem heraus, dass die Beklagte zwischenzeitlich den Beruf der Goldschmiedin mit sehr gutem Erfolg abgeschlossen habe und ihre Qualifikation hervorragend sei. Die Kreditierung sollte der Beschaffung des Grundmaterials (Gold und Steine) dienen, der Hauptschuldner und die Beklagte sollten Eigenleistungen für die Warenausstattung in Form hochqualifizierter Handwerksarbeit mit zu kalkulierenden Stundensätzen von 60 bzw. 40,00 DM je Stunde als Hilfeleistung u.a. beim Ladenbau leisten.

Schließlich ist dem Unternehmenskonzept zu entnehmen, dass der Hauptschuldner und die Beklagte an Weiterbildungsmaßnahmen (Kalkulation, Verkaufsstrategie, moderne Handwerkstechnik) teilgenommen haben und im Stammhaus der Firma in mehrtägig die Gesamtorganisation der Produktion, der Kalkulation und des Verkaufs studierten.

b) Die Beklagte kümmerte sich auch nachfolgend in wichtigen Dingen eigenverantwortlich um die Belange des Unternehmens des Hauptschuldners. Dies betrifft insbesondere die Buchhaltung des Unternehmens und die Korrespondenz mit den Kreditinstituten. Hierbei ist zu bedenken, dass die Beklagte während der gesamten Dauer ihrer Tätigkeit Verfügungsberechtigung über das Geschäftsgirokonto hatte. Daneben hatte sie sich - in mitunternehmerähnlicher Art und Weise - um Mietverträge und die Repräsentanz des Unternehmens nach außen gekümmert. Die Tätigkeiten hatten einen Umfang, der weit über den lediglich einer Angestellten hinausging.

c) Innerhalb des Unternehmens übte die Beklagte gegenüber den sonstigen Arbeitnehmern das Direktionsrecht des Arbeitgebers aus.

d) Das eigene wirtschaftliche Interesse der Beklagten an dem gewährten Kredit sowie die Möglichkeiten der geschäftlichen Einflussnahme auf den Betrieb des Hauptschuldners zeigen sich auch darin, dass die Beklagte neben der Einsicht in die Buchhaltung auch Zugriff auf die Steuerunterlagen des Hauptschuldners hatte. Die Beklagte nahm, als der Betrieb in wirtschaftliche Schwierigkeiten kam, neben dem Hauptschuldner, den Steuerberatern sowie Mitarbeitern der Klägerin und der Bürgschaftsbank Sachsen an Gesprächen über die Zukunft des Betriebs teil und brachte sich für den Hauptschuldner inhaltlich ein.

e) Ob die Beklagte im Zeitpunkt der Bürgschaft am 24.10.1997 arbeitslos gewesen ist, kann offen bleiben. Jedenfalls hat die Beklagte diesen Zeitraum in ihrem der Klägerin im Mai 1999 übermittelten Unternehmenskonzept mit "Vorbereitung auf die Vereidigung als Sachverständige" benannt. Ohnehin hat die Beklagte keine nachvollziehbare Erklärung abgegeben, weshalb sie - am 13.10.1997 arbeitslos gemeldet - am 24.10.1997 die Bürgschaftserklärung abgegeben hat. Die Beklagte war - nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin - auch in der Zeit vor März 1999 in vielfältiger Weise mit der Organisation und Geschäftsführung sowie Produktion und Kundenpflege im Unternehmen des Hauptschuldners befasst. Nach dem beklagtenseits vorgelegten Arbeitsvertrag vom 15.03.1999 war die Beklagte jedenfalls als Verkaufsleiterin des Ladengeschäfts in tätig. Spätestens im Sommer 1999 äußerte die Beklagte gegenüber der Klägerin die Absicht, den prognostisch rentablen Teil des Unternehmens des Hauptschuldners in zu übernehmen. Der Geschäftsverkauf des Hauptschuldners an die Beklagte erfolgte nach dem - unwidersprochen gebliebenen - Vortrag der Klägerin mit Wirkung zum 30.11.1999.

f) In Würdigung der Gesamtumstände waren nach Überzeugung des Senats das eigene wirtschaftliche Interesse der Beklagten an dem gewährten Kredit sowie die Möglichkeiten der geschäftlichen Einflussnahme auf den Betrieb des Hauptschuldners so groß, dass von einer mitunternehmerähnlichen Stellung der Beklagten auszugehen ist und daher die Grundsätze über Bürgschaften finanziell krass überforderter Ehepartner bzw. nichtehelicher Lebenspartner auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sind.

g) Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 24.08.2001 zur Frage der mitunternehmerähnlichen Stellung der Beklagten im Unternehmen des Hauptschuldners umfassend und substantiiert vorgetragen. Dem ist die Beklagte weder schriftsätzlich noch auf Hinweis im Senatstermin - substantiiert - entgegengetreten. Im Hinblick darauf war nach Auffassung des Senats die Vernehmung des Zeugen nicht geboten. Die Behauptung der Beklagten, sie habe im Unternehmen des Hauptschuldners keine mitunternehmerähnliche Stellung inne gehabt und die Benennung des Hauptschuldners als Zeugen erachtet der Senat im Hinblick auf den - unwidersprochen gebliebenen Vortrag aus dem Schriftsatz der Klägerin vom 24.08.2001 - als nicht substantiiert genug. Hierauf ist die Beklagte im Senatstermin am 24.09.2001 hingewiesen worden.

2.4 Nachdem sich die Klägerin und der Hauptschuldner bei Abschluss des Darlehensvertrages am 15.12.1994 einig waren, dass die Bürgschaft der Beklagten demnächst erteilt werde, wurde das Darlehen i.H.v. 214.000,00 DM am 31.12.1994, also vor Bürgschaftserklärung der Beklagten am 28.01.1995, valutiert. Dies betrifft auch die Valutierung aus dem Darlehensvertrag vom 30.03.1995 am 21.04.1995. Dem kann die Beklagte indes nicht entgegenhalten, sie habe für ausgereichte Kredite gebürgt und die Bürgschaft sei daher sittenwidrig. Denn die vereinbarten Darlehen sahen jeweils die Bürgschaft der Beklagten ausdrücklich und von Beginn an vor. Der Hauptschuldner war mithin verpflichtet, die Bürgschaft der Beklagten als Sicherungsmittel beizubringen. Die Bürgschaftserteilungen erfolgten - nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin - im normalen Geschäftsgang und nicht unter Androhung der Darlehenskündigungen. Die Bürgschaftserteilungen waren vielmehr einvernehmlich zwischen der Klägerin, dem Hauptschuldner und der Beklagten abgestimmt.

Sonstige Umstände, die die Beklagte in ihrer Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt haben könnten, sind nicht ersichtlich und auch nicht dargetan. Ebenso vermag der Senat nicht zu erkennen, dass ungewöhnliche und schwerwiegende, dem Bürgen ersichtlich unbekannte Haftungsrisiken verschwiegen oder in sonstiger Weise eine Geschäftsunerfahrenheit ausgenützt worden wäre.

II.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 546 Abs. 2 ZPO.

Der Gegenstandswert der Berufung und die Beschwer der Beklagten betragen jeweils 200.000,00 DM.

Ende der Entscheidung

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