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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 03.07.2009
Aktenzeichen: 2 Ss 163/09
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 40 Abs. 2
1. Bei der Bemessung der Tagessatzhöhe gemäß § 40 Abs. 2 StGB sind auch die Sachbezüge dem Einkommen hinzuzurechnen.

2. Bei nahe am Existenzminimum Lebenden kann es geboten sein, vom Nettoeinkommenprinzip abzuweichen und die Tagessatzhöhe zu senken.

3. Die Feststellung des Einkommens aufgrund strikter Regelungen ist mit der Ausübung tatrichterlicher Strafzumessung nicht zu vereinbaren.


Oberlandesgericht Dresden Im Namen des Volkes URTEIL

Aktenzeichen: 2 Ss 163/09

in der Strafsache

wegen unerlaubter Einreise u. a.

hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Dresden in der Hauptverhandlung vom 03. Juli 2009, an der teilgenommen haben

Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht als Vorsitzender

Richter am Oberlandesgericht und Richter am Oberlandesgericht als Beisitzer

Staatsanwalt als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft Dresden

Rechtsanwalt als Verteidiger der Angeklagten

Justizobersekretär als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 13. November 2008 wird auf Kosten der Staatskasse, die auch die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Angeklagten zu tragen hat, als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hatte die Angeklagte wegen unerlaubter Einreise in Tateinheit mit unerlaubtem Aufenthalt zu einer Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 5,00 EUR verurteilt.

Auf die dagegen gerichtete und auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht das Urteil des Amtsgerichts im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben und die Angeklagte zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu jeweils 1,00 EUR verurteilt.

Nach den Feststellungen des Landgerichts hat die Angeklagte einen Asylantrag gestellt, über den bislang noch nicht abschließend entschieden ist. Sie wohnt derzeit im Asylbewerberheim und ist Mutter eines im März 2008 geborenen Sohnes, der bei ihr lebt. Der Angeklagten stehen monatlich Sozialleistungen in Höhe von 163,84 EUR zur Verfügung; den darin enthaltenen Anteil an Zuwendungen für Kleidung, Verpflegung und Kosmetika erhält die Angeklagte nicht in bar. Ihr bleiben vielmehr monatlich 46,00 EUR. Hiervon verwendet sie 14,00 EUR für den Erwerb einer Monatskarte für öffentliche Verkehrsmittel, um den regelmäßigen Kontakt zu dem Vater ihres Kindes und weiteren Landsleuten aufrechtzuerhalten. Kindergeldzahlungen erhält die Angeklagte nicht.

Gegen das Urteil des Landgerichts richtet sich die zuungunsten der Angeklagten eingelegte Revision der Staatsanwaltschaft, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt wird. Die Staatsanwaltschaft beanstandet insbesondere die Tagessatzhöhe und strebt eine Festsetzung auf mindestens 5,00 EUR an. Die Tagessatzhöhe entspreche nicht den wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten, sodass die Geldstrafe insgesamt nicht dem Grundsatz der schuldangemessenen Bestrafung gerecht werde.

II.

Die Revision hat keinen Erfolg; sie erweist sich als unbegründet.

Die vom Landgericht vorgenommene Strafzumessung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung stand.

1. Bei der Verhängung einer Geldstrafe bestimmt das Gericht die Höhe eines Tagessatzes unter Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters (§ 40 Abs. 2 Satz 1 StGB). Dabei ist die Bemessung der Tagessatzhöhe ein Teil der Strafzumessung. Sie kann durch das Revisionsgericht nur in beschränktem Umfang nachgeprüft werden. Denn der Tatrichter hat einen weiten Beurteilungsspielraum, der es ihm gestattet, seine eigene Wertung dergestalt zur Geltung zu bringen, dass sie neben anderen abweichenden Meinungen, auch der des Revisionsgerichts, als gleich richtig zu bestehen vermag und bis zur Grenze des Vertretbaren hinzunehmen ist (BGHSt 27, 228 [230]). Die Urteilsgründe müssen allerdings eine Ermessensüberprüfung ermöglichen (Fischer, StGB 56. Aufl. § 40 Rdnr. 22 m.w.N.) Diese Prüfung des Revisionsgerichts ist darauf beschränkt, ob die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters ausreichend festgestellt und in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt worden sind. Das Revisionsgericht kann den Tatrichter jedoch nicht auf eine bestimmte Berechnungsmethode verpflichten (vgl. BGHSt 27, 212; 27, 228; OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 167 [168]; LK-Häger, StGB 12. Aufl. § 40 Rdnr. 21).

2. Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen lassen die notwendige Ermessensüberprüfung zu; durchgreifende Rechtsfehler sind nicht zu erkennen.

a) Der Gesetzgeber hat sich in § 40 Abs. 2 Satz 2 StGB bei der Bemessung der Tagessatzhöhe für das Nettoeinkommensprinzip entschieden. Dabei wird als Einkommen ein rein strafrechtlicher und nicht steuerrechtlicher Begriff, der nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise auszulegen ist, zugrundegelegt (Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnr. 26). Er umfasst grundsätzlich alle Einkünfte aus selbständiger und nichtselbständiger Arbeit sowie aus sonstigen Einkunftsarten; dabei ist alles einzubeziehen, was dem Täter an Einkünften zufließt und wirtschaftlich gesehen, seine Leistungsfähigkeit und seinen Lebenszuschnitt bestimmt (Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnrn. 26 ff. jeweils m.w.N.).

b) In der Rechtsprechung ist dabei allerdings umstritten, inwieweit auch Naturalbezüge unter die Einkünfte fallen. So wird teilweise die Auffassung vertreten, die in Form von Gutscheinen gewährten Sachbezüge hätten generell außer Betracht zu bleiben, weil sie nicht kapitalisierbar seien (vgl. OLG Dresden, 1. Strafsenat, Urteil vom 07. August 2000, Az: 1 Ss 323/00; entgegengesetzt entschieden allerdings mit Beschluss vom 25. Juli 2006, Az: 1 Ss 331/06 unter Hinweis auf MK-Radtke, StGB § 40 Rdnr. 76; OLG Celle StV 2009, 131; LG Karlsruhe StV 2006, 473; LG Traunstein StV 2007, 473; LG Frankfurt/Main StV 2009, 139).

Mit der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung sind jedoch bei der Bemessung der Tagessatzhöhe auch die Sachbezüge dem Einkommen hinzuzurechnen (OLG Oldenburg NStZ-RR 2008, 6; OLG Stuttgart StV 2009, 131; Fischer, § 40 Rdnr. 7; LK-Häger, § 40 Rdnr. 27; MK-Radtke, § 40 Rdnr. 76 jeweils m.w.N.). Denn es ist kein Grund dafür ersichtlich, die Naturalbezüge von Asylbewerbern anders zu bewerten als andere Formen geldwerter Einkünfte. Es wäre vielmehr inkonsequent, denjenigen besser zu stellen, der nicht von Bareinkünften, sondern Naturalleistungen lebt (LK-Häger § 40 Rdnr. 27; Frank MDR 1976, 626).

c) Die vom Landgericht getroffenen Feststellungen weisen deshalb insoweit eine Lücke auf, als das Urteil nicht auch mitteilt, in welcher Höhe der Angeklagten weitere geldwerte Einkünfte in Form von Unterbringung zur Verfügung stehen. Dieser Fehler wirkt sich im vorliegenden Fall jedoch nicht aus. Denn das Landgericht ist bei der Bemessung der Tagessatzhöhe zu Recht erkennbar davon ausgegangen, dass es geboten sein kann, bei nahe am Existenzminimum Lebenden vom Nettoeinkommensprinzip abzuweichen und die Tagessatzhöhe zu senken, weil dieser Personenkreis systembedingt härter betroffen wird als Normalverdienende und er insbesondere wesentlich länger braucht, bis er die Schmälerung seiner Mittel wieder ausgeglichen hat (Fischer, § 40 Rdnr. 11 a; LK-Häger, § 40 Rdnr. 37 jeweils m.w.N.). Zwar kann auch in diesen Fällen nur ausnahmsweise der Mindestsatz von einem Euro in Betracht kommen (Fischer, § 40 Rdnr. 11 a; MK-Radtke, § 40 Rdnr. 77), weil dies dem Ernst und der Bedeutung einer Kriminalstrafe nicht mehr hinreichend Rechnung tragen würde (LK-Häger, § 40 Rdnr. 37 m.w.N.). Es kann jedoch auch nicht darauf abgestellt werden, dass bei Empfängern von Mindestversorgungsleistungen in der Regel der drei- bis vierfache Betrag der Differenz zwischen dem Einkommen und dem zum Leben unerlässlichen Betrag die Bemessungsobergrenze für die Geldstrafe darstellt (vgl. OLG Stuttgart NJW 94, 745; OLG Celle NStZ-RR 1998, 272; OLG Frankfurt, 1. Strafsenat, StV 2009, 137). Denn dies würde eine Feststellung des Einkommens aufgrund strikter Regelungen darstellen, die mit der Ausübung tatrichterlicher Strafzumessung nicht mehr einherginge (vgl. LK-Häger, § 40 Rdnr. 21) und würde zu einem den Besonderheiten nicht ausreichend Rechnung tragenden Schematismus führen (MK-Radtke, § 40 Rdnr. 77; vgl. auch OLG Frankfurt, 2. Strafsenat, NStZ-RR 2007, 167 unter ausdrücklicher Aufgabe seiner bisherigen Rechtsprechung).

Vor diesem Hintergrund begegnen die vertretbaren Strafzumessungserwägungen des Landgerichts keinen Bedenken. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass ein anderes Tatgericht möglicherweise zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Revisionsgerichte müssen es bei der Bemessung der Tagessatzhöhe hinnehmen, wenn selbst bei vollkommen gleichartiger tatsächlicher Beurteilungsgrundlage das rechtlich einwandfrei ausgeübte Ermessen des Tatrichters zu unterschiedlichen Bewertungen führt (BGHSt 27, 228 [230]).

d) Die von der Staatsanwaltschaft angestrebte Tagessatzhöhe wird auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass bei einer Tagessatzhöhe von einem Euro im vorliegenden Fall die allein rechnerische Bestimmung der Geldstrafe zu einer nicht mehr schuldangemessenen Geldstrafensumme führen würde. Das System der Verhängung von Geldstrafen in Tagessätzen führt zwangsläufig dazu, dass es bei niedrigen Einkommen zu schuldunangemessenen Entlastungen genauso kommt, wie bei hohen Einkommen unverhältnismäßige Härten erreicht werden (vgl. LK-Häger, § 40 Rdnr. 60) und eine akzeptable Proportionalität nur im Bereich mittlerer Einkommen erzielt wird (Fischer, § 40 Rdnr. 21).

Der Fall ist auch nicht deshalb anders zu bewerten, weil die Ausländerbehörden - nach Ausführung der Staatsanwaltschaft - bei Verstößen gegen die dem Asylbewerber auferlegten räumlichen Beschränkungen regelmäßig Bußgelder zwischen 30,00 und 50,00 EUR verhängen. Die Zumessungspraxis von Verwaltungsbehörden gibt zu einer Anpassung der Strafzumessungspraxis keine Veranlassung. Denn eine Strafzumessung nach Taxen ist unzulässig (Fischer, § 46 Rdnr. 75 m.w.N.) Im Übrigen hätte ein Gericht selbst bei geringfügigen Ordnungswidrigkeiten auch außergewöhnlich schlechte wirtschaftliche Verhältnisse zu berücksichtigen (Göhler-Gürtler, OWiG 15. Aufl. § 17 Rdnr. 23).

Im vorliegenden Fall dürfte zudem bei der von der Staatsanwaltschaft angestrebten Tagessatzhöhe von 5,00 EUR - auch unter der Berücksichtigung der Zubilligung von Zahlungserleichterungen gemäß § 42 StGB - bei einer Tagessatzanzahl von 80 Tagessätzen eine Gesamtbelastung erreicht werden, die zu einem Einwirkungsübermaß und zu desozialisierenden Folgen führen könnte (vgl. OLG Frankfurt NStZ-RR 2007, 167 [168]; OLG Dresden, Beschluss vom 02. August 2007, 2 Ss 65/07). Es bestünde schließlich die Gefahr, dass sich bei Zubilligung einer Ratenzahlung die Ratenzahlungszeit unverhältnismäßig lang über das mehrfache des sich aus der Tagessatzanzahl ergebenden Zeitraums hinweg erstrecken würde (vgl. BGHSt 26, 325 [331]).

e) Eine Divergenzvorlage an den Bundesgerichtshof gemäß § 121 Abs. 2 GVG ist nicht veranlasst. Die Anwendung der Regeln des § 40 Abs. 2 StGB im Einzelfall ist in der Revision nur nach dem Maßstab überprüfbar, der allgemein für die revisionsgerichtliche Prüfung der Strafzumessung gilt. Eine Divergenzvorlage ist deshalb regelmäßig unzulässig, weil es sich bei der Einzelfallanwendung der Vorschriften des § 40 Abs. 2 StGB typischerweise nicht um eine Rechtsfrage handelt (BGHSt 27, 212; 27, 228; LK-Häger, § 40 Rdnr. 22 m.w.N.). Im Übrigen sieht sich der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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