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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 11.01.2005
Aktenzeichen: 2 U 1728/04
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 20
AktG § 243
1. § 20 Abs. 1 AktG findet auf Gründungsaktionäre Anwendung

2. Ein wegen allseitiger Verletzung der Anzeigepflicht aus § 20 Abs. 1 AktG "stimmlos" gefasster - aber vom Versammlungsleiter festgestellter - Hauptversammlungsbeschluss ist nicht nichtig, sondern anfechtbar.

3. Eine Anfechtungsbefugnis kommt bei stimmlos gefassten Hauptversammlungsbeschlüssen auch einem Aktionär zu, dessen Mitgliedschaftsrechte ansonsten gemäß § 20 Abs. 7 AktG ruhen.


Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 2 U 1728/04

Verkündet am 11.01.2005

In dem Rechtsstreit

wegen aktienrechtlicher Forderung

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.12.2004 durch Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch, Richterin am Oberlandesgericht Bokern und Richterin am Landgericht Dr. Schönknecht

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 6. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Leipzig vom 08.09.2004 - 6 HKO 5863/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

1. Folgende Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003 werden für nichtig erklärt:

a) Der Beschluss, durch welchen dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes, Herrn L., für das Jahr 2002 die Entlastung verweigert wurde (Pkt. 4. der Tagesordnung);

b) Der Beschluss, durch welchen dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Herrn R. F., für das Jahr 2002 die Entlastung erteilt wurde (Pkt. 5. der Tagesordnung).

2. Folgender Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.09.2003 wird für nichtig erklärt:

Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bargeldeinlagen erhöht von EUR 500.000,00 um EUR 5.000.000,00 auf EUR 5.500.000,00 durch Ausgabe von 100.000 neuen auf den Namen lautenden nenn-wertlosen Stückaktien. Die neuen Aktien werden zum Betrag von EUR 50,00 je Aktie ausgegeben. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1:10 zum Preis von EUR 50,00 zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Bezugsangebotes. Die Frist von zwei Wochen gilt sowohl für die Annahmen des Bezugsangebotes als auch für die Abgabe der Zeichnungserklärung.

Die neuen Aktien sind ab dem 01.01.2003 gewinnberechtigt.

Der Vorstand wird ermächtigt, nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist die bis dahin nicht gezeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag an die Aktionäre zuzuteilen. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Aufsichtsrates.

Die Satzung wird in § 5 wie folgt geändert:

§ 5 Grundkapital

1. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt EUR 5.500.000,00 (in Worten: fünfmillionenfünfhunderttausend).

2. Das Grundkapital ist eingeteilt in 110.000 Stückaktien.

3. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beklagten auferlegt. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 1/5 und die Beklagte 4/5.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Sicherheit kann jeweils durch unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines in der Europäischen Union zugelassenen Kreditinstituts oder Kreditversicherers erbracht werden.

IV. Die Revision wird zugelassen.

- Streitwert des Berufungsverfahrens: EUR 600.000,00 -

Gründe:

A.

Die Klägerin wendet sich mit einer aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklage gegen drei auf den Hauptversammlungen der Beklagten vom 20.08.2003 und 30.09.2003 gefasste Beschlüsse.

Die Beklagte wurde durch notarielle Urkunde vom 25.05.2000 errichtet und am 04.07.2000 unter HRB 16982 in das Handelsregister beim Amtsgericht Leipzig eingetragen. Das Grundkapital der Beklagten von EUR 500.000,00 ist in 10.000 Stückaktien zum Nennwert von EUR 50,00 eingeteilt. Bei Gründung der Beklagten wurden vom gezeichneten Kapital durch die Landesbank S. Girozentrale (künftig: S. LB) 5.100 Stückaktien und von der Klägerin 4.900 Stückaktien übernommen.

Gegenstand der Beklagten ist u.a. die Durchführung von Leasing- und Vermietungsgeschäften sowie die Strukturierung und die Vermittlung von Finanzierungen. Der Vorstand der Beklagten wurde zunächst von dem geschäftsführenden Gesellschafter L. H. der Klägerin und einer der S. LB nahestehenden Person gebildet. Seit 01.04.2003 ist A. B., die mit dem Vorstandsvorsitzenden der S. LB persönlich verbunden ist, einziger Vorstand. Der Aufsichtsrat der Beklagten besteht derzeit aus dem - bei der S. LB als Vorstand tätigen - Vorsitzenden R. F. sowie zwei weiteren Mitgliedern.

Mit Schreiben vom 17.07.2003 (Anlage K 4, Bl. 25 dA) lud der Vorstand A. B. der Beklagten zu deren Hauptversammlung auf den 20.08.2003. Die der Einberufung beigefügte Tagesordnung enthielt u.a. Beschlussvorschläge dahin, dass dem ehemaligen Vorstand L. H. für das Jahr 2002 die Entlastung zu verweigern sei und den Aufsichtsratsmitgliedern Entlastung erteilt werde.

Auf der Hauptversammlung vom 20.08.2003 waren dem Protokoll (Anlage K 5, Bl. 28 ff. dA) sowie dem ihm beigefügten Teilnehmerverzeichnis zufolge die S. LB durch den Zeugen xxxx und die Klägerin durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten, Rechtsanwalt Dr. F., vertreten. Nach erfolgter Abstimmung stellte der zum Versammlungsleiter bestellte Aufsichtsrat R. F. fest, dass der unter TOP 3. vorgeschlagene Beschluss, dem ehemaligen Vorstand L. H. für das Jahr 2002 Entlastung zu verweigern, mit 5.100 Stimmen - jenen der S. LB - gegen 4.900 Stimmen - jene der Beklagten - gefasst sei. Des Weiteren erfolgte eine Beschlussfeststellung dahin, dass der unter TOP 5. vorgeschlagene Beschluss, dem Aufsichtsratsmitglied R. F. für das Jahr 2002 Entlastung zu erteilen, mit demselben Stimmverhältnis zu Stande gekommen sei.

Nach dieser Abstimmung legte der Vertreter der Klägerin zur Niederschrift des Versammlungsleiters Widerspruch gegen die Beschlüsse hinsichtlich der Nichtentlastung des früheren Vorstands L. H. und der Entlastung des Aufsichtsratsmitglieds R. F. ein.

Mit Schreiben vom 26.08.2003 (Anlage K 7, Bl. 44 dA) berief der Vorstand A. B. der Beklagten auf den 30.09.2003 eine außerordentliche Hauptversammlung ein, für welche Vorstand und Aufsichtsrat als Tagesordnung vorgeschlagen haben:

Kapitalerhöhung

Vorstand und Aufsichtsrat schlagen vor:

Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bareinlagen erhöht von 500 TEUR um 10.000 TEUR auf 10.500,00 TEUR durch Ausgabe von 200.000 neuen, auf den Namen lautenden nennwertlosen Stückaktien. Die neuen Aktien werden zum Betrag von 50 EUR je Aktie ausgegeben.

Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1:20 zum Preis von 50 EUR je Aktie zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntmachung des Bezugsangebotes.

Die neuen Aktien sind ab dem 01.01.2003 gewinnberechtigt.

Der Vorstand wird ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrates die weiteren Einzelheiten der Kapitalerhöhung und ihrer Durchführung festzusetzen. Dazu gehört auch die Festlegung der Bedingungen, zu denen nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist Aktionäre über ihr Bezugsrecht hinaus und Dritte die nicht gezeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag zeichnen und beziehen können.

Der Aufsichtsrat, vertreten durch den Vorsitzenden des Aufsichtsrates, wird ermächtigt, die Fassung des § 5 der Satzung der M. AG entsprechend der Durchführung der Kapitalerhöhung zu ändern.

An dieser außerordentlichen Hauptversammlung nahmen für die S. LB der Zeuge xxxx sowie für die Klägerin Rechtsanwalt B. S. teil. Nach dem Protokoll (Anlage K II.15 in Anlagenband zu Bl. 218 ff. dA) erklärte der Versammlungsleiter vor der Abstimmung über den die Kapitalerhöhung vorsehenden Tagesordnungspunkt, dass der Beschluss mindestens einer Mehrheit von 3/4 der abgegebenen Stimmen des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals bedürfe. Im Anschluss hieran wurden 5.100 Stimmen für den Beschlussvorschlag und 4.900 - jene der Klägerin - gegen diesen abgegeben. Der Versammlungsleiter stellte sodann fest, dass der Beschluss abgelehnt sei.

Hierauf beantragte der Vorstand A. B. der Beklagten zu Protokoll des Versammlungsleiters, unter Verzicht auf Formen und Fristen eine außerordentliche Hauptversammlung einzuberufen und in dieser wie folgt zu beschließen:

Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bareinlagen erhöht von EUR 500.000,00 um EUR 5.000.000,00 auf EUR 5.500.000,00 durch Ausgabe von 100.000 neuen, auf den Namen lautenden nenn-wertlosen Stückaktien. Die neuen Aktien werden zum Betrag von 50 EUR je Aktie ausgegeben. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1 : 10 zum Preis von 50,00 EUR zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Bezugsangebotes. Die Frist von zwei Wochen gilt sowohl für die Annahme des Bezugsangebotes als auch für die Abgabe der Zeichnungserklärung.

Die neuen Aktien sind ab dem 01.01.2003 gewinnberechtigt. Der Vorstand wird ermächtigt, nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist die bis dahin nicht gekennzeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag an die Aktionäre zuzuteilen. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Aufsichtsrates.

Die Satzung wird in § 5 wie folgt geändert:

§ 5 Grundkapital

1. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt EUR 5.500.000,00 (in Worten: EUR fünfmillionenfünfhunderttausend)

2. Das Grundkapital ist eingeteilt in 110.000 Stück Aktien.

Zur Begründung trug der Vorstand vor, die Kapitalerhöhung sei erforderlich, um eine Insolvenz der Beklagten wegen Überschuldung zu verhindern. Hierzu nahm der Vorstand auf den Prüfungsbericht und die Substanzwertberechnung der PwC Deutsche Revision AG Wirtschaftsprüfungsgesellschaft zum 31.07.2003 Bezug und teilte deren Ergebnis wie folgt mit:

Der Zwischenabschluss der M. AG wurde unter der Annahme der Unternehmensfortführung aufgestellt. Da die Gesellschaft nach dem Ergebnis des Zwischenabschlusses zum 31.07.2003 bei einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag von 13 Mio. EUR auch unter Berücksichtigung der ausweislich der Substanzwertrechnung im Vertragsbestand enthaltenen stillen Reserven von 4,7 Mio. EUR und eines nachrangigen Gesellschafterdarlehens mit Besserungsschein in Höhe von 6,1 Mio. EUR mit 2,2 Mio. EUR überschuldet ist, setzt die Beibehaltung dieser Bewertung im Zwischenabschluss die Durchführung weiterer Maßnahmen der Gesellschafter zur Beseitigung der Überschuldung voraus.

Der Vertreter der Klägerin legte gegen diesen Antrag auf Abhaltung einer außerordentlichen Hauptversammlung Widerspruch ein. Diesen erklärte der Versammlungsleiter für unwirksam und stellte den Beschlussvorschlag des Vorstands zur Abstimmung. Bei dieser gaben die S. LB 5.100 Stimmen für und die Klägerin 4.900 Stimmen gegen den Beschlussvorschlag ab. Im Anschluss hieran erklärte der Vorsitzende die Stimmen der Klägerin für nichtig und nahm nachstehende Erklärung zu Protokoll:

Ich erkläre die von der I. GmbH abgegebenen Stimmen für nichtig. Die Stimmabgabe der I. GmbH verstößt gegen die Pflichten der I. GmbH als Aktionärin der M. AG. Zum einen behindert die Stimmabgabe die zur Sanierung der Gesellschaft notwendige Kapitalerhöhung und leitet damit zwangsläufig die Insolvenz der Gesellschaft ein. Darüber hinaus würde im Ergebnis die Insolvenz zu einer Liquidation der Gesellschaft führen, wofür regulär eine 3/4-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich ist. Durch die Behinderung der Kapitalerhöhung käme den abgegebenen Gegenstimmen damit eine Wirkung zu, die ihnen auf Grund ihres Stimmverhältnisses nicht zusteht. Unter diesem Gesichtspunkt erkläre ich die Gegenstimmen der I. GmbH für nichtig. Sie werden bei der Feststellung des Abstimmungsergebnisses demzufolge nicht berücksichtigt.

Dem widersprach der Vertreter der Klägerin zur Niederschrift des Versammlungsleiters.

Mit ihrer am 19.09.2003 beim Landgericht Leipzig eingereichten Klage hat die Klägerin beantragt, die Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003 über die Verweigerung einer Entlastung des früheren Vorstands L. H. und die Entlastung des Aufsichtsratsvorsitzenden R. F. für nichtig zu erklären und festzustellen, dass zu Punkt 4. der Tagesordnung beschlossen worden sei, dem ehemaligen Vorstand L. H. für das Jahr 2002 Entlastung zu erteilen. In einer weiteren - am 28.10.2003 eingereichten - Klage, die vom Landgericht Leipzig zum vorliegenden Rechtsstreit verbunden wurde, hat die Klägerin begehrt, den auf der Hauptversammlung vom 30.09.2003 gefassten Beschluss über die Kapitalerhöhung als nichtig festzustellen bzw. hilfsweise für nichtig zu erklären.

In einem den Hauptversammlungsbeschluss vom 30.09.2003 betreffenden Schriftsatz vom 09.12.2003 (Bl. 47 ff. dA LG Leipzig 6 HKO 6704/03) bestritt die Beklagte die Anfechtungsbefugnis der Klägerin mit dem Hinweis darauf, dass diese ihrer Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 AktG nicht nachgekommen sei. Die Klägerin ist dieser Ansicht in der Folge entgegengetreten und hat mit Schreiben vom 12.02.2004 (Anlage K 11) vorsorglich eine Anzeige gemäß § 20 Abs. 1 AktG erklärt. Nachdem die Klägerin mit nachfolgendem Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 17.05.2004 (Bl. 105 ff. dA) behauptet hatte, auch die S. LB sei einer unterstellt erforderlichen Mitteilung nach § 20 Abs. 1 AktG nicht nachgekommen, hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 29.06.2004 vorgetragen, die S. LB habe ihr eine auf den 15.04.2003 datierende - vom Zeugen xxxx und vom Vorstand R. F. unterzeichnete - Erklärung (Anlage B 3, Bl. 157 dA) folgenden Inhalts zukommen lassen:

... Hiermit teilen wir Ihnen mit, dass die S. LB mit einem Anteil von 255.000,00 EUR, eingeteilt in 5.100 Stückaktien, am 500.000,00 EUR betragenden Grundkapital der M. AG beteiligt ist. Die S. LB hält mithin einen 51 %-igen Anteil am Grundkapital der M. AG. Damit hält die S. LB eine Mehrheitsbeteiligung i.S.v. § 20 Abs. IV AktG.

Unter dem 05.05.2004 veranlasste die Beklagte sodann nachstehende Bekanntmachung im Bundesanzeiger als dem statuarisch vorgesehenen Gesellschaftsblatt (Anlage K 28, Bl. 180 dA):

Gemäß § 20 Abs. VI AktG geben wir bekannt, dass uns am 15.04.2003 von der S. LB Landesbank S. Girozentrale deren Beteiligung in Höhe von 51 % am Grundkapital der M. AG mitgeteilt worden ist. Die I. GmbH hat uns am 12.02.2004 ihre Beteiligung in Höhe von 49 % am Grundkapital der M. AG mitgeteilt.

Die Klägerin hat behauptet, die auf den 15.04.2003 lautende Mitteilung der S. LB sei erst nach Fassung der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse gefertigt worden und der Beklagten zugegangen.

Die Parteien haben im Folgenden im Wesentlichen darüber gestritten, ob § 20 Abs. 1 AktG auf Gründungsgesellschafter Anwendung findet und ob die Klägerin eine etwa ihr obliegende Mitteilungspflicht durch die Feststellungen in den Teilnehmerverzeichnissen zu den Hauptversammlungen sowie durch sonstige Verhaltensweisen erfüllt habe. In der Sache bestanden vor allem Meinungsverschiedenheiten darüber, ob die Verweigerung einer Entlastung des ehemaligen Vorstandes L. H. wegen eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der S. LB und/oder einer Verletzung der Informationsrechte der Klägerin anfechtbar ist und ob die S. LB mit ihrem Abstimmungsverhalten die Klägerin zu einer Veräußerung der von ihr an der Beklagten gehaltenen Aktien zu bewegen versuchte. Des Weiteren haben die Parteien kontrovers erörtert, ob die dem Aufsichtsratsvorsitzenden R. F. gewährte Entlastung im Hinblick darauf treuwidrig sei, dass er sich - wie die Klägerin meint - geschäftsschädigend verhalten habe. Im Zusammenhang mit dem Hauptversammlungsbeschluss vom 30.09.2003 stand neben der Wahrung der Einberufungsformalien schwerpunktmäßig im Raum, ob die Beklagte Gefahr laufe, ohne eine Kapitalerhöhung entweder in Insolvenzreife zu geraten oder aber eine etwa vorhandene Insolvenzreife nicht beseitigen zu können und ob die Klägerin im Hinblick hierauf mit ihrem Abstimmungsverhalten treuwidrig gehandelt habe.

Die Klägerin hat beantragt:

I. 1. Der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003, durch welchen dem ehemaligen Vorstandsmitglied, Herrn L. H., für das Jahr 2002 die Entlastung verweigert wurde (Punkt 4 der Tagesordnung), wird für nichtig erklärt.

2. Es wird festgestellt, dass der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003 zu Punkt 4 der Tagesordnung mit dem Inhalt, dass dem ehemaligen Vorstandsmitglied, Herrn L. H., Entlastung für das Jahr 2002 erteilt wird, gefasst wurde.

3. Der Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003, durch welchen dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Herrn R. F., für das Jahr 2002 die Entlastung erteilt wurde (Punkt 5 der Tagesordnung), wird für nichtig erklärt.

II.1. Es wird festgestellt, dass folgender Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.09.2003 nichtig ist:

"Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bargeldeinlagen erhöht von 500.000,00 EUR um 5.000.000,00 EUR auf 5.500.000,00 EUR durch Ausgabe von 100.000 neuen, auf den Namen lautenden nennwertlosen Stückaktien. Die neuen Aktien werden zum Betrag von 50,00 EUR je Aktie ausgegeben. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1:10 zum Preis von 50,00 EUR zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Bezugsangebotes. Die Frist von zwei Wochen gilt sowohl für die Annahme des Bezugsangebotes als auch für die Abgabe der Zeichnungserklärung.

Die neuen Aktien sind ab dem 01.01.2003 gewinnberechtigt.

Der Vorstand wird ermächtigt, nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist die bis dahin nicht gezeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag an die Aktionäre zuzuteilen. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Aufsichtsrates.

Die Satzung wird in § 5 wie folgt geändert:

"§ 5 Grundkapital

1. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt 5.500.000,00 EUR (in Worten: fünfmillionenfünfhunderttausend).

2. Das Grundkapital ist eingeteilt in 110.000 Stück Aktien."

3. Hilfsweise: Der in Ziffer 1. wiedergegebenen Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.09.2003 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 08.09.2004, auf welches wegen der Einzelheiten verwiesen wird (Bl. 187 ff. dA), hat das Landgericht Leipzig die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat die Vorinstanz im Wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin gemäß § 20 Abs. 7 AktG nicht anfechtungsbefugt sei, da sie ihre Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht erfüllt habe. Im Hinblick hierauf seien auch die Nichtigkeitsklagen unbegründet, da der Klägerin ein Recht auf Teilnahme an den Hauptversammlungen und auf Stimmrechtsausübung nicht zugestanden habe.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die ihren erstinstanzlichen Sachvortrag vertieft. Insbesondere stellt sie darauf ab, dass eine etwa bestehende Mitteilungspflicht nach § 20 Abs. 1 AktG auch von der S. LB nicht erfüllt worden sei und damit die vom Versammlungsleiter festgestellten streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse im Falle eines Verstoßes gegen § 20 Abs. 1 AktG stimmlos gefasst worden seien.

Die Klägerin beantragt,

I. Das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 08.09.2004, Az.: 06 HK O 5863/03 (verbunden mit dem Verfahren 06 HK O 6704/03) wird aufgehoben.

II.1. Es wird festgestellt, dass folgende Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003 nichtig sind:

a) Der Beschluss, durch welchen dem ehemaligen Mitglied des Vorstandes, Herrn L. H., für das Jahr 2002 die Entlastung verweigert wurde (Punkt 4 der Tagesordnung).

b) Der Beschluss, durch welchen dem Vorsitzenden des Aufsichtsrates, Herrn R. F., für das Jahr 2002 die Entlastung erteilt wurde (Punkt 5 der Tagesordnung).

2. Hilfsweise: Die in Ziffer 1.a) und b) wiedergegebenen Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 20.08.2003 werden für nichtig erklärt.

III.1. Es wird festgestellt, dass folgender Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.09.2003 nichtig ist:

"Das Grundkapital der M. AG wird gegen Bargeldeinlagen erhöht von 500.000,00 EUR um 5.000.000,00 EUR auf 5.500.000,00 EUR durch Ausgabe von 100.000 neuen, auf den Namen lautenden nennwertlosen Stückaktien.

Die neuen Aktien werden zum Betrag von 50,00 EUR je Aktie ausgegeben. Die neuen Aktien werden den Aktionären im Verhältnis 1:10 zum Preis von 50,00 EUR zum Bezug angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebotes endet zwei Wochen nach der Bekanntgabe des Bezugsangebotes. Die Frist von zwei Wochen gilt sowohl für die Annahme des Bezugsangebotes als auch für die Abgabe der Zeichnungserklärung. Die neuen Aktien sind ab dem 01.01.2003 gewinnberechtigt.

Der Vorstand wird ermächtigt, nach Ablauf der für alle Aktionäre geltenden Bezugsfrist die bis dahin nicht gezeichneten neuen Aktien zum beschlossenen Ausgabebetrag an die Aktionäre zuzuteilen. Hierzu bedarf es keiner gesonderten Zustimmung des Aufsichtsrates.

Die Satzung wird in § 5 wie folgt geändert: "§ 5 Grundkapital 1. Das Grundkapital der Gesellschaft beträgt 5.500.000,00 EUR (in Worten: fünfmillionenfünfhunderttausend).

2. Das Grundkapital ist eingeteilt in 110.000 Stück Aktien."

2. Hilfsweise: Der in Ziffer 1. wiedergegebene Beschluss der Hauptversammlung der Beklagten vom 30.09.2003 wird für nichtig erklärt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat durch Vernehmung des Zeugen xxxx Beweis zum Zeitpunkt der Übergabe des auf den 15.04.2003 datierenden Schreibens erhoben. Wegen der Einzelheiten der Beweisaufnahme sowie wegen des sonstigen Parteivorbringens wird auf die Niederschriften zu den mündlichen Verhandlungen sowie auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien Bezug genommen.

B.

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

I.

Auf die fristgerecht erhobene Anfechtungsklage sind die auf der Hauptversammlung vom 20.08.2003 zur Entlastung des ehemaligen Vorstandes L. H. und des Aufsichtsratsvorsitzenden R. F. gefassten Beschlüsse sowie der auf der Hauptversammlung vom 30.09.2003 gefasste Beschluss über die Kapitalerhöhung für nichtig zu erklären, da die Beschlussfassungen anfechtbar sind (unten 1.) und der Klägerin eine Anfechtungsbefugnis zukommt (unten 2.).

1. Die vom Versammlungsleiter auf den Hauptversammlungen vom 20.08.2003 und vom 30.09.2003 festgestellten Beschlüsse sind wegen einer Verletzung der Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 AktG zwar stimmlos gefasst, aber dennoch - jedenfalls unter den vorstehenden Gegebenheiten - anfechtbar.

a) Auch Gründungsaktionäre sind dem personellen Anwendungsbereich von § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG unterworfen (vgl. Bayer, in: Münchener Kommentar, AktG, Band 1., 2. Aufl., § 20 Rn. 10; Koppensteiner, in: Kölner Kommentar zum Aktiengesetz, § 20 Rn. 15; a.A.: Priester, AG 1974, 212 [214]; Geßler, AktG, Lose-Blattsammlung, Bd. 1, § 22 Rn. 12; Eckardt, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. 1, § 23 Rn. 54).

aa) § 20 Abs. 1 AktG leitet die Erfüllung der im öffentlichen Interesse liegenden Bekanntmachungspflicht nach § 20 Abs. 6 AktG ein und legt die Verantwortlichkeit für eine gesetzesgemäße Unterrichtung zumindest im Ausgangspunkt in die Hand des eine Beteiligung von mehr als 1/4 haltenden Aktionärs:

Die einzelnen in § 20 AktG enthaltenen Regelungen stehen in Wechselbeziehungen zueinander und gewährleisten in ihrer Gesamtheit, dass die Aktionäre, die Gläubiger der Aktiengesellschaft und die Öffentlichkeit über geplante oder bestehende Konzernverbindungen in Kenntnis gesetzt werden. Zudem sollen durch die Informationspflicht die wahren Machtverhältnisse innerhalb der Aktiengesellschaft deutlich hervortreten und die Rechtssicherheit bei der Anwendung derjenigen Vorschriften, die an die Höhe einer Beteiligung anknüpfen, erhöht werden (vgl. Regierungsentwurf für das AktG 1965, abgedruckt bei Kropff, AktG, Textausgabe, 1965, S. 38; Witt, AG 1998, 171 [172] Fn. 12; Hägele, NZG 2000, 726 [727]).

Diese Pflicht trifft nach der gesetzgeberischen Konzeption im ersten - und entscheidenden - Schritt den eine Mehrheitsbeteiligung haltenden Aktionär, da die Aktiengesellschaft gemäß § 20 Abs. 6 AktG das Bestehen einer Beteiligung in den Gesellschaftsblättern nur bekanntzugeben hat, wenn ihr eine den Anforderungen von § 20 Abs. 1 AktG genügende schriftliche Mitteilung zugeht (vgl. BGHZ 114, 203 [215]; OLG Oldenburg AG 1994, 415 [416]; für § 21 WpHG: Janert, BB 2004, 169 ff.).

bb) Dieser Normzweck hindert eine - gegen den Wortlaut gerichtete - restriktive Auslegung von § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG, da die Wahrnehmung einer auch im öffentlichen Interesse liegenden Pflicht nicht der Disposition der Aktionäre unterstehen kann und die Zielsetzung von § 20 AktG Gründungsaktionäre in gleicher Weise wie die Erwerber von Aktien erfasst.

cc) Gegenteiliges folgt auch nicht daraus, dass bei börsennotierten Aktiengesellschaften den Gründungsgesellschaftern gemäß § 21 Abs. 1 WpHG, § 20 Abs. 8 AktG keine Mitteilung obliegt.

Zwar mag nicht übermäßig folgerichtig erscheinen, die Anzeige von Mehrheitsbeteiligungen der Gründungsaktionäre von einer Börsennotierung der Aktiengesellschaft abhängig zu machen. Die insoweit entstandene Ungereimtheit beruht aber im Kern darauf, dass der Gesetzgeber infolge der Transparenzrichtlinie 88/627/EWG vom 12.12.1988 (ABl. Nr. L 348 vom 17.12.1988, S. 62 ff.) die gesetzliche Anzeigepflicht über Mehrheitsbeteiligungen bei börsennotierten Aktiengesellschaften vom Gesellschaftsrecht abgekoppelt und abschließend im Kapitalmarktrecht verankert hat.

Hieraus ist aber - schon wegen der unterschiedlichen Regelungszwecke - nicht abzuleiten, dass mit dem Inkrafttreten von § 21 Abs. 1 WpHG auch bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften die Unterrichtungspflicht von Gründungsaktionären entfallen sei (vgl. zu den normativen Ungereimtheiten ergänzend: Witt, AG 1998, 171; Schneider, AG 1997, 81 [82]).

b) Die streitgegenständlichen Beschlüsse sind anfechtbar, da sie stimmlos gefasst - und damit vom Versammlungsleiter entgegen dem objektiven Abstimmungsergebnis festgestellt - wurden.

aa) Ihrer Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG hat die Klägerin erstmals mit Schreiben vom 12.02.2004 (Anlage K 11) genügt.

Die zuvor nur mittelbar erfolgten Unterrichtungen über die gehaltene Mehrheitsbeteiligung reichen für eine Mitteilung nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht aus, da aus dieser zweifelsfrei entnommen werden muss, dass die Information die Publizitätspflicht des § 20 Abs. 6 AktG auslöst (vgl. BGHZ 114, 203 [213 f.]; Bayer, in: Münchener Kommentar, AktG, § 20 Rn 10 und Rn. 30 ff.; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH- Konzernrecht, 3. Aufl., § 20 Rn. 32). Diesen Anforderungen werden weder die Unterzeichnung der Teilnehmerverzeichnisse noch die sonstigen von der Klägerin herangezogenen Umstände gerecht (vgl. BGHZ 114, 203 [213]).

bb) Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass die S. LB die sie - als Unternehmen i.S.v. § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG - treffende Mitteilungspflicht bei Fassung der angefochtenen Beschlüsse erfüllt hatte.

(1) Es obliegt der Beklagten, im Rahmen des vorliegenden Nichtigkeits- und Anfechtungsprozesses darzutun, dass die S. LB im Zeitpunkt der streitgegenständigen Hauptversammlungsbeschlüsse die von ihr gehaltene Mehrheitsbeteiligung gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG angezeigt hatte.

(1.1) Der Senat verkennt dabei nicht, dass bei aktienrechtlichen Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen im Ausgangspunkt der Aktionär das Vorliegen von Beschlussmängeln darzulegen und zu beweisen hat (vgl. Hüffer, in: Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 135 m.w.N.).

(1.2) Eine Umkehr der Vortrags- und Beweislast ist aber geboten, wenn - wie hier - eine Aktiengesellschaft behauptet, ein Mehrheitsaktionär, dessen Beteiligung nicht in den Gesellschaftsblättern veröffentlicht wurde, sei ihr gegenüber der Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 AktG nachgekommen.

Wie bereits dargelegt, (vgl. oben B.I.1.a)aa)) soll die Mitteilungs- und Publizitätspflicht aus § 20 Abs. 1 und Abs. 6 AktG u.a. den anderen Aktionären Kenntnis von den Mehrheits- und Machtverhältnissen verschaffen und Rechtssicherheit im Bezug auf jene Rechtsnormen gewähren, die an das Vorliegen einer Mehrheitsbeteiligung anknüpfen. Diese Zielrichtung gebietet, dass eine Aktiengesellschaft die Erfüllung der Mitteilungspflicht zu belegen hat, wenn sie eine etwa nach § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG erfolgte Anzeige unter Verstoß gegen § 20 Abs. 6 AktG nicht bis zu den Stimmrechtsausübungen in den Gesellschaftsblättern veröffentlicht hat (vgl. zur Beweislastumkehr bei Verletzung von Informations- oder Dokumentationspflichten: BGH NJW 1999, 3408 [3409 ff.]; BGH NJW 1989, 2330 [2331]; Hüffer, in: Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 243 Rn. 138).

(2) Dieser Beweislast hat die Beklagte mit der - eine am 15.04.2003 erfolgte Mitteilung bestätigenden - Aussage des Zeugen xxxx aber nicht genügt.

(2.1) Bereits das Aussageverhalten und der persönliche Eindruck des Zeugen waren wenig überzeugend, da dieser auf Fragen, die ihn offenbar unvorbereitet trafen, eher unsicher reagierte, teilweise nach Antworten suchte und - ohne hierauf im Einzelnen eingehen und dies im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigen zu wollen - sehr angespannt und belastet wirkte.

Es ist auszuschließen, dass die Reaktionen des Zeugen Folge der Vernehmungstechnik des Senats sind, da dieser - wenn auch teilweise im Wechsel zwischen Berichterstatterin und Vorsitzendem - den Zeugen stets sachlich fragte, ihm Gelegenheit zum Nachdenken gab und ihm durch Vorhalte und Rückfragen ermöglichte, aufgekommene Bedenken gegen die Plausibilität seines Vorbringens durch ergänzende Darlegungen zu beseitigen. Auch hat der Senat sofort eingegriffen, als der Prozessbevollmächtigte der Klägerin - nach auch zuvor von ihm sachbezogen vorgetragenen Fragestellungen - dem Zeugen einmal kurzfristig in eher suggestiver Weise begegnete.

Zwar ist möglich, dass das unsichere und wenig überzeugungskräftige Auftreten des Zeugen zumindest mit auf die öffentlichen Diskussionen um die Verbindungen zwischen der S. LB und der Beklagten sowie auf anhängige Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft Leipzig und auf angekündigte Vereidigungsanträge zurückzuführen ist. Zumindest gleichermaßen kommt aber in Betracht, dass das deutlich selektive Erinnerungsvermögen des Zeugen Ausfluss eines Zwiespalts zwischen falsch verstandener Loyalität gegenüber einem in Kritik geratenen Arbeitgeber und den Wahrheitspflichten war und der Zeuge hierdurch - um dieses Dilemma wissend - in innere Nöte geriet.

(2.2) Vor allem aber bleibt das vom Zeugen xxxx Geschilderte bei der gebotenen Gesamtwürdigung sehr unplausibel.

Zwar mag der eine oder andere vom Zeugen xxxx geschilderte Ablauf für sich gesehen als noch möglich eingestuft werden können. Als sehr ungereimt erscheint aber, dass es zu einem gleichzeitigen Zusammentreffen so vieler eher ungewöhnlicher Geschehnisse gekommen ist.

- Bereits der vom Zeugen xxxx geschilderte Anlass für die Fertigung des auf den 15.04.2003 lautenden Schreibens und die Umstände seiner Errichtung lassen erhebliche Bedenken gegen eine den Tatsachen gerecht werdende Aussage aufkommen.

Der Zeuge xxxx hat zwar angegeben, Anstoß für das Schreiben habe eine von der Innenrevision der S. LB angeregte Umstrukturierung im Beteiligungsbereich gegeben. Nicht ohne weiteres einsichtig ist aber, woher der Zeuge, der ansonsten die Hintergründe des Schreibens nicht kennen und sich über dessen Inhalt mit niemandem unterhalten haben will, wissen soll, dass die behauptete Unterrichtung vom 15.04.2003 Folge einer Neuorganisation sei.

Eher ungewöhnlich erscheint auch, dass der Zeuge xxxx zwar im Verlauf seiner Vernehmung die für die Fertigung dieses Schreibens denkmöglich in Betracht kommenden Personen von zunächst vier bis fünf auf eher zwei, nämlich zwei Juristen, beschränkte, sich aber selbst auf mehrfache Rückfragen des Senats außer Stande sah, die Namen seiner damals engsten Vertrauten - und dies bei einem Mitarbeiterstab von insgesamt nicht mehr als etwa 20 Personen - anzugeben.

- Zumindest kurzfristig eher verblüfft und irritiert gab sich der Zeuge zudem, als ihn der Senat auf den seine E-Mail-Adresse ausweisenden Briefkopf, auf das Ausstellungsdatum sowie auf die zeitlichen Abläufe am Vormittag des 15.04.2003 ansprach.

Auf die Frage, ob es bei der S. LB üblich sei, in die E-Mail-Adresse den Verfasser des Schreibens aufzunehmen, reagierte der Zeuge zunächst verunsichert, um sich dann - in der Sache sehr weich und sich eher nicht festlegend - dahin zu äußern, dass sein Name in der E-Mail-Adresse jedenfalls dann erscheine, wenn das Schreiben "nach außen" gehe und er es selbst unterzeichne.

Eher vage blieb in diesem Zusammenhang die Bekundung des Zeugen auch dazu, ob es den Gepflogenheiten der S. LB entspreche, als Ausstellungsdatum jenes des Diktats, des tatsächlichen Fertigens durch die Sekretärin oder des mutmaßlichen Absendezeitpunktes zu wählen.

Zunächst hat der Zeuge die Zielrichtung dieser Fragestellung nicht erfasst und inhaltlich keine klare Position bezogen. Nachdem ihm der Senat verdeutlicht hatte, dass von der zeitlichen Abfolge her eher unüblich wäre, wenn das Ausstellungsdatum des Schreibens dem Diktatdatum entspräche, da dann vor der - nach Angaben des Zeugen um 10:00 Uhr beginnenden - Vorstandsitzung am Vormittag des 15.04.2003 sowohl das Diktat erfolgt als auch das nicht dringlich erscheinende Schreiben durch die Sekretärin hätten gefertigt werden müssen, verhielt sich der Zeuge in recht vorsichtiger Weise dahin, dass es Bemühen der S. LB sei, eine zeitliche Diskrepanz zwischen dem Ausstellungs- und dem Versendedatum gering zu halten.

Nicht übermäßig plausibel erscheint auch die Mutmaßung, das Ausstellungsdatum vom 15.04.2003 könne im Hinblick darauf gewählt worden sein, dass an diesem Tage eine Vorstandsitzung stattgefunden habe, auf welcher der Vorstand R. F. das Schreiben gegengezeichnet habe. Solches gäbe nur dann Sinn, wenn alle Beteiligten, auch der Autor des Schreibens, von einer im Rahmen der anstehenden Vorstandssitzung beabsichtigten Unterschriftsleistung gewusst hätten. Eine derartige Kenntnis bliebe aber unplausibel, wenn - wie vom Zeugen geschildert - intern jegliche Kommunikation über das Schreiben unterblieben wäre. Auch stellt sich bei Lichte besehen eher als zufällig - jedenfalls nicht längerfristig geplant - dar, dass der Zeuge xxxx das Schreiben in die Vorstandsitzung der S. LB mitnahm, um es in deren Rahmen vom Vorstand R. F. unterschreiben zu lassen.

- Auffällig an den Bekundungen des Zeugen ist zudem, dass er einerseits das Schreiben inhaltlich als reinen Routinevorgang verstanden haben will, ihm aber andererseits seine Angaben zufolge eine besondere Behandlung zuteil werden ließ.

Dahinstehen kann, wie üblich es bei der S. LB ist, dass einem Vorstandsmitglied eine vermeintliche Alltagsangelegenheit vom Leiter des Vorstandsstabs anlässlich einer Vorstandsitzung persönlich zur Unterzeichnung vorgelegt wird. Selbst nach Darstellung des Zeugen war nämlich zumindest eher ungewöhnlich, den Postverkehr an die Beklagte mittels persönlicher Übergabe an deren Vorstand zu bewirken. Dies gilt vorliegend umso mehr, als das Schreiben vom 15.04.2003 vom Zeugen xxxx als inhaltlich belanglos verstanden wurde und demgemäß auch keine Erörterung anlässlich der persönlichen Aushändigung erfolgt sein soll.

- Soweit der Zeuge xxxx in diesem Zusammenhang darauf verwies, dass er mit dem Vorstand A. B. der Beklagten am 15.04.2003 zum Mittagessen verabredet gewesen sei und er sie aus diesem Anlass - unter Mitnahme des Schreibens - persönlich in ihrem Büro abgeholt habe, mag Letzteres, wie der Zeuge seinem Terminkalender entnommen haben will, zutreffend sein.

Eher merkwürdig mutet aber an, dass sich der Zeuge nach über 1 1/2 Jahren noch daran will erinnern können, wie der Vorstand A. B. in seiner Anwesenheit das Eingangsdatum angebracht und - ohne inhaltliche Aussprache - paraphiert haben soll. Solches ist umso ungewöhnlicher, als der Zeuge einerseits über derart belanglose Details eines - so seine Sicht - Routinevorgangs erstaunlich präsentes Wissen beanspruchte, sich andererseits aber in den inhaltlichen Fragen als recht unkundig darstellte.

Verstärkt werden die Bedenken gegen die Schilderungen des Zeugen noch dadurch, dass dieser auf Rückfrage des Senats bekundete, erst ein viertel oder halbes Jahr vor der Vernehmung von der Bedeutung des auf den 15.04.2003 ausgestellten Schreibens erfahren zu haben. Sollte dies zutreffend sein, wäre erst recht verwunderlich, wenn er sich an damals unerhebliche Randbereiche eines ihn inhaltlich ohnehin nicht interessierenden Vorgangs in Einzelheiten sollte entsinnen können.

(2.3) Auch die sonstigen Umstände weisen darauf hin, dass die S. LB ihrer Mitteilungspflicht erst nach dem 30.09.2003 nachgekommen sein kann.

(2.3.1) Die Beklagte hat sich erst im Verlauf des vorliegenden Rechtsstreits auf einen Verstoß der Klägerin gegen § 20 Abs. 1 AktG berufen und die behauptete Mitteilung der S. LB vom 15.04.2003 erstmals mit Schriftsatz vom 29.06.2004 in den Rechtsstreit eingeführt. Des Weiteren hat der Leiter der Hauptversammlungen vom 20.08.2003 und vom 30.09.2003, der gleichzeitig Mitglied im Vorstand der S. LB und Aufsichtsratsvorsitzender der Beklagten ist, eine Stimmrechtsausübung durch alle Aktionäre zugelassen und im Nachhinein die von der Klägerin zu dem mündlich eingebrachten Antrag auf Kapitalerhöhung abgegebenen Stimmen - mit fragwürdiger Begründung - für unwirksam erklärt. Die Beklagte hat zudem eine Veröffentlichung der ihr angezeigten Mehrheitsbeteiligungen erst am 05.05.2004 veranlasst, obwohl sie kraft Gesetzes zum unverzüglichen Handeln gehalten gewesen wäre, wenn sie von dem Inhalt des auf 15.04.2003 lautenden Schreibens der S. LB noch am selben Tage in Kenntnis gesetzt worden wäre.

(2.3.2) Diese Gesichtspunkte drängen die Annahme auf, dass der Regelungsgehalt von § 20 Abs. 6 und 7 AktG zunächst allen Beteiligten unbekannt war und deren Aufmerksamkeit auf diese Bestimmungen erst durch das nachfolgende gerichtliche Verfahren gelenkt wurde. War aber ein Bewusstsein um die Wirkungen einer Anzeige mit einiger Wahrscheinlichkeit nicht vorhanden, liegt eher fern, dass die Verantwortlichen der S. LB und der Beklagten zum damaligen Zeitpunkt um die Unterrichtungspflicht als solche wussten und am 15.04.2003 die behauptete Mitteilung erfolgte.

(2.4) Im Hinblick darauf bestand verfahrensrechtlich kein Anlass, das gemäß richterlicher Auflage vorsorglich bereitzuhaltende Original des Schreibens vom 15.04.2003 in den Senatstermin einzuführen, um es - wie von der Klägerin gegenbeweislich beantragt - im Wege des Sachverständigenbeweises einer kriminaltechnischen Untersuchung unterziehen zu können.

(3) Den von der Beklagten zu den Umständen der Fertigung des Schreibens vom 15.04.2003 mit Schriftsatz vom 23.12.2004 (Bl. 319 ff. dA) unterbreiteten neuen Vortrag hatte der Senat gemäß §§ 296a, 525 ZPO nicht zu berücksichtigen, da das Vorbringen keinen Anlass gab, gemäß § 156 ZPO die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen.

(3.1) Hierüber hatte der Senat unter Mitwirkung von Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch und Richterin am Oberlandesgericht Bokern zu befinden, da die Beratung i.S.v. §§ 192 ff. GVG am 21.12.2004 abgeschlossen war und Richterin am Landgericht Dr. Schönknecht - nach zwischenzeitlicher urlaubsbedingter Verhinderung - infolge der Beendigung ihrer Abordnung zum Jahreswechsel 2004/2005 beim Oberlandesgericht Dresden ausgeschieden ist (vgl. BGH NJW 2002, 1426 [1428]).

(3.2) Der Schriftsatz vom 23.12.2004 ist prozessual nicht zu beachten, da keiner der in § 156 Abs. 2 ZPO ausdrücklich genannten Wiedereröffnungsgründe vorliegt und auch keine sonstigen sachlichen Aspekte für einen nochmaligen Eintritt in die mündliche Verhandlung sprechen.

(3.2.1) Der Senat hat im Zusammenhang mit der Vernehmung des Zeugen xxxx das rechtliche Gehör der Beklagten nicht i.S.v. § 156 Abs. 2 Nr. 1, §§ 139, 295 ZPO verletzt.

Die Beklagte hatte bis zur Vernehmung des Zeugen behauptet, dieser habe das Schreiben vom 15.04.2003 gefertigt (vgl. Schriftsatz vom 11.08.2004, S. 2, Bl. 183 dA). Für den Senat bestand hierdurch kein Anlass, die Beklagte vorsorglich um eine Stellungnahme dazu zu ersuchen, was sie vorzutragen gedenke, falls der Zeuge das in sein Wissen Gestellte nicht bestätigen sollte und ein anderer Mitarbeiter der S. LB das Schreiben entworfen hätte.

Der Beklagten ist auch nicht darin beizutreten, dass die nach der Beweisaufnahme dargelegten Bedenken gegen die Plausibilität der Aussage des Zeugen xxxx bereits vorab hätten unterbreitet werden müssen. Dies gilt umso mehr, als die Klägerin auf die geringe Plausibilität des Sachvortrages der Beklagten bereits im Schriftsatz vom 09.08.2004 (S. 6 ff., Bl. 166 ff. dA) hingewiesen und Letztere zu den Begleitumständen in der Berufungserwiderung vom 01.12.2004 (S. 7. f., Bl. 273 f. dA) detailliert Stellung bezogen hatte.

(3.2.2) Ein Wiedereintritt in die mündliche Verhandlung ist auch nicht dadurch veranlasst, dass die Beklagte nunmehr behauptet, das auf den 15.04.2003 datierende Schreiben sei entgegen ihrem früheren Vortrag nicht vom Zeugen xxxx, sondern vom nunmehr benannten Zeugen xxxx gefertigt worden.

Offen bleiben kann, wie gereimt die jetzige Sachdarstellung der Beklagten ist. Zumindest sieht der Senat in Anbetracht der seit Langem bis in konkrete Einzelheiten vorgetragenen Umstände zu der Fertigung und Zuleitung des auf den 15.04.2003 ausgestellten Schreibens keinen Grund, der Beklagten einen nochmaligen Beweisantritt zu teilweise neuen Behauptungen zu eröffnen.

cc) Hatten aber weder die Klägerin noch die S. LB bei Fassung der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse ihre Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG erfüllt, waren gemäß § 20 Abs. 7 AktG beide Aktionäre an der Stimmrechtsausübung mit der Folge gehindert, dass die vom Versammlungsleiter festgestellten Beschlüsse anfechtbar sind.

(1) Die Rechtsprechung und Literatur haben sich mit dem rechtlichen Schicksal stimmloser Hauptversammlungsbeschlüsse bislang nur vereinzelt befasst, wobei in den beiden vorliegenden gerichtlichen Entscheidungen (BayObLG NZG 2001, 128; OLG München NZG 1999, 1173) Anfechtbarkeit und in der Literatur (Semler/Asmus, NZG 2004, 881 [887]; Fischer, in: Beck'sches Handbuch der GmbH, 3. Aufl., § 4 Rn. 165 f.) Nichtigkeit angenommen wird.

(2) Das vorliegende Verfahren veranlasst keine abschließende Stellungnahme hierzu, da jedenfalls unter den gegebenen Umständen bei einer Gesamtbetrachtung des Gewichts des Rechtsverstoßes einerseits und der Belange der Rechtssicherheit andererseits von einer bloßen Anfechtbarkeit auszugehen ist.

(2.1) Nach dem Gesetzeswortlaut sind die Nichtigkeitsgründe in § 241 AktG abschließend aufgeführt (vgl. Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 241 Rn. 7), ohne dass bei diesen die Stimmlosigkeit festgestellter Hauptversammlungsbeschlüsse genannt ist. Diese sind auch nicht unter Normzweckaspekten dem Verdikt der Nichtigkeit zu unterwerfen, da eine Stimmlosigkeit der Beschlussfassung im materiellen Unrechtsgehalt den in § 241 AktG aufgeführten Gesetz- und Satzungsverstößen jedenfalls nicht generell gleich steht.

(2.2) Hiervon ausgehend ist zumindest nicht aus allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Prinzipien heraus von einer Nichtigkeit auszugehen.

(2.2.1) Nach gefestigter Rechtsprechung bewirkt eine bloße Anfechtbarkeit, wenn einem Stimmrechtsverbot unterliegende Aktionäre an Hauptversammlungsbeschlüssen mitwirken und ihre Stimmen - in einer das Abstimmungsergebnis beeinflussenden Weise - vom Versammlungsleiter gezählt werden (vgl. BGHZ 104, 66 [69]; BGHZ 97, 28 [30]).

Hieran ändert sich auch nicht ohne weiteres etwas dadurch, dass alle Aktionäre an der Ausübung des Stimmrechts aus Rechtsgründen gehindert waren. Ebenso wenig hängen das objektive Fehlverhalten des Versammlungsleiters und das Maß an konstitutiver Wirkung der durch ihn erfolgenden Beschlussfeststellung entscheidend davon ab, ob ein genereller oder nur ein teilweiser Stimmrechtsausschluss bestand.

Eine gegenteilige Sicht würde zudem zu teilweise sachwidrigen und recht zufällig wirkenden Ergebnissen führen. Besonders anschaulich zeigt sich dies, wenn gegenübergestellt wird, dass einerseits bei einer Aktiengesellschaft nur eine einzige, gegen den Beschlussvorschlag votierende Stimme wirksam abgegeben wurde und der Versammlungsleiter der Beschlussfeststellung irrig das Votum der nicht stimmberechtigten Aktionäre zu Grunde legt und dass andererseits keiner einzigen abgegebenen Stimme eine Stimmrechtsbefugnis zu Grunde lag, das Abstimmungsergebnis aber tatsächlich vom Willen aller sich vermeintlich als stimmberechtigt erachtenden Aktionäre mitgetragen war. Bei der erstgenannten Fallgestaltung müsste dann die dargelegte Literaturmeinung zur Anfechtbarkeit gelangen, während sie bei der zweitgenannten eine Nichtigkeit annehmen müsste. Solches erschiene dem Senat bei einer wertenden Gesamtbetrachtung aber wenig folgerichtig.

(2.2.2) Aus § 241 Nr. 3 AktG folgt keine Nichtigkeit, da zwar die Mitteilungspflicht des § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG öffentlichen Interessen und Belangen der Gläubiger dient, dieser Rechtsverstoß aber nicht auf den Inhalt der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse einwirkt, sondern lediglich die Art und Weise ihres Zustandekommens betrifft.

(2.2.3) Der Senat vermag nicht die Sicht zu teilen, dass ein stimmlos gefasster Beschluss nach § 241 Nr. 2 AktG nichtig sei (so: Semler/Asmus, NZG 2004, 881 [887]).

Richtig an dieser Meinung ist allerdings, dass ein Versammlungsleiter, der einen stimmlos gefassten Beschluss feststellt, die ihm von den Aktionären verliehene Handlungsmacht überschreitet. Dies ändert aber nichts daran, dass dem vom Versammlungsleiter festgestellten Beschluss konstitutive Wirkung beikommt (vgl. BGHZ 104, 66 [69]; OLG Stuttgart AG 2004, 457 [458]) und dieser in der Form des § 130 Abs. 2 AktG beurkundet ist. Ob das Beurkundete inhaltlich zutrifft, muss im Rahmen von § 241 Nr. 2 AktG bei Stimmlosigkeit in gleicher Weise unerheblich bleiben wie bei allen anderen ein Abstimmungsergebnis unzutreffend wiedergebenden Beschlussfeststellungen des Versammlungsleiters.

Unschädlich ist in diesem Zusammenhang auch, dass der Versammlungsleiter seinerseits stimmlos bestellt wurde. Zwar erwächst nur einem von der Hauptversammlung wirksam berufenen Versammlungsleiter die Rechtsmacht, einen Beschluss rechtsgestaltend festzustellen. Wie sich aus den nachfolgenden Darlegungen noch im Einzelnen ergibt, war aber auch die Bestellung des Versammlungsleiters, der kein weiterer Mangel als die Stimmlosigkeit anhaftete, wirksam.

(2.3) Auch Einzelfall bezogene Umstände führen zu keiner Nichtigkeit der streitgegenständlichen Beschlussfassungen (vgl. hierzu: Hüffer, in: Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 54 ff. m.w.N.).

(2.3.1) Beim Maß des Rechtsverstoßes ist zunächst zu bedenken, dass weder die beiden an den Hauptversammlungen teilnehmenden und mitstimmenden Aktionäre noch der die Beschlüsse feststellende Versammlungsleiter nachweislich um die rechtlichen Konsequenzen des § 20 AktG gewusst haben und daher von einem subjektiv redlichen Handeln auszugehen ist. Zumindest tendenziell wird das Gewicht der Rechtsverletzung auch dadurch verringert, dass alle Aktionäre auf den Hauptversammlungen präsent waren und 100 % des Aktienkapitals an der Abstimmung teilgenommen hat.

Hinzu kommt, dass - wenn auch möglicherweise auf Grund eines gesetzgeberischen Versehens - bei börsennotierten Aktiengesellschaften die Gründungsaktionäre seit Inkrafttreten von § 20 Abs. 8 AktG, § 21 WpHG einer Mitteilungspflicht überhaupt nicht mehr unterliegen und schwerlich ein Verhalten, welches bei börsennotierten Aktiengesellschaften rechtmäßig wäre, bei sonstigen Aktiengesellschaften als besonders gravierende Verletzung der öffentlichen Ordnung erachtet werden kann.

(2.3.2) Gesichtspunkte der Rechtssicherheit sprechen ebenfalls deutlich mehr für eine Anfechtbarkeit als für eine Nichtigkeit.

(2.3.2.1) Wie bereits im Einzelnen ausgeführt wurde, folgt die Stimmlosigkeit der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse erst daraus, dass § 20 AktG - entgegen nicht unverbreiteter Literaturmeinung - auf Gründungsaktionäre anzuwenden ist und sich der Senat von einer Erfüllung der Mitteilungspflichten aus § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG nicht zu überzeugen vermochte.

(2.3.2.2) Mit Aspekten der Rechtssicherheit vertrüge sich aber nicht, die Wirksamkeit von Beschlussfassungen von der Beantwortung dieser Fragestellungen abhängig zu machen und damit nicht unerhebliche Unwägbarkeiten über die Bestandskraft zu schaffen. Dies gilt umso mehr, als bei einer Nichtigkeit nicht nur das Registergericht im Eintragungsverfahren einer entsprechenden Amtsprüfungspflicht unterläge (vgl. Hüffer, in: Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 241 Rn. 95), sondern auch jeder Dritte vor Ablauf der dreijährigen Frist des § 242 Abs. 2 AktG eigenverantwortlich zu entscheiden hätte, ob ein nicht angefochtener Hauptversammlungsbeschluss stimmlos gefasst ist. Auch nur einigermaßen tragfähige Erkenntnisse hierüber könnten aber die betroffenen Verkehrskreise nicht erlangen, da die Stimmlosigkeit der Beschlussfassungen gerade daraus folgt, dass die Mitteilungs- und Publizitätspflichten aus § 20 AktG missachtet wurden.

2. Die Klägerin ist unbeschadet der unterbliebenen Mitteilung der von ihr gehaltenen Mehrheitsbeteiligung berechtigt, die streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse anzufechten.

a) Solches ist der Klägerin zwar nach dem Wortlaut von § 20 Abs. 7 AktG versagt (vgl. Bayer, in: Münchener Kommentar, AktG, § 20 Rn. 53 und § 245 Rn. 20; Geßler, in: Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. I, § 20 Rn. 78; Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 20 Rn. 14; zu § 21 WpHG: Assmann/Schneider, WpHG, 3. Aufl., § 28 Rn. 30).

b) Eine normzweckgerechte und verfassungskonforme Interpretation von § 20 Abs. 7 AktG gebietet aber, der Klägerin unter den vorstehenden Gegebenheiten eine Anfechtung der streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse zu eröffnen.

aa) Die prozessuale Anfechtungsbefugnis ist Teil der Mitgliedschaftsrechte von Aktionären und unterliegt daher dem Schutzbereich von Artikel 14 GG (vgl. BVerfGE 100, 289 [301 f.]; BVerfG AG 2001, 42).

bb) In diese verfassungsrechtlichen Gewährleistungen wäre unter den Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen, wenn die Klägerin die stimmlos gefassten streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse nicht anfechten könnte (vgl. zur einfach-rechtlichen Lage bei Anträgen nach § 122 Abs. 1, §§ 327a ff. AktG: König/Römer, NZG 2004, 944 ff.).

(1) Der in § 20 Abs. 7 AktG vorgesehene Verlust der Anfechtungsbefugnis ist im Regelfall mit anerkennenswerten Belangen der anderen Aktionäre und der Öffentlichkeit zu legitimieren.

Durch die Beschneidung der Rechte aus § 243 AktG soll im Interesse der sich pflichtgemäß verhaltenden Aktionäre und der öffentlichen Ordnung die Rechtstreue gefördert und mittels einer einschneidenden Sanktion auf die Erfüllung der Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 AktG hingewirkt werden. Hiergegen ist - bei aller Schärfe der Maßnahme - zumindest im Ausgangspunkt verfassungsrechtlich nichts zu erinnern, da der Ausschluss der Anfechtungsbefugnis geeignet ist, die Aktionäre zur Abgabe der nach § 20 Abs. 1 AktG geschuldeten Erklärungen anzuhalten und auch die Intensität des Eingriffes als grundsätzlich noch von einer angemessenen Mittel-Zweck-Relation getragen erscheint (vgl. BVerfGE 76, 220 [238]; BVerfGE 92, 262 [273]).

(2) Haben - wie vorliegend - alle Aktionäre gegen § 20 Abs. 1 AktG verstoßen, wäre ein Ausschluss der Anfechtungsbefugnis aus § 243 Abs. 1 AktG jedoch unverhältnismäßig.

(2.1) Bei einem stimmlos gefassten Beschluss können Belange der anderen Aktionäre eine Beschneidung der Anfechtungsbefugnis von vornherein nicht rechtfertigen, da sich gleichermaßen rechtswidrig verhaltende Aktionäre nicht mittels eines Ausschlusses der Rechte aus § 243 Abs. 1 AktG voreinander zu schützen sind. Auch das aktienrechtliche Gleichbehandlungsgebot wäre durch eine Anfechtungsbefugnis in einer derartigen Situation nicht tangiert, da diese dann allen - sich gemeinsam im Unrecht befindlichen - Aktionären zustünde.

(2.2) Der Senat sieht auch nicht Belange der Aktiengesellschaft gefährdet, wenn bei Beschlussfassungen, an denen ausschließlich gegen § 20 Abs. 1 AktG verstoßende Aktionäre mitgewirkt haben, jedem Aktionär die Anfechtungsbefugnis eröffnet wird. Dies folgt schon daraus, dass - wie nachstehend näher dargelegt - allein hierdurch die Rechtswirkungen stimmlos gefasster Beschlüsse beseitigt werden können und solches zumindest tendenziell im Interesse der Aktiengesellschaft liegt.

(2.3) Auch die durch § 20 Abs. 1 AktG geschützten Interessen der Öffentlichkeit und der Gläubiger der Aktiengesellschaft vermögen zumindest unter den Besonderheiten der vorliegenden Fallgestaltung einen Ausschluss der Anfechtungsbefugnis der Klägerin nicht zu begründen.

(2.3.1) Der Senat verkennt dabei nicht, dass mit einer der Klägerin eröffneten Anfechtungsbefugnis der mit § 20 Abs. 7 AktG verbundene Druck etwas abgeschwächt wird.

Diese Verringerung der bei einem Verstoß gegen § 20 Abs. 1 AktG drohenden Sanktion ist aber sehr moderat, da das Ruhen sämtlicher sonstiger Mitgliedschaftsrechte nicht berührt wird und hierdurch ein sich gesetzwidrig verhaltender Aktionär weiterhin mit nachhaltigen Maßnahmen belegt bzw. durch diese mittelbar zu gesetzgemäßem Vorgehen angehalten wird. Solches gilt umso mehr, als bei lebensnaher Betrachtung ein Aktionär in aller Regel Eingriffe in seine prozessuale Anfechtungsbefugnis als weniger einschneidend empfinden wird, als das - fortbestehende - Ruhen aller materiellen Mitgliedschaftsrechte.

(2.3.2) Wären aber Belange der Öffentlichkeit und der Gläubiger der Aktiengesellschaft von einer Anfechtungsbefugnis in nur geringem Umfange betroffen, würde in die Eigentumsrechte der Klägerin in unverhältnismäßiger Weise eingegriffen, wenn dieser eine Anfechtungsbefugnis auch bei einem allseitigen Verstoß gegen § 20 Abs. 1 AktG versagt bliebe.

(2.3.2.1) Käme der Klägerin keine Anfechtungsbefugnis zu, wären die streitgegenständlichen Hauptversammlungsbeschlüsse generell - da es dann keinerlei Anfechtungsberechtigten gäbe - einer gerichtlichen Überprüfung auf Anfechtungsgründe hin entzogen. Die Beschlussfeststellung würde hierdurch mit definitiv konstitutiver Wirkung einen massiv in die Eigentumsrechte der Klägerin eingreifenden Gestaltungsakt schaffen, für den objektiv keine einzige Stimme abgegeben wäre.

(2.3.2.2) Solches wäre aber mit den - sich als Ausfluss der Eigentumsgarantie darstellenden - Grundprinzipien der aktienrechtlichen Kompetenzverteilung und dem unentziehbaren Kerngehalt eines aktienrechtlichen Mitgliedschaftsrechtes unvereinbar.

Zum einen würde dann ohne hinreichenden sachlichen Grund die Entscheidung über den Inhalt von Hauptversammlungsbeschlüssen nicht mehr den Aktionären der Beklagten überantwortet, sondern endgültig in die Hand des Versammlungsleiters gelegt. Zum anderen wären die hiermit einhergehenden Eingriffe in die verfassungsrechtlich geschützten Belange der Klägerin derart massiv, dass sie von der Rechtsordnung in Anbetracht des recht geringen öffentlichen Interesses an einer Beschneidung der Anfechtungsbefugnis nicht mehr hingenommen werden könnten.

II.

Der auf der außerordentlichen Hauptversammlung vom 30.09.2003 nach der Feststellung des Versammlungsleiters gefasste Kapitalerhöhungsbeschluss kann von der Klägerin nicht zusätzlich wegen eines Einberufungsmangels angefochten werden.

1. Allerdings ist der Beschluss unter massiver Rechtsverletzung zu Stande gekommen, da weder die der Beschlussfassung zu Grunde liegende Tagesordnung den Erfordernissen von § 124 Abs. 1 AktG gemäß bekannt gemacht worden noch die für eine Satzungsänderung notwendige Form des § 124 Abs. 2 Satz 2 AktG gewahrt - und damit jede Beschlussfassung gemäß § 124 Abs. 4 AktG untersagt - war. Offenkundig lagen auch die Voraussetzungen einer Vollversammlung gemäß § 121 Abs. 6 AktG nicht vor, da der für die Klägerin auftretende Rechtsanwalt Schulte einer Beschlussfassung widersprochen hatte.

2. Auf diese Mängel - die nicht zur Nichtigkeit führen (vgl. Kubis, in: Münchener Kommentar, AktG, 2. Aufl., § 124 Rn. 64 m.w.N.; Werner, in: Großkommentar AktG, 4. Aufl., § 124 Rn. 8) - kann die Klägerin aber die Anfechtungsklage nicht stützen, da ihr insoweit im Hinblick auf § 20 Abs. 7 AktG die Anfechtungsbefugnis fehlt.

Die dargelegte restriktive Interpretation von § 20 Abs. 7 AktG (vgl. oben B.I.2.b)) bezieht sich ausschließlich auf die den Beschlussfassungen wegen der Stimmlosigkeit anhaftenden Mängel, nicht aber auf sonstige Verfahrensfehler. Insoweit hat es dabei zu verbleiben, dass die Mitgliedschaftsrechte der Klägerin am 30.09.2003 objektiv geruht haben und sie damit eine Anfechtungsbefugnis nicht auf die Verletzung von Teilhaberechten stützen kann.

C.

Die Kostenentscheidung folgt für das Berufungsverfahren aus § 91 Abs. 1 ZPO und für den erstinstanzlichen Rechtsstreit - wegen des im Rechtsmittelzug nicht weiterverfolgten Antrags auf Beschlussfeststellung - aus § 92 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

D.

Die Revision war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen, da zumindest die Rechtswirkungen eines stimmlos gefassten Beschlusses und die Anfechtungsbefugnis eines die Mitteilungspflicht aus § 20 Abs. 1 Satz 1 AktG verletzenden Aktionärs grundsätzliche Bedeutung haben.

Ende der Entscheidung

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