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Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 15.11.1999
Aktenzeichen: 2 U 2303/99
Rechtsgebiete: GmbHG, AktG


Vorschriften:

GmbHG § 48
AktG § 246
§ 48 GmbHG; § 246 AktG

1. Erscheint ein Gesellschafter zur Gesellschafterversammlung nicht pünktlich, kann diese gehalten sein, mit dem Aufruf oder mit Beschlussfassungen angemessene Zeit zuzuwarten.

2. Eine Verletzung dieser Wartepflicht führt zur Anfechtbarkeit - nicht zur Nichtigkeit - von Beschlussfassungen.

3. Eine Gesellschafterversammlung kann beschließen, dass der Geschäftsanteil eines ausgeschlossenen Gesellschafters unter einer aufschiebenden Bedingung eingezogen wird.

4. Eine in der Satzung für das schiedsgerichtliche Verfahren bestimmte Klagefrist ist bei fehlender Schiedsfähigkeit des Verfahrensgegenstandes auch für das gerichtliche Verfahren maßgebend.

OLG Dresden, Urteil vom 15.11.1999 - 2 U 2303/99 - (rechtskräftig)


Zum Sachverhalt:

Der Kläger ficht Gesellschafterbeschlüsse an, durch die er als Gesellschafter ausgeschlossen sowie seine Geschäftsanteile aufgeteilt und auf seine Mitgesellschafter übertragen wurden.

Seit 1995 kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Kläger und seinen Mitgesellschaftern, da jene die Interessen der beklagten GmbH durch das Verhalten des Klägers gefährdet sahen.

In der Gesellschafterversammlung vom 19.11.1998, an welcher der Kläger nicht teilnahm, wurde gemäß § 9 Abs. 5 der Satzung die fehlende Beschlussfähigkeit festgestellt. Mit Schreiben vom selben Tage lud der Geschäftsführer den Kläger und die Mitgesellschafter zu einer weiteren Versammlung auf den 01.12.1998, 11.00 Uhr.

Bei dem - exakt zum vorgesehenen Zeitpunkt erfolgten - Aufruf dieser Gesellschafterversammlung war der Kläger nicht anwesend. Mit den Stimmen der Mitgesellschafter wurde sodann beschlossen, den Kläger aus wichtigem Grund als Gesellschafter auszuschließen und seinen Geschäftsanteil vorsorglich einzuziehen, falls er dessen Teilung und Übertragung verweigere.

Nachdem die Gesellschafterversammlung die vorgenannten Beschlüsse bereits gefasst hatte, kündigte die Ehefrau des Klägers gegen 11.08 Uhr telefonisch dessen baldiges Erscheinen an. Daraufhin wurde ihr mitgeteilt, dass die Gesellschafterversammlung bereits beendet sei.

Mit seiner am 04.01.1999 bei Gericht eingegangenen Klage hat der Kläger begehrt, die am 01.12.1998 gefassten Beschlüsse über seinen Ausschluss und die Einziehung seines Geschäftsanteils für nichtig zu erklären.

Da der Klageschrift der angekündigte Verrechnungsscheck über den Gerichtskostenvorschuss nicht beigefügt war, wurde der Kläger mit Schreiben des Landgerichts vom 08.01.1999, eingegangen am 12.01.1999, aufgefordert, einen Gerichtskostenvorschuss in Höhe von DM 877,50 einzuzahlen. Dieser Betrag wurde am 02.03.1999 vom Kläger angewiesen und der Landesjustizkasse am 04.03.1999 gutgeschrieben. Die Klage wurde der Beklagten daraufhin am 10.03.1999 zugestellt.

Das Landgericht hat die auf Anfechtung der Beschlüsse vom 01.12.1998 gerichtete Klage abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers.

Entscheidungsgründe:

A.

Die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Die - Nichtigkeitsgründe einschließende (vgl. BGHZ 134, 364 [366 f.]) - Anfechtungsklage ist unbegründet, da die unter dem 01.12.1998 gefassten Beschlüsse der Beklagten weder aus formellen Gründen noch wegen schwerwiegender inhaltlicher Rechtsverstöße nichtig sind (unten I.) und der Kläger mit auf Anfechtungsgründe gestützten Angriffen präkludiert ist (unten II.).

I.

Die Beschlussfassung leidet weder an einem zur Nichtigkeit führenden Verfahrensmangel (unten 1.) noch ist sie inhaltlich mit Gesetz und Satzung schlechhin unvereinbar (unten 2.).

1. In formeller Hinsicht sind die angegriffenen Beschlüsse ohne schwerwiegende Versäumnisse ergangen.

a) Das Ladungsschreiben vom 19.11.1998 wahrt die gesetzlichen und statuarischen Anforderungen, da der hierzu ermächtigte Geschäftsführer die Gesellschafterversammlung einberufen und dem Kläger in der nach § 9 Abs. 1 der Satzung wirksam zugelassenen einfachen Schriftform (vgl. Thüringer OLG GmbHR 1996, 536 [537]) die Tages- und Uhrzeit sowie den Versammlungsort mitgeteilt hat (vgl. BGH GmbHR 1989, 120 [122]); Hüffer, in: Hachenburg/Ulmer, GmbHG, 8. Aufl., § 51 Rn. 16).

b) Ob die Gesellschafterversammlung am 01.12.1998 gemäß § 9 Abs. 5 der Satzung ohne Anwesenheit des Klägers beschlussfähig war, ob die Ladungsfrist eingehalten war und ob dem Einladungsschreiben trotz des Hinweises auf die unveränderte Tagesordnung eine Abschrift derselben beigefügt werden musste (vgl. § 51 GmbHG i.V.m. § 9 der Satzung), kann dahinstehen, da etwa hierbei unterlaufene Verfahrensfehler keine Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse bewirkten (vgl. zur Beschlussfähigkeit: Scholz, GmbHG, 8. Aufl., § 48 Rn. 3; BGH GmbHR 1989, 120 [122]; zur Ladungsfrist: BGHZ 100, 265; Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Auflage, § 51 Rn. 21; zur Tagesordnung: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 51 Rn. 16 und Anhang § 47 Rn. 20).

c) Die am 01.12.1998 gefassten Beschlüsse sind auch nicht wegen Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht nichtig.

aa) Allerdings haben die Gesellschafter der Beklagten pflichtwidrig gehandelt, indem sie die Gesellschafterversammlung trotz Abwesenheit des Klägers genau zum vorgesehenen Zeitpunkt eröffnet und dann binnen weniger Minuten die angegriffenen Beschlüsse getroffen haben.

(1) Eine Gesellschafterversammlung mag freilich nicht ohne Weiteres gehalten sein, vor Aufruf oder vor einer Beschlussfassung das Erscheinen eines abwesenden Gesellschafters abzuwarten. Hier folgt eine entsprechende Pflicht zur Rücksichtnahme aber daraus, dass die Beklagte personalistisch geprägt ist, etwaige Rückfragen bei dem in unmittelbarer Nähe zum Tagungsort wohnhaften Kläger unschwer möglich gewesen wären, dessen angegriffene gesundheitliche Verfassung kurzfristig auftretende Erschwernisse oder Behinderungen als nicht unwahrscheinlich erscheinen ließen und die Tagesordnung nachhaltig in die gesellschaftsrechtliche Stellung des Klägers eingreifende Beschlüsse vorsah (vgl. OLG Hamm DB 1998, 250 [251]).

(2) Eine angemessene Wartepflicht entfiel nicht dadurch, dass der Kläger der vorangegangenen Versammlung vom 19.11.1998 ohne Entschuldigung ferngeblieben war.

Aus diesem Verhalten durfte die Beklagte nicht den Schluss ziehen, der Kläger werde auch auf der Folgeversammlung vom 01.12.1998 sein Teilnahmerecht nicht ausüben. Dies gilt umso mehr, als der Kläger vor der Versammlung keine entsprechenden Andeutungen gemacht hatte und die Mitgesellschafter - wie von der Beklagten im Verhandlungstermin vor dem Senat eingeräumt - zunächst eher mit dessen Erscheinen gerechnet hatten.

bb) Diese Verletzung der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht führt jedoch nicht zur Nichtigkeit der auf der Versammlung vom 01.12.1998 gefassten Beschlüsse.

(1) Zwar kann eine Beeinträchtigung des - auch bei Stimmrechtsausschluss bestehenden (BGH GmbHR 1985, 256 [257]; BGH GmbHR 1971, 207) - Teilnahmerechts eines Gesellschafters die Nichtigkeit von Beschlussfassungen bewirken (vgl. zuletzt OLG Brandenburg NJW-RR 1999, 543 [545]). Als derartigen Eingriff in die Befugnis zur Anwesenheit lässt sich eine Verletzung der Wartepflicht aber nicht verstehen, da bei ihr nicht durch ein Handeln oder Unterlassen das Erscheinen erschwert oder vereitelt (vgl. zur Verhinderung: BGH GmbHR 1985, 256 [258]), sondern allein auf ein in der Sphäre des Gesellschafters liegende Säumnis nicht mit der gebotenen Behutsamkeit reagiert wird.

(2) Ob ein schwerwiegender Verfahrensfehler vorläge, wenn die Gesellschafterversammlung vor den angegriffenen Beschlussfassungen gewusst hätte, dass der Kläger alsbald erscheinen werde, kann dahinstehen.

Der Senat vermag nämlich weder festzustellen, dass die Mitgesellschafter positiv um die beabsichtigte Teilnahme des Klägers wussten noch dessen Verspätung rechtsmissbräuchlich ausnutzten, um ihn durch eine voreilige Entscheidung zu überrumpeln oder um jeglicher Konfrontation mit ihm von vorn herein aus dem Weg zu gehen (vgl. zur Abgrenzung: OLG Hamm DB 1998, 250 [251]). Dies gilt umso mehr, als der Kläger bei den Beschlussfassungen über die streitgegenständlichen Beschlüsse ohnehin nicht stimmberechtigt gewesen wäre (vgl. Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., Anhang § 34 Rn. 9 m.w.N.) und damit für die beiden Mitgesellschafter nicht zu befürchten stand, dass eine Anwesenheit des Klägers zu einem anderen Stimmenverhältnis führen werde.

(3) Geht aber die Verletzung der Wartepflicht nicht mit der gezielten Ausnutzung der Abwesenheit des Klägers einher, führt sie nicht zur Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse.

Gegen die hierfür erforderliche schwerwiegende Rechtsverletzung spricht insbesondere, dass sich die Mitgesellschafter bei rein formaler Betrachtung an Gesetz und Satzung gehalten und lediglich nicht jene Schranken beachtet haben, die ihnen durch die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bei der Rechtsausübung gesetzt sind. Hinzu kommt, dass sich die Voraussetzungen und der Umfang der Wartepflicht aus einzelfallbezogenen Umständen ableiten und damit eine unerträgliche Rechtsunsicherheit in die Gesellschaft getragen würde, wenn eine mit überzogener Eile durchgeführte Gesellschafterversammlung zur Unwirksamkeit von Beschlussfassungen führte.

2. Die am 01.12.1998 ergangenen Beschlüsse weisen auch inhaltlich keine schwerwiegenden Gesetzes- oder Satzungsverstöße auf.

a) Es erscheint nicht als offensichtlich rechtswidrig und willkürlich, dass die Mitgesellschafter einen - nach § 17 Abs. 1 der Satzung den Ausschluss des Klägers rechtfertigenden - wichtigen Grund darin sahen, dass dieser die ihm angelasteten Äußerungen über den Geschäftsführer der Beklagten in einer Fernsehsendung verbreitet haben soll. ...

b) Ebenso wenig ist der unter Tagesordnungspunkt 2. gefasste Beschluss nichtig, da durch ihn in Übereinstimmung mit § 17 Abs. 3 der Satzung der Geschäftsanteil des Klägers unter der aufschiebenden Bedingung eingezogen und geteilt wurde, dass dieser einer Übertragung nicht innerhalb der satzungsmäßig vorgegebenen Fristen zustimme.

aa) Diese satzungskonforme Interpretation der Beschlussfassung folgt nicht nur aus den - zu deren Verständnis heranzuziehenden - protokollierten Erklärungen der Mitgesellschafter, sondern auch aus der dem Geschäftsführer erteilten Ermächtigung (vgl. dazu: Baumbach/Hueck, a.a.O., § 34 Rn. 11), die Einziehung des Geschäftsanteils des Klägers zu betreiben, sofern dieser einer Übertragung nicht zustimme.

bb) Wortlaut und Regelungszweck von § 17 Abs. 3 der Satzung lassen zu, dass die Beschlussfassung über die Einziehung und Aufteilung des Geschäftsanteils aufschiebend bedingt - also nicht erst nach Ablauf der Übertragungsfrist - erfolgt.

Für eine solche Auslegung spricht namentlich, dass die Gesellschafter ein berechtigtes Interesse daran haben, nach einem Gesellschafterausschluss baldmöglichst Klarheit über die neue Zusammensetzung der Gesellschafter zu erlangen. Anerkennenswerte Belange des Klägers werden durch eine aufschiebend bedingte Beschlussfassung nicht berührt, da seine Berechtigung, den Geschäftsanteil innerhalb von 14 Tagen an die Beklagte abzutreten, nicht beschnitten wird (vgl. allgemein: Ulmer, in: Hachenburg/Ulmer, a.a.O., § 34 Anhang 59 ff. und § 17 Rn. 28; zur Eventualeinberufung: BGH ZIP 1998, 335).

II.

Die Anfechtbarkeit der am 01.12.1998 gefassten Beschlüsse ist entfallen, da der Kläger die durch § 11 Abs. 1, Abs. 2 der Satzung auf einen Monat vorgegebene Anfechtungsfrist versäumt hat. ...

1. Die in § 11 Abs. 1 der Satzung bestimmte Monatsfrist zur Klageerhebung entspricht dem durch § 246 Abs. 1 AktienG für die GmbH vorgegebenen gesetzlichen Leitbild und konnte hierdurch in der Satzung ebenso wirksam festgelegt werden (vgl. BGHZ 104, 66 [73]; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., Anhang § 47 Rn. 178; Scholz, GmbHG, a.a.O., § 45 Rn. 144) wie der in § 11 Abs. 2 der Satzung auf den Folgetag der Beschlussfassung vorgegebene Beginn der Anfechtungsfrist (vgl. OLG Schleswig OLG-Report 1998, 265 [266]; Hachenburg/Ulmer, a.a.O., Anhang § 47 Rn. 183; Scholz, a.a.O., § 45 Rn. 145).

Zwar knüpft § 11 Abs. 1 der Satzung nach dem Wortlaut an die Einleitung eines schiedsgerichtlichen Verfahrens an. Da Beschlussstreitigkeiten nicht schiedsfähig sind (vgl. BGHZ 132, 278 [285 f.]), entspricht es aber dem erkennbaren Regelungszweck, die statuarisch vorgesehene Klagefrist auch auf das gerichtliche Verfahren zu übertragen. Dies gilt umso mehr, als § 11 Abs. 1 der Satzung keinen spezifischen Bezug zu Besonderheiten des schiedsgerichtlichen Verfahrens aufweist, sondern offensichtlich allgemeine gesellschaftsrechtliche Grundsätze zur Bemessung der Klagefrist auf gesellschaftsvertragliche Ebene heben soll.

2. Der Kläger hat die Anfechtungsfrist nicht gewahrt, da die fristgerecht bei Gericht eingegangene Klageschrift nicht "demnächst" i.S.v. § 270 Abs. 3 ZPO zugestellt wurde. ...

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