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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 10.08.2005
Aktenzeichen: 2 U 290/05
Rechtsgebiete: AktG, ZPO


Vorschriften:

AktG § 249
ZPO § 57
Einer in Insolvenz befindlichen Aktiengesellschaft kann auf eine vom Insolvenzverwalter geführte Nichtigkeitsklage ein Prozesspfleger bestellt werden, wenn die Aufsichtsratsmitglieder - nicht aber die Vorstandsmitglieder - ihre Ämter wirksam niedergelegt haben.
Oberlandesgericht Dresden

Aktenzeichen: 2 U 290/05

Beschluss

des Vorsitzenden des 2. Zivilsenats

vom 10.08.2005

In dem Rechtsstreit

wegen aktienrechtlicher Forderung

hat der 2. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden ohne mündliche Verhandlung durch Vizepräsident des Oberlandesgerichts Hagenloch

beschlossen:

Tenor:

Für die Beklagte zu 1) wird Rechtsanwalt A., , c/o , , als Prozesspfleger für den Wirkungskreis des vorliegenden Rechtsstreits bestellt.

Gründe:

A.

Der Kläger begehrt, für die Beklagte zu 1) im vorliegenden Rechtsstreit einen Prozesspfleger zu bestellen.

Das Amtsgericht C. eröffnete mit Beschluss vom 01.09.2002 ( ) das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten zu 1) (künftig: Schuldnerin) und bestellte den Kläger zum Insolvenzverwalter. Dieser hat im August 2003 beim Landgericht Z. gegen die Schuldnerin und den zum Sonder-Insolvenzverwalter mit Wirkungskreis für den vorliegenden Rechtsstreit bestellten Beklagten zu 2) Klage mit dem Antrag erhoben, den Jahresabschluss der Schuldnerin zum 31.12.1999 und den Gewinnverwendungsbeschluss der Hauptversammlung der Schuldnerin vom 15.06.2000 als nichtig festzustellen. Mit Urteil vom 25.08.2004, dem Beklagten zugestellt am 20.01.2005, hat das Landgericht Z. gemäß den Anträgen des Klägers erkannt. Nach Verkündung dieses Urteils wurde der Rechtsstreit auf Antrag der Beklagten zu 1) vom Landgericht Z. durch Beschluss vom 30.12.2004 ( ) ausgesetzt. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Mitglieder des Aufsichtsrats der Schuldnerin ihr Mandat am 23./24.11.2003 niedergelegt hätten und die Schuldnerin hierdurch im vorliegenden Rechtsstreit nicht mehr von den gemäß § 246 Abs. 2 AktG zuständigen Organen vertreten sei.

Gegen dieses Urteil haben der Beklagte zu 2) sowie die dem Beklagten als Streithelfer beigetretene Abschlussprüferin und die dem Beklagten als Streithelfer beigetretenen früheren Vorstände und Hauptaktionäre Berufung eingelegt. Die vom Kläger und vom Beklagten zu 2) gestellten Anträge auf Aufnahme des Verfahrens hat der Senat mit Beschluss vom 17.05.2005 mangels Antragsbefugnis abgelehnt. Auf entsprechenden Hinweis des Senats hat der Kläger mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 06.05.2005 hilfsweise beantragt, der Beklagten zu 1) einen Prozesspfleger zu bestellen.

B.

Diesem Gesuch des Klägers war gemäß § 57 Abs. 1 ZPO zu entsprechen.

I.

Entgegen den Erwägungen der als Streithelfer beigetretenen Hauptaktionäre und früheren Vorstände steht einer Prozesspflegerbestellung nicht entgegen, dass die Schuldnerin bei Klagezustellung über organschaftliche Vertreter verfügte und diese erst im Verlauf des Rechtsstreits ihre Ämter niedergelegt haben.

Den beiden Streithelfern ist zwar zuzugeben, dass in der Literatur teilweise die Auffassung vertreten wird, eine Pflegerbestellung scheide aus, wenn das Vertretungsorgan nach Eintritt der Rechtshängigkeit weggefallen sei (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 25. Aufl., § 57 Rn. 3; Musielak/Weth, ZPO, 4. Aufl., § 57 Rn. 2). Diese Sicht bleibt aber am Wortlaut von § 57 Abs. 1 ZPO stehen und berücksichtigt weder, dass der Normzweck (vgl. BGHZ 93, 1 [9]) eine Prozesspflegerbestellung unabhängig von der Rechtshängigkeit der Klageforderung gebietet, noch dass bei einem nach Klagezustellung erfolgenden Wegfall des Vertretungsorgans die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die durch den Justizgewährleistungsanspruch an eine effektive Rechtsverfolgung gestellt sind, nicht geringer sind als bei einer von vornherein mangelnden Prozessfähigkeit eines Beklagten. Auch vermag der Senat nicht zu erkennen, aus welchem sachlichen Grunde einem Kläger die Fortführung eines infolge nachträglich eingetretener Prozessunfähigkeit ausgesetzten Prozesses nicht unter denselben Voraussetzungen eröffnet werden sollte wie die Einleitung eines Rechtsstreits gegen eine von vornherein prozessunfähige Partei (im Ergebnis ebenso: OLG Stuttgart MDR 1996, 198; Stein/Jonas/Bork, ZPO, 22. Aufl., § 57 Rn. 2; MünchKommZPO/Lindacher, 2. Aufl., § 57 Rn. 8).

II.

Die Schuldnerin ist prozessunfähig, da sie gemäß § 249 Abs. 1 Satz 1, § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG im vorliegenden Rechtsstreit durch Vorstand und Aufsichtsrat vertreten wird und aus den im Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 20.10.2004 - 3 W 966/04 - genannten Gründen zumindest die Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt wirksam niedergelegt haben.

III.

Entgegen der von den Streithelfern der Beklagten vertretenen Sicht ist für die Bestellung eines Prozesspflegers auch die nach § 57 Abs. 1 ZPO erforderliche "Gefahr im Verzug" vorhanden.

1. Ohne eine Prozesspflegerbestellung ist die Verwirklichung der vom Kläger im vorliegenden Rechtsstreit verfolgten Ansprüche auf nicht absehbare Zeit vereitelt.

a) Es besteht kein Anhalt dafür, dass die Schuldnerin ohne eine vom Senat nach § 57 Abs. 1 ZPO zu treffende Entscheidung ihre Prozessfähigkeit in überschaubarer Zeit wird erlangen können.

Dies verstünde sich dann, wenn sowohl Vorstand als auch Aufsichtsrat der Schuldnerin ihre Ämter wirksam niedergelegt hätten, von selbst, gälte aber auch, wenn mit dem Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 20.10.2004 (3 W 966/04) davon auszugehen wäre, dass ein Vorstand der Schuldnerin noch vorhanden ist. Die beiden dann als Vorstandsmitglieder noch berufenen Personen haben nämlich schon vor langem auf die Amtsniederlegung gerichtete Erklärungen abgegeben und hierdurch ihren Willen, für die Schuldnerin nicht länger Verantwortung übernehmen zu wollen, augenfällig dokumentiert.

Auch teilt keiner der zahlreichen Verfahrensbeteiligten irgendwelche Anzeichen dafür mit, dass die beiden Vorstandsmitglieder irgendwelche Maßnahmen ergriffen haben, um eine Hauptversammlung der Schuldnerin einzuberufen und auf einer solchen die Wahl eines neuen Aufsichtsrats gemäß § 101 Abs. 1 AktG herbeizuführen.

b) Ohne eine durch den Senat erfolgende Prozesspflegerbestellung ist die Verwirklichung der streitgegenständlichen Ansprüche zumindest erheblich gefährdet, wohl sogar endgültig vereitelt.

aa) Es spricht bereits viel dafür, dass dem Kläger nicht die Befugnis zukommt, in einem Verfahren nach § 104 Abs. 1 AktG, § 145 FGG die Bestellung eines Aufsichtsrats beim Registergericht zu beantragen (vgl. zur Rechtsstellung des Insolvenzverwalters in aktienrechtlichen Angelegenheiten: Hüffer, AktG, 6. Aufl., § 264 Rn. 11). Jedenfalls aber ist das Verfahren nach § 104 Abs. 1 AktG jenem nach § 57 Abs. 1 ZPO nachrangig, wenn - wie vorliegend - ein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Bestellung eines Vertreters ausschließlich wegen eines konkreten Prozessrechtsverhältnisses besteht.

Wie der Senat in seinem Beschluss vom 11.12.2001 - 2 W 1848/01 - (GmbHR 2002, 163) für die Geschäftsführung einer GmbH ausgeführt hat, gebietet das jedes hoheitliche Handeln prägende Verhältnismäßigkeitsgebot, von der gerichtlichen Bestellung des Aufsichtsrats nach § 104 Abs. 1 AktG wegen des intensiveren Eingriffs in die Selbstorganschaft der Aktiengesellschaft abzusehen, wenn den berechtigten Belangen eines Klägers durch die Bestellung eines - nicht über organschaftliche Vertretungsbefugnisse verfügenden - Prozesspflegers Rechnung getragen werden kann. Den insoweit im genannten Senatsbeschluss im Einzelnen dargelegten Gründen steht vorliegend auch nicht entgegen, dass bei der Schuldnerin zumindest nach der vom 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden vertretenen Rechtsansicht ein Vorstand noch vorhanden ist. Zwar wird dessen gesetzliche Mit-Entscheidungskompetenz durch eine Prozesspflegerbestellung beseitigt. Diese - auf die Führung des vorliegenden Passivprozesses beschränkte - Beschneidung der statuarischen und normativen Befugnisse des Vorstandes ist aber in der Eingriffsintensität dennoch geringer als eine nach § 104 Abs. 1 AktG erfolgende gerichtliche Bestellung eines Aufsichtsrats, dem dann alle organschaftlichen Befugnisse zukämen (tendenziell wie hier: OLG Zweibrücken ZIP 2001, 973 [975]; OLG Stuttgart MDR 1996, 198; Münchener Kommentar/Reuter, BGB, 4. Aufl., § 29 Rn. 11; Erman/H.P. Westermann, BGB, 10. Aufl., § 29 Rn. 2; speziell für Insolvenzverfahren: Kulzer, ZIP 2000, 654 [655]; zum entsprechenden Willen des historischen Gesetzgebers: Mugdan, Die gesammelten Materialien zum Bürgerlichen Gesetzbuch des Deutschen Reiches, I. Band, S. 407; tendenziell a.A.: BayObLGZ 1998, 179 [184]; KG BB, 2000, 998 [999]; Soergel/Hadding, BGB, 13. Aufl., § 29 Rn. 8 m.w.N.).

bb) Der Senat vermag des Weiteren nicht die von zwei Streithelfern vertretene Sicht zu teilen, dass dem Kläger wegen der gegen den Beklagten zu 2) als Sonder-Insolvenzverwalter erhobenen Klage eine effektive Prozessführung ohne Bestellung eines Prozesspflegers für die Schuldnerin eröffnet sei.

Keiner Entscheidung bedarf dabei, ob ein Feststellungsinteresse für die nach § 249 Abs. 1 Satz 1, § 246 Abs. 2 Satz 2 AktG erhobene Nichtigkeitsklage gegenüber der Schuldnerin oder dem als Beklagten zu 2) beteiligten Sonder-Insolvenzverwalter oder beiden Beklagten gegenüber besteht. Entscheidend im Rahmen des Verfahrens nach § 57 Abs. 1 ZPO ist allein, dass sich der Kläger eines entsprechenden Feststellungsanspruchs gegenüber der Schuldnerin berühmt und diesen ohne eine Pflegerbestellung nicht im Rechtsstreit verfolgen kann. Über alle anderen in diesem Zusammenhang von den Verfahrensbeteiligten thematisierten Fragen wird der Senat erst nach einer etwaigen Aufnahme des Rechtsstreits in der Hauptsacheentscheidung zu befinden haben.

2. Dem Kläger drohen ohne eine Aufnahme des infolge der Prozessunfähigkeit der Schuldnerin ausgesetzten Rechtsstreits erhebliche Nachteile, da die Feststellung einer Nichtigkeit der Bilanzfeststellung und des Gewinnverwendungsbeschlusses des Jahres 1999 - erst recht angesichts der Interventionswirkung der erfolgten Streitverkündungen - eine wesentliche Vorfrage bei der Verfolgung etwaiger Ansprüche gegen die Vorstände aus § 93 Abs. 2 AktG, gegen die Aktionäre aus § 62 Abs. 1 AktG und gegen die Abschlussprüferin aus § 323 HGB darstellt.

IV.

Die Pflegerbestellung hatte für die Schuldnerin - nicht für deren Aufsichtsrat - zu erfolgen.

Selbst wenn die von den Vorständen der Schuldnerin erklärten Amtsniederlegungen wegen Rechtsmissbrauchs unwirksam sein sollten, hätte sich die Bestellung eines Prozesspflegers - anders als eine Bestellung durch das Registergericht nach § 104 Abs. 1 AktG - nicht auf den Aufsichtsrat, sondern auf die Kapitalgesellschaft zu beziehen. Dies folgt daraus, dass die Prozessunfähigkeit, an welche § 57 Abs. 1 ZPO anknüpft, die juristische Person als solche betrifft und gesetzlich nur dieser, nicht aber einem rechtlich unselbstständigen Organ, ein Prozesspfleger bestellt werden kann (im Ergebnis ebenso: Thüringer OLG OLGR 2004, 451 [452] für Prozesspfleger einer LPG i.L. ohne Aufsichtsrat).

Im Übrigen sähe die Rechtsordnung auch keine Instrumentarien vor, um Meinungsverschiedenheiten über die Prozessführung zwischen einem gemäß § 57 Abs. 1 ZPO als Prozesspfleger bestellten Aufsichtsrat und einem gemäß den aktienrechtlichen Vorschriften gebildeten Vorstand bewältigen zu können. Insbesondere könnte Letzterer bei einer ansonsten nicht lösbaren Konfliktlage nicht gemäß § 54 Abs. 3 AktG abberufen werden, da sich der Wirkungskreis eines Prozesspflegers - anders als jener eines von der Hauptversammlung oder vom Registergericht bestellten Aufsichtsrats - auf die Prozessführung beschränkt und damit weder eine Einberufung der Hauptversammlung zwecks Vertrauensentzugs nach § 111 Abs. 3, § 84 Abs. 3 Satz 2 AktG noch eine Abberufung aus einem sonstigen wichtigen Grunde eröffnet.

Ende der Entscheidung

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