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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 06.09.2007
Aktenzeichen: 2 Ws 423/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 453
StPO § 463
StGB § 68b
1.) Die zur Ausgestaltung der Führungsaufsicht erteilten Weisungen nach § 68 b Abs. 1 StGB sind wegen der Strafbestimmung des § 145 a StGB genau zu bestimmen. Erst die genaue Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens gibt dieser Strafnorm, für die die Weisungen die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die hinreichenden Konturen und gewährleisten ihre Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG. Die Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes begründet die Rechtswidrigkeit einer Weisung.

2.) Die Amtsaufklärungspflicht der Strafvollstreckungskammer verlangt die Feststellung konkreter Anknüpfungstatsachen zur sachgemäßen Ausgestaltung der Führungsaufsicht. Bei ihrer Entscheidungsfindung hat die Kammer im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Ermessensausübung eine strenge Prüfung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vorzunehmen.


Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat Beschluss

Aktenzeichen: 2 Ws 423/07

vom 06. September 2007

in der Führungsaufsichtssache gegen

wegen sexueller Nötigung u. a. hier: nachträgliche Ausgestaltung der Führungsaufsicht

Tenor:

1. Auf die Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstrekkungskammer des Landgerichts Zwickau mit dem Sitz in Plauen vom 26. Juli 2007 aufgehoben.

2. Die Sache wird zur erneuten Durchführung des Verfahrens und Entscheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats, auch über die Kosten dieser Beschwerde, an die Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Beschluss vom 09. März 2007 hatte die Strafvollstreckungskammer festgestellt, dass bei dem Beschwerdeführer nach Vollverbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren kraft Gesetzes Führungsaufsicht eintritt, weil eine der zugrundeliegenden Einzelfreiheitsstrafen mehr als ein Jahr betrug und wegen einer vorsätzlichen Sexualstraftat verhängt worden war. Zugleich hat die Strafvollstreckungskammer die Führungsaufsicht inhaltlich ausgestaltet; die Entscheidung ist seit dem 27. März 2007 rechtskräftig.

Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss vom 26. Juli 2007 hat die Strafvollstreckungskammer nachträglich die Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht erweitert. Sie hat dem Beschwerdeführer verboten, alkoholische Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen und ihn angewiesen, sich auf Aufforderung seiner Bewährungshelferin "auf eigene Kosten Suchtmittelkontrollen zu unterziehen" und ihr das Ergebnis mitzuteilen. Darüber hinaus soll sich der Beschwerdeführer mindestens zweimal monatlich in "die Behandlung einer Beratungs- oder Behandlungsstelle für suchtkranke Menschen" begeben und "sofern die Behandlungsstelle eine Langzeittherapie für erforderlich hält, diese aufnehmen" und solange beizubehalten, "wie dies aus der Sicht der Therapeuten erforderlich" ist.

Mit seinem aufgrund fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung als "sofortige Beschwerde" bezeichneten Rechtsmittel wendet sich der Betroffene gegen die seiner Ansicht nach bestehende Unangemessenheit der Weisungen. Er könne angesichts eines monatlichen Einkommens in Höhe von nur 345,00 EUR (ALG II) und Verpflichtungen von über 80,00 EUR pro Monat nicht auf eigene Kosten Suchtmittelkontrollen durchführen lassen. Im Übrigen strebe er bereits eine Langzeittherapie an und gehe zur Suchtberatung.

II.

Die (einfache) Beschwerde des Verurteilten ist zulässig.

1. Das Rechtsmittel ist entgegen der fehlerhaften Belehrung der Strafvollstreckungskammer nicht fristgebunden, §§ 463 Abs. 2, 453 Abs. 2 Satz 1 StPO. Soweit die Strafvollstreckungskammer vorliegend eine Abhilfeentscheidung unterlassen hat, steht dies der sofortigen Entscheidung des Senats über die Beschwerde nicht entgegen, da die Abhilfeentscheidung keine Verfahrensvoraussetzung darstellt und der Senat an einer Entscheidung auch nicht aus tatsächlichen Gründen gehindert ist (Meyer-Goßner StPO 50. Aufl. § 306 Rdnr. 10).

Nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO kann das Rechtsmittel nur darauf gestützt werden, dass eine Anordnung gesetzeswidrig sei. Daher bestimmt die Vorschrift ein nur eingeschränktes Nachprüfungsrecht des Beschwerdegerichts. Auf den Vortrag des Beschwerdeführers kommt es nicht an. Dies ergibt sich bereits aus dem Umstand, dass Beschwerden gegen Gerichtsbeschlüsse gar keines Begründungsvortrags für ihre Zulässigkeit bedürfen.

Von Amts wegen ist die Gesetzmäßigkeit der Weisungen zu prüfen. Dabei liegt die Rechtswidrigkeit einer Anordnung vor, wenn sie im Gesetz nicht vorgesehen, sie unverhältnismäßig oder unzumutbar ist, oder wenn sie sonst die Grenzen des dem erstinstanzlichen Gericht eingeräumten Ermessens überschreitet (vgl. Fischer in KK-StPO 5. Aufl. § 453 Rdnr. 13; Meyer-Goßner § 453 Rdnr. 12; Pfeiffer StPO 4. Aufl. § 453 Rdnr. 5, jeweils m.w.N.). Ansonsten verbleibt es bei dem Grundsatz, die mit Führungsaufsichtsanordnungen verbundenen Ermessensentscheidungen der ersten Instanz zu überlassen (vgl. OLG Stuttgart NStZ 2000, 500 m.w.N., dort zu Bewährungsanordnungen).

2. Gemessen hieran hat die Nachtragsentscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 26. Juli 2007 keinen Bestand.

a) Mit der seit dem 18. April 2007 geltenden Neufassung des (nach wie vor abschließenden, weil strafbewehrt -§ 145 a StGB) Katalogs zulässiger Weisungen in § 68 b Abs. 1 Satz 1 StGB hat der Gesetzgeber in Nummer 10 der Vorschrift zusätzlich die Möglichkeit eröffnet, einem Betroffenen die Weisung aufzuerlegen, "keine alkoholischen Getränke oder andere berauschende Mittel zu sich zu nehmen, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen Gründe für die Annahme bestehen, dass der Konsum solcher Mittel zur Begehung weiterer Straftaten beitragen wird, und sich Alkohol- oder Suchtmittelkontrollen zu unterziehen, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind."

Ungeachtet dessen, dass bestimmte Tatsachen, die die Vermutung weiterer Delinquenz rechtfertigen müssen, von der Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer Amtsaufklärung positiv festzustellen sind, ist die in § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 10 StGB vorgesehene Weisung gesetzlich auf solche Kontrollen beschränkt, die nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden sind. Weitergehende Anordnungen sind dagegen ausdrücklich an die Einwilligung des Betroffenen geknüpft.

Diese gesetzliche Schranke hat die Strafvollstreckungskammer nicht beachtet; ihre Anordnung ist zu weitgehend. Allerdings kann sie der Senat nicht auf das gesetzlich zulässige Maß reduzieren, weil dem angefochtenen Beschluss schon dem Grunde nach eine nachvollziehbar dargelegte Ausübung eines Ermessens nicht zu entnehmen ist.

Die Strafvollstreckungskammer hat es zudem unterlassen, "bestimmte" Tatsachen für die berechtigte Annahme (nicht: bloße Mutmaßung) eines künftigen Delinquenzrückfalls festzustellen und auf dieser Grundlage ihre Ermessensabwägung im angefochtenen Beschluss darzustellen. Allein ihre Begründung, die "Suchtproblematik des Verurteilten" sei "wieder aktuell", reicht nicht aus. (Die "Aktualität" der "Suchtproblematik" erschließt sich im Übrigen auch nicht aus dem vorgelegten Führungsaufsichtsheft. Dem Vermerk des Sachbearbeiters bei der Führungsaufsichtsstelle vom 25. Mai 2007 ist lediglich zu entnehmen, dass der Verurteilte von "zahlreichen Alkohol- bzw. Drogenrückfällen in der Vergangenheit" berichtet hätte.) Immerhin scheint der Entschluss des Beschwerdeführers, sich selbständig einer Langzeittherapie zur Bekämpfung seiner Alkoholabhängigkeit zu unterziehen, nicht unglaubhaft. Im Rahmen der Amtsaufklärungspflicht hätte die Strafvollstreckungskammer im Vorfeld ihrer Entscheidung sowohl die Führungsaufsichtsstelle als auch die zuständige Bewährungshelferin anhören müssen; zumindest letzteres ist unterblieben. Auch scheint es im Hinblick auf den erheblichen (bei Verstoß immerhin strafbewehrten!) Grundrechtseingriff ungenügend, dem Betroffenen rechtliches Gehör lediglich im Wege seiner schriftlichen Anhörung, ohne Verschaffung eines persönlichen Eindrucks von ihm, zu gewähren.

b) Auch die weitere Ergänzung der Ausgestaltung der Führungsaufsicht ist rechtswidrig. Die Weisung verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot.

§ 68 b Abs. 1 Satz 2 StGB verpflichtet das Gericht zur genauen Bestimmung des verbotenen oder verlangten Verhaltens. Dies hat im Hinblick auf § 145 a StGB besondere Bedeutung, weil - nur - der Verstoß gegen Weisungen des Maßnahmenkatalogs des § 68 b Abs. 1 Satz 1 StGB strafbewehrt sind. Erst die genaue Bestimmung gibt diesem Tatbestand, für den die Weisungen die Funktion einer Blankettausfüllung haben, die Konturen und gewährleisten die Übereinstimmung mit Art. 103 Abs. 2 GG.

Soweit dem Beschwerdeführer aufgegeben wurde, sich "mindestens zweimal monatlich in die Behandlung einer Beratungs- oder Behandlungsstelle für suchtkranke Menschen zu begegeben", ist nicht erkennbar, ob das Gericht damit die Verpflichtung zur Vorstellung bei einem Arzt oder einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB verhängen (wofür die Erwähnung dieser Vorschrift spricht), oder aber nach § 68 b Abs. 2 Satz 1 StGB dem Verurteilten Vorgaben zu seiner Lebensführung machen wollte. Sofern die Strafvollstreckungskammer eine strafbewehrte Weisung im Sinne des § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB erteilen wollte, hätte sie nicht beachtet, dass die Vorstellungsverpflichtung nur zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen und nur bei einem (jeweils zu bestimmenden) Arzt, einem Psychotherapeuten oder einer forensischen Ambulanz zulässig ist. Sowohl die zeitliche Anordnung "mindestens zweimal monatlich" als auch die allgemein gehaltene Formulierung "Behandlung in einer Beratungs- oder Behandlungseinrichtung" genügt dem Bestimmtheitsgebot nicht.

Darüberhinaus eröffnet die Weisung nach § 68 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 StGB nur die Anordnung einer Vorstellungspflicht, nicht dagegen einer Behandlungspflicht. Der Betroffene soll nur "in das Behandlungszimmer gezwungen" werden (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 28. Juni 2006, BT-Drucks. 16/1993 S. 19). Eine Therapieweisung ist damit nicht verbunden.

Eine solche Anordnung, die, sofern sie nicht mit einem körperlichen Eingriff verbunden ist, nach § 68 b Abs. 2 StGB ohne Einwilligung des Betroffenen grundsätzlich möglich ist, stellt einen erheblichen Eingriff in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht dar. Wenngleich eine solche Weisung damit nicht in den strafbewehrten Katalog des § 68 b Abs. 1 StGB fällt, ist hierbei gleichwohl der verfassungsrechtlich verankerte Verhältnismäßigkeitsgrundsatz streng zu prüfen.

Auch kann die Entscheidung darüber, ob eine (die Therapiewilligkeit voraussetzende) Therapie fortzudauern hat, nicht dem Ermessen eines Therapeuten überlassen bleiben. Diese aus Rechtsgründen zu beanstandende Formulierung der Weisung bedeutet in der Sache, dass Entscheidungsbefugnisse auf einen (vom Gericht noch nicht einmal bestimmten) Therapeuten übertragen werden.

Der angefochtene Beschluss kann wegen der aufgezeigten Fehler keinen Bestand haben. Die Sache war an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen, die erneut zu prüfen haben wird, ob sie dem Verurteilten eine konkretisierte gleichartige Weisung oder eine andere Weisung erteilt bzw. von der Auferlegung einer Weisung absieht. Hierbei wird sie auch das Vorbringen des Beschwerdeführers unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten zu berücksichtigen haben.

Ende der Entscheidung

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