Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 05.04.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 95/05
Rechtsgebiete: StVollzG, StPO, GVG


Vorschriften:

StVollzG § 10
StVollzG § 10 Abs. 2
StVollzG § 10 Abs. 2 Satz 2
StVollzG § 14
StVollzG § 14 Abs. 2
StVollzG § 14 Abs. 2 Nr. 2
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 119 Abs. 4 Satz 2
StVollzG § 121 Abs. 4
StPO § 467
GVG § 52 Abs. 1
GVG § 60
1. Als Rechtsgrundlage für die Rückverlegung eines Strafgefangenen vom offenen in den geschlossenen Vollzug ist allein § 10 ABs. 2 Satz 2 StVollzG (nicht: § 14 Abs. 2 StVollzG) maßgeblich.

2. Ihrer Entscheidung über die (Un)geeignetheit des Gefangenen für den offenen Strafvollzug hat die Vollzugsanstalt einen möglichst vollständig ermittelten Sachverhalt zugrundezulegen, sofern sie ihre Entscheidung auf ein neu anhängiges Ermittlungsverfahren gegen den Gefangenen stützen will. Sie hat dabei zumindest die Wahrscheinlichkeit einer Anklageerhebung und die voraussichtlich noch bevorstehende Dauer des Ermittlungsverfahrens zu klären.

3. Bei Ermittlungsverfahren wegen Vorwürfen, die allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten zurückgehen (hier: Betrugsanzeige des Käufers bei gescheitertem Ebay-Kaufvertrag), ist bei der Rückverlegung größte Zurückhaltung geboten. OLG Dresden, 2. Strafsenat, Beschluss vom 05.04.2005, Az. 2 Ws 95/05


Oberlandesgericht Dresden 2. Strafsenat

Aktenzeichen: 2 Ws 95/05

Beschluss

vom 05. April 2005

in der Strafvollzugssache des

wegen Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug

Tenor:

1. Auf die Rechtsbeschwerde des Antragstellers werden der Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem Sitz in Döbeln vom 11. Januar 2005 und der Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 26. November 2004 - soweit er die Rückverlegung des Antragstellers in den geschlossenen Vollzug betrifft - aufgehoben.

2. Der Leiter der Justizvollzugsanstalt hat über die Verlegung des Antragstellers in den offenen Vollzug unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu entscheiden. Die Sache wird daher an die JVA zurückverwiesen.

3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Beschwerdeführer insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Staatskasse auferlegt.

4. Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit Bescheid vom 26. November 2004 hat die Justizvollzugsanstalt dem Beschwerdeführer, einem Strafgefangenen, zuvor gewährte Vollzugslockerungen und Urlaub widerrufen und seine Zurückverlegung vom offenen in den geschlossenen Vollzug angeordnet. Die Justizvollzugsanstalt hat dies mit zwei gegen den Beschwerdeführer bei der Staatsanwaltschaft Grimma anhängigen Ermittlungsverfahren wegen Betruges in Form von Internet-Verkäufen begründet. Sie hat hierzu im Einzelnen Folgendes ausgeführt:

"Der Gefangene hat zwar seit September 2003 Ausgänge und Urlaub absolviert, die bislang beanstandungsfrei verliefen. Zum 09. Juli 2004 wurde der Gefangene von der Justizvollzugsanstalt Wi in die JVA Wa verlegt. Seit dem 01. Oktober 2004 ist der Gefangene auch zum Freigang zugelassen.

Es besteht der Verdacht, dass der Gefangene während der Lockerungen des Vollzuges und des Freiganges im genannten Zeitraum, die ihm nach dem Ermittlungsverfahren vorgeworfenen Straftaten begangen hat.

Der Gefangene ist mehrfach und einschlägig vorbestraft.

Er wurde u. a. wegen Betruges und Unterschlagung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Auch war er bewährungsbrüchig. Es ist zu befürchten, dass der Gefangene B die Gewährung von Ausgängen, Urlaub und Freigang zur Begehung von Straftaten missbrauchen werde."

Hiergegen richtet sich der Antrag des Gefangenen auf gerichtliche Entscheidung vom 10. Dezember 2004, mit dem er sich gegen seine Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug wendet.

Mit Beschluss vom 10. Januar 2005 hat die Auswärtige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem Sitz in Döbeln den Antrag als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, der Bescheid der Antragsgegnerin vom 26. November 2004 sei "gemäß den §§ 14 Abs. 2 Ziff. 1), 11 Abs. 2 StVollzG gerechtfertigt". Der Widerruf von Lockerungen sei unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 StVollzG möglich, wobei sich die gerichtliche Überprüfung auf die Vertretbarkeit der behördlichen Entscheidung beschränke, welche hier "jedenfalls rechtlich zu vertreten" sei.

Hiergegen richtet sich die auf die Sachrüge gestützte Rechtsbeschwerde des Gefangenen vom 07. Februar 2005. Zur Begründung führt er unter anderem aus, Entscheidungsgrundlage für die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug sei § 10 StVollzG und nicht - wie von der Strafvollstreckungskammer angenommen - § 14 StVollzG.

Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat hierzu Stellung genommen; es hält die Rechtsbeschwerde für begründet.

II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist zulässig.

Die Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG sind gegeben. Die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung ist zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung geboten, da sich der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer allein auf die Widerrufsgründe für Vollzugslockerungen gemäß § 14 Abs. 2 StVollzG stützt und insoweit die vorrangig gebotene Anwendung des § 10 Abs. 2 StVollzG unterlässt.

2. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

a) Die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer beruht auf einer Verletzung des Gesetzes, da die Vorschrift des § 10 Abs. 2 Satz 2 StVollzG bei der Rückverlegung des Beschwerdeführers vom offenen Vollzug in den geschlossenen Vollzug nicht angewendet worden ist (§ 116 Abs. 2 StVollzG).

Die Strafvollstreckungskammer hat allein auf Grundlage des § 14 Abs. 2 StVollzG entschieden; dies ist rechtsfehlerhaft. Nach ganz herrschender Auffassung beurteilt sich eine Rückverlegung vom offenen Vollzug in den geschlossenen Vollzug nicht nach der für den Widerruf von Lockerungen und Urlaub geltenden Vorschrift des § 14 Abs. 2 StVollzG, sondern nach § 10 Abs. 2 Satz 2 StVollzG (OLG Stuttgart NStZ 1986, 45; Arloth/Lückemann, StVollzG Rdnr. 9 zu § 10; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl. Rdnr. 9 zu § 10; anders etwa Schwind/Böhm, StVollzG, 2. Aufl. Rdnr. 12 zu § 10 unter Berufung auf OLG Hamm ZfStrVO 1987, 371.) Die letztgenannte - § 14 Abs. 2 StVollzG entsprechend anwendende - Entscheidung betrifft allerdings den hier nicht vorliegenden Fall, dass die Voraussetzungen für die Verlegung in den offenen Vollzug von Anfang an nicht vorgelegen haben. Der Senat folgt der erstgenannten Auffassung im Hinblick auf den Wortlaut des § 10 Abs. 2 StVollzG und seine systematische Stellung im Gesetz (Vor den Vorschriften der §§ 11 ff. StVollzG über Lockerungen und Urlaub). Darüber hinaus ergibt sich aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 2 Satz 1 StVollzG, dass sich diese Widerrufsvorschrift - jedenfalls unmittelbar - lediglich auf Lockerungen und gewährten Urlaub bezieht.

b) Die Sache ist spruchreif, § 119 Abs. 4 Satz 2 StVollzG. Unter demselben Mangel leidet nämlich auch der Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 26. November 2004.

Dieser Bescheid gibt zwar nicht ausdrücklich an, auf welche Ermächtigungsgrundlage sie die Rückverlegung des Beschwerdeführers vom offenen in den geschlossenen Vollzug stützt. Im letzten Absatz ihres Bescheides spricht die Anstalt jedoch von Missbrauchsgefahr, was darauf schließen lässt, dass auch sie als Ermächtigungsgrundlage für die Rückverlegung § 14 Abs. 2 Nr. 2 StVollzG herangezogen hat.

Darüber hinaus ist der Rückverlegungsbescheid der Justizvollzugsanstalt auch nach den sie bindenden Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz nicht in rechtmäßiger Weise ergangen.

Nach der hier allein in Betracht kommenden Nummer 3 Abs. 1 b) der Verwaltungsvorschrift zu § 10 StVollzG ist ein Gefangener, der sich im offenen Vollzug befindet, in den geschlossenen Vollzug zurückzuverlegen, wenn er sich für den offenen Vollzug als nicht geeignet erweist. Nach Nummer 2 Abs. 1 d) der Verwaltungsvorschrift zu § 10 StVollzG ist ein Gefangener für die Unterbringung im offenen Vollzug in der Regel ungeeignet, gegen den ein Ermittlungs- oder Strafverfahren anhängig ist.

Für ihre Entscheidung hat die Behörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (BGHSt 30, 320). Dies war hier nicht der Fall. Voraussetzung dafür, dass die Justizvollzugsanstalt ein anhängiges Ermittlungs- bzw. Strafverfahren als Begründung für die Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug heranziehen kann, ist, dass sie unter anderem zumindest die Wahrscheinlichkeit einer Anklageerhebung und die voraussichtlich noch bevorstehende Dauer des Ermittlungsverfahrens klärt (vgl. OLG Stuttgart NStZ 1986, 45; KG NStZ 2003, 391). Diesen Mindestanforderungen wird der Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 26. November 2004, der lediglich allgemein gehaltene Wendungen enthält und auf die Vorstrafen des Beschwerdeführers verweist, nicht gerecht.

c) In diesem Zusammenhang merkt der Senat an, dass in Fällen beabsichtigter Rückverlegung in den geschlossenen Vollzug wegen neuer Ermittlungsverfahren, die allein auf zivilrechtliche Streitigkeiten über Geldforderungen zurückgehen, große Zurückhaltung geboten sein wird (vgl. auch KG NStZ 2003, 391, 392, wonach eine solche "neue" Tat zudem von einigem Gewicht sein muss).

III.

Neben dem Beschluss der Strafvollstreckungskammer war daher auch der Bescheid der Justizvollzugsanstalt vom 26. November 2004 aufzuheben, soweit er die Rückverlegung des Beschwerdeführers zum Inhalt hat.

Die Justizvollzugsanstalt wird bei ihrer erneuten Entscheidung zum einen das zwischenzeitliche Verhalten des Beschwerdeführers im geschlossenen Vollzug zu berücksichtigen haben. Zum anderen wird sie sich über das Fortbestehen des Verdachtes in den gegen den Beschwerdeführer geführten Ermittlungsverfahren informieren müssen (vgl. KG a.a.O.). Insofern weist der Senat darauf hin, dass der Verfahrensbevollmächtigte des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 14. Februar 2005 - allerdings nur in allgemein gehaltener Form - mitgeteilt hat, dass zwei Ermittlungsverfahren gegen den Beschwerdeführer bereits eingestellt worden seien.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 StVollzG und einer entsprechenden Anwendung des § 467 StPO. Die Festsetzung des Streitwertes hat ihre Grundlage in §§ 52 Abs. 1, 60 GVG.

Ende der Entscheidung

Zurück