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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 18.09.2009
Aktenzeichen: 20 UF 331/09
Rechtsgebiete: BGB, UVG, SGB XII


Vorschriften:

BGB § 1601
BGB § 1607
BGB § 1610
UVG § 1
UVG § 2
UVG § 7
SGB XII § 2
SGB XII § 94
Unterhaltsvorschussleistungen sind im Verhältnis zu den Großeltern anzurechnendes Einkommen des Kindes und mindern dessen Bedürftigkeit. Das gilt sowohl für bereits gezahlten als auch für noch zu gewährenden Vorschuss.
Oberlandesgericht Dresden 20. Zivilsenat - Familiensenat IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 20 UF 331/09

Verkündet am 18.09.2009

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalts

hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 01.09.2009 durch

Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Möhring, Richter am Oberlandesgericht Piel und Richterin am Oberlandesgericht Maciejewski

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin zu 2) wird das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Leipzig vom 30.04.2009 bezüglich der Klägerin zu 2) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2) ab Rechtskraft des Urteils monatlichen Unterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der zweiten Altersstufe, ab 01.07.2010 der dritten Altersstufe, jeweils abzüglich hälftigen Kindergeldes sowie abzüglich der Leistungen nach §§ 1 ff. Unterhaltsvorschussgesetz, also derzeit einen Zahlbetrag von 82,00 EUR, und ab 01.08.2010 Unterhalt i.H.v. 100 % des Mindestunterhalts der dritten Altersstufe abzüglich hälftigen Kindergeldes zu zahlen. Die Zahlungen haben jeweils bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zu Händen der gesetzlichen Vertreterin der Klägerin zu 2) zu erfolgen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung der Klägerin zu 2) wird zurückgewiesen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Parteien können die Vollstreckung aus dem Urteil durch die Gegenseite abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Von den Kosten des ersten Rechtszugs haben die Klägerinnen jeweils die Hälfte zu tragen.

Von den im zweiten Rechtszug angefallenen Gerichtskosten und außergerichtlichen Kosten der Beklagten haben die Klägerinnen jeweils 30 % zu tragen. Die Beklagte hat von diesen im zweiten Rechtszug angefallenen Gerichtskosten und ihren eigenen außergerichtlichen Kosten 40 % zu tragen.

Die Klägerin zu 1 behält die ihr im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten auf sich.

Von den der Klägerin zu 2 im zweiten Rechtszug entstandenen außergerichtlichen Kosten hat die Beklagte 30 % zu tragen, 70 % behält die Klägerin zu 2 auf sich.

5. Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Klägerinnen haben gegen das Urteil des Familiengerichts vom 30.04.2009 Berufung eingelegt.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 01.09.2009 haben sich die Parteien umfassend über die Unterhaltsansprüche der Klägerin zu 1) verglichen und übereinstimmend festgestellt, dass auch für die Klägerin zu 2) keine Unterhaltsrückstände bestehen. Eine Einigung über die künftigen Unterhaltsansprüche der Klägerin zu 2) erfolgte nicht.

Die Klägerin zu 2) beantragt sinngemäß,

das Urteil des Amtsgerichts - Familiengericht - Leipzig vom 30.04.2009 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, ihr ab Rechtskraft der Entscheidung 100 % Mindestunterhalt der jeweiligen Altersstufe abzüglich hälftigen Kindergeldes zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Ansicht, die Klägerin zu 2) müsse sich auf den ihr gewährten Unterhaltsvorschuss als erzielbares Einkommen verweisen lassen. Ein Unterhaltsvorschussanspruch stehe der Klägerin zu 2) bis zum 31.07.2010 zu. Solange könne sie von der Beklagten mangels Bedürftigkeit keinen Unterhalt beanspruchen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die gewechselten Schriftsätze und das Sitzungsprotokoll des Senats vom 01.09.2009 Bezug genommen.

II.

Da sich die Klägerin zu 1) und die Beklagte über die Unterhaltsansprüche der Klägerin zu 1) umfassend verglichen haben, hat der Senat nur noch über den geltend gemachten Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 2) zu entscheiden.

Die zulässige Berufung der Klägerin zu 2) ist teilweise begründet.

Die Beklagte ist ihren Enkelinnen und , den beiden Klägerinnen, unstreitig zur Zahlung von Unterhalt nach §§ 1601, 1607 Abs. 1, 1610 BGB verpflichtet. Beide Eltern und die anderen Großeltern sind leistungsunfähig. Die Beklagte verfügt - ebenfalls unstreitig - über ein um berufsbedingte Aufwendungen bereinigtes monatliches Nettoeinkommen von 2.690,00 EUR.

Der Bedarf der Klägerinnen richtet sich nach der von den Eltern abgeleiteten Lebensstellung. Da beide Elternteile zur Zahlung von Barunterhalt nicht leistungsfähig sind, können die Kinder von ihrer Großmutter lediglich den Mindestunterhalt nach § 1612 a Abs. 1 BGB verlangen. Er beträgt für die Klägerin zu 2) derzeit 322,00 EUR.

Der Bedarf der Klägerin zu 2) ist teilweise durch das staatliche Kindergeld gedeckt, das gemäß § 1612 b Abs. 1 Nr. 1 BGB zur Hälfte, d. h. derzeit i.H.v. 82,00 EUR, auf den Barbedarf des Kindes anzurechnen ist.

Der Unterhaltsbedarf der Klägerin zu 2) ist des Weiteren gedeckt durch die künftig zu erwartenden Leistungen der Unterhaltsvorschusskasse i.H.v. monatlich 158,00 EUR. Denn Unterhaltsvorschussleistungen sind nur im Verhältnis zum barunterhaltspflichtigen Elternteil subsidiär. Im Verhältnis zu den Großeltern sind sie anzurechnendes Einkommen des Kindes und mindern dessen Bedürftigkeit. Das gilt sowohl für bereits gezahlten als auch für noch zu gewährenden Vorschuss (vgl. Wendl/Staudigl/Scholz, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 7. Aufl., § 2, Rdn. 549; Schmitz-Peiffer, Die Bedeutung des Anspruchs nach dem Unterhaltsvorschussgesetz für die Unterhaltspflicht von Großeltern, Der Amtsvormund 1980, 866).

Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 UVG gehen Ansprüche des Berechtigten nur dann auf das Land über, wenn der Unterhaltsanspruch gegen einen Elternteil (und nicht gegen einen nach diesem haftenden Verwandten) besteht. Ein Übergang von Unterhaltsansprüchen gegen Großeltern ist auch im Rahmen der Gewährung von Sozialleistungen nach der Vorschrift des § 94 Abs. 1 Satz 3 SGB XII ausgeschlossen. Allerdings ergibt sich aus dem fehlenden Forderungsübergang noch nicht zwingend die Vorrangigkeit der Sozialleistungen bzw. der Unterhaltsvorschusszahlungen gegenüber der Unterhaltsverpflichtung (vgl. hierzu Münder in LPK SGB XII § 94 Rdn. 74).

Doch ist die Gewährung eines Unterhaltsvorschusses nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 und § 2 Abs. 3 UVG lediglich abhängig von den Unterhaltszahlungen des Elternteils, bei dem der Berechtigte nicht lebt, sowie von Waisenbezügen wegen des Todes dieses Elternteils. Eine dem § 2 SGB XII entsprechende Vorschrift zum Nachrang der Sozialhilfe enthält das Unterhaltsvorschussgesetz gerade nicht. Die Einkünfte der Großeltern des berechtigten Kindes spielen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses ebensowenig eine Rolle wie das Einkommen und Vermögen des betreuenden Elternteils oder sonstige Einkünfte des Kindes. Mit dieser Regelung wollte der Gesetzgeber die Anrechnung von Einkommen des Berechtigten bewusst auf die im Allgemeinen in Betracht kommenden Einkünfte beschränken, um den Verwaltungsaufwand für die Durchführung des Gesetzes nicht unangemessen groß werden zu lassen (vgl. BT-Drucks. 8/2774, Seite 13). Sind demnach die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss nach §§ 1 bis 3 UVG gegeben, können Großeltern das Kind auf den Unterhaltsvorschuss als erzielbares Einkommen verweisen (Wendl/Staudigl/Scholz, a.a.O.).

Der Klägerin zu 2) wurden bis einschließlich Dezember 2009 bereits Unterhaltsvorschussleistungen i.H.v. monatlich 158,00 EUR bewilligt. Der Anspruch auf Unterhaltsvorschuss besteht voraussichtlich bis zum 31.07.2010.

Der Unterhaltsanspruch der Klägerin zu 2) gegenüber der Beklagten beläuft sich somit derzeit auf (322,00 EUR - 82,00 EUR hälftiges Kindergeld - 158,00 EUR Unterhaltsvorschussleistungen =) 82,00 EUR.

Im Juli 2010 wird die Klägerin zu 2) 12 Jahre alt. Sie befindet sich von diesem Zeitpunkt an - wie die Klägerin zu 1) - in der dritten Altersstufe. Von ihrem Bedarf von dann 377,00 EUR ist das hälftige Kindergeld in Abzug zu bringen, so dass sich ein Unterhaltsanspruch von 295,00 EUR ergibt, von dem für den Monat Juli 2010 noch die Unterhaltsvorschussleistung in Abzug zu bringen sein wird.

Die Beklagte ist unter Berücksichtigung ihrer Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der Klägerin zu 1) zur Zahlung dieses Unterhaltsbetrages auch leistungsfähig. Die Beklagte hat als Großmutter gegenüber ihren Enkelkindern einen Selbstbehaltssatz von mindestens 1.400,00 EUR (Ziffer 21.3.2. der Unterhaltsleitlinien des Oberlandesgerichts Dresden, Stand 01.01.2009). Da es nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (FamRZ 2007, 375, 376) gerechtfertigt ist, den Großeltern generell die erhöhten Selbstbehaltsbeträge, die auch im Rahmen des Elternunterhalts gelten, zuzubilligen, lässt der Senat die Hälfte des den Selbstbehalt von 1.400,00 EUR übersteigenden Einkommens, das sind (2.690,00 EUR -1.400,00 EUR = 1.290,00 EUR : 2 = ) 645,00 EUR anrechungsfrei. Der Beklagten stehen somit für Unterhaltszwecke monatlich 645,00 EUR zur Verfügung. Mit diesem Betrag ist die Beklagte in der Lage, die Unterhaltsansprüche der Klägerinnen (i.H.v. 2 x 295,00 EUR) uneingeschränkt zu erfüllen.

Soweit die Beklagte ihrem dritten Enkelkind freiwillig ebenfalls monatlich 200,00 EUR zukommen lässt, kann das auf die Beurteilung ihrer Leistungsfähigkeit keine Auswirkungen haben, da die Beklagte nicht dargetan hat, dass sie insoweit ebenfalls eine Unterhaltsverpflichtung trifft.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97, 92, 98, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 8, 10, 711, 108 ZPO.

Da die Frage, ob Unterhaltsvorschussleistungen im Verhältnis zu den Großeltern anrechenbare Einkünfte sind, die die Bedürftigkeit des Kindes mindern, in Rechtsprechung und Literatur teilweise - thesenhaft - anders beantwortet wird (vgl. Gerhardt, Handbuch des Fachanwalts Familienrecht 6. Aufl., 6. Kapitel Rdn. 208e; OLG München Beschluss vom 10.08.1999 - 12 WF 1099/99 -, zit. nach JURIS), lässt der Senat die Revision zu, § 543 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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