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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Beschluss verkündet am 12.09.2001
Aktenzeichen: 20 WF 592/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 Satz 2
Die erweiterte Unterhaltspflicht erstreckt sich in analoger Anwendung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB auf solche volljährigen, in allgemeiner Schulpflicht befindlichen Kinder, welche im Haushalt von Großeltern leben.
Oberlandesgericht Dresden Beschluss

Aktenzeichen: 20 WF 0592/01

des 20. Zivilsenats - Familiensenat -

vom

12. September 2001

In der Familiensache

wegen Kindesunterhalts

hier: Prozesskostenhilfe

hat der 20. Zivilsenat - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Dresden durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht XXXXXXX, Richter am Oberlandesgericht XXXXXX und Richter am Amtsgericht XXXXXXX

beschlossen:

Tenor:

Auf die Beschwerde des Beklagten wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Görlitz vom 3. August 2001 abgeändert:

Dem Beklagten wird für das Verfahren erster Instanz rückwirkend ab dem 31.05.2001 Prozesskostenhilfe bewilligt.

Zur Wahrnehmung der Rechte wird ihm XXXXXX, beigeordnet. Eine Verpflichtung, die voraussichtlichen Kosten der Prozessführung ratenweise zu begleichen, wird dem Beklagten nicht auferlegt.

Gründe:

I.

Der Kläger ist der Vater des am 16.04.1983 geborenen und nunmehr volljährigen Beklagten. Mit Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Görlitz vom 05.04.2001, Az: 51 FH 56/00, wurde der Kläger zur Zahlung eines monatlichen Unterhalts für seinen Sohn, beginnend ab dem 01.01.2001, in Höhe von 100 % des Regelbetrags (Ost) der 3. Altersstufe nach § 2 RegelbetragVO, somit 465,00 DM, verurteilt.

Mit der am 10.05.2001 erhobenen Abänderungsklage nach § 656 ZPO begehrt er die Abänderung der Unterhaltsverpflichtung auf Null, da er nicht leistungsfähig sei.

Der Beklagte befindet sich noch in der allgemeinen Schulausbildung, er besucht das Technische Gymnasium der Stadt Görlitz. Er lebt nach dem Vortrag der Parteien seit frühester Kindheit im Haushalt seiner Großeltern.

Das Amtsgericht hat im Beschluss vom 03.08.2001 dem Beklagten Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung versagt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass es sich beim Beklagten nicht um einen privilegierten Unterhaltsgläubiger i.S. des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB handele, da der Beklagte nicht im Haushalt seiner Eltern bzw. eines Elternteils lebe. Damit bestehe auch keine gesteigerte Erwerbsobliegenheit des Klägers als Unterhaltsschuldner.

Dieser Beschluss wurde der Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 07.08.2001 zugestellt. Am 20.08.2001 erreichte ein Fax des Beklagten das Familiengericht Görlitz, in dem dieser gegen die Prozesskostenhilfe ablehenden Entscheidung des Familiengerichts Beschwerde eingelegt hat. Den Kläger treffe gemäß § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB die verschärfte Unterhaltshaftung, da der Beklagte einkommens- und vermögensloser Schüler am Technischen Gymnasium Görlitz sei. Die Kindschaftsreform von 1998 habe sicherstellen wollen, dass das volljährige Kind in einem wichtigen Lebensabschnitt (der in der Regel bis zum Abitur gehe) weiterhin unterhaltsberechtigt sei. Ein Jugendlicher, der nicht im Haushalt seiner Eltern lebe - sondern hier bei seinen Großeltern - könne allein deshalb nicht schlechter gestellt werden.

II.

Die Beschwerde des Beklagten ist nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig. Sie ist nicht fristgebunden.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg. Dem Beklagten hätte Prozesskostenhilfe für die Rechtsverteidigung gegen die Abänderungsklage nicht unter Hinweis auf § 114 ZPO versagt werden dürfen. "Hinreichende Erfolgsaussicht" i.S. des § 114 ZPO ist dann gegeben, wenn es aufgrund summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage möglich ist, dass der Antragsteller mit seinem Begehren durchdringen wird (vgl. beispielsweise Zöller-Philippi, ZPO, 22. Aufl., § 114 Rdn.19 m.w.N.).

Das ist vorliegend zu bejahen. Das Familiengericht hat unzutreffend die Möglichkeit einer entsprechenden Anwendung des § 1603 Abs. 3 Satz 2 BGB auf den hier zu beurteilenden Fall nicht in Betracht gezogen.

Zwar scheint zunächst der Wortlaut der Norm einem solchen Ergebnis entgegenzustehen, da nach diesem volljährige unverheiratete Kinder bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres den minderjährigen unverheirateten Kindern dann gleichstehen, "solange sie im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils leben" (und sich in der allgemeinen Schulausbildung befinden). Der Wortlaut der Norm unterstützt daher zunächst die angefochtene Entscheidung (vgl. in diesem Sinne auch Palandt-Diederichsen, Bürgerliches Gesetzbuch, 60. Aufl., § 1603 Rdn.56 sowie Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 5. Aufl., § 2 Rdn.456 allerdings jeweils ohne nähere Begründung).

Bei der hier vorzunehmenden Gesetzesauslegung ist indes bei der Ermittlung des Wortsinns nicht stehen zu bleiben, vielmehr sind die Entstehungsgeschichte und insbesondere der Zweck der Norm zu berücksichtigen.

§ 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB wurde durch das Gesetz zur Vereinheitlichung des Unterhaltsrechts minderjähriger Kinder (Kindesunterhaltsgesetz-KindUG) vom 06.04.1998 (BGBl. I 1998, 666) in das vierte Buch des BGB eingefügt. Dieses Gesetz zielte insbesondere darauf ab, das Unterhaltsrecht für eheliche und nichteheliche Kinder zu vereinheitlichen, wie bereits vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf Artikel 6 Abs. 5 GG gefordert (BVerfGE 85, 80, 87). Die in diesem Zusammenhang in § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB vorgenommene Erstreckung der erweiterten Unterhaltspflicht gegenüber minderjährigen Kindern auf volljährige Kinder geschah aus der Erkenntnis, dass die Lebensstellung von 18- bis 21jährigen - auch wenn die elterliche Sorge wegen der Vollendung des 18. Lebensjahres rechtlich beendet ist - vergleichbar mit der Lebensstellung minderjähriger Kinder ist, wenn sie (weiterhin) bei den Eltern oder einem Elternteil wohnen bleiben (BT-Drucks. 13/7338, Seite 21). Nach einer am Gesetzeszweck orientierten teleologischen Auslegung (vgl. BGHZ 2, 176, 184; 54, 264, 268; 78, 263, 265; 87, 381, 383) verfolgt die Norm den Zweck, rechtlich zwar selbständigen, tatsächlich aber in gewissem Sinne weiterhin "unselbständigen" Kindern den erforderlichen Unterhalt zu erhalten.

Darum geht es auch im hier zu beurteilenden Fall. Nach dem bisherigen (unwidersprochenen) Vortrag des Klägers lebt der Beklagte seit frühester Kindheit im Haushalt seiner Großeltern. Seine Situation hat sich allein durch das Erreichen der Volljährigkeit nicht geändert, was auch beispielhaft durch die vom Beklagten seiner Großmutter ausgestellten Vollmacht vom 27.05.2001 verdeutlicht wird, in der er ihr einräumt, sie in allen Angelegenheiten zu vertreten. Dieser gesetzlich nicht geregelte Fall, dass ein sich in der allgemeinen Schulausbildung befindliches volljähriges unverheiratetes Kind zwischen 18 und 21 Jahren nicht im Haushalt der Eltern oder eines Elternteils, sondern in dem seiner Großeltern lebt, ist nach Auffassung des Senats im Wege der Einzelanalogie wegen der Vergleichbarkeit der Lebenssituation - die durch enge verwandtschaftliche Bindung und umfassende Sorge gekennzeichnet ist - und der Schutzwürdigkeit eines solchen Kindes nach § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB zu behandeln. Das bedeutet hier, dass eine erweiterte Unterhaltspflicht des Klägers gegenüber dem Beklagten besteht.

Aus der Gesetzesbegründung lässt sich nichts entnehmen, was gegen eine solche erweiterte Auslegung des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB spricht. Vom Gesetzgeber wurde lediglich eine Ausdehnung der Vorschriften auf weitere Fallgruppen (insbesondere behinderte Kinder und auf solche volljährigen unverheirateten Kinder, die sich nicht mehr in der allgemeinen Schulausbildung befinden) ausdrücklich abgelehnt, eine Fallkonstellation wie die vorliegende ist hingegen - soweit ersichtlich - nicht problematisiert worden (vgl. BT-Drucks. 13/7338, Seite 21).

Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass der Kläger dem Beklagten weiterhin unterhaltspflichtig ist. Insoweit ist nun vom Familiengericht die behauptete Leistungsunfähigkeit des Klägers zu prüfen.

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Da die Beschwerde Erfolg hat, fallen Gerichtsgebühren nicht an. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).

Ende der Entscheidung

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