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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Dresden
Urteil verkündet am 06.06.2002
Aktenzeichen: 4 U 3112/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Bei unterlassener Befunderhebung kommt zugunsten des Patienten nur dann eine Beweiserleichterung in Betracht, wenn der Befund mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein medizinisch positives Ergebnis gehabt hätte. Von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit kann jedenfalls dann nicht gesprochen werden, wenn das mutmaßliche Ergebnis des Befundes völlig offen und die Wahrscheinlichkeit nicht höher als mit 50 % anzusetzen ist.
Oberlandesgericht Dresden IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Aktenzeichen: 4 U 3112/01

Verkündet am 06.06.2002

In dem Rechtsstreit

wegen Schadenersatzes/Schmerzensgeld

hat der 4. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Dresden aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2002 durch Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Boie, Richterin am Oberlandesgericht Möhring und Richter am Landgericht Klerch für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Zwickau vom 19.11.2001 (3 0 583/00) wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahren einschließlich der durch die Nebenintervention entstandenen Kosten zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 5 500,00 EUR und der Nebenintervenienten durch Sicherheitsleistung in Höhe von jeweils 7 000,00 EUR.

Die Sicherheiten können durch selbstschuldnerische, schriftliche, unwiderrufliche, unbedingte und unbefristete Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts erbracht werden.

Beschluss

Streitwert des Berufungsverfahrens einschließlich der Nebenintervention: 150 000,00 DM = 76 693,78 EUR.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten, einer Fachärztin für Gynäkologie, Schadensersatz wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung.

Die im Jahr 1964 geborene Klägerin war seit Ende 1997 schwanger und deswegen bei der Beklagten seit dem 11.12.1997 in ärztlicher Behandlung. Seit dem 12.03.1998 behandelte die Beklagte sie zusätzlich wegen einer juckenden Entzündung der Vulva. Vom 1. bis 17.08.1998 befand sie sich in ärztlicher Behandlung des Kreiskrankenhauses (Nebenintervenient zu 1), am 11.08.1998 wurde sie von einem gesunden Kind entbunden. Bei der Entlassungsuntersuchung am 16.08.1998 wurde ein pathologischer Befund der Vulva angegeben: "Links: 3 cm x 2 cm große ödematös erhabene, gerötete Stelle mit weißlichen Belägen; rechts: ähnliche Veränderung 1 cm x 1 cm groß". Der Nebenintervenient zu 1 empfahl, die Behandlung mit einem Antimykotikum vorerst weiterzuführen und, wenn keine Besserung eintrete, eine Probeexzision vorzunehmen.

Vier Wochen nach der Entbindung stellte sich die Klägerin wegen erheblicher vulvärer Beschwerden wieder bei der Beklagten vor, die nun ebenfalls eine Hautveränderung an der linken Labie dokumentierte. Die Untersuchung des entnommenen zytologischen Abstrichs erbrachte die Empfehlung zur histologischen Abklärung. Am 30.09.1998 ließ die Klägerin die Probeexzision im Kreiskrankenhaus durchführen.

Das Ergebnis der histologischen Untersuchung lautete: Paget-Erkrankung mit Entwicklung eines Adenokarzinoms.

Die Klägerin hat vorgetragen:

Sie habe die Beklagte erstmals Ende April 1998 auf sichtbare weiße Stellen an der Vulva hingewiesen. Diese habe es seit Beginn der Behandlung grob fehlerhaft unterlassen, die erforderlichen Befunde zu erheben, insbesondere eine histologische Untersuchung zu veranlassen. Die Beklagte habe bereits im März 1998 die Symptome, die auf die Paget-Erkrankung hingewiesen hätten, fehlerhaft interpretiert. Wenn sie sogleich zu Beginn der Behandlung die histologische Untersuchung veranlasst hätte, wäre die Krebserkankung bereits acht Monate früher entdeckt worden, so dass die bösartigen Veränderungen, das infiltrative Wachstum und die flächenhafte Ausdehnung des Tumors hätten verhindert werden können. In diesen Fall wäre auch die Operation weniger gravierend und die anschließende Chemotherapie mit ihren Beeinträchtigungen überhaupt nicht erforderlich gewesen.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie - die Klägerin - ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld, mindestens jedoch 120 000,00 DM, zuzüglich 4 % Zinsen seit dem 11.05.2000 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr alle künftigen immateriellen sowie die materiellen Schäden für Vergangenheit und Zukunft zu ersetzen, die ihr durch die fehlerhafte Behandlung der Beklagten ab 31.03.1998 entstanden sind und künftig noch entstehen, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen:

Bis zum September 1998 hätten keine Anhaltspunkte für ein Karzinom vorgelegen; dieses hätte auch bei frühzeitiger Erkennung im Rahmen einer Vulvektomie entfernt werden müssen.

Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen (Bl. 247-266) . Wegen des Ergebnisses der erstinstanzlichen Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten und die Sitzungsniederschriften Bezug genommen (Bl. 98-103, Bl. 132-147, Bl. 219-224) . Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt: Der Feststellungsantrag sei unzulässig, soweit er materielle Schäden mitumfasse, welche der Klägerin bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden seien. Im übrigen sei die Klage unbegründet. Zwar habe die Beklagte die Krebserkrankung zu spät diagnostiziert, darin liege aber wegen der Seltenheit der Krankheit und der Schwangerschaft der Klägerin kein grober Diagnosefehler. Des Weiteren habe es die Beklagte seit April 1998 fehlerhaft unterlassen, die erforderlichen Befunde zu erheben, doch liege auch hierin kein grober Fehler. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass Diagnosefehler und unterlassene Befunderhebung für den bei ihr eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich gewesen seien. Es sei weder erwiesen noch wahrscheinlich, dass die Klägerin bereits zwischen März und Mai 1998 an Krebs erkrankt gewesen sei. Im übrigen ergäben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass eine frühere Operation mit geringeren Beeinträchtigungen verbunden gewesen wäre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht und ordnungsgemäß eingelegte und begründete Berufung, mit der die Klägerin die Wertung der Behandlungsfehler als nicht grob angreift und darauf hinweist, dass ihr wegen der unterlassenen Befunderhebung auch ohne Annahme eines groben Behandlungsfehlers eine Beweislastumkehr zugute kommen müsse, weil sich aus den Angaben des Sachverständigen ergebe, dass sie mit hinreichender Wahrscheinlichkeit bereits im März 1998 an dem Paget-Karzinom erkrankt gewesen sei.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach ihren erstinstanzlichen Anträgen zu erkennen, wobei sie den Schmerzensgeldantrag auf EURO umstellt (61 355,03 EUR) und Feststellung nur für die künftigen materiellen Schäden begehrt.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Der Senat hat Beweis erhoben durch ergänzende Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. (Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 16.05.2202, Bl. 359-361).

Wegen des weiteren Vertrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren.

Entscheidungsgründe:

I.

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Das Landgericht hat die Klage mit zutreffenden Erwägungen abgewiesen, weil die Klägerin nicht hat beweisen können, dass ihr aufgrund eines Behandlungsfehlers der Beklagten ein Gesundheitsschaden entstanden ist. Davon hat sich der Senat aufgrund der widerspruchsfreien und nachvollziehbaren.

Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. sowohl in seinem schriftlichen Gutachten als auch vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht überzeugt. Die Sachkunde des Sachverständigen und die Zuverlässigkeit seiner Ausführungen werden von den Parteien nicht mit erheblichen Gründen in Zweifel gezogen. Der Senat hatte keinen Anlass, an der Kompetenz des Sachverständigen und der Richtigkeit seiner Angaben zu zweifeln. Insbesondere stehen seine Ausführungen - mit Ausnahme eines Punktes - nicht in Widerspruch zu dem von der Klägerin vorgelegten Gutachten des (künftig: ) im Freistaat Sachsen (Gutachter: Dr. ) . Soweit in einer Frage Widersprüche erkennbar sind, folgt der Senat den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. Dr. , der die überlegene Sachkunde aufweist.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

1. Der Senat hält die Wertung des Landgerichts für vertretbar, die Beklagte habe die Klägerin ab April 1998 fehlerhaft behandelt. In keinem Fall hat sich ein solcher Behandlungsfehler nachweisbar auf den Krankheitszustand der Klägerin ausgewirkt.

a) Allerdings liegt der etwaige Behandlungsfehler weniger in einem Diagnoseirrtum. Ein Fehler liegt nämlich nur vor, wenn der Arzt die erhobenen Befunde vorwerfbar fehlinterpretiert. Eine objektiv falsche Diagnose ist nicht geeignet, einen Vorwurf gegen den Arzt zu begründen, wenn es sich um eine in der gegebenen Situation vertretbare Deutung der Befunde handelt (vgl. Geiß/Greiner Arzthaftpflichtrecht 4. Aufl. Rdn. B 55 und die dort zit. Rspr.). Eine solche Fehldeutung der Befunde kann der Beklagten (an dieser Stelle unterstellt, die Klägerin sei bereits im März 1998 an dem Paget-Karzinom erkrankt gewesen) nach den Ausführungen von Prof. Dr. Dr. gerade nicht vorgeworfen werden.

Der Sachverständige hat erst- und zweitinstanzlich immer wieder betont, dass die bei der Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag ab März vorliegenden Symptome vielfältige Ursachen haben konnten, so dass die Diagnose der Beklagten im März 1998 und die sich auf diese Diagnose aufbauende Therapie "in Ordnung und logisch" - also vertretbar - waren. Die Beklagte musste zu diesem Zeitpunkt aufgrund der diffusen unspezifischen Symptomatik ( : "uncharakteristisch") nicht sofort an das Schlimmste denken (Bl. 360 dA). Insbesondere musste die Beklagte das Paget-Karzinom sicherlich nicht in ihre Überlegungen aufnehmen, weil diese Krankheit extrem selten ist und an ihr vorwiegend ältere Frauen erkranken (Gutachten vom 18.06.2001, Bl. 137 dA).

Auch für die weitere Behandlung gilt nichts Anderes: Spezifische Befunde, die eine Krebserkrankung der Klägerin nahe gelegt hätten, lagen nicht vor. Selbst den Befund des Kreiskrankenhauses vom 16.08.1998 bezeichnet der Sachverständige als immer noch unspezifisch, auch er lasse keinesfalls einen zwingenden Schluss auf eine Krebserkrankung zu (Bl. 361 dA).

Dieser Wertung stehen die Ausführungen des nicht entgegen. In dem Gutachten werden nur allgemeine Ausführungen zu den Symptomen eines Paget-Karzinoms gemacht, ohne konkret auf die Situation bei der Klägerin einzugehen, wohl auch deswegen, weil Dr. die erforderlichen Unterlagen nicht vollständig vorlagen.

Der Sachverständige wertet die Behandlung der Beklagten ab April 1998 auch nicht deshalb als fehlerhaft, weil sie Befunde fehlinterpretiert hätte, sondern vielmehr weil sie der Ursache der von der Klägerin beklagten Beschwerden nicht systematisch nachgegangen ist (Bl. 360 dA) . Das aber bedeutet: Die Beklagte hat es allenfalls schuldhaft unterlassen, die medizinisch erforderlichen Befunde zu erheben; nur darin kann ihr Behandlungsfehler liegen. Dies wird von der Beklagten zwar weiterhin bestritten, der Sachverständige hat in dieser Frage jedoch Stellung bezogen, ohne dass die Beklagte ihn in der Sache widerlegt hätte. Der Senat geht deswegen von einem Behandlungsfehler in der Form der unterlassenen Befunderhebung aus: Die Beklagte hat ab April 1998 ohne Konzept und weitere Ursachenforschung der Klägerin Salben verschrieben.

b) Die Klägerin hat jedoch nicht bewiesen, dass die fehlerhafte Behandlung ihren Krankheitszustand verschlechtert hat.

Es ist schon nicht erwiesen, dass die Krebserkrankung bereits ab März 1998 vorlag. Der Sachverständige hat vor dem Senat überzeugend ausgeführt, dass sich der Krankheitsbeginn bei der vorliegenden seltenen Krebsform (Paget-disease) kaum feststellen lasse. Die bei der Klägerin ab März 1998 aufgetretenen (im einzelnen streitigen) Symptome ließen sich allesamt (einschließlich der "weißen Stellen") auch mit zahlreichen anderen Erkrankungen, die gleiche oder ähnliche Symptome wie die Paget-disease aufwiesen, erklären. Überdies könne es sein, dass sich bei der Klägerin verschiedene Krankheiten überlagert hätten (Bl. 359 dA) . Deswegen könne man weder aus den festgestellten noch aus den von der Klägerin behaupteten Symptomen auf das Vorliegen der Krebserkrankung schließen. Seine anfängliche Äußerung, er halte es im Hinblick darauf, dass dem Ausbruch der Paget-disease im Allgemeinen ein längerfristiger Prozess vorausgehe, für wahrscheinlich, dass die Krankheit bereits vorgelegen habe, hat er relativiert: Mangels irgendwie gearteter objektivierbarer Daten sei es nicht möglich, einen höheren als 50 %igen Grad an Wahrscheinlichkeit anzugeben (Bl. 359, 360).

Selbst wenn zu Gunsten der Klägerin davon ausgegangen würde, sie sei seit März 1998 an Krebs erkrankt gewesen, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Es fehlt dann zumindest an dem erforderlichen Nachweis dafür, dass durch die verzögerte Feststellung der Paget-Erkrankung sich die Therapie geändert hat, der operative Eingriff größer und die sich anschließende Therapie belastender gewesen ist und sich die Prognose verschlechtert hat. Allerdings hat der Sachverständige erstinstanzlich darauf hingewiesen, dass bei einem nicht invasiven Wachstum des Paget-Karzinoms die lokale Resektion zwar im gleichen Umfang hätte vorgenommen werden müssen wie bei der Klägerin tatsächlich durchgeführt, dass jedoch die Lymphknoten nicht hätten entfernt werden müssen (Bl. 221 dA) . Doch gleichzeitig hat er ausgeführt, da bei der Klägerin im Oktober 1998 ein invasives Paget-Karzinom vorgefunden worden sei, sei es nicht wahrscheinlich, dass im Frühjahr 1998 ein nicht invasives Karzinom vorgelegen habe (wenn die Klägerin überhaupt an Krebs erkrankt gewesen sei, Bl. 223 dA) . Dann aber könne wegen der Diskrepanz zwischen äußerlicher Veränderungen und tatsächlicher Tumorausbreitung nicht abgeleitet werden, dass bei früherer Diagnosestellung ein signifikant weniger radikaler Eingriff erforderlich gewesen wäre (Bl. 144 dA) . In seiner Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige diese Aussage noch einmal bekräftigt und verstärkt: Bei der Besonderheit der Paget-Erkrankung sei hervorzuheben, dass man unter keinen Umständen sagen könne, ein früherer operativer Eingriff wäre weniger gravierend und weniger folgenschwer gewesen, weil sich diese Krebsart nicht zentrifugal, sondern multifugal ausbreite, worauf bei der Klägerin auch die späteren Feststellungen des Histopathologen hinwiesen (Bl. 360 dA) .

Der Senat ist aufgrund dieser klaren und widerspruchsfreien Ausführungen des Sachverständigen von der Richtigkeit dieser Schlussfolgerungen überzeugt. Durch das Gutachten des werden keine Zweifel an dem Sachverständigengutachten hervorgerufen, auch wenn dort zu dieser Frage festgehalten ist, eventuell sei der Eintritt der bösartigen Veränderungen vermeidbar bzw. zu einem früheren Zeitpunkt therapierbar gewesen (Bl. 333). Über die Kompetenz des Gutachters Dr. ist dem Senat nichts bekannt, die Klägerin hat nicht vorgetragen, er sei Gynäkologe/Onkologe. In jedem Fall geht der Senat von der überlegenen Sachkunde von Prof. Dr. Dr. aus, der ein international anerkannter gynäkologischer Onkologe ist und das extrem seltene Paget-Karzinom schon in zwei Fällen behandelt hat. Im übrigen sind die Ausführungen des zur Kausalität auch inhaltlich nicht überzeugend. Eine Begründung fehlt. Auf die bei der Klägerin vorliegende invasive Form und die Folgen für Behandlungsfehler und Ursächlichkeit wird nicht eingegangen.

2. Zugunsten der Klägerin kann auch nicht von dem Grundsatz abgewichen werden, wonach die Patientenseite Behandlungsfehler und dessen Ursächlichkeit für einen Gesundheitsschaden beweisen muss.

Der Senat verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass dem Patienten nach der Rechtsprechung des BGH aus einer unterlassenen Befunderhebung Beweiserleichterungen erwachsen können. Nach dieser Rechtsprechung lässt ein Verstoß gegen die Pflicht zur Erhebung medizinischer Befunde im Wege der Beweiserleichterung für den Patienten auf ein reaktionspflichtiges positives Befundergebnis schließen, wenn ein solches hinreichend wahrscheinlich ist, regelmäßig jedoch nicht auf eine Ursächlichkeit der unterlassenen Befunderhebung für eine vom Patienten erlittene Gesundheitsverletzung (BGH NJW 1996, 1589) . Weitere Beweiserleichterungen auch im Hinblick auf die Ursächlichkeit der unterlassenen Befunderhebung für die vom Patienten erlittenen Gesundheitsschäden kommen diesem zugute, wenn bereits die Unterlassung der Befunderhebung einen groben ärztlichen Fehler darstellt (BGH NJW 1998, 1780) oder wenn sich ein so deutlicher und gravierender Befund als hinreichend wahrscheinlich ergeben hätte, dass sich seine Verkennung (BGH NJW 1996, 1589) oder die Nichtreaktion auf ihn als fundamental fehlerhaft darstellen würde (BGH NJW 1999, 860) .

a) Die unterlassene Befunderhebung durch die Beklagte stellt jedenfalls keinen groben Behandlungsfehler dar; hier folgt der Senat der zutreffenden Wertung des Landgerichts. Die Bewertung, ob sich ein Behandlungsfehler als grob darstellt, ist eine Frage, über die nicht der Sachverständige, sondern der - sachverständig beratene - Richter zu entscheiden hat. Die Bewertung des Sachverständigen, es handele sich um keinen groben Fehler, ist deswegen allenfalls Indiz und nimmt dem Senat die juristische Einordnung nicht ab. Aus den Ausführungen des Sachverständigen ergibt sich jedoch, dass die Beklagte nicht gegen elementare medizinische Erkenntnisse oder elementare Behandlungsstandards verstoßen hat, die Unterlassung erscheint nicht als aus objektiv ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich (vgl. zur Definition des groben Behandlungsfehlers Geiß/Greiner aaO. Rdn. B 252 und die dort zit. Rspr.). Der Sachverständige hat vor dem Senat ausgeführt, es gebe keine klaren Richtlinien, die der Beklagten in der konkreten Situation ein bestimmtes ärztliches Vorgehen vorgeschrieben hätten. Die Symptome der Klägerin seien unspezifisch (auch soweit streitig), die Beklagte habe aufgrund dieser Symptome nicht in erster Linie an eine lebensbedrohliche Erkrankung denken müssen, zumal die Betreuung der Schwangerschaft im Vordergrund gestanden habe.

b) Wenn die Klägerin im Mai/Juni 1998 bereits an dem Paget-Karzinom erkrankt gewesen sein sollte, wäre aufgrund einer - nach den Ausführungen des Sachverständigen frühestens zu diesem Zeitpunkt durchzuführenden - Biopsie (ggf. unter der vorläufigen Diagnose einer Dysplasie) das Paget-Karzinom diagnostiziert worden (Bl. 221 dA) ; eine Nichtbehandlung des Karzinoms wäre grob fehlerhaft gewesen (Bl. 224 dA) . Dies hat der Sachverständige erstinstanzlich vor dem Landgericht klargestellt. Eine Beweislastumkehr zugunsten der Klägerin auch in Bezug auf die Kausalität der unterlassenen Befunderhebung für die Gesundheitsverschlechterung wäre deswegen anzunehmen, wenn es hinreichend wahrscheinlich wäre, dass die Biopsie ein reaktionspflichtiges Befundergebnis erbracht hätte, dass die Klägerin also im Mai/Juni 1998 bereits an einem Paget-Karzinom erkrankt war. Der Sachverständige gibt den Grad der Wahrscheinlichkeit auch für diesen Zeitraum jedoch nur mit 50 % an. Der BGH hat bislang - soweit ersichtlich - nicht entschieden, was genau in diesem Zusammenhang unter hinreichender Wahrscheinlichkeit zu verstehen ist. Von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne kann nach Ansicht des Senats jedenfalls dann nicht gesprochen werden, wenn das mutmaßliche Ergebnis des Befundes völlig offen und die Wahrscheinlichkeit nicht höher als mit 50 % anzusetzen ist. Eine Beweiserleichterung zugunsten der Klägerin scheidet mithin aus.

Durch Beweiserleichterungen darf der Patient nicht besser gestellt werden, als er stünde, wenn der Befund ordnungsgemäß erhoben und gesichert worden wäre (BGH NJW 1996, 1589, 1590) . Nur das Risiko grober Fehler darf ihm nicht aufgebürdet werden. Dagegen muss er bei dem stets möglichen Risiko "einfacher" Versehen auf Behandlungsseite den vollen Kausalitätsnachweis führen, will er einen Ausgleich erhalten (so Geiß/Greiner aaO. Rdn. B 297).

3. An dem Ergebnis ändert sich nichts, auch wenn die Klägerin Dokumentationsmängel der Beklagten behauptet. Die unterlassene oder lückenhafte Dokumentation einer aus medizinischer Sicht zu dokumentierenden Maßnahme führt zu der Vermutung, dass die Maßnahme unterblieben ist. Sie bildet keine eigenständige Anspruchsgrundlage (vgl. hierzu Geiß/Greiner aaO. Rdn. B 247-250). Dass die Dokumentation der Beklagten lückenhaft ist, weil sie dort nicht bereits im April 1998 sichtbare weiße Stellen eingetragen hat, müsste die Klägerin erst noch beweisen.

Der von ihr zu dieser Behauptung angebotene Beweis musste nicht erhoben werden, denn auch bei Berücksichtigung des streitigen Vertrags ist der Sachverständige nachvollziehbar zu keinem anderen, der Klägerin günstigeren Ergebnis gekommen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 108 ZPO. Ein Absehen von den Schutzanordnungen nach § 713 ZPO kam nicht in Betracht. Zwar hat der Senat die Revision nicht nach § 543 ZPO zugelassen, doch steht der Klägerin die Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 544 ZPO iVm. § 26 Nr. 7 und 8 EGZPO offen.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wurde entsprechend dem Begehr der Klägerin nach § 3 ZPO festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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